IT- und Medienrecht

Keine Überraschungsentscheidung trotz fehlender Frist zur Beschwerdebegründung

Aktenzeichen  4 C 19.2081

Datum:
2.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32496
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 152a
GVG § 17a

 

Leitsatz

Es liegt im Einzelfall keine unzulässige Überraschungsentscheidung und damit kein Gehörsverstoß vor, wenn das Gericht dem Beschwerdeführer zwar keine Frist zur Nachreichung einer Beschwerdebegründung setzt, aber nach Einsichtnahme in die Gerichtsakten durch ihn eine Frist von mehr als zwei Monaten abwartet, bevor es eine Entscheidung trifft. (Rn. 1 – 6) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.

Gründe

1. Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 15. Oktober 2019, mit dem der Senat die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 7. Juni 2019 zurückgewiesen hat, ist unbegründet. Aus den fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs vorgebrachten Darlegungen der Beklagten (vgl. § 152a Abs. 2 Satz 1 und 6 VwGO) ergibt sich nicht, dass der Senat bei seiner Entscheidung den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt hätte (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht‚ sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (BVerfG‚ B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 Rn. 35). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht‚ die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG a.a.O. Rn. 39), nicht aber dazu, den Vorstellungen eines Beteiligten zu folgen (BVerwG, B.v. 1.8.2011 – 6 C 15.11 – juris Rn. 1; BayVGH‚ B.v. 13.11.2013 – 10 C 13.2207 – juris Rn. 2). Voraussetzung für einen Erfolg der Anhörungsrüge ist weiter, dass der Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist (vgl. § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Zur Begründung ihrer Anhörungsrüge trägt die Beklagte vor, der Senat habe ihre Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen, ohne sie zur Vorlage der in der Beschwerdeschrift vom 15. Juli 2019 ausdrücklich vorbehaltenen Beschwerdebegründung aufgefordert zu haben. Das habe die Beklagte überrascht und verletze ihr Recht auf rechtliches Gehör. Die Begründung einer Beschwerde nach § 17a GVG unterliege keiner gesetzlichen Fristvorschrift. Der Senat habe die Beklagte weder zur Begründung ihrer Beschwerde aufgefordert noch ihr mitgeteilt, dass das Beschwerdeverfahren zur Förderung anstehe. Wenn dies geschehen wäre, hätte die Beklagte die in der Anhörungsrüge im Einzelnen angeführten Einwände gegen die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs vorgetragen.
Mit diesen Ausführungen wird ein Gehörsverstoß nicht dargetan. Die von der Beklagten erhobene Rechtswegbeschwerde unterlag nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 146 Abs. 1, § 147 VwGO keiner Begründungspflicht (Kaufmann in BeckOK VwGO, § 147 Rn. 3). In dem am 15. Juli 2019 eingegangenen Beschwerdeschriftsatz hatte die Beklagte Akteneinsicht beantragt und dazu erklärt, Antragstellung und Begründung würden nach Einsichtnahme in die Akten in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen. Am 30. Juli 2019 wurden die Gerichtsakten zur Akteneinsicht in die Kanzlei der Beklagtenvertreter mitgenommen und am 2. August 2019 in die Geschäftsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zurückgebracht. Eine weitere Äußerung der Beklagte erfolgte bis zum Erlass des Beschlusses vom 15. Oktober 2019 nicht.
In Anbetracht dieser Umstände kann von einer unzulässigen Überraschungsentscheidung und damit von einem Gehörsverstoß nicht ausgegangen werden. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 22.1.2019 – 2 BvR 93/19 – NJW 2019, 1060 Rn. 2 m.w.N.) muss ein Gericht, wenn sich ein Beschwerdeführer ausdrücklich die Begründung seines Rechtsschutzbegehrens vorbehalten hat, entweder eine Frist für die Begründung setzen oder mit einer nicht stattgebenden Entscheidung eine angemessene Zeit warten (vgl. auch Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 147 Rn. 5 m.w.N.); entscheidet es vor Ablauf der Frist oder einer angemessenen Wartezeit, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Welche Frist angemessen ist, kann nicht abstrakt generell bestimmt werden, sondern hängt vom Einzelfall ab (BVerfG, a.a.O., Rn. 4) Im vorliegenden Fall bot der Zeitraum von zweieinhalb Monaten nach Einsichtnahme in die Gerichtsakten der Beklagten ausreichend Gelegenheit, ihre Beschwerde zu begründen. Welche Motive dazu geführt haben, dass innerhalb dieses langen Zeitraums keine Antragsbegründung vorgelegt wurde, war für den Senat nicht erkennbar; er war auch nicht von Verfassungs wegen zu einer Nachfrage oder Fristsetzung verpflichtet (vgl. BVerfG, B.v. 16.12.2002 – 2 BvR 654/02 – juris Rn. 4; B.v. 23.10.1992 – 1 BvR 1232/92 – juris Rn. 5). Aufgrund der gegebenen Umstände war vielmehr davon auszugehen, dass entgegen der ursprünglichen Ankündigung trotz erfolgter Akteneinsicht keine Begründung mehr erfolgen würde und dass daher in der Sache entschieden werden konnte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es der Beklagten jederzeit freistand, gegenüber dem Gericht darzulegen, warum sie sich vorläufig gehindert sah, eine (weiterhin beabsichtigte) Antragsbegründung vorzulegen. Von dieser Möglichkeit einer Bitte um vorläufiges Absehen von einer Entscheidung hat sie indes ungeachtet des langen Zeitraums seit Einlegung der Beschwerde keinen Gebrauch gemacht. Auch aus der Begründung der Anhörungsrüge geht nicht hervor, warum für die Beklagte einerseits der mehrmonatige Zeitraum für die Begründung nicht ausreichend gewesen sein soll, sie andererseits aber unmittelbar nach Kenntnisnahme von der Beschwerdeentscheidung, die ihr laut eigenen Angaben am 21. Oktober 2019 zugestellt wurde, in ihrem Anhörungsrügeschriftsatz vom 22. Oktober 2019 auf immerhin 15 Seiten die Beschwerde begründen konnte.
Da aus den vorgenannten Gründen in der angegriffenen Entscheidung des Senats kein Gehörsverstoß lag, muss auf die von der Beklagten im Anhörungsrügeverfahren nachgereichten Beschwerdegründe nicht weiter eingegangen werden.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht‚ weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr von 60 Euro anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben