IT- und Medienrecht

Psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten: Zurechenbarkeit der Schädigung bei  unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen

Aktenzeichen  VI ZR 19/20

Datum:
8.12.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:081220UVIZR19.20.0
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

Das Risiko einer psychischen Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft ist bei der gebotenen wertenden Betrachtung jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich auch bei Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos dem Schädiger zuzuordnen. Auch wenn es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten, gebietet eine solche Vorbereitung und etwaige Stärkung ihrer Psyche regelmäßig nicht, ihnen beim dennoch erfolgenden Eintritt einer psychischen Erkrankung den Schutz des Deliktsrechts zu versagen (Fortführung Senatsurteil vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220).

Verfahrensgang

vorgehend OLG Celle, 12. Dezember 2019, Az: 5 U 116/19, Urteilvorgehend LG Stade, 5. Juli 2019, Az: 6 O 59/19, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Dezember 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage abgewiesen worden ist.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Das klagende Land nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht wegen der Verletzung eines Polizeibeamten auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Hintergrund des Rechtsstreits ist ein Polizeieinsatz mehrerer Beamter am 22. November 2015, der durch einen Notruf wegen verbalen und tätlichen Auseinandersetzungen zwischen dem damals 18-jährigen Beklagten und anderen Gästen einer Cocktailbar ausgelöst worden war. Der deutlich erkennbar stark alkoholisierte Beklagte kam einem Platzverweis auch nach mehrfacher Aufforderung nicht nach, setzte sich gegen seine nachfolgend durchgeführte Ingewahrsamnahme heftig zur Wehr und verletzte dabei den Polizeibeamten N. – den er außerdem beschimpfte – am rechten Daumen. N. erlitt eine Distorsion des rechten Daumens, eine Zerrung des rechten Seitenbandes und eine Partialruptur des Kapselapparates am Daumengrundgelenk. Der Beklagte wurde als Heranwachsender wegen dieses Verhaltens vom Amtsgericht G. unter Anwendung von Jugendstrafrecht des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung schuldig gesprochen und angewiesen, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen sowie eine Geldbuße in Höhe von 300 € an einen gemeinnützigen Verein zu zahlen.
3
Das klagende Land behauptet, der Polizeibeamte N. leide infolge der Handlungen des Beklagten an einer psychischen Erkrankung, nämlich einer posttraumatischen Belastungsstörung, infolge derer er dauerhaft dienstunfähig sei. Als Versorgungsträger hat es aus übergegangenem Recht des Polizeibeamten N. für u.a. Behandlungskosten und Verdienstausfall Schadensersatz in Höhe von 105.242,27 € aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung verlangt. Das Landgericht, das sachverständig beraten davon ausgegangen ist, dass N. als Folge des Schadensereignisses an einer spezifischen Phobie (ICD-10 F40.2) leide, die zu seiner Dienstunfähigkeit geführt habe, hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage überwiegend abgewiesen und lediglich Ersatz für die dem klagenden Land infolge der Daumenverletzung des Polizeibeamten N. entstandenen Schäden in Höhe von 4.389,80 € zugesprochen.
4
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt das klagende Land die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.
