IT- und Medienrecht

Schadensersatz gegen Fahrzeughersteller wegen Verwendung einer Motorsteuerungssoftware

Aktenzeichen  15 O 449/18

Datum:
21.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14616
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 166 Abs. 1, § 249 Abs. 1, § 826, § 831

 

Leitsatz

1. Bei dem Inverkehrbringen eines Motors mit einer Motorsteuerungssoftware, die bewirkt, dass der Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand erkannt und die Abgasbehandlung des Fahrzeugs in einen bestimmten (abgasarmen) Modus versetzt und damit die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert wird, handelt es sich um eine sittenwidrige Handlung, die Schadensersatzansprüche gegen den Hersteller des Motors aus §§ 826, 831, 31, 249 Abs. 1 BGB begründet. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus Gründen des Verkehrsschutzmannes ist es sachgerecht, einer juristischen Person (hier dem Hersteller des Motors) im rechtsgeschäftlichen Verkehr in weiterem Umfang das Wissen von Mitarbeitern hinsichtlich solcher Vorgänge zuzurechnen (§ 166 Abs. 1 BGB), deren Relevanz für spätere Geschäftsvorgänge innerhalb des Organisationsbereichs dem Wissenden erkennbar ist und die deshalb dokumentiert und verfügbar gehalten oder an andere Personen innerhalb des Organisationsbereichs weitergegeben werden müssen. Nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Organisation wäre es bei der massenhaften Verwendung der Motorsteuerungssoftware in Neufahrzeugen zwingend geboten gewesen, eine entsprechende Dokumentation vorzunehmen und den Vorstand über die maßgeblichen Umstände zu informieren. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Hersteller des Motors obliegt die sekundäre Darlegungslast zu der Frage, welches seiner Organe Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatte und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst hat. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.931,69 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.07.2018 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 31.07.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 11 % und die Beklagte 89 % zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig.
1. Das Landgericht Coburg ist sachlich (§§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG) und örtlich (§ 32 ZPO) zuständig und damit zur Entscheidung berufen. Der Erfolgsort der von dem Kläger behaupteten unerlaubten Handlung ist sein Wohnort, da hier der Vermögensschaden eingetreten ist. Dieser liegt in … und damit im Bezirk des erkennenden Gerichts.
2. Das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO für den Antrag zu Ziffer 2. auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten liegt angesichts der in Ziffer 1. beantragten Zug-um-Zug-Verurteilung im Hinblick auf die §§ 756, 765 ZPO vor (vgl. Münchener Kommentar zur ZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl. 2016, § 256 Rn. 25).
Der Gläubiger kann mit seinem Klageantrag auf Zug-um-Zug-Verurteilung einen Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs des Schuldners verbinden und so eine rechtskraftfähige, für den Gerichtsvollzieher verbindliche Feststellung im Tenor des Vollstreckungstitels selbst erreichen (vgl. Münchener Kommentar zur ZPO/Heßler, a.a.O., § 756 Rn. 48).
3. Die Voraussetzungen der Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) liegen vor.
II.
Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Hinsichtlich des weitergehenden Zahlungsantrages zu Ziffer 1. sowie bezüglich des weitergehenden Zinsantrags und hinsichtlich der mit dem Klageantrag zu Ziffer 3. geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten war die Klage als unbegründet abzuweisen.
1. Die Beklagte haftet dem Kläger gemäß §§ 826, 831, 31, 249 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz, da sie ihm in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt hat.
a) Die Handlung der Beklagten, durch die der Kläger geschädigt wurde, war das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Motors unter Verschweigen der, bis zum Aufspielen des Software-Updates im August 2016 vorhandenen, gesetzeswidrigen Programmierung der Motorsteuerungssoftware (dazu unter b)), die bewirkt, dass der Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand erkannt und die Abgasbehandlung des Fahrzeugs in den sogenannten Modus 1 versetzt wird.
b) Durch die Handlung der Beklagten hat der Kläger einen Vermögensschaden erlitten. Dieser besteht darin, dass er in Unkenntnis der ursprünglich – nämlich bis zum durchgeführten Software-Update im August 2016 – bei dem streitgegenständlichen PKW vorhandenen und nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den PKW erworben und damit einen ihm wirtschaftlich nachteiligen Vertrag geschlossen hat. Der Schaden besteht trotz der Aufspielung des Software-Updates.
