IT- und Medienrecht

Nur Haftung der Motorherstellerin, nicht aber der Porsche AG und des Händlers für unzulässige Abschalteinrichtung in zugeliefertem Dieselmotor

Aktenzeichen  9 U 7301/19

Datum:
26.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 33374
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 123, § 142, § 323 Abs. 2 Nr. 3, § 346, § 349, § 433, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 437 Nr. 2, § 440, § 826
ZPO § 138 Abs. 3, Abs. 4, § 256
Verbrauchsgüterkauf-RL Art. 3 Abs. 3 S. 3

 

Leitsatz

1. Zu – dort jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Porsche-Fahrzeugs, in das ein von Audi entwickelter Diesel-Motor eingebaut ist, vgl. auch OLG Köln BeckRS 2020, 25732; OLG München BeckRS 2020, 41015; BeckRS 2020, 44392; BeckRS 2021, 7739; OLG Dresden BeckRS 2020, 32522; BeckRS 2021, 6203; OLG Bamberg BeckRS 2021, 2533; BeckRS 2021, 31199; LG Augsburg BeckRS 2021, 8686; LG München I BeckRS 2020, 42410; LG München II BeckRS 2020, 43746; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 43093; LG Würzburg BeckRS 2020, 44850. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im erworbenen Fahrzeug macht eine Fristsetzung zur Nacherfüllung gegenüber dem Verkäufer nicht entbehrlich. Dies gilt insbesondere, wenn das Kraftfahrtbundesamt festgestellt hat, dass die unzulässige Abschalteinrichtung durch ein entsprechendes Software-Update behoben werden kann und keine negativen Auswirkungen für die ursprünglich vom Hersteller angegebenen Werte zu Verbrauch, CO₂-Emissionen oder Motorleistung entstehen, wenn und soweit das Software-Update aufgespielt wird. (Rn. 15 und 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Zurechnung deliktischen Handelns der Motorherstellerin über die Grundsätze der Konzernhaftung kommt gegenüber der konzernverbundenen Fahrzeugherstellerin (hier: Porsche AG) nicht in Betracht. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Liegt nicht nur ein schlicht zu groß geratenes „Thermofenster“ vor, sondern „erkennt“ die Motorensteuerungssoftware, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand ist, trifft die Motorherstellerin eine deliktische Verantwortung und ein Anspruch aus § 826 BGB. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

20 O 6318/18 2019-11-21 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufungen des Klägers und des Beklagten zu 1) wird das Urteil des Landgerichts München I vom 21.11.2019, Az. 20 O 6318/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte zu 3) wird verurteilt, an den Kläger 49.711,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 08.06.2018 Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des PKW … zu bezahlen.
2. die Beklagte zu 3) wird verurteilt, an den Kläger 563,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 08.06.2018 zu zahlen.
3. die Beklagte zu 3) wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.085,95 EUR freizuhalten.
4. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 3) seit 15.02.2018 mit der Rücknahme des PKWs des Klägers, …, in Annahmeverzug befindet.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 2) in voller Höhe sowie 23% der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3). Die Beklagte zu 3) trägt 23% der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Von den Gerichtskosten trägt der Kläger 77% und die Beklagte zu 3) 23%. Im Übrigen tragen die Parteien ihre eigenen Kosten selbst.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte zu 3) kann die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagten zu 1) und 2) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht diese vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren sowie für die erste Instanz auf 73.379,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Am 19.04.2017 erwarb der Kläger von der Beklagten zu 1) zum Kaufpreis von 65.000 € einen gebrauchten …mit 10.300 km. Die Beklagte zu 2) ist Herstellerin des Fahrzeugs, die Beklagte zu 3) die des eingebauten Diesel-Motors. Die Motorensteuerung erkennt, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet. Auf dem Prüfstand wird der durch die Euro-6-Norm vorgegebene NOx-Grenzwert eingehalten, im normalen Fahrbetrieb kommt es zu einem höheren Schadstoffausstoß. Deswegen verpflichtete das Kraftfahrt-Bundesamt am 28.07.2017 die Beklagte zu 2), die Motorsteuerung so zu ändern, dass die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden. Dazu bietet die Beklagte zu 2) ein Update an, das der Kläger erst nach Ende der mündlichen Verhandlung in erster Instanz am 06.08.2019 installieren ließ. Am 31.01.2018 focht der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1) den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an und setzte zugleich eine Frist zur Nacherfüllung bis 14.02.2018. Der Kläger behauptet, in das Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut. Mit Schreiben vom 15.03.2018 trat er vom Kaufvertrag zurück. Er begehrte primär den gezahlten Kaufpreis zurück gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Gegenüber den Beklagten zu 2) und 3) stützte er den Anspruch auf Deliktsrecht und begehrte die gesamtschuldnerische Verurteilung aller drei Beklagter. Die Beklagten bestreiten einen Mangel des Fahrzeugs. Jedenfalls würde das Softwareupdate den Mangel beseitigen.