5
Das Berufungsgericht, dessen Urteil bei juris und unter BeckRS 2019, 43669 veröffentlicht ist, hat einen auf das klagende Land übergegangenen Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB wegen etwaiger von dem Polizeibeamten N. anlässlich der Handlungen des Beklagten erlittener psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen verneint. In einer – unterstellten – zur Dienstunfähigkeit des Polizeibeamten N. führenden psychischen Störung hätte sich das Risiko für eine Beeinträchtigung verwirklicht, das der Polizeibeamte schon mit seiner Berufswahl eingegangen sei. Der Beklagte habe den Polizeibeamten N. zwar beleidigt und körperlich verletzt, dies jedoch nicht durch einen gezielten Angriff, sondern resultierend aus ungeordneten Abwehrbewegungen gegen seine Ingewahrsamnahme. Der Polizeibeamte N. habe mehrere Kollegen zu seiner Unterstützung vor Ort gehabt und sich nicht in der Gefahr befunden, etwa durch Waffen oder gefährliche Werkzeuge schwer verletzt zu werden. Er selbst habe angegeben, das sei “eigentlich keine große Sache gewesen” und er habe in seinen fast 40 Dienstjahren ganz anderes erlebt. Es habe sich damit um eine Situation gehandelt, mit der Polizeibeamte im Rahmen ihrer Berufstätigkeit ständig rechnen müssten. Es sei ihre Aufgabe in der Gesellschaft, derartige Konflikte zwischen streitenden, auch stark alkoholisierten Menschen zu schlichten oder zu beenden. Sollte aus einer solchen für den Polizeibeamten N. alltäglichen Situation letztlich eine so gravierende psychische Störung resultieren, dass er dienstunfähig werde, sei dies dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen. Der vorliegende Fall sei dem vom Senat entschiedenen Fall, in dem ein Polizeibeamter infolge der unmittelbaren Beteiligung an einem durch einen Amoklauf ausgelösten Geschehen eine psychische Gesundheitsverletzung erlitten habe (Senatsurteil vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220), nicht vergleichbar.
II.
6
Das angegriffene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann der geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen einer Verletzung der psychischen Gesundheit, der gemäß § 52 Niedersächsisches Beamtengesetz auf das klagende Land übergegangen sein könnte, nicht verneint werden.
7
1. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen der zunächst geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung bei dem Polizeibeamten N. ausgeschlossen, es aber dahinstehen lassen, ob N. infolge der Handlungen des Beklagten an einer spezifischen Phobie leidet, die zu seiner Dienstunfähigkeit führte, und letzteres zugunsten des klagenden Landes unterstellt. Auch für das Revisionsverfahren ist mithin das Vorliegen einer spezifischen Phobie, die zur Dienstunfähigkeit des Polizeibeamten N. geführt hat, als Folge der Handlungen des Beklagten zu unterstellen.
8
a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung können durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. Senatsurteile vom 21. Mai 2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 7; vom 27. Januar 2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 Rn. 6; vom 20. Mai 2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 8; vom 22. Mai 2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 12; vom 16. Januar 2001 – VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431, 1432, juris Rn. 13; vom 30. April 1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 344, juris Rn. 15; vom 4. April 1989 – VI ZR 97/88, NJW 1989, 2317 f., juris Rn. 9; vom 12. November 1985 – VI ZR 103/84, NJW 1986, 777, 778, juris Rn. 9). Handelt es sich bei den psychisch vermittelten Beeinträchtigungen nicht um schadensausfüllende Folgewirkungen einer Verletzung, sondern treten sie haftungsbegründend durch die psychische Reaktion auf ein (Unfall)Geschehen ein, wie dies beispielsweise in den sogenannten Schockschadensfällen regelmäßig und bei Aktual- oder Unfallneurosen häufig der Fall ist, so kommt eine Haftung nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen selbst Krankheitswert besitzen, also eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 1971 – VI ZR 78/70, BGHZ 56, 163 ff., juris Rn. 6 ff.; vom 5. Februar 1985 – VI ZR 198/83, BGHZ 93, 351, 355 f., juris Rn. 17; vom 30. April 1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 344, juris Rn. 15; vom 12. November 1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 241, juris Rn. 9 f.). Dies gilt auch für psychische Störungen von Krankheitswert, die sich als Reaktion auf das Geschehen bei einem konflikthaften Polizeieinsatz ergeben (vgl. Senatsurteil vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 10). Erhöhte Anforderungen an das Vorliegen einer Gesundheitsverletzung, wie sie in Fällen sogenannter Schockschäden infolge des Todes oder der schweren Verletzung Dritter, namentlich naher Angehöriger, gestellt werden (vgl. nur Senatsurteile vom 21. Mai 2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 7 und vom 10. Februar 2015 – VI ZR 8/14, VersR 2015, 590 Rn. 9, 19, jeweils mwN), sind allerdings vorliegend nicht zu erfüllen. Der Polizeibeamte N. führt seine psychische Beeinträchtigung nicht mittelbar auf die Verletzung oder den Tod eines Dritten zurück, sondern darauf, dass er selbst unmittelbar an der konflikthaften Ingewahrsamnahme des Beklagten beteiligt war und dass dieses Geschehen seine psychischen Beeinträchtigungen hervorgerufen hat.