Dem steht auch keine Kenntnis des Klägers vom Vorhandensein der ursprünglich verbauten Abschalteinrichtung bei Abschluss des Kaufvertrags entgegen. Nach Überzeugung des Gerichts kann gerade nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei Abschluss des Kaufvertrags Kenntnis von der ursprünglich im streitgegenständlichen Fahrzeug installierten Motorsteuerungssoftware hatte. Eine dahingehende Kenntnis des Klägers kann nur bejaht werden, wenn er von der Manipulation des konkreten Fahrzeuges, welches er zu kaufen beabsichtigte, wusste und ihm die Bedeutung der Manipulation und die sich daraus ergebenden bzw. drohenden Konsequenzen in technischer sowie rechtlicher Hinsicht zumindest auf laienhafter Ebene klar waren (vgl. Hesse, NJW 2019, 257 (262)). Davon ist zur Überzeugung des Gerichts nicht auszugehen. Die Tatsache, dass der sog. „Abgasskandal“ zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses bereits Gegenstand medialer Berichterstattung war, lässt nicht den Schluss zu, dass der Kläger bei Abschluss des Kaufvertrags von der manipulierten Motorsteuerungssoftware wusste, selbst wenn er die Berichterstattung verfolgt hat. Aus der von der Beklagten in Bezug genommenen Ad-hoc Mitteilung vom 22.09.2015 wird weder ersichtlich, welche Modelle betroffen sind, noch dass auch Fahrzeuge anderer Hersteller betroffen sind. Allein das Wissen, dass es einen sog. „Abgasskandal“ gibt, von dem VW-Dieselmotoren betroffen sind, führt jedoch nicht dazu, dass der Kläger von der Betroffenheit des später erworbenen Fahrzeugs ausgehen musste und konnte. Auch aus den Angaben des Verkäufers im Verkaufsgespräch lässt sich eine Kenntnis des Klägers nicht folgern. Der Kläger gab im Rahmen seiner informatorischen Befragung an, dass er vom Verkäufer lediglich darüber informiert wurde, dass das Fahrzeug von einer Rückrufaktion betroffen sei und ein Software-Update durchgeführt werden müsse bzw. schon durchgeführt wurde. Aus diesem Hinweis konnte der Kläger nicht darauf schließen, dass das Fahrzeug vom sog. „Abgasskandal“ betroffen ist und ursprünglich über eine manipulierte Motorsteuerungssoftware verfügte. Zu Rückrufaktionen kommt es bei Kraftfahrzeugen immer wieder, auch völlig unabhängig von der Diesel-Thematik. Ein entsprechender Zusammenhang musste sich dadurch keineswegs aufdrängen. Aber selbst wenn der Verkäufer den Kläger wie zunächst in der Klageschrift vorgebracht darauf hingewiesen hat, dass das Fahrzeug von der „Abgasthematik EA189“ betroffen sei, führt das nicht zu einer Kenntnis des Klägers. Zu berücksichtigen ist, dass es sich bei dem Kläger um einen Laien handelt. Aus dem Hinweis „Abgasthematik EA189“ wird für den Laien allenfalls ersichtlich, dass das Fahrzeug von einer Abgasthematik betroffen ist. Es kann jedoch aufgrund dieses Hinweises nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger auch die Konsequenzen, die sich aus dieser Betroffenheit in rechtlicher und technischer Hinsicht ergeben können, klar gewesen sind Auch dem Kaufvertrag ist kein weitergehender Hinweis zu entnehmen.
Dass es sich bei diesem Vertrag um einen für den Kläger wirtschaftlich nachteiligen handelt, zeigt schon die Überlegung, dass kein verständiger Kunde ein Fahrzeug erwerben würde, dass ursprünglich, nämlich noch wenige Wochen vor dem Kauf, über eine gesetzeswidrige Motorsteuerungssoftware verfügte, wenn die Beklagte ihn vor dem Kauf konkret darauf hinweisen hätte (vgl. LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017, 3 O 139/16). Dem steht nicht entgegen, dass im Zeitpunkt des Kaufs das angebotene Software-Update bereits aufgespielt war. Denn allein das Aufspielen des Software-Updates führt nicht dazu, dass es sich vorliegend nicht um einen wirtschaftlich nachteiligen Vertrag handelt. Die Frage der Wirksamkeit und etwaige negative Folgen des Software-Updates sind in der öffentlichen Diskussion hoch umstritten. Letztlich bleibt das Fahrzeug stets mit dem Makel behaftet vom sog. „Abgasskandal“ betroffen zu sein. Hieraus folgt, dass es sich bei dem abgeschlossenen Kaufvertrag um einen für den Kläger wirtschaftlich nachteiligen Vertrag handelt.
