IT- und Medienrecht

Schaden bei nachteiliger Einwirkung auf Vermögenslage  – Technische Nutzbarkeit des Fahrzeugs

Aktenzeichen  40 O 12793/18

Datum:
13.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19016
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VO (EG) 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826

 

Leitsatz

1. Das Erwerb eines bewusst in den Verkehr gebrachten manipulierten Pkw-Motors stellt für den Käufer einen Schaden dar. Darauf, ob das Fahrzeug im Erwerbszeitpunkt aufgrund der unzulässigen Technik objektiv weniger wert war oder ob die spätere Nachbesserung solche etwaigen Einbußen ausgleichen konnte, kommt es dabei nicht an. Nach dem subjektbezogenen Schadensbegriff íst bereits der Abschluss eines Geschäfts, welches nicht den Zielen des Geschädigten entspricht, einen Schaden im Rahmen des § 826 RGB dar. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein vernünftiger Durchschnittskäufer darf davon ausgehen, dass ein von ihm erworbener Pkw entweder zu Recht zugelassen oder zulassungsfähig ist. Das beinhaltet auch, dass der Hersteller die für das Fahrzeug erforderliche Typgenehmigung nicht durch Täuschung erwirkt hat, und gilt sogar dann, wenn der Käufer sich bis zum Bekanntwerden einer solchen Täuschung keine konkreten Vorstellungen von den technischen Einrichtungen und den rechtlichen Voraussetzungen für die Typgenehrrigung gemacht hat. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Schon das ursprüngliche Inverkehrbringen von manipulierten Dieselfahrzeugen mit dem Ziel, diese am Markt abzusetzen, erfüllt den Tatbestand der Sittenwidrigkeit, weil dieses Handeln gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Die Beklagte hat mit ihrem Verhalten auf rechtswidrigem Weg Gewinne und Wettbewerbsvorteile zu erzielen versucht, und hat hierzu in großem Umfang und mit erheblichem technischen Aufwand vorsätzlich gesetzliche Umweltschutzvorschriften ausgehebelt und zugleich ihre Kunden getäuscht und geschädigt.  (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Herstellerin ist über § 31 das Handeln ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter zuzurechnen, wozu auch alle Personen zählen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Personen zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind. Aufgrund des Sach- und Streitstandes ist davon auszugehen, dass der Vorstand der Herstellerin nicht nur über umfassende Kenntnisse von dem Einsatz der oben geschilderten Software verfügte, sondern auch in der Vorstellung die Herstellung und die Inverkehrgabe der mangelbehafteten Motoren veranlasste, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis weiter veräußert werden würden. (Rn. 37 – 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 18.973,02 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.10.2018 zu zahlen, sowie Zinsen in Höhe von 4 % aus einem Betrag in Höhe von 28.235,02 € seit dem 8.5.2013 bis zum 24.10.2018 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Golf V Plus 2.0 TDI … nenst 2 Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in den vorgenannten Klageanträgen genannten Zug um Zug Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger vor den durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenan Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe vor EUR 1.100,51 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.10.2018 freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klaga abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klagepartei 16 % und die Beklagtenpartei 84 %.
6. Das Urteil ist jeweils vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 22.405,55 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.
A. Zulässigkeit
Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts im Hinblick auf die Beklagte folgt aus § 32 ZPO. Die Klagepartei hat unter anderem Ansprüche aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB und aus § 823 II, § 31 BGB i.V.m. § 263 StGB schlüssig vorgetragen. Begehungsort dieser unerlaubten Handlungen ist der Ort, an dem der Kaufvertrag abgeschlossen, der Kaufpreis überwiesen und das manipulierte Fahrzeug übereignet wurde. Diese Orte liegen sämtlich im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts München I.
B. Begründetheit
I.
