IT- und Medienrecht

Keine Schadensersatzansprüche bei im Jahr 2016 erworbenem, vom Abgasskandal betroffenem (Gebraucht-)Fahrzeug

Aktenzeichen  5 U 240/19

Datum:
14.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 8090
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 263
BGB § 823 Abs. 2, § 826

 

Leitsatz

1. Vgl. zum Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals: OLG Frankfurt BeckRS 2019, 27981; OLG Saarbrücken, BeckRS 2019, 20813; OLG Stuttgart, BeckRS 2019, 21326; 2019, 29977; OLG Köln, BeckRS 2019, 13405; OLG München, BeckRS 2020, 4669; BeckRS 2019, 40404; BeckRS 2020, 4671; BeckRS 2019, 41860; BeckRS 2020, 6258; OLG Braunschweig, BeckRS 2017, 147936; OLG Schleswig, BeckRS 2019, 33012; OLG Koblenz, BeckRS 2019, 36722; BeckRS 2019, 32689; BeckRS 2020, 6840; BeckRS 2019, 41978; BeckRS 2020, 6810; BeckRS 2020, 7303; BeckRS 2020, 7300; OLG Dresden BeckRS 2020, 6276; OLG Naumburg BeckRS 2020, 6836; OLG Oldenburg, BeckRS 2020, 7194; OLG Jena, BeckRS 2020, 6271; a.A.: OLG Hamm, BeckRS 2019, 20495; OLG Oldenburg, BeckRS 2020, 280; BeckRS 2020, 6021; OLG Dresden, BeckRS 2020, 4135; OLG Koblenz BeckRS 2020, 5086. (redaktioneller Leitsatz)
2. Indem die Herstellerin ihr vorangegangenes, gesetzeswidriges Tun nach Aufdecken des Abgasskandals mit Dieselmotoren vom Typ EA 189 aufgearbeitet und die Öffentlichkeit darüber informiert hat, kann ihr jedenfalls in Bezug auf Käufe von Fahrzeugen mit solchen Motoren ab Herbst 2015 kein verwerfliches Verhalten (mehr) angelastet werden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ob gegen das Update vorgebrachte Einwände berechtigt sind, kann dahingestellt bleiben, denn diese Gesichtspunkte können nicht dazu führen, dass das Verhalten der Herstellerin ab Herbst 2015 weiterhin als verwerflich im Sinne des § 826 BGB einzustufen ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

92 O 2030/18 2019-06-17 Urt LGWUERZBURG LG Würzburg

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 17.06.2019, Az. 92 O 2030/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 17.06.2019, Az. 92 O 2030/18, sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz infolge des Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu.
Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung besteht nicht.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des verwerflichen Verhaltens als sittenwidrig ist der Eintritt des Schadens beim Käufer durch Abschluss des Kaufvertrages. Nach der Rechtsprechung dieses Senats ist jedenfalls in Bezug auf Gebrauchtwagenkäufer ab Herbst 2015 dieser Schaden nicht mehr durch ein verwerfliches Verhalten der Beklagten in einer gegen die guten Sitten verstoßenen Art und Weise herbeigeführt worden, da die Beklagte der (zuvor getäuschten) Allgemeinheit bekannt gegeben hat, dass die betroffenen Dieselfahrzeuge nachgebessert werden müssen, weil sie nicht uneingeschränkt den Zulassungsbestimmungen entsprechen (vgl. Senatsurteil vom 12.11.2019, Az.: 5 U 126/19). Damit hat der Hersteller es jedem einzelnen möglichen Käufer eines solchen Fahrzeuges überlassen, selbst darüber zu entscheiden, ob er ungeachtet des sogenannten „Abgasskandals“ Vertrauen in dessen Dieselfahrzeuge hat oder ob er wegen möglicherweise offen gebliebener Fragen Abstand von dem Kauf eines solchen Fahrzeuges nimmt. Indem die Beklagte ihr vorangegangenes, gesetzeswidriges Tun nach Aufdecken des Abgasskandals mit Dieselmotoren von Typ EA 189 aufgearbeitet hat und die Öffentlichkeit darüber informierte, kann ihr jedenfalls in Bezug auf Käufe von Fahrzeugen mit solchen Motoren ab Herbst 2015 kein verwerfliches Verhalten (mehr) angelastet werden. Die Beklagte hatte im Herbst 2015 letztendlich die Manipulation der Abgaswerte bei Prüfzyklen ihrer Dieselmotoren EA 189 eingeräumt und deren Beseitigung in Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrt-Bundesamt angekündigt. Damit hat sie die Täuschung der Öffentlichkeit über den zulassungswidrigen Zustand ihrer Motoren des Typs EA 189 sowie dessen Vertuschung nicht mehr aufrechterhalten, sondern ausdrücklich für jedermann erkennbar zugegeben. Die Gründe, die ihr Verhalten bis Herbst 2015 als sittenwidrig erscheinen lassen (Täuschung von Kaufinteressenten durch Vorspiegelung einer nicht gefährdeten Nutzbarkeit ihrer Fahrzeuge im Straßenverkehr unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in das Kraftfahrt-Bundesamt mit dem Ziel der Kostensenkung und Gewinnmaximierung), sind damit weggefallen. Hinzukommt, dass auch eine umfangreiche Medienberichterstattung über diesen sogenannten „…-Abgasskandal“ stattgefunden hat. In allen Medien wurde und wird seit Herbst 2015 häufig und ausführlich, auch über die Vorgänge und Folgen, die im Zusammenhang mit der verwendeten Manipulationssoftware eingetreten sind und eintreten können, berichtet. Ob gegen das Update vorgebrachte Einwände berechtigt sind, kann dabei dahingestellt bleiben. Denn diese Gesichtspunkte können nicht dazu führen, dass das Verhalten der Beklagten ab Herbst 2015 weiterhin als verwerflich im Sinne des § 826 BGB einzustufen ist. Denn maßgebend für den Eintritt des Schadens ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages. Spätere Erklärungen im Zusammenhang mit dem Update können für den Abschluss des Kaufvertrages nicht mehr von Bedeutung sein. Insoweit fehlt es bereits an der sittenwidrigen Schädigung (vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 06.06.2019, Az.: 24 U 5/19 -; OLG Celle, Beschluss vom 27.05.2019, Az.: 7 U 335/18 -; OLG Dresden, Urteil vom 24.07.2019, Az.: 9 U 2067/18 -; OLG München, Beschluss vom 09.04.2019, Az.: 21 U 4615/18 – jeweils m.w.N.).
Dem Kläger steht auch kein Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB zu. Die Beklagte hat ab Herbst 2015 für eine Aufklärung des die Manipulationsvorwürfe beinhaltenden Sachverhalts und dafür Sorge getragen, dass diese Faktenlage auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, so dass es – bezogen auf das hier zu beurteilende Rechtsgeschäft im Dezember 2016 – an einer fortbestehenden und sich auf die Vermögensverfügung auswirkenden Täuschungshandlung und damit an der Tatbestandsmäßigkeit des § 263 StGB fehlt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat hat abweichend vom OLG Hamm entschieden (Urteil vom 10.9.2019, BeckRS 2019, 20495). Das OLG Hamm kommt zu dem Ergebnis, dass die durch Inverkehrbringen der manipulierten Fahrzeuge in Gang gesetzte Kausalitätskette durch die Aufklärungs- und Informationsoffensive nicht unterbrochen wurde. Über diese Problematik ist bislang vom Bundesgerichtshof nicht entschieden worden. Hiervon ist eine Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle betroffen. Daher war die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen.
Verkündet am 14.01.2020


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