9
b) Im Streitfall ist danach revisionsrechtlich zu unterstellen, dass infolge des von dem Beklagten ausgelösten Geschehens vom 22. November 2015 bei dem Polizeibeamten N. eine Traumafolgestörung von Krankheitswert vorliegt, die seine Dienstunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit verursacht hat, und dass für diese Gesundheitsverletzung das Verhalten des Beklagten sowohl äquivalent als auch adäquat kausal war.
10
2. Rechtsfehlerhaft ist die Annahme des Berufungsgerichts, ein Anspruch sei deshalb zu verneinen, weil es an dem für eine Haftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen den Handlungen des Beklagten und der geltend gemachten Gesundheitsverletzung fehle, da sich in der Erkrankung des Polizeibeamten N. lediglich ein spezifisches Berufsrisiko verwirklicht habe.
11
a) Der Zurechnungszusammenhang wird in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer besonderen Prüfung unterzogen (vgl. Senatsurteile vom 21. Mai 2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 11; vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 13). Sie soll der Eingrenzung einer sonst ausufernden Haftung für normale Belastungen in den Wechselfällen des Zusammenlebens dienen, auf die sich der Mensch im Leben einrichten muss (vgl. BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rn. 11), darf aber nicht der gegenüber körperlichen Verletzungen oft als erschwert angesehenen Objektivierbarkeit psychischer Beeinträchtigungen geschuldet sein. Dabei wird berücksichtigt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (Senatsurteile vom 21. Mai 2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 11; vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 13 und vom 20. Mai 2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10 mwN). Die Schadensersatzpflicht findet ferner dort eine Grenze, wo sich bei wertender Betrachtung in der psychischen Gesundheitsverletzung zwar nicht das allgemeine Lebensrisiko, aber sonst ein der Sphäre des Verletzten zuzurechnendes Risiko verwirklicht.
12
Verneint wurde der Zurechnungszusammenhang bei psychischen Beeinträchtigungen vor diesem Hintergrund etwa dann, wenn der Geschädigte das schadensauslösende Ereignis in neurotischem Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 10. Juli 2018 – VI ZR 580/15, NJW 2018, 3097 Rn. 7; Senatsurteil vom 10. Februar 2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 Rn. 11 mwN), ebenso im Fall der psychischen Gesundheitsverletzung einer Mutter aufgrund der Nachricht über eine schwere Erbkrankheit des Vaters der gemeinsamen Kinder (Senatsurteil vom 20. Mai 2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 9 ff.). Entsprechendes kann gelten, wenn das schädigende Ereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle), nicht gerade speziell eine Schadensanlage des Verletzten trifft und die psychische Reaktion deshalb im konkreten Fall schlechterdings nicht mehr verständlich ist, weil sie in grobem Missverhältnis zum Anlass steht (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 10. Juli 2018 – VI ZR 580/15, NJW 2018, 3097 Rn. 7; Senatsurteile vom 10. Februar 2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 Rn. 11; vom 30. April 1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 346, juris Rn. 21; ferner Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl., Rn. 370). Für den bereits angesprochenen Bereich der sogenannten “Schockschäden” ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung darüber hinaus anerkannt, dass es an dem für eine Schadensersatzpflicht erforderlichen Schutzzweckzusammenhang fehlt, wenn der Dritte, auf dessen Tod oder schwere Verletzung die psychischen Beeinträchtigungen des Betroffenen zurückgehen, diesem nicht persönlich nahesteht; auch insoweit verwirklicht sich allein ein – dem Schädiger nicht zurechenbares – allgemeines Lebensrisiko (vgl. Senatsurteile vom 21. Mai 2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 12; vom 20. März 2012 – VI ZR 114/11, BGHZ 193, 34 Rn. 8 mwN; zur Gegenmeinung vgl. etwa Huber, LMK 