Die von der Beklagten bei Inverkehrbringen des Motors vorgenommene Programmierung der Motorsteuerungssoftware war gesetzeswidrig. In der Verwendung von Abschaltvorrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge. Bei verständiger Auslegung ist die von der Beklagten installierte Programmierung als Abschalteinrichtung anzusehen. Denn sie setzt die zu einem geringeren Stickoxidausstoß führende, ausschließlich für den Prüfstand bestimmte Programmierung der Motorsteuerung im Modus 1 für den Fahrbetrieb auf der Straße außer Kraft mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb auf der Straße höher ist als auf dem Prüfstand. Umgekehrt wird die im normalen Fahrbetrieb wirksame Programmierung etwa für die Abgasrückführung auf dem Prüfstand außer Kraft gesetzt, indem die Motorsteuerung den sogenannten Modus 0, nämlich den Betriebszustand für den normalen Fahrbetrieb auf der Straße, zu Gunsten eines ausschließlich für den Prüfstandbetrieb bestimmten Modus abschaltet. Dies gilt unabhängig davon, ob tatsächlich eine Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem vorhanden ist oder aber lediglich eine Einwirkung auf einen „innermotorischen Vorgang“ erfolgt. Schon die Testzykluserkennung in Verbindung mit einer ausschließlich im Testzyklus erfolgenden Einwirkung auf die Abgasrückführung ist ein Verstoß gegen das Verbot von Abschalteinrichtungen. Zudem liegt auf der Hand, dass eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand nur sinnvoll ist und einen Vergleich von Fahrzeugen verschiedener Hersteller ermöglicht, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist, da ansonsten Manipulationen jedweder Art Tür und Tor geöffnet würden und eine Vergleichbarkeit selbst unter den dem realen Fahrbetrieb fernen, genormten Prüfstandbedingungen nicht mehr herzustellen wäre. Eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung kann deshalb nur als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden (LG Hildesheim, a.a.O.).
c) Die schädigende Handlung ist der Beklagten zuzurechnen. Der objektive Tatbestand des § 826 BGB – rechtsgeschäftliches Inverkehrbringen des Motors unter Verschweigen der bis zum Software-Update vorhandenen Programmierung – wurde von Personen verwirklicht, deren Verhalten sich die Beklagte gemäß §§ 166, 831 BGB zurechnen lassen muss, nämlich von ihren Mitarbeitern. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Schutzzweckzusammenhang unterbrochen ist. Der Verweis der Beklagten auf die Ad-hoc Mitteilung vom 22.09.2015 und die mediale Berichterstattung lassen nicht den Schluss zu, dass die Beklagte alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um die Auswirkungen des Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu begrenzen.
d) Das Verhalten der Beklagten verstieß gegen die guten Sitten.
Objektiv sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Abzustellen ist auf die in der Gemeinschaft oder in der beteiligten Gruppe anerkannten moralischen Anschauungen. Dabei ist ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen (BGHZ 10, 232); besonders strenge Anschauungen sind ebenso wie besonders laxe Auffassungen unbeachtlich (Palandt, BGB, 76. Aufl., § 826 Rn. 4 und § 138 Rn. 2 ff.). Hinzutreten muss zu der objektiven Sittenwidrigkeit eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (Palandt, a.a.O., § 826 Rn. 4). Der BGH (Urteil v. 03.12.2013, Az. XI ZR295/12, NJW 2014, 1098) hat hierzu ausgeführt: „Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (BGH, Urt. v. 20.11.2012, Az. VI ZR268/11, WM 2012, 2377 Rn. 25 und vom 04.06.2013, Az. VI ZR 288/12, WM 2013, 1310 Rn. 14, jeweils m.w.N.). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (BGH, Urt. v. 20.11.2012, VI ZR 268/11, a.a.O. und v. 04.06.2013, VI ZR 288/12, a.a.O., jeweils m.w.N.).“
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Verhalten der Beklagten sittenwidrig: Die Täuschung durch die Beklagte diente – andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit. Hinzu tritt, dass die Beklagte durch die Manipulation der Motorsteuerungssoftware einen Teil des Motors beeinflusst hat, den ein technischer Laie keinesfalls und selbst ein Fachmann nur mit Mühe durchschaut, so dass die Entdeckung der Manipulation mehr oder weniger vom Zufall abhing und die Beklagte darauf hoffen konnte, niemals erwischt zu werden. Ein solches die Verbraucher täuschendes Verhalten ist auch bei Anwendung eines durchschnittlichen, nicht übermäßig strengen Maßstabs als sittenwidrig anzusehen. Das Verhalten der Beklagten wiegt umso schwerer, als es sich beim Kauf eines PKW für viele Verbraucher um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht mit oft deutlichen finanziellen Belastungen handelt, die durch das unredliche Verhalten der Beklagten nachteilig beeinflusst worden ist. Die Beklagte hat die Ahnungslosigkeit der Verbraucher bewusst zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt (LG Hildesheim, a.a.O.).