Das Landgericht hat die Beklagte zu 1) abzüglich eines Nutzungswertersatzes gestützt auf Kaufvertragsrecht verurteilt, hat aber keine deliktischen Ansprüche gegen die Beklagten zu 2) und 3) gesehen. Der Rücktritt des Klägers vom Kaufvertrag sei wirksam. Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung sei entbehrlich gewesen (§§ 437 Nr. 2, 440, 323 II Nr. 3 BGB), weil wegen des vorangegangenen Dieselskandals und der auch hier fehlerhaften Motorsteuerungssoftware sein Vertrauen zerstört war. Er habe sich daher nicht auf eine Nachbesserung – durch update – einlassen müssen. Deliktische Ansprüche gegen die Beklagten zu 2) und 3) seien nicht ausreichend dargestellt, insbesondere nicht ein Vorsatz eines verfassungsmäßigen Vertreters.
Mit der Berufung will der Kläger eine Verurteilung der Beklagten zu 2) und 3) erreichen. Die Beklagte zu 1) erstrebt mit ihrer Berufung die Klageabweisung.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Der Kläger beantragt zuletzt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klagepartei 65.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, abzüglich einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenem km seit dem 09.05.2017, die sich nach folgender Formel berechnet:
(65.000,00 [EUR] x gefahrene Kilometer) : 489.700 [km]) Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges …;
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 1.879,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.085,95 EUR freizuhalten;
4. festzustellen, dass sich die Beklagten mit der Rücknahme des PKWs des Klägers, …, in Annahmeverzug befinden;
5. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, an den Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs …, mit der manipulierenden Motorsoftware resultieren.
Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung des Klägers und hilfsweise die Zulassung der Revision.
Die Beklagte zu 1) beantragt,
I. Das am 21. November 2019 verkündete Urteil des Landgerichts München I (Az.: 20 O 6318/18) wird im Umfang der Beschwer der Beklagten zu 1) teilweise abgeändert und die Klage wird insgesamt abgewiesen.
II. Hilfsweise für den Fall, dass dem Antrag zu I nicht stattgegeben werden sollte, wird der Rechtsstreit im Umfang der Beschwer der Beklagten zu 1) unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht München I zurückverwiesen.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung der Beklagten zu 1). Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz am 10.11.2020 betrug der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs 66.679 km. Die Parteien stellten unstreitig, dass in den PKW der Motor des Typs … eingebaut ist.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1) hat vollen Erfolg. Das Ersturteil war insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die zulässige Berufung des Klägers hat nur insoweit teilweise Erfolg, als er eine Verurteilung der Beklagten zu 3) erstrebt hat. Insoweit war das Ersturteil entsprechend abzuändern. Im Übrigen war die Berufung des Klägers unbegründet und daher zurückzuweisen.
A. Berufung der Beklagten zu 1):
Keine Haftung der Beklagten zu 1):
Zutreffend hat das Erstgericht eine wirksame Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung gemäß §§ 123, 142 BGB mit der Begründung verneint, dass die Beklagte zu 1) keine Kenntnis von Art und Funktion der verwendeten Motorsteuerungssoftware hatte und keine Wissenszurechnung über die Beklagte zu 2) oder 3) erfolgt.