2012, 336116). So hat der Senat auch eine psychische Schädigung von Polizeibeamten, die auf die bloße Anwesenheit bei einem schrecklichen Ereignis – Verbrennen mehrerer PKW-Insassen nach einem Verkehrsunfall – zurückgeführt wurde, dem allgemeinen Lebensrisiko zugeordnet (vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 13 ff.). Dagegen hat der Senat eine Haftung des Unfallverursachers in Fällen anerkannt, in denen der Geschädigte als direkt am Unfall Beteiligter infolge einer psychischen Schädigung eine schwere Gesundheitsstörung erlitten hat (vgl. Senatsurteile vom 12. November 1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 241 f., juris Rn. 7 ff.; vom 9. April 1991 – VI ZR 106/90, VersR 1991, 704, 705, juris Rn.9 ff.; vom 16. März 1993 – VI ZR 101/92, VersR 1993, 589, 590, juris Rn. 8 ff.). Maßgeblich für die Zurechnung war in diesen Fällen, dass der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbaren Unfallbeteiligten aufgezwungen hat und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte (vgl. Senatsurteile vom 22. Mai 2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14; vom 12. November 1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 242, juris Rn. 14). Eine solche aufgezwungene unmittelbare Beteiligung hat der Senat auch für die an den Tatort eines Amoklaufs beorderten Polizeibeamten angenommen und ihre infolge der unmittelbaren Beteiligung eingetretene psychische Gesundheitsverletzung nicht mehr dem allgemeinen Lebensrisiko zugeordnet (vgl. Senatsurteil vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 16).
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b) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, wie das Berufsrisiko von Polizeibeamten und professionellen Rettungskräften, psychische Gesundheitsverletzungen zu erleiden, haftungsrechtlich zu werten ist.
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Einerseits wird vertreten, psychische Gesundheitsverletzungen seien physischen Verletzungen vollkommen gleichzustellen, da es keinen Anlass für eine Unterscheidung gebe (OLG Koblenz, VersR 2011, 938, 939 f., juris Rn. 43 [Polizeibeamter]; LG Darmstadt, Urteil vom 15. März 2019 – 8 O 132/18, juris Rn. 21 [Mitglied einer freiwilligen Feuerwehr]; Luckey, JR 2019, 400, 402; ders., VersR 2011, 940, 941). Andererseits wird vertreten, dass dann, wenn sich das typischerweise mit der konkreten Berufstätigkeit verbundene Risiko verwirkliche, besonders belastenden Situationen ausgesetzt zu werden, und ein entsprechender Berufsträger infolge dessen eine psychische Gesundheitsstörung erleide, der Schädiger nicht hafte, weil dieses Risiko freiwillig oder bewusst übernommen worden sei (OLG Celle, VersR 2006, 1376, 1377, juris Rn. 11 [Bundesgrenzschutzbeamter]; OLG Schleswig, NJW-RR 2019, 1118 Rn. 27 [Rettungsassistent]; LG Duisburg, Urteil vom 28. September 2015 – 8 O 361/14, juris Rn. 35 [Feuerwehrmann]; Oetker, MK-BGB, 8. Aufl., § 249 Rn. 197; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 13. Aufl., Rn. 9; Würdinger, jM 2018, 408, 409 f.). Es sei in diesen Fällen in erster Linie Aufgabe der Dienststellen der Betroffenen, sie auf solche Aufgaben vorzubereiten und für eine notwendige Betreuung nach dem Einsatz sowie die etwaige Gewährung notwendiger Sozialleistungen zu sorgen (OLG Celle, VersR 2006, 1376, 1377, juris Rn. 11; Stöhr, NZV 2009, 161, 164). Teilweise wird die Frage, ob der Zurechnungszusammenhang zu bejahen ist, wenn die psychische Erkrankung auf einer normalen Einsatzsituation beruht, davon abhängig gemacht, ob der Schädiger den Not- und Einsatzfall vorsätzlich herbeigeführt oder den Einsatz vorsätzlich behindert oder erschwert hat (Schiemann, JZ 2019, 103, 104; Hager, JA 2018, 706, 707 f.). Argumentiert wird auch, die Vergleichbarkeit der Helfer mit Geschäftsführern, denen nach gefestigter Rechtsprechung und allgemeiner Meinung nach §§ 683, 670 BGB Schadensersatz zustehe, spreche dafür, generell nicht mehr auf ein Berufsrisiko zur Haftungsverneinung zurückzugreifen (Schiemann, JZ 2019, 103, 104).