Die Klagepartei hat gegen die Beklagte unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB einen Anspruch auf Erstattung des für den streitgegenständlichen Pkw gezahlten Kaufpreises in Höhe von 28.235,02 € abzüglich gezogener Gebrauchsvorteile bei einer anzunehmenden Lebenslaufleistung von 250.000 km in Höhe von 9.262,00 €, mithin 18.973,02 €, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Volkswagen Golf V Plus 2,0 TDI
1. Schaden
Die Klagepartei hat durch ein Verhalten der Beklagten, nämlich durch das Inverkehrbringen des, wie die Beklagte wusste, technisch mangelbehafteten streitgegenständlichen Pkw-Motors, einen Schaden erlitten. Ein Schaden im Sinne des § 826 BGB ist nicht nur die Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter oder eine nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses (BGH, Urteil vom 19.7.2004, Az. II ZR 402/02, LG Offenburg, Urteil vom 12.5.2017, Az. 6 O 119/16, juris Rz. 28). Der haftungsbegründende Schaden liegt im Abschluss des Kaufvertrags, wobei es weder darauf ankommt, ob das Fahrzeug im Erwerbszeitpunkt aufgrund der unzulässigen Technik objektiv weniger wert, insbesondere ob es technisch nutzbar und ohne Wertverlust wiederverkäuflich gewesen wäre, noch, ob die spätere Nachbesserung solche etwaigen Einbußen ausgleichen konnte (vgl. LG Wuppertal, Urt. v. 16.1.2018 – 4 O 295/17, BeckRS 2018, 1446).
Ausreichend ist allein, dass der Vertrag im Zeitpunkt seines Zustandekommens normativ als für einen vernünftigen Käufer nachteilig anzusehen ist. Es genügt jede Schadenszufügung im weitesten Sinne, also jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage in ihrer Gesamtheit. Nach dem subjektbezogenen Schadensbegriff stellt auch der Abschluss eines Geschäfts, welches nicht den Zielen des Geschädigten entspricht, einen Schaden im Rahmen des § 826 RGB dar, ohne dass es darauf ankäme, ob die erhaltene Leistung wirtschaftlich betrachtet hinter der Gegenleistung zurückbleibt.
Das OLG Köln führte hierzu nachvollziehbar in seinem Beschluss vom 3.1.2019 18 U 70/18 aus:
„Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter der Beklagten die mit der manipulativ wirkenden Software ausgerüsteten Motoren des Typs EA 189 Eu5 den zum VW-Konzern gehörenden Herstellern gerade zum Zweck der Weiterveräußerung überließen, also damit rechnen mussten und zur Überzeugung des Senats auch tatsächlich damit rechneten, dass die so ausgerüsteten Fahrzeuge ohne Hinweis auf die Erwirkung der Typengenehmigung unter Einsatz einer manipulativ wirkenden Software mit zwei Betriebsmodi weiterveräußert werden würden. Aus der Heimlichkeit des Einsatzes der Software gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt, den beteiligten Stellen und den potentiellen Kunden gegenüber ergibt sich schließlich mit hinreichender Sicherheit, dass die beteiligten Mitarbeiter der Beklagten auch in der Vorstellung handelten, dass der Einsatz der Software zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Typengenehmigung und der Betriebszulassung der so ausgestatteten Fahrzeuge führen könnte und dass potentielle Kunden Fahrzeuge, die derart mit rechtlichen Unsicherheiten belastet waren, nicht ohne weiteres erwerben würden.“
Die Klagepartei hat ein von Mitarbeitern der Beklagten hergestelltes, mit einem Motor der Baureihe EA189 ausgestattetes und in Verkehr gebrachtes Fahrzeug erworben, welches in einem bedeutsamen Gesichtspunkt anders beschaffen war, als ein vernünftiger Durchschnittskäufer dies erwarten durfte. Ein vernünftiger Durchschnittskäufer darf nämlich davon ausgehen, dass ein von ihm erworbener Pkw entweder zu Recht zugelassen oder zulassungsfähig ist (vgl. LG Köln Az.: 24 O 287/17, bestätigt durch OLG Köln mit Urteil v. 3.1.2019, Az.: 18 U 70/18). Davon umfasst ist, dass der Hersteller die für das Fahrzeug erforderliche Typgenehmigung nicht durch Täuschung erwirkt het. Das gilt auch, wenn der Käufer sich bis zum Bekanntwerden einer solchen Täuschung keine konkreten Vorstellungen von den technischen Einrichtungen und den rechtlichen Voraussetzungen für die Typgenehrrigung gemacht hat (so auch OLG Köln, Beschluss vom 20.12.2017, Az. 18 U 112/17, juris Rz. 36, 38). Bei der von der Beklagten in das streitgegenständliche Fahrzeug implementierten Software handelt es sich nach der zutreffenden Beurteilung des Kraftfahrtbundesamtes um eine verbotene Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007.