Die Täuschung scheidet auch nicht aufgrund der Kenntnis des Klägers von der ursprünglich beim streitgegenständlichen Fahrzeug vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtung aus. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses keine entsprechende Kenntnis hatte (s.o.).
e) Die Beklagte hat dem Kläger den Schaden vorsätzlich zugefügt. Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass den betreffenden verantwortlichen Mitarbeitern der Beklagten völlig klar war, dass die Beklagte Dieselmotoren verkaufte, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Käufer der mit diesen Motoren ausgestatteten Fahrzeuge für sie jeweils wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen. Den Verantwortlichen waren auch die oben genannten objektiven Umstände bekannt, die das Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen.
Für die Zurechnung des Vorsatzes sind der Beklagten als Unternehmen nach § 166 Abs. 1 BGB die Kenntnisse aller Mitarbeiter zuzurechnen; die bei der Bearbeitung des inkriminierten Geschäfts mitgewirkt haben (Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB, Rn. 39; KG Berlin, BeckRS 2015, 15908 Rn. 51 f.). Das In-Verkehr-Bringen des streitgegenständlichen Motors bewirkte die Beklagte im rechtsgeschäftlichen Verkehr, auch wenn eine Veräußerung nicht direkt an den Kläger, sondern mittels weiterer Beteiligter erfolgte. Aus Gründen des Verkehrsschutzes ist es sachgerecht, einer juristischen Person im rechtsgeschäftlichen Verkehr in weiterem Umfang das Wissen von Mitarbeitern hinsichtlich solcher Vorgänge zuzurechnen, deren Relevanz für spätere Geschäftsvorgänge innerhalb des Organisationsbereichs dem Wissenden erkennbar ist und die deshalb dokumentiert und verfügbar gehalten oder an andere Personen innerhalb des Organisationsbereichs weitergegeben werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2001, VI ZR 12/00). Nach don Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Organisation wäre es bei der massenhaften Verwendung der streitgegenständlichen Software in Neufahrzeugen bzw. in von der Beklagten an Drittunternehmen gelieferten Motoren zwingend geboten gewesen, eine entsprechende Dokumentation vorzunehmen und den Vorstand über die maßgeblichen Umstände zu informieren.
Darüber hinaus ist der Beklagten auch über § 31 BGB das Verhalten ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter zuzurechnen. Denn die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast zu der Frage, welches ihrer Organe Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatte und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst hat trotz entsprechenden Hinweises der Klägerseite nicht nachgekommen. Der Kläger hat naturgemäß keinerlei Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten und ist auf Veröffentlichungen der Medien und auf Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen. Er hat den ihm insoweit zuzumutenden Vortrag erbracht. Die Beklagte hingegen hat jede Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse darzulegen, um es so dem Kläger zu ermöglichen, seinerseits die ihm obliegende weitergehende Darlegung und den erforderlichen Beweisantritt vornehmen zu können. Der Vortrag der Beklagten, es lägen keine Erkenntnisse vor, dass maßgebliche Organe der Beklagten erkannt hätten oder sich damit abgefunden hätten, dass Fahrzeuge objektiv mangelhaft waren öder den Käufern ein Schaden durch den Erwerb entstehe, ist unzureichend und genügt § 138 Abs. 1 ZPO, wonach die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben haben, nicht (LG Hildesheim, a.a.O.). Deshalb ist vorliegend mangels substantiierter gegenteiliger Darlegung durch die Beklagte davon auszugehen, dass die Entscheidung vom Vorstand angeordnet oder doch jedenfalls „abgesegnet“ worden ist.
