IT- und Medienrecht

Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal

Aktenzeichen  81 O 571/19

Datum:
10.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30890
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 249 Abs. 1, § 826
ZPO § 287

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.794 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.04.2019 Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs Audi A4 Avant, 2.0 TDI mit der FIN zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
5. Der Streitwert wird auf 28.150 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Das Feststellungsinteresse für den Klageantrag zu 2. folgt aus § 756 Abs. 1 ZPO.
II.
Die Klage ist teilweise begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, muss sich allerdings die gezogenen Gebrauchsvorteile anrechnen lassen. Der zu leistende Betrag ist zu verzinsen.
Der klägerische Anspruch ergibt sich aus § 826 BGB. Die Beklagte hat dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt.
Die Handlung, durch die die Beklagte die Klagepartei geschädigt hat, war das Inverkehrbringen von Dieselmotoren zum Zweck des Weiterverkaufs, deren Motorsteuerung so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im NEFZ erkannte und die Abgasbehandlung in den sogenannten Modus 1 versetzte, wobei die Beklagte das Vorhandensein der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung verschwieg. An der Unzulässigkeit der installierten Einrichtungen ist spätestens seit der vom KBA angeordneten Rückrufaktion nicht mehr zu zweifeln.
Die schädigende Handlung ist der Beklagten zuzurechnen.
Im Rahmen der Repräsentantenhaftung wird auch denjenigen Personen das deliktische Handeln der Mitarbeiter nach § 31 BGB zugerechnet, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren, wobei es nicht notwendigerweise auf die satzungsgemäße Vertretung der juristischen Person ankommt.
Es bedarf keiner konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich handelte. Dies festzustellen ist der Klagepartei, die keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten hat, nicht dezidiert möglich. Sie hat jedoch – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – substantiiert vorgetragen, so dass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen. Beides ist nicht erfolgt.
Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die jeweiligen Repräsentanten Kenntnis zur Zeit der Software-Entwicklung hatten. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge. Eine Kenntnis der entsprechenden Repräsentanten zu diesem Zeitpunkt liegt jedoch unzweifelhaft vor. Ein eigenmächtiges Handeln von Mitarbeitern, die nicht als Repräsentanten im obigen Sinne zu sehen sind, ist zur Überzeugung des Gerichts nicht vorstellbar.
Der Kläger hat auch substantiiert dazu vorgetragen, dass es sich bei den Modellen der Beklagten um Gemeinschaftsentwicklungen mit der Volkswagen AG handele, bei der die Technik der Fahrzeuge in konzernübergreifender Plattformbauweise neben der Konzernmutter auch den Töchtern zur Verfügung stünden und im Wesentlichen durch unterschiedliche Karosserien markenspezifisches Design erreicht werde. Damit widerspricht er der Darstellung der Beklagten, dass der streitgegenständliche Motor allein von der Volkswagen AG entwickelt worden sei und die Beklagte sich daher keine mangelhafte Organisation vorwerfen lassen müsse. Weiterhin hat der Kläger dargestellt, dass durch die Überkreuzregelungen der Vorstände der einzelnen mit der Volkswagen AG verbundenen Unternehmen die wesentlichen Entscheidungen von denselben Entscheidungsträgern getroffen worden seien und dementsprechend auch die Kenntnis von den Manipulationen konzernübergreifend vorhanden war, wobei er Namen und Funktionen beteiligter Funktionsträger benennt. Die Beklagte hat hierauf nicht substantiiert erwidert, sondern sich mit dem Hinweis begnügt, dass insoweit ein substantiierter Sachvortrag der Klageseite nicht vorliege.
Die Beklagte hat der Klagepartei den Schaden vorsätzlich zugefügt. Die Programmierung der hier in Rede stehenden Software setzt eine aktive und ergebnisorientierte präzise Programmierung der Motorsteuersoftware voraus. Die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes ist daher ausgeschlossen, so dass es keiner weiteren Beweisaufnahme hierzu bedurfte. Dasselbe gilt für die Verwendung des Motors, in dem die Software implementiert war.
Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte muss ebenso davon ausgegangen werden, dass den Organen der Beklagten völlig klar war, dass die Beklagte Dieselmotoren in den von ihr hergestellten Fahrzeugen verkaufte, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Kunden der Beklagten selbst sowie die Käufer von betroffenen Gebrauchtwagen wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen.
Das Verhalten der Beklagten verstieß auch gegen die guten Sitten.
Die Beklagte hat aufgrund einer für den Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrtbundesamt systematisch, langjährig und in großem Umfang Fahrzeuge mit Motoren mit unzulässigen Abschalteinrichtungen in den Verkehr gebracht, womit eine erhöhte Belastung der Umwelt sowie die Gefahr einhergegangen ist, dass bei der Aufdeckung des Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen kann. Die Beklagte hat sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt gleichgültig gezeigt. Die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäuferauch der Gebrauchtwagenskäuferhat sich die Beklagte gezielt zunutze gemacht, was einer bewussten arglistigen Täuschung derjenigen, die ein solches Fahrzeug erwerben, gleichsteht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, Randziffer 16f – zitiert nach juris).
Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite führt das Verhalten der Beklagten nicht dazu, dass der ihr gegenüber erhobene Vorwurf der Sittenwidrigkeit gerade im Hinblick auf den Schaden, der dem Kläger durch den Abschluss des ungewollten Kaufvertrags im Januar 2016 entstanden ist, nicht mehr gerechtfertigt ist.
Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass bei der gebotenen Gesamtbetrachtung auch das Verhalten der Beklagten (nach dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs) bis zum Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags zu berücksichtigen ist und zur Folge haben kann, dass in Fällen wie dem streitgegenständlichen zum Zeitpunkt des Erwerbs des Gebrauchtfahrzeugs durch den Kläger als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Verhaltens als sittenwidrig (vergleiche OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11. 2019, 10 U 199/19, NZV 20,196 Randziffer 44. m.w. N.) eine sittenwidrige Veranlassung durch die Beklagte nicht mehr vorliegt.
Das Gericht vertritt hierbei bereits die Auffassung, dass die Maßnahmen des Mutterkonzerns der Beklagten unter Hinweis auf die Betroffenheit zahlreicher weiterer Fahrzeuge des gesamten Konzerns nicht ausreichend waren, um auch für die Beklagte das Verdikt der Sittenwidrigkeit entfallen zu lassen. Die Maßnahmen des Mutterkonzerns lassen auch nicht den notwendigen Schluss darauf zu, dass die strategische unternehmerische Entscheidung der Beklagten, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse das KBA und letztlich die Fahrzeugkäufer zu täuschen, durch die Strategie, an die Öffentlichkeit zu treten, Unregelmäßigkeiten einzuräumen und in Zusammenarbeit mit dem KBA Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustands zu erarbeiten, um der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder-Untersagung zu bannen, ersetzt worden wäre. Auch die durch den Mutterkonzern vorgenommene Entwicklung und Bereitstellung eines Software-Updates für das streitgegenständliche Fahrzeug kann der Beklagten insoweit nicht zur Entlastung gereichen. Auch die umfassende mediale Berichterstattung, mit der die Problematik der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, kann bei der Beurteilung, welche Anstrengungen von der Beklagten zu unternehmen waren, um ihr Verhalten im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung als nicht sittenwidrig erscheinen zu lassen, zugunsten der Beklagten allenfalls geringfügige Berücksichtigung finden, ohne in der Gesamtbetrachtung die Sittenwidrigkeit entfallen zu lassen. Die mediale Berichterstattung wurde nahezu ausschließlich durch die Presseabteilung der Volkswagen AG initiiert und war in Folge davon auch in erster Linie als „VW-ABGASSKANDAL“ ein wichtiges Thema. Auch die weiteren Themen Einrichtung eines Links zu einer Suchmaschine auf der Webseite, Maßnahme des KBA und die Bereitstellung Software-Updates wurden in 1. Linie mit der Volkswagen AG und nicht mit der Beklagten in Verbindung gebracht. Sofern diese Maßnahmen überhaupt mit einer Verhaltensänderung in Verbindung gebracht werden können, ist es jedenfalls nicht möglich, hieraus eine Verhaltensänderung der Beklagten zu schlussfolgern.