Der Bundesgerichtshof hat sich mit der ungewöhnlichen Veröffentlichung eines Hinweisbeschlusses (BGH VIII ZR 225/17), obwohl die Klage in diesem Verfahren zurück genommen worden war, zur Frage des Sachmangels von Fahrzeugen geäußert, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet sind:
a) Ein Fahrzeug ist nicht frei von Sachmängeln, wenn bei Übergabe an den Käufer eine – den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduzierende – Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG installiert ist, die gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässig ist.
b) Dies hat zur Folge, dass dem Fahrzeug die Eignung für die gewöhnliche Verwendung im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB fehlt, weil die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde (§ 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung – FZV) besteht und somit bei Gefahrübergang der weitere (ungestörte) Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr nicht gewährleistet ist.
Diese Entscheidung des BGH erging zwar nicht in einem Verfahren gegen die Beklagte, sondern im Rahmen einer gewährleistungsrechtlichen Klage gegen den Verkäufer, allerdings hat der VIII. Zivilsenat des BGH mit der Veröffentlichung seines Beschlusses ein klares Signal dahin gehend gegeben, dass er dem Fahrzeug die Eignung für die gewöhnliche Verwendung wegen drohender Gefahr der Betriebsuntersagung zum Zeitpunkt des Kaufs abspricht. Dies stützt nach Ansicht des Gerichts auch die oben geäußerte Auffassung, dass der Abschluss eines Kaufvertrages über ein Fahrzeug mit unzulässiger Abschalteinrichtung und mit potentieller Gefahr ssiner Stilllegung für einen vernünftigen Käufer als nachteilig anzusehen ist, was als Schaden im Sinne des § 826 BGB ausreicht.
2. Sittenwidrigkeit
Das Handeln der Beklagten war auch sittenwidrig. Schon das ursprüngliche Inverkehrbringen der manipulierten Dieselfahrzeuge mit dem Ziel, diese am Markt abzusetzen, erfüllt den Tatbestand der Sittenwidrigkeit (vgl. OLG Köln Beschl. v. 16.7.2018 – 27 U 10/18, vgl. Heese NJW, 2019, 257). Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn das Handeln gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (RG 80, 221; BGH 10, 232). Dies ist durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln. Dass die Beklagte mit ihrem Verhalten auf rechtswidrigem Weg Gewinne und Wettbewerbsvorteile zu erzielen suchte, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Denn die Beklagte hat in großem Umfang und mit erheblichem technischen Aufwand vorsätzlich gesetzliche Umweltschutzvorschriften ausgehebelt und zugleich ihre Kunden getäuscht und geschädigt. Sie hat dabei nicht nur gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit dar Abschaltvorrichtung zugleich ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern geschaffen, welches sich insgesamt als sittenwidriges Verhalten darstellt (so auch LG Arnsberg, Urteil vom 14.6.2017, Az. 1 O 25/17, juris Rz. 52 m.w.N.; LG Offenburg, Urteil vom 12.5.2017, Az. 6 O 119/15, juris Rz. 46).
Zudem gilt der Grundsatz, dass eine bewusste Täuschung zur Herbeiführung eines Vertragsschlusses regelmäßig bereits den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründet (BGH, Urteil vom 28.6.2016, Az. I ZR 536/15, juris Rz. 17; LG Offenburg a.a.O.). Eine solche bewusste Täuschung liegt hier vor, da der Einbau einer verbotenen Abschalteinrichtung denknotwendig nur bewusst und in Täuschungsabsicht geschehen kann (LG Köln vom 3. Mai 2018, 36 O 57/17).