f) Der Vermögensschaden des Klägers wurde durch das vorsätzliche und sittenwidrige Verhalten der Beklagten verursacht. Die Haftung wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die oben genannte EU-Verordnung Nr. 715/2007 nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen diene. Verletzte Verhaltensnorm ist vorliegend das Verbot, einen anderen durch Täuschung über maßgebliche Umstände zu einem ihm nachteiligen Vertragsabschluss zu bewegen. Der Schutzzweckzusammenhang ist gegeben.
g) Rechtsfolge der gegen die guten Sitten verstoßenden vorsätzlichen Schädigung ist ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz. Der Kläger ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB). Der Schadensersatzanspruch des Klägers geht deshalb dahin, dass die Beklagte ihn so stellen muss, wie er ohne die Täuschung über die bis zum Software-Update im August 2016 vorhandene, nicht gesetzeskonforme Motorsteuerungssoftware gestanden hätte. Insoweit ist ohne weiteres davon auszugehen, dass der Kläger – wie jeder verständige Kunde – bei Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken den Vertrag nicht geschlossen hätte. Die Beklagte muss danach die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs dadurch ungeschehen machen, dass sie den Kaufpreis gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs erstattet.
Dabei muss der Kläger sich nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Der Einwand des Klägers, es habe keine rechtliche Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs gegeben, verfängt nicht. Das Fahrzeug konnte zumindest tatsächlich genutzt werden. Der Wert der gezogenen Nutzungen ist entsprechend der unbestrittenen Darlegung des Klägers zum Kilometerstand seines Fahrzeugs gemäß § 287 ZPO auf 2.868,31 € zu schätzen. Dabei ist eine Gesamtlaufleistung des gerichtsbekannt robusten Fahrzeugs von 250.000 km zugrunde zu legen. Bei Gebrauchtfahrzeugen ergibt sich der Nutzungswert je km aus einer Division des Bruttokaufpreises (25.800,00 €) durch die zu erwartende Restlaufleistung (250.000 km – 72.550 km), wobei von der erwarteten Gesamtlaufleistung die bereits gefahrenen Kilometer bei Kauf abzuziehen sind (vgl. NJW 2018, 1713). Für die gefahrenen 19.728 km (92.278 km – 72.550 km) ergibt sich damit der genannte Betrag. Für höhere gezogene Nutzungen wäre die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet gewesen.
Nach Abzug der Nutzungen in Höhe von 2.868,31 € ergibt sich ein Zahlungsanspruch in Höhe von 22.931,69 €. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Klageantrags war die Klage abzuweisen.
2. Die tenorierte Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen in beantragter Höhe ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, 288 Abs. 1, 291, 247 Abs. 1 BGB.
Die Beklagte wurde mit Schreiben der Klägervertreter vom 23.07.2018 (Anlage K 10) erfolglos zur Rücknahme des Fahrzeugs und Erstattung des gezahlten Kaufpreises bis zum 30.07.2018 aufgefordert und befindet sich mit Ablauf der Zahlungsfrist gemäß § 286 Abs. 1 BGB in Verzug. Es ist zulässig, die Mahnung mit der die Fälligkeit begründenden Handlung zu verbinden (vgl. Palandt, a.a.O., § 286 Rn. 16). Anhaltspunkte für ihr fehlendes Verschulden hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. Palandt, a.a.O., § 286 Rn. 32) nicht vorgetragen, § 286 Abs. 4 BGB. Die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen in beantragter Höhe ab dem 31.07.2018 ergibt sich damit aus §§ 288 Abs. 1, 247 Abs. 1 BGB.
Hinsichtlich der darüber hinaus begehrten Zinsen war die Klage aus den vorgenannten Gründen als unbegründet abzuweisen.
3. Nachdem der Kläger der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 23.07.2017 (Anlage K10) das Fahrzeug gegen Zahlung des Kaufpreises ausdrücklich angeboten hat, war antragsgemäß der diesbezügliche Annahmeverzug der Beklagten festzustellen.
4. Ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht nicht. Die Beklagte hat die Bezahlung vorgerichtlichen Anwaltskosten durch den Kläger bestritten. Der Kläger hat hierzu weder vorgetragen, noch für die Zahlung Beweis angeboten. Daher bestünde im Rahmen des Schadenersatzanspruchs lediglich ein Anspruch auf Freistellung, der aber nicht geltend gemacht wurde.
III.
1. Die, Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. ZPO und entspricht dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Parteien.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich für den Kläger aus § 709 Satz 1, 2 ZPO, für die Beklagte aus §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1, 2 ZPO.


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