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Der Senat hatte bislang nur für die Ausnahmesituation eines Amoklaufs in einer Schule zu entscheiden, wie bei unmittelbarer Beteiligung das berufsspezifische Risiko von Polizeibeamten, psychische Gesundheitsverletzungen zu erleiden, zu beurteilen ist (Senatsurteil vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220). In diesem Einzelfall wurde die Zurechnung unter den Gesichtspunkten bejaht, dass es sich um ein vorsätzliches, schweres Gewaltverbrechen handelte, mit dem typischerweise Angst und Schrecken verbreitet werden sollte und verbreitet wurde, und dass das Verhalten eines Amokläufers sich durch ein hohes Maß an Aggressivität nicht nur gegenüber der körperlichen, sondern auch der seelischen Unversehrtheit der Betroffenen auszeichnet (Senatsurteil aaO Rn. 20).
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c) Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Risiko einer psychischen Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich auch bei Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos dem Schädiger zuzuordnen. Auch wenn es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten (Senatsurteil vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 20), gebietet eine solche Vorbereitung und etwaige Stärkung ihrer Psyche regelmäßig nicht, ihnen beim dennoch erfolgenden Eintritt einer psychischen Erkrankung den Schutz des Deliktsrechts zu versagen.
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Es ist bereits nicht zu erklären, weshalb zwischen physischen und psychischen Primärschäden unterschieden werden sollte. Für den Bereich der Sekundärschäden und der haftungsausfüllenden Kausalität geht der Senat vielmehr regelmäßig von einer grundsätzlichen Gleichstellung der psychischen mit den physischen Schäden aus (vgl. Senatsurteil vom 11. November 1997 – VI ZR 376/96, BGHZ 137, 142, 147 f., juris Rn. 15). Es handelt sich bei den berufsspezifischen Einsatzrisiken regelmäßig auch nicht um psychische Belastungen im Rahmen des im Leben Üblichen, also nicht um die Verwirklichung eines allgemeinen, von jedermann zu tragenden Lebensrisikos.