Zu Unrecht hat das Erstgericht jedoch dem Kläger ein Rücktrittsrecht wegen der Manipulationssoftware gemäß §§ 433, 434 I S. 2 Nr. 2, 437 Nr. 2, 440, 323 II Nr. 3, 346, 349 BGB gegenüber der Beklagten zu 1) zugebilligt. Dem folgt der Senat nicht. Die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs liegen nicht vor bzw. können nicht überzeugend begründet werden.
Zwar stellt die Manipulationssoftware einen Mangel dar, weil der Pkw einem Software-Update unterzogen werden muss, um die Auflagen des Kraftfahrtbundesamtes zu erfüllen und den Entzug der Betriebserlaubnis zu verhindern.
Der Kläger durfte jedoch nicht von einer Fristsetzung zur Nacherfüllung absehen, da die Voraussetzungen des § 440 BGB nicht vorlagen.
Der Senat folgt in der Begründung den zutreffenden Ausführungen des 17. Zivilsenats des OLG München, im Urteil vom 05.07.2019, Az.: 17 U 508/19), in welchem dieser eine völlig vergleichbaren Fallkonstellation – im Übrigen mit den auf der Seite der Beklagten zu 1) und 2) identischen Beteiligten – entschieden hat. Dort heißt es:
„Die in Art. 3 Abs. 5, 3. Spiegelstrich der RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) vom 24. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. Nr. L 171 S. 12; im Folgenden: RL 1999/44/EG) angesprochene (Un-)Zumutbarkeit war auf eine Konkretisierung von Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der RL 1999/44/EG angelegt, wonach die Nachbesserung innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher unter Berücksichtigung der Art der Sache und des Zwecks, für den der Verbraucher die Sache benötigt, erfolgen muss (vgl. BGH Urteil vom 26.10.2016 – VIII ZR 240/15, NJW 2017, 153 Rn. 21). Die Materialien belegen danach, dass der Gesetzgeber über die in § 440 S. 1 Alt. 3 BGB geregelte Alternative der Unzumutbarkeit einen Rücktritt ohne vorherige Fristsetzung jedenfalls bei einem Verbrauchsgüterkauf (§ 474 BGB) auch in Fällen zulassen wollte, in denen eine vom Käufer berechtigterweise gewählte Art der Nacherfüllung zwar (noch) nicht endgültig vom Verkäufer verweigert ist und auch nicht als in einem engeren Wortsinn fehlgeschlagen angesehen werden kann, in denen der Verkäufer einer Nacherfüllung aber unberechtigt Hindernisse in den Weg gestellt hat, die geeignet sind, dem Käufer erhebliche Unannehmlichkeiten in Bezug auf den von ihm erstrebten Gebrauchszweck zu bereiten. Dies kann angesichts der Sicherheitsrelevanz des Mangels gegeben sein (BGH a.a.O. Rn. 22). Für die Beurteilung, ob die Nacherfüllung für den Käufer in diesem Sinne gemäß § 440 S. 1 Alt. 3 BGB unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dazu zählen neben Art und Ausmaß einer Beeinträchtigung der Interessen des Käufers etwa auch die Zuverlässigkeit des Verkäufers und diesem vorzuwerfende Nebenpflichtverletzungen sowie ein dadurch möglicherweise gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien (BGH a.a.O. Rn. 23).
Die Nichteinhaltung vorgeschriebener Abgaswerte hat im hier vorliegenden Bereich keine Sicherheitsrelevanz. Das Ausmaß der Beeinträchtigung war für den Kläger, bevor er hiervon erfuhr, nicht bemerkbar. Zuverlässigkeit und Vertrauensverhältnis im Verhältnis zur Beklagten zu 1 – auf das Verhältnis zur Beklagten zu 2 kommt es in diesem Zusammenhang nicht an – sind nicht tangiert; auch der Kläger behauptet nicht, dass die Beklagte zu 1 in die (unterstellt) unzureichende Abgasreinigung des Motors des Fahrzeugs bei Verkauf bzw. Übergabe eingeweiht war.