Dies gilt nach Auffassung des Gerichts umso mehr, als die Beklagte gerichtsbekannt über den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs hinaus bis zum Abschluss des Kaufvertrags in zahlreichen weiteren von ihr produzierten und entwickelten Fahrzeugen, in denen sich von ihr entwickelte und produzierte Motoren befanden, unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet hat. Vor diesem Hintergrund scheint die Annahme eines Gesinnungswechsels, der das Verdikt der Sittenwidrigkeit entfallen lässt, nicht darstellbar.
Der Klagepartei ist durch die Bindung an einen nicht erwartungsgerechten Vertrag ein Schaden entstanden, der einen Anspruch auf Schadensersatz in Gestalt der Rückabwicklung des Fahrzeugerwerbs auslöst gemäß §§ 249 ff. BGB.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch bei objektiver Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eine Verpflichtung zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB gegeben, wenn ein getäuschter Vertragspartner den Vertrag ohne das haftungsauslösende Verhalten, also die Ausstellung der unrichtigen Bescheinigung, nicht eingegangen wäre (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; BGH NJW 2010, 2506; VersR 2012, 1237). Voraussetzung ist lediglich, dass der Geschädigte die erfolgte Vertragsbindung nicht willkürlich als Schaden ansieht, sondern dass sie sich auch nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als unvernünftig erweist (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW 2005, 1579). Hierfür genügt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, dass die Leistung des anderen Vertragspartners, obwohl objektiv werthaltig, für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht vollumfänglich brauchbar ist (BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; VersR 2012, 1237; NJW-RR 2014, 277). Der Schaden besteht dann allein in dem durch das haftungsauslösende Verhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen (BGH NJW 2010, 2506) und in der Entstehung einer ungewollten Verpflichtung aus diesem Vertragsverhältnis (BGH NJW-RR 2005, 611).
Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall an, führt dies zu dem Ergebnis, dass ein Fahrzeugerwerber – hier: der Kläger – infolge des dem Hersteller zur Last fallenden Fehlverhaltens eine zweckwidrige Vertragsbindung eingegangen ist, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führt. Hätte der Hersteller keine unrichtige Übereinstimmungsbescheinigung erteilt und stattdessen offengelegt, dass die in Verkehr gebrachten Fahrzeuge gerade keinem genehmigten Typ entsprechen, hätten deren Erwerber davon abgesehen, diese Fahrzeuge zu kaufen.
Der Kläger hat dargelegt, dass ihm beim Kauf wichtig war, dass die Beklagte ein renommierter Hersteller sei, er das Fahrzeug deshalb für „sauber“ gehalten habe und er auf den geringeren Spritverbrauch eines Dieselfahrzeugs im Vergleich mit Benzinern Wert gelegt habe.
Letzlich kommt es auf das konkrete Motiv des Klägers nicht an. Beim Fahrzeugkauf handelt es sich im Regelfall um eine der größten Investitionen eines Privatkäufers, Spontankäufe sind daher eher selten und die Entscheidung für bzw. gegen ein bestimmtes Fahrzeug erfolgt in Abwägung diverser Kriterien, somit liegt dieser Entscheidung zumeist ein Motivbündel zu Grunde. Aus Sicht des Gerichts ist aber jeder Erwerber interessiert daran, ein Fahrzeug zu erwerben, dessen Produktion und Inverkehrgabe keinen rechtlichen Bedenken unterliegt. Jedenfalls lässt sich keinem Erwerber unterstellen, ihm wäre gleichgültig, ob das Fahrzeug ordnungsgemäß produziert und in den Verkehr gebracht worden ist oder nicht. Die Investition in ein neues Fahrzeug, das diese Eigenschaft nicht aufweist, ist aus Sicht des jeweiligen Erwerbers dann zweckwidrig, selbst wenn man unterstellt, dass das haftungsträchtige Verhalten zu keinerlei in Geld zu bemessender Einbuße geführt hat.