3. Haftungsbegründende Kausalität
Der Schaden muss durch das sittenwidrige Verhalten verursacht worden sein und dem Schutzzweck der verletzten Verhaltensnorm unterfallen. Das gegen die guten Sitten verstoßende Verhalten der Beklagten hat den Schaden der Klagepartei kausal und zurechenbar ausgelöst. Denn die durch die Beklagte bzw. ihre Mitarbeiter manipulierten Werte des Prüfstandverfahrens zur Untersuchung der Abgaswerte haben neben dem Bezug zur Umweltverträglichkeit auch Einfluss auf die Zulassung oder Zulassungsfähigkeit des Fahrzeugs. Insoweit ist bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die Gesetzmäßigkeit und Zulassungsfähigkeit eines Fahrzeugs für die Kaufentscheidung eines potentiellen Käufers von wesentlicher Bedeutung ist, ohne dass es darauf ankommt, ob der Käufer konkrete Vorstellungen über die für die Zulassung und Zulassungsfähigkeit im Einzelnen erforderlichen technischen Einrichtungen, rechtlicher Voraussetzungen und Zulassungs- bzw. Genehmigungsverfahren macht. Denn ein Fahrzeugkäufer darf auch ohne solche detaillierten Vorstellungen davon ausgehen, dass ein von ihm für den inlandsbetrieb erworbener Pkw eines namhaften Herstellers entweder zu Recht zugelassen oder zulassungsfähig ist (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 20.12.2017, Az. 18 U 112/17, zitiert nach juris Rz. 36 ff.; ähnlich auch LG Arnsberg, Urteil vcm 14.6.2017, Az. 1 O 25/17, juris Rz. 53).
Für den Käufer greift darüber hinaus die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens. Diese streitet in Entscheidungssituationen zulasten desjenigen, der vorsätzlich oder fahrlässig unter Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten auf den Willensentschluss eines anderen eingewirkt hat, nach gefestigter Rechtsprechung jedenfalls dann, wenn „aus der Sicht eines vernünftig Urteilenden […] eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätte“. (BGHZ 123, 311, NJW 1993, 3259).
4. Haftung nach der Organtheorie § 31 BGB
Der Beklagten ist über § 31 BGB, welcher auf alle juristischen Personen, somit auch auf eine Aktiengesellschaft anwendbar ist, das Handeln ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter zuzurechnen. Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB setzt voraus, dass einer ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand dieser Anspruchsgrundlage verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.6.2016, Az. VI ZR 536/15, juris Rz. 13). Dabei zählen zu den verfassungsmäßig berufenen Vertretern einer Gesellschaft im Sinne des § 31 BGB nicht nur die satzungs- oder gesetzmäßigen Organe einer juristischen Person, sondern alle Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Personen zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und die die juristische Person insoweit repräsentieren. Der personelle Anwendungsbereich des § 31 BGB deckt sich damit in etwa mit dem Begriff des leitenden Angestellten im arbeitsrechtlichen Sinne (Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Auflage, § 31 Rz. 6).
a) Die objektiven Kenntnisse und Vorstellungen ihrer Mitarbeiter sind der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnen, weil aufgrund des hier maßgebenden Sach- und Streitstandes davon auszugehen ist, dass der Vorstand der Beklagten nicht nur über umfassende Kenntnisse von dem Einsatz der oben geschilderten Software verfügte, sondern auch in der Vorstellung die Herstellung und die inverkehrgabe der mangelbehafteten Motoren veranlasste, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis weiter veräußert werden würden.
Dies ist der Beklagten über § 31 BGB wegen unzureichender Erfüllung der sekundären Darlegungslast zuzurechnen.