Sämtliche Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls sprechen daher für eine Zumutbarkeit der Nacherfüllung für den Kläger. Dass das Softwareupdate von der sich als (angeblich) unzuverlässig erweisenden Beklagten zu 2 entwickelt wurde, steht dem nicht entgegen, da dies zum einen der Beklagten zu 1 nicht zuzurechnen ist und andererseits kein anderer Hersteller zur Entwicklung eines solchen Updates angesichts der damit verbundenen konkreten Kenntnis über die Einzelheiten des Motors samt dessen Steuerung in der Lage sein dürfte.
Ob das Softwareupdate eine ausreichende Nacherfüllung darstellt, ist hier nicht entscheidungserheblich, weil dies nicht die Erforderlichkeit der Fristsetzung entfallen lässt: Der Beklagten zu 1 bleibt eine anderweitige Nacherfüllung unbenommen.“
Eine Unzumutbarkeit der Nacherfüllung liegt auch deshalb nicht vor, weil das Kraftfahrtbundesamt mit öffentlichrechtlichen Bescheid vom 18.10.2017 (Anlage B 2) festgestellt hat, dass die unzulässige Abschalteinrichtung durch ein entsprechendes Software-Update behoben werden kann und keine negativen Auswirkungen für die ursprünglich vom Hersteller angegebenen Werte zu Verbrauch, CO₂-Emissionen oder Motorleistung entstehen, wenn und soweit das Software-Update aufgespielt wird.
Der Kläger hat mit dem Schreiben seines Prozessvertreters vom 31.01.2018 (Anlage K 6) gegenüber der Beklagten zu 1) keine wirksame Nachfrist zur Nacherfüllung bis 14.02.2018 gesetzt, da er darin gleichzeitig die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung über die Beschaffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs erklärt hat, was in sich widersprüchlich ist, und mit Schreiben vom gleichen Tag parallel dazu gegenüber der Beklagten zu 2) (Anlage K 7) und gegenüber der Beklagten zu 3) (Anlage K 8) die Rückabwicklung im Wege des Schadensersatzes nach §§ 826, 249 BGB begehrt hat. Ein derartig widersprüchliches Verhalten führt dazu, dass die Fristsetzung unwirksam ist. Mit diesem Schreiben vom 31.01.2018 (Anlage K 6) hat der Kläger auf ein Schreiben der Beklagten zu 2) vom 15.09.2017 (Anlage K 4) reagiert, mit welchem diese das von ihr entwickelte Software-Update in Aussicht gestellt hat, welches dann nochmals mit Schreiben vom 14.02.2018 über deren anwaltlichen Vertreter (Anlage K 10) angeboten wurde. Das Aufspielen des Software-Updates wurde vom Kläger zunächst offenbar abgelehnt, bis es dann doch am 06.08.2019 aufgespielt wurde.
Auch eine Unzumutbarkeit der Nacherfüllung gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB war entgegen der Ansicht des Erstgerichts nicht gegeben. Die Beklagte zu 1) hat sich als Vertragshändlerin nicht etwa eine Täuschung der Beklagten zu 2) als Herstellerin zurechnen zu lassen. Der bloße Verdacht einer Pflichtwidrigkeit eines Dritten kann entgegen der Auffassung des Erstgerichts nicht mit dem Nachweis der Pflichtwidrigkeit des eigenen Vertragspartners gleichgesetzt werden. Ebenso wenig tragfähig ist die Begründung des Erstgerichts, wonach das Aufspielen des Software-Updates deshalb unzumutbar sei, weil es durch die Beklagte zu 2) entwickelt worden sei, der ein vorangegangenes rechtswidriges Verhalten bei Erlangung der Typengenehmigung und der Einhaltung der Umweltstandards zulasten falle. Denn der Verkäufer muss sich das arglistige Handeln des Herstellers nicht zurechnen lassen (OLG Celle, Beschluss vom 30.06.2016, Az.: 7 W 26/16, Rdnr. 8, zitiert nach juris; OLG München, Urteil vom 03.07.2017, Az.: 21 U 4818/16 Rdnr. 23, zitiert nach juris; Hinweisbeschluss des Senats vom 06.03.2018, Az.: 16 U 110/17, Rdnr. 17, zitiert nach juris). Die Frage, von wem das Software-Update entwickelt wurde, ist hier auch deshalb von untergeordneter Bedeutung, weil entscheidend darauf abzustellen ist, dass die Freigabe des Software-Updates durch das Kraftfahrtbundesamt erfolgt ist (Anlage B 2). Zutreffend führt das OLG Köln in seinem Urteil vom 17.01.2019, Az.: 15 U 25/18 aus: „Durch die Beteiligung einer unabhängigen Behörde und deren Prüfung besteht für den Käufer kein Anlass für generelles Misstrauen gegenüber dem Software-Update.“
Eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung lag daher nicht vor. Die Zumutbarkeit der angebotenen Nacherfüllung durch das Software-Update lag zum maßgeblichen Zeitpunkt der Rücktrittserklärung am 15.03.2018 (Anlage K 12) ohne weiteres vor. Insoweit ist der Fall nicht anders zu beurteilen, als wenn bei anderen Bauteilen, wie z.B. der Klimaanlage, ein Software-Update durchzuführen ist.
