IT- und Medienrecht

Rückerstattung von Wasser- und Kanalgebühren

Aktenzeichen  B 4 K 16.826

Datum:
13.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143352
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b) KAG
AO § 125
Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG
AO § 169 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Nach Ablauf der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 1 S. 1 AO besteht eine absolute Rücknahmesperre, die die Anwendung des § 130 AO von vornherein ausschließt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Nichtigkeit der Gebührenbescheide gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b KAG iVm § 125 Abs. 1 AO scheidet aus, weil diese bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände nicht an einem offenkundigen Fehler leiden. Zwei Wasserzähler im Anwesen des Klägers führen nicht automatisch zu der Schlussfolgerung, dass eine Doppelberechnung des Verbrauchs vorliegt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die streitgegenständliche Ziff. 3 des Bescheids des Beklagten vom 08.02.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19.10.2016 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme der im Zeitraum von 1993 bis 2010 für sein Anwesen erlassenen Wasser- und Abwassergebührenbescheide. Folglich kann ihm keine Erstattung der hierauf gezahlten Gebühren zugesprochen werden.
Der Rechtsgrund für die vom Kläger geleisteten Gebührenzahlungen für 1993 bis 2010 besteht in den bestandskräftigen Bescheiden des Beklagten aus diesen Jahren.
Diese Bescheide sind nicht nichtig.
Das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG i.V.m. § 125 Abs. 1 AO ist zu verneinen, weil die Gebührenbescheide zwar unstreitig rechtswidrig sind, aber bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände nicht an einem offenkundigen Fehler leiden. Zwei Wasserzähler im Anwesen des Klägers mussten nicht automatisch zu der Schlussfolgerung führen, dass eine Doppelberechnung vorliegt. Das Gericht bezweifelt nicht, dass es im Gemeindebereich des Beklagten Grundstücke gibt, die über mehrere Wasseranschlüsse verfügen. Die Vertreter des Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass bei einer aktuellen Überprüfung der Grundstücksanschlüsse im Bereich des klägerischen Anwesens im öffentlichen Grund zwei Wasserschieber vorgefunden wurden. Zwar ändert dies nichts an dem Umstand, dass das Anwesen des Klägers tatsächlich nur über einen Wasseranschluss verfügt, es bestätigt aber die Angaben des Beklagten, dass Mehrfachanschlüsse im Gemeindegebiet durchaus vorkommen. Wie der Bauhofleiter in der mündlichen Verhandlung angab, habe sein 1993 zuständiger Vorgänger ihm mitgeteilt, er sei damals vom Hauseigentümer angerufen worden, weil man bei Umbaumaßnahmen im Büro einen Wasserzähler vorgefunden habe. Diesen ungeeichten Wasserzähler habe er gegen einen geeichten ausgetauscht. Der Wasserwart hatte bei dieser Gelegenheit keine Veranlassung, von sich aus das Wasserversorgungssystem des Hauses zu überprüfen. Die Wasserleitungen und Anlagenteile in den Grundstücken und Gebäuden hinter der Übergabestelle (außer den Wasserzählern selbst) gehören laut Satzungsrecht (vgl. §§ 10 ff. WAS vom 24.10.2005) zu den Anlagen des Grundstückseigentümers und unterliegen nicht der Verantwortlichkeit der Gemeinde. Damit liegt eine Offenkundigkeit des Fehlers nicht vor.
§ 125 Abs. 2 Nr. 4 AO greift nicht, da die Erhebung der Wassergebühren im konkreten Fall nicht gegen die guten Sitten verstoßen hat. Für eine grob fahrlässige oder gar vorsätzliche Schädigung des Gebührenschuldners durch den Beklagten fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten. Der Beklagte hat unverzüglich reagiert, als aufgrund des Wasserrohrbruchs beim Auswechseln der Wasserzähler am 21.10.2015 die Doppelberechnung erkannt wurde.
Da von einer Nichtigkeit der Gebührenbescheide nicht auszugehen ist, hat der Kläger nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die (teilweise) Rücknahme der rechtswidrigen Gebührenbescheide für die Veranlagungszeiträume vor 2015. Diesen Anspruch hat der Beklagte voll erfüllt, als er, gestützt auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b), Abs. 2 KAG in Verbindung mit § 130 Abs. 1 AO die Gebührenbescheide für die Veranlagungszeiträume 2011 bis 2014 zurückgenommen hat. Das sind die von der Festsetzungsverjährungsfrist nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb), Abs. 2 KAG i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO umfassten vier Jahre (nicht zu verwechseln mit der fünfjährigen Zahlungsverjährungsfrist gemäß § 228 AO).
Eine darüber hinaus gehende Rücknahme für die Veranlagungszeiträume vor 2011 kommt nicht in Betracht. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb), Abs. 2 KAG i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Festsetzung, Aufhebung oder Änderung einer Abgabe nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO bildet eine absolute Rücknahmesperre, die die Anwendung des § 130 AO von vornherein ausschließt. D. h. es wird dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nach Ablauf der Festsetzungsfrist von Gesetzes wegen und ausnahmslos der Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit eingeräumt (VG Saarlouis, U. v. 10.03.2010 – 11 K 848/09, juris Rn. 44; VG Greifswald, U. v. 10.08.2011 – 3 A 141/08, juris Rn. 22).
Die Klage war daher abzuweisen.
2. Als Unterliegender hat der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO.


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