Das OLG Köln hat zur Zurechnung des deliktischen Handelns der Mitarbeiter der Beklagten über § 31 BGB in seinem Beschluss vom 3.1.2019, 18 U 70/18 ausgeführt:
Insofern greift in zweierlei Hinsicht zugunsten der Klagepartei eine Erleichterung der Darlegungslast:
Steht nämlich ein (primär) darlegungspflichtiger Anspruchsteller außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs und kennt der Anspruchsgegner alle wesentlichen Tatsachen, so genügt nach den höchstrichterlichen Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast das einfache Bestreiten seitens des Anspruchsgegners nicht, sofern ihm nähere Angaben zuzumuten sind (vgl. BGH, Urt. v. 17. Januar 2008 – III ZR 239/06 -, juris Rn. 16 m.w.N. zur BGH-Rspr.). Soll aber für diese höchstrichterliche Rechtsprechung überhaupt ein Anwendungsbereich eröffnet sein, müssen schon die Anforderungen an die primären Darlegungen seitens des Anspruchstellers auf die allgemeine Behauptung der nach dem maßgebenden Tatbestandsmerkmal erforderlichen Tatsache beschränkt werden, denn zur Frage des Umfangs einer sekundären Darlegungslast kann man stets nur dann gelangen, wenn der Anspruchsteller die Voraussetzung der ihn treffenden primären Darlegungslast zu erfüllen vermag. Das aber kann mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Anspruchsteller in der von der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung erörterten Fällen jeweils außerhalb des Geschehensablaufs steht und ihm entsprechende Kenntnisse aus strukturellen Gründen fehlen, nur dann geschehen, wenn man allgemeine Behauptungen ausreichen lässt und von weiterer Substantiierung absieht.
Vor diesem Hintergrund reicht einerseits die Behauptung des Klägers aus, dass dem Vorstand der Beklagten sämtliche oben erörterten Umstände bekannt gewesen seien, während andererseits das Vorbringen der Beklagten zu den internen Geschehnissen im Zusammenhang mit der Beauftragung, der Bezahlung, dem Empfang, der Kontrolle und der Verwendung der oben erwähnten Motorsteuerungs-Software nicht einmal ansatzweise ausreichen. Da die Beklagte auch nicht konkret darlegt, dass und wie einzelne Mitarbeiter unter Ausschluss des Vorstandes die mangelhafte Software pflichtwidrig beauftragen, bezahlen und verwenden ließen, kann sich die Beklagte auch hierauf nicht berufen und muss es sowohl bei der Annahme umfassender Kenntnisse des Vorstandes der Beklagten als auch bei der Anwendung des § 31 BGB im Sinne einer Zurechnung bleiben.
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht an. Im Ergebnis ist die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast somit nicht nachgekommen, sodass – mangels Bereitschaft der Beklagten zu einer substantiierten gegenteiligen Darlegung – der klägerische Vortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu behandeln ist und von eine: Kenntnis des Vorstands von den objektiven Umständen auszugehen ist (vgl. auch LG Kleve, Urteil vom 31. März 2017 – 3 O 252/16 -, Rn. 84 ff.; LG Hildesheim, Urteii vom 17. Januar 2017 – 3 O 139/16 -, Rn. 34 ff.; LG Offenburg, Urteil vom 12. Mai 2017 – 6 O 119/16 -, Rn. 20 ff.; LG Krefeld, Urteil vom 19. Juli 2017 – 7 O 147/16 -, Rn. 37, – jeweils juris).
b) Die organschaftlichen Vertreter der Beklagten handelten auch vorsätzlich.
Das OLG Köln führt a.a.O. hierzu aus:
Zum anderen ergibt sich aus den obigen Ausführungen, dass die an der Beauftragung, Entwicklung und Verwendung der Manipulations-Software beteiligten Mitarbeiter der Beklagten zur Überzeugung des Senats vorsätzlich gehandelt haben, dass die Beklagte ihrer Darlegungs- und Substantiierungspflicht hinsichtlich der internen Vorgänge im Zusammenhang mit der Manipulations-Software nicht ansatzweise hinreichend nachkommt und dass von einem analog § 31 BGB zuzurechnenden Vorsatz des Vorstands auszugehen ist.