Da zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung das vom Kraftfahrtbundesamt freigegebene Software-Update zur Verfügung stand, kommt es nicht mehr darauf an, ob unabhängig von der Verfügbarkeit des Software-Updates der unterstellte Mangel unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB war, wovon jedoch wegen der mit dem Aufspielen des Software-Updates verbundenen geringfügigen Kosten (ca. 100,00 €) auszugehen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 29.06.2011, Az. VIII ZR 202/10, NJW 2011, 2872) ist von einem unerheblichen Mangel im Sinne dieser Vorschrift auszugehen, wenn die Kosten der Mängelbeseitigung unter 1% des Kaufpreises liegen, was hier der Fall ist. Erst bei einem Mangelbeseitigungsaufwand von 1 und (in der Regel bis zu) 5% kommt eine umfassende Interessenabwägung und damit ein Rücktritt überhaupt erst in Betracht.
Ein eigenes vorsätzliches Verhalten der Beklagten zu 1) hinsichtlich des streitgegenständlichen Mangels liegt nicht vor, vielmehr ist diese – ähnlich wie die Beklagte zu 2) – ggf. selbst Opfer, nicht Täter. Zudem erscheint das Software-Update, ggf. mit zusätzlichem Austausch von Hardware im Einzelfall erfolgversprechend. Als Rechtsfolge bleibt daher festzuhalten, dass kein Rücktrittsrecht des Klägers besteht.
Die Klage gegen die Beklagte zu 1) war daher abzuweisen.
B. Die Berufung des Klägers:
1) Keine Haftung der Beklagten zu 1):
Wie ausgeführt, besteht kein Rücktrittsrecht gegenüber der Beklagten zu 1). Auch andere vertragliche oder deliktische Ansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten zu 1) sind nicht ersichtlich. Sofern der Kläger eine erneute oder weitergehende Verurteilung der Beklagten zu 1) erstrebt hat, ist seine Berufung unbegründet.
2. Keine Haftung der Beklagten zu 2):
Soweit das Erstgericht eine deliktische Haftung der Beklagten zu 2) abgelehnt hat, ist dies zutreffend. Die P. AG muss sich nicht das Wissen und Wollen der … zurechnen lassen. Die Beklagte zu 2) hat den im Fahrzeug verbauten Motor des Typs … nicht entwickelt, sondern die Beklagte zu 3). Die vom BGH im Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 angestellten Erwägungen lassen sich nicht auf die Beklagte zu 2) übertragen.
Die Beklagte haftet nicht nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung, denn diese erstreckt sich allein auf solche Personen, denen „durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren“ (vgl. BGH, Urteil vom 05.03.1998 – III ZR 183/96; BGH, Urteil vom 30.10.1967 – VII ZR 82/65).
Auch eine Zurechnung über die Grundsätze der Konzernhaftung kommt nicht in Betracht (so auch Altmeppen, NJW 2020, 2833, 2837 ff. m.w.N.). Die Modulverantwortung für den Motor … Die … AG sowie die … AG verfolgen jeweils eigene Kosten- und Gewinninteressen.