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Die Besonderheit psychischer Gesundheitsschäden soll aber darin bestehen, dass sie sich – auch ohne Verwirklichung sonstiger Gefahren für Leib und Leben – bereits daraus entwickeln können, dass sich der Betroffene berufsbedingt überhaupt in der jeweiligen Einsatzsituation befindet und der damit verbundenen psychischen Belastung ausgesetzt wird. Es kann objektiv um Belastungen gehen, die, gemessen an den äußeren Gegebenheiten der Belastungssituation, nicht über das hinausgehen, womit jeder Polizeibeamte bei durchschnittlichen Einsätzen üblicherweise rechnen muss. Da es zur Ausbildung und zum Beruf von professionellen Einsatzkräften gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten, wird eine Vergleichbarkeit mit dem vom Geschädigten regelmäßig hinzunehmenden allgemeinen Lebensrisiko gesehen. Diese Sicht greift zu kurz. Wie der Streitfall selbst zeigt, gehört es auch zum Berufsrisiko eines Polizeibeamten, beim Einsatz physische Verletzungen zu erleiden. Auch darauf wird er vorbereitet. Sportliche Fähigkeiten und körperliche Fitness werden bereits vor der Aufnahme in den Polizeidienst geprüft. Der Schutz vor physischen Schäden bzw. deren Entschädigungspflichtigkeit wird aber in der Regel vorbehaltlos als vom Schutzzweck der verletzten Norm erfasst angesehen, so etwa im Streitfall die Daumenverletzung oder der Schutz der Feuerwehrleute vor Körperschäden bei der Brandbekämpfung (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 1996 – VI ZR 75/95, VersR 1996, 1151, 1152, juris Rn. 15). Auch wenn nach solchen beruflichen Einsätzen die psychische Erkrankung als Sekundärschaden aus dem Primärschaden der körperlichen Verletzung hervorgeht, wird der Zurechnungszusammenhang gemeinhin nicht in Frage gestellt. Da ein Routineeinsatz wie im Streitfall regelmäßig auch mit dem Risiko physischer Verletzungen einhergeht, die nicht entschädigungslos bleiben sollen, und es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten auch gehört, auf deren Vermeidung und Reduzierung durch Training und Schutzausrüstung vorbereitet zu werden, erschließt sich die Ungleichbehandlung der beruflichen Risiken nicht. Darüber hinaus wird bei der Argumentation mit dem freiwilligen Eingehen eines berufsspezifischen Risikos übersehen, dass die Organisation eines professionellen Gefahren-, Unfall- und Krisenmanagements mit Vorbereitung, Training und später begleiteter Aufarbeitung des belastenden Erlebens ebenso wie mit körperlicher Fitness und Schutzausrüstung der Einsatzkräfte den Schädiger bereits entlastet, weil sie durch den Schutz der Einsatzkräfte auch zur Konsequenz hat, sein Haftungsrisiko zu beschränken. Bei ausgebildeten, vorbereiteten und trainierten Einsatzkräften wird regelmäßig die Verletzungsgefahr im Vergleich zu Laien verringert oder eine Traumafolgestörung durch eine starke oder gestärkte Psyche verhindert. Wenn dies dann trotz aller professionellen Aufrüstung im Einzelfall nicht gelingt, weil das Erlebnis für die individuelle körperliche oder psychische Verfassung der Einsatzkraft zu belastend ist, rechtfertigt dies erst recht keine Risikoverlagerung auf diesen Geschädigten.
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Im Übrigen stünde es dem Gesetzgeber frei, für professionelle Einsatzkräfte Sonderregelungen auch mit Regressbeschränkungen zu schaffen (vgl. für Arbeitsunfälle § 104 Abs. 1, §§ 105, 110 SGB VII).
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3. Die Gefahr einer uferlosen Ausweitung der Haftung besteht nicht, wenn man bei der Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos bei einem Einsatz einen Zurechnungszusammenhang auch bei psychischen Primärschäden annimmt.
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a) Eine Haftung für psychische Beeinträchtigungen, die als Primärschaden nach einem (Unfall)Geschehen geltend gemacht werden, kommt nach der Rechtsprechung des Senats nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigung selbst Krankheitswert besitzt (vgl. nur Senatsurteil vom 30. April 1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, juris Rn. 15 mwN).
22
b) In Abgrenzung zu Fällen bloßer Anwesenheit bei einem Unfallgeschehen ist maßgeblich für die Zurechnung regelmäßig auch, dass der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbar (Unfall)Beteiligten aufgezwungen hat (vgl. Senatsurteile vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 15; vom 12. November 1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 242; vom 22. Mai 2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14; vom 27. Januar 2015 – VI ZR 548/12, VersR 2015, 501 Rn. 10 f.).