Hinsichtlich der potentiellen Käufer der Fahrzeuge mit manipulierter Motorsteuerung haben die Mitarbeiter der Beklagten zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt. Sie haben zumindest die Schädigung der Käufer zur Erreichung ihres Ziels billigend in Kauf genommen. Die Mitarbeiter der Beklagten haben zur Überzeugung des Gerichts den subjektiven Tatbestand des § 826 BGB erfüllt. In subjektiver Hinsicht ist es im Rahmen des § 826 BGB nicht erforderlich, dass der Schädiger selbst zur Bewertung seines Tuns als sittenwidrig gelangt, es genügt die Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände. Eine solche Kenntnis ist zu bejahen. Insoweit muss der Schädiger nicht im Einzelnen wissen, wer durch sein Verhalten geschädigt sein wird. Er muss nur die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden anderer auswirken könnte, und die Art des möglichen Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen haben (BGH, Urteil vom 19. Juli 2004, Az. II ZR 402/02, juris Rz. 47; LG Offenburg, Urteil vom 12.5.2017, Az. 6 O 119/16, juris Rz. 48). Für die beteiligten Organe der Beklagten im Sinne des § 31 BGB war aufgrund ihrer Kenntnis von der Implementation der Software offensichtlich, dass die Kunden der Beklagten künftig Fahrzeuge erwerben würden, welche ihren berechtigten Erwartungen an den gesetzeskonformen Erwerb der Typgenehmigung und die technische Mangelfreiheit nicht entsprachen und ihnen deshalb einen Schaden im Sinne des § 826 BGB entstehen würde. Die sich daraus ergebende Schädigung der Kunden hat die Beklagte über die Zurechnung nach § 31 BGB zumindest billigend in Kauf genommen (LG Offenburg, Urteil vom 12. Mai 2017 – 6 O 119/16 -, Rn. 48, juris).
5. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte somit gem. §§ 826, 249 BGB einen Anspruch auf Ersatz des ihr entstandenen Schadens, der hier auf Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrages gerichtet ist, da die Klagepartei, wenn sie von der Täuschung gewusst hätte, den streitgegenständlichen Pkw nicht erworben hätte.
Die Klagepartei muss sich auch nicht mit dem von der Beklagten entwickelten Software-Update zufrieden geben. Da der Schadenersatzanspruch des Klägers bereits mit dem Erwerb des Fahrzeugs entstanden ist und auf Restitution durch Rückabwicklung des Kaufs gerichtet ist, kann in der jüngst erfolgten Ausstattung des Fahrzeugs mit dem vom Kraftfahrtbundesamt erzwungenen Software-Update keine Erfüllung des Schadenersatzanspruchs liegen. Ein Entfallen des Schadens infolge eines überholenden Kausalverlaufs vermag die Beklagte nicht hinreichend darzulegen, da sie nicht durch Offenlegung des Software-Updates in allen Details dartut, dass das Software-Update keine anderen negativen Auswirkungen haben kann.
6. Um den bei der Klägerin eingetretenen Schaden zu ersetzen, ist der für die Klägerin nachteilige Vertrag rückabzuwickeln. Die Klagepartei hat Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeus. Die Klagepartei muss sich im Rahmen der §§ 249 ff. BGB allerdings eine Vorteilsausgleichung gefallen lassen, sie hat sich die Vorteile anrechnen zu lassen, die sie durch den Gebrauch des Fahrzeugs hatte. Dabei ist von einem Kaufpreis von 28.235,02 € auszugehen. Das Starterpaket war nicht zu berücksichtigen, da es andere Leistungen umfasste, die mit dem eigentlichen Erwerb des Fahrzeugs nur mittelbar zusammenhingen. Die Klagepartei hat bereits einen Wertersatz basierend auf einer Motorlaufleistung von 350.000 km von ihrem geltend gemachten Schadensersatzanspruch abgezogen. Der Wertersatz im Rahmen der Vorteilsausgleichung ist gen. § 287 ZPO zu schätzen. Insoweit setzt die Klagepartei die so genannte zeitanteilige lineare Wertminderung an, bei der sie den Kaufpreis mit den gefahrenen Kilometern multipliziert und durch die zu erwartende Gesantlaufleistung dividiert. Das Gericht schätzt den Wertersatz nach der bei Kraftfahrzeugen allgemein üblichen Methode der gefahrenen Kilometer, wobei es davon ausgeht, dass bei dem streitgegenständlichen Motor eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km anzunehmen ist und berechtigterweise erwartet werden kann.
Die Gebrauchsvorteile der Klagepartei sind daher mit 9.262,00 € anzusetzen. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem 2,0l-TDI-Motor ausgestattet, der grundsätzlich langlebig is; eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km kann berechtigt erwartet werden. Die Klagepartei erwarb das Fahrzeug als Neuwagen. Tatsächlich ist sie bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung 82.008 km mit dem Wagen gefahren (250.000 km ./.82.008 km). Die Gabrauchsvorteile errechnen sich demnach wie folgt: 82.008 km/250.000 km × 28.235,02 € = 9.262,00 €. Es ergibt sich somit ein Schadensersatzsanspruch Zug um Zug gegen Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 18.973,02 €
II.