Eine deliktische Verantwortung der Beklagten zu 2) ist nicht ausreichend vorgetragen. Beweiserleichterungen kommen hier nicht zum Tragen.
Mangels Zurechnung scheidet eine Haftung der Beklagten zu 2) aus.
3. Haftung der Beklagten zu 3) aus §§ 826, 249 BGB:
Dagegen bejaht der Senat eine deliktische Verantwortung der Beklagten zu 3) und einen Anspruch aus § 826 BGB, weil die Motorensteuerungssoftware „erkennt“, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand ist und damit eine vergleichbare Konstellation wie beim … des Typs … vorliegt, bei welcher der Bundesgerichtshof in seiner genannten Entscheidung vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 einen Anspruch aus § 826 BGH bejaht hat. So liegt der Sachverhalt auch hier. Das ist etwas anderes, als ein schlicht zu groß geratenes „Thermofenster“.
Von einer entsprechenden Kenntnis des Vorstands gemäß § 31 BGB hinsichtlich der Verwendung einer solchen „Betrugs“-Software ist auszugehen. Es ist schon nicht vorstellbar, dass eine so weitreichende unternehmerische Entscheidung ohne Kenntnis des Vorstandes und an diesem vorbei allein in der Motorentwicklungsabteilung von Personen unterhalb der Vorstandsebene getroffen worden sein soll, unabhängig davon, dass sicher auch die Entwicklungsabteilung im Vorstand vertreten ist. Dies kann aber dahinstehen, da die Beklagte zu 3) jedenfalls ihrer sekundären Darlegungspflicht nicht nachgekommen ist, die Hintergründe, wie es zu dieser Entscheidung gekommen ist und wer davon Kenntnis hatte und die Verantwortung trug, nicht offengelegt hat, sondern entgegen § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestritten hat, so dass der klägerische Vortrag, wonach der Vorstand über die jahrelange Verwendung der „Schummel“-Software Bescheid wusste, nach § 138 III ZPO als zugestanden anzusehen ist. Eine weitere Beweiserhebung durch Einvernahme der von der Klagepartei angebotenen zahlreichen Zeugen, die in der Entwicklungsabteilung der … AG tätig waren und gegenüber Vorstandsmitgliedern der … AG berichtspflichtig waren, war daher nicht mehr notwendig.
Den Verkauf von Fahrzeugen mit unzulässiger Abschalteinrichtung hat der Bundesgerichtshof in seiner genannten Entscheidung zu Recht als sittenwidrig gebrandmarkt und dabei eine arglistige Täuschung bzw. ein dieser gleich stehendes Verhalten bejaht. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Kaufvertrages wies der Pkw mit der unzulässigen Abschalteinrichtung einen verdeckten Sachmangel auf, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 I FZV hätte führen können.
Der Senat geht auch davon aus, dass der Kläger, der den Pkw zur eigenen Nutzung erworben hat, bei Kenntnis der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Der Schaden des Klägers besteht daher im Abschluss eines nicht gewollten Kaufvertrages.
Als Rechtsfolge kann der Kläger Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer angemessenen Nutzungsentschädigung verlangen. Der Nutzungsvorteil berechnet sich nach der Formel: Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb) geteilt durch die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt. Seit dem Erwerb ist der Kläger 56.379 km gefahren (66.679 km – 10.300 km). Die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitraum beträgt nach Auffassung des Senats 239.700 km (250.000 km – 10.300 km) und nicht, wie das Erstgericht meint, lediglich 200.000 km bzw. 489.700 km (500.000 km – 10.300 km), wie der Kläger meint. Damit ergibt sich ein anrechenbarer Nutzungsvorteil von 15.288,42 € (65.000,00 € x 56.379 km geteilt durch 239.700 km) und ein Zahlungsanspruch von 49.711,58 € (65.000,00 € – 15.288,42 €).