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c) Zwar genügt es für die Kausalität, dass das Verhalten des Schädigers für die Gesundheitsverletzung mitursächlich gewesen ist (Senatsurteil vom 27. Juni 2000 – VI ZR 201/99, NJW 2000, 3423, juris Rn. 20). Auch beeinflusst eine Vorschädigung des Geschädigten die Zurechnung regelmäßig nicht (vgl. nur Senatsurteil vom 30. April 1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, juris Rn. 18), es besteht aber der “Filter der Adäquanz” zur Ausgrenzung der Kausalverläufe, die dem Verantwortlichen billigerweise rechtlich nicht mehr zugerechnet werden können. Adäquat ist eine Bedingung dann, wenn das Ereignis im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen (vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Juli 1994 – II ZR 126/93, NJW 1995, 126, 127, juris Rn. 15; Senatsurteile vom 3. Februar 1976 – VI ZR 235/74, VersR 1976, 639, 640, juris Rn. 23 für psychischen Gesundheitsschaden; vom 10. Juli 2012 – VI ZR 127/11, VersR 2012, 1133 Rn. 12).
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d) Wenn die psychische Erkrankung als Primärschaden geltend gemacht wird, gilt das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das die volle Überzeugung des Tatrichters erfordert (Senatsurteile vom 29. Januar 2019 – VI ZR 113/17, BGHZ 221, 43 Ls und Rn. 12; vom 5. November 2013 – VI ZR 527/12, VersR 2014, 247 Rn. 13; Senatsbeschluss vom 14. Januar 2014 – VI ZR 340/13, VersR 2014, 632 Rn. 5).
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e) Ein weiterer “Filter” ergibt sich daraus, dass sich der Verschuldensvorwurf auf den gesamten haftungsbegründenden Tatbestand – mithin auch auf die haftungsbegründende Kausalität -, damit auch den Primärschaden, allerdings nicht auf die haftungsausfüllende Kausalität und die sich aus der Rechtsgutsverletzung ergebenden Folgeschäden erstrecken muss (vgl. Senatsurteile vom 3. Februar 1976 – VI ZR 235/74, VersR 1976, 639 f., juris Rn. 17, 23 für psychischen Gesundheitsschaden; vom 30. April 1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 343 f., juris Rn. 14 f.; BGB-RGRK/Steffen, 12. Auflage, § 823 Rn. 73, 469; NK-BGB/Katzenmeier, 3. Auflage, § 823 Rn. 6, 117). Zwar verlangt nach ständiger Rechtsprechung das Erfordernis der Vorhersehbarkeit gem. § 276 BGB nicht, dass sich der Schädiger vorzustellen vermag, wie sich der Schadenshergang im Einzelnen abspielt und in welcher Weise sich der Schaden verwirklicht, es genügt vielmehr, dass der Schädiger die Möglichkeit des Eintritts eines schädigenden Erfolges im Allgemeinen hätte vorhersehen können (vgl. nur Senatsurteil vom 30. April 1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, juris Rn. 14 f.; vom 4. Mai 1993 – VI ZR 283/92, NJW 1993, 2234, juris Rn. 9; vom 10. November 1992 – VI ZR 45/92, VersR 1993, 230, 231, juris Rn. 12 mwN). Letzteres wird aber bei psychischen Erkrankungen als Folge von Routineeinsätzen nicht immer der Fall sein.
III.
26
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sache ist unter Teilaufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da noch weitere Feststellungen zu treffen sind (§ 563 Abs. 1, 3 ZPO). Dabei wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, die Haftungsvoraussetzungen insbesondere unter Beachtung der oben genannten Kriterien zu prüfen und das weitere Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz, ggf. auch zu dem Einwand der Verletzung der Schadensminderungspflicht gem. § 254 BGB, zu berücksichtigen.
Schreibfehlerberichtigung vom 22. Januar 2021
Im Urteil vom 8. Dezember 2020 ist aufgrund eines Übertragungsfehlers die Unterschriftszeile wie folgt zu ergänzen:
Seiters     
  
Offenloch     
  
Oehler
  
Müller     
  
Böhm     
  
Karlsruhe, den 22. Januar 2021
Olovcic, Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle


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