Hinsichtlich des hilfsweisen Klageantrags und der weiteren vorgetragenen Anspruchsgrundlagen sind aufgrund der Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB keine weiteren Ausführungen mehr veranlasst.
III.
Seit Ablauf der mit anwaltlichem Schreiben vom 13.8.2018 gesetzten Frist befindet sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug, spätestens mit Zustellung der Klageschrift hat die Klagepartei der Beklagten ein wörtliches Angebot auf Rückübereignung des Pkws gemacht, § 295 BGB. Die Beklagte hat spätestens mit Zugang des Schriftsatzes zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft und dem darin enthaltenen Antrag auf Klageabweisung dieses Angebot abgelehnt und befindet sich daher seit Zugang des Angebotes in Annahmeverzug (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.05.2011, Az. 17 U 53/10, Rz. 63).
III.
Der Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte auf Verzinsung des zurückzuerstattenden Kaufpreises folgt aus §§ 849, 246 BGB ab Vertragsschluss bis zur Rechtshängigkeit. Die Klägerin kann für die Zeit zwischen der Überweisung des Geldes und der Rechtshängigkeit nach § 849 BGB Zinsen in Höhe von 4 % aus den Kaufpreis auch ohne den konkreten Nachweis des Verlusts von Anlagezinsen verlangen.
Die Beklagte hat der Klagepartei durch eine unerlaubte Handlung nach § 826 BGB Geld im Umfang von 28.235,02 € entzogen. Der entzogene Geldbetrag ist vom Zeitpunkt der jeweiligen Entziehung an gemäß § 246 BGB mit 4 % jährlich zu verzinsen.
Die Beklagte hat der Klagepartei das Geld dadurch, dass sie sie zur Überweisung veranlasse hat, entzogen. § 849 BGB erfasst jeden Sachverlust durch ein Delikt. Auch wenn der Schädiger den Geschädigten durch eine unerlaubte Handlung dazu bestimmt, eine Sache wegzugeben oder darüber zu verfügen, entzieht er sie ihn (BGH Versäumnisurteil v. 26.11.2007 – II ZR 167/06, beckonline). § 849 BGB ist nach seinem Wortlaut nicht auf die Wegnahme beschränkt und verlangt nicht, dass die Sache ohne oder gegen den Willen des Geschädigten entzogen wird.
Der Zinsanspruch soll mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGHZ 87, 38, 41). Der Geschädigte verliert die Sachnutzung gleichermaßen, wenn ihm eine Sache ohne seinen Willen entwendet wird und wenn er durch eine unerlaubte Handlung dazu gebracht wird, sie wegzugeben oder darüber zu verfügen. Im Ausgleich hierzu muss sich die Klagepartei auch den Wertersatz hinsichtlich des Gebrauchs des Fahrzeugs bis zum Tag der mündlichen Verhandlung im Wege der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen, Diese Regelung führt somit nicht zu einer Unbilligkeit gegenüber der Beklagten.
Der Zinsanspruch ab Rechtshängigkeit folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
Vorgerichtliche Anwaltskosten kann die Klagepartei nur auf Basis eines Gegenstandswerts bis 18.973,02 € ersetzt verlangen, und des auch nur in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr aus Nr. 2300 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer, mithin 1.100,51 €. Bei den VW-Abgasfällen handelt es sich um Massenverfahren, die für die beteiligten Rechtsanwälte wenig Arbeit machen und leicht sind. Die Argumente sind in Tausenden von Verfahren hinlänglich ausgetauscht.
IV.
Die Kostenentscheidurg beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgte nach § 3 ZPO. Die Zug-um-Zug-Leistung bleibt bei der Festsetzung des Streitwerts nach ständiger Rechtsprechung unberücksichtigt, selbst wenn sie schon der Kläger anbietet (vgl. Zöller ZPO 32 Aufl. § 3 Rdnr. 16).


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