Hinsichtlich der als notwendiges Zubehör erworbenen Winterreifen steht dem Kläger nun mehr lediglich noch ein Zahlungsanspruch in Höhe von 563,70 € zu, da ein entsprechender Nutzungsvorteil anzurechnen ist. In Übereinstimmung mit dem Erstgericht geht der Senat davon aus, dass ein Satz Winterreifen durchschnittlich 40.000 km hält, aber nur ein halbes Jahr pro Jahr gefahren wird, so dass nach insgesamt gefahrenen 80.000 km die Reifen zu erneuern sind. Damit hat der Kläger mit seinen bisher gefahrenen 56.379 km etwa 70% des Gebrauchsvorteils des Anschaffungspreises von 1.879,00 € bereits für sich genutzt, so dass er nur mehr ca. 30% als Schadensersatz verlangen kann (= 563,70 €).
Dem Kläger steht gegen die Beklagte auch ein materiellrechtlicher Anspruch auf Erstattung bzw. Freistellung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.085,95 € gemäß § 249 Abs. 1 BGB zu.
Die Beklagte zu 3) befand sich mit Ablauf der mit Schreiben des Klägervertreters vom 31.01.2018 (Anlage K 8) gesetzten Frist vom 14.02.2018 ab 15.02.2018 in Annahmeverzug, da er mit der dort geltend gemachten Rückzahlung des Kaufpreises in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht nur die Rückgabe seines Pkws, sondern auch die Zahlung einer angemessenen und bereits abgezogenen Nutzungsentschädigung unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km angeboten hat.
Für den geltend gemachten Feststellungsantrag Ziffer 5 fehlt das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Kläger seine etwaigen erlittenen Schäden nicht beziffern könnte.
Hinsichtlich der Rechtshängigkeitszinsen wird auf das Ersturteil verwiesen.
Der Berufung des Klägers war daher nur teilweise begründet und daher im Übrigen zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 97, 100 ZPO.
Der Streitwert bemisst sich in beiden Verfahren nach der Addition der dort jeweils maximal geltend gemachten Beträge, die gleich sind. Die außergerichtlichen Kosten bleiben als Nebenforderung nach § 4 ZPO außer Betracht.
Nachdem der Kläger anfangs von dem Klageantrag Ziffer 1 die Nutzungsentschädigung bereits abgezogen hatte, machte er zu einem späteren Zeitpunkt in erster Instanz und zu Beginn in der zweiten Instanz die Rückzahlung des Kaufpreises von 65.000,00 € in voller Höhe geltend und wollte sich insoweit eine etwaige Nutzungsentschädigung lediglich hilfsweise anrechnen lassen, so dass bezüglich Ziffer 1 der Klage von einem Streitwert von 65.000,00 € auszugehen ist. Hinzukommt der Antrag in Ziffer 2 in Höhe von 1.879 € für die Winterreifen sowie in Ziffer 5 für den Feststellungsantrag, der mit einem Betrag von 6.500,00 € (10% aus 65.000,00 €) beziffert wird, was insgesamt einen Streitwert von 73.379,00 € ergibt, der für beide Instanzen zugrundezulegen ist.
Bei einem teilweisen Obsiegen und Unterliegen von Streitgenossen ist in Kombination mit den eingangs genannten Vorschriften die Kostenentscheidung nach der Baumbach’schen Kostenformel zu treffen, wobei die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten getrennt werden müssen. Danach sind die beiden obsiegenden Streitgenossen von außergerichtlichen Kosten vollständig freizustellen und der unterlegende Teil nur zum entsprechenden Teil zu belasten.
Darauf bezogen hat der Kläger gegenüber dem Beklagten zu 3) mit 50.275,28 € (Summe aus 49.711,58 € und 563,70 €) obsiegt (68,5%) und war gegenüber den beiden Beklagten zu 1) und 2) vollständig unterlegen. Somit ist der Kläger hinsichtlich der Beklagten zu 1) und 2) bereits zu 2/3 unterlegen und hinsichtlich des verbleibenden Drittels bezüglich der Beklagten zu 3) mit 31,5%, was insgesamt zu einem Unterliegen des Klägers von 7/9 oder 77% führt.
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V.
Die Streitwertfestsetzung fußt in §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 40, 48 GKG; 3 ff. ZPO.
VI.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne Abweichung von der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung.


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