Hierin liegt auch kein allgemeiner Vermögensschutz, der im Deliktsrecht ja gerade nicht gelten soll, sondern es wird konkret auf den Vertragsschluss als Schaden abgestellt.
Damit kann auch das durchgeführte Softwareupdate den einmal eingetretenen Schaden, nämlich die Bindung an den so nicht gewollten Vertrag, nicht beseitigen.
Unabhängig von der Frage, ob dieses im Hinblick auf seine höchst umstrittenen Folgen überhaupt geeignet ist, den Schaden zu beseitigen, kommt es auf dessen Wirkung nicht an. Maßgeblich für die Frage des Schadens ist der Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs. Der Schadenseintritt war zu diesem Zeitpunkt erfolgt. Dem Deliktsrecht ist eine Nacherfüllungsverpflichtung, wie sie das Kaufrecht vorsieht, fremd.
Hinzu kommt, dass der Kläger das Softwareupdate nicht aus Gründen der Schadensbeseitigung hat durchführen lassen, sondern weil das Fahrzeug von der vom KBA angeordneten Rückrufaktion betroffen war und anderenfalls eine Betriebsuntersagung gedroht hätte. In der Durchführung des Updates kann daher kein Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gesehen werden.
Da es hier nicht um den Schutz des Vermögens geht, sondern der Vertrag als solcher den zu beseitigenden Schaden darstellt, hat der Kläger zwar Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, muss sich aber die erlangten Gebrauchsvorteile im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB in Abzug bringen lassen.
Die Nutzungsentschädigung, die die Klagepartei an die Beklagte im Wege der Zug-um-Zug-Rückabwicklung zu entrichten hat, ist im vorliegenden Fall auf 14.536 € gerundet festzusetzen. Dies ergibt sich nach gerichtlicher Schätzung gemäß § 287 ZPO.
Bei der Bemessung des der Nutzungsentschädigung der Höhe nach ist das Gericht im Rahmen des sich aus § 287 ZPO ergebenden Schätzungermessens von dem vom Kläger gezahlten Bruttokaufpreis, der den (Rest-)Nutzungswert des Fahrzeugs verkörpert. ausgegangen. Die unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrleistung, die vom Gericht im vorliegenden Fall mit 300.000 km angenommen wird, stellt den Gebrauchswert dar. Zu vergüten sind die Gebrauchsvorteile bis zur Rückgabe des Fahrzeugs.
Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die nach der Formel „Gebrauchsvorteil = (Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer) / erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt“ ermittelten Gebrauchsvorteile, in deren Rahmen jeder gefahrene Kilometer gleich bewertet wird, den tatsächlichen Gebrauchsvorteil des Klägers nicht in angemessener Weise widerspiegeln.
Das Gericht ist zunächst davon ausgegangen, dass der vom Kläger bezahlte Kaufpreis von 28.150 € bei einer vom Gericht erwarteten Gesamtlaufleistung von 300.000 km des streitgegenständlichen Fahrzeugs einer verbleibenden Fahrleistung von 299.999 km entspricht.
Das Gericht konnte sich hierbei keine Überzeugung vom klägerischen Vortrag bilden, wonach das Fahrzeug bei seinem Ankauf einen Kilometerstand von 17.500 km aufwies. Der hierzu angehörte Kläger hat in seiner Anhörung den entsprechenden Kilometerstand durch die vorstehenden Worte „nach meiner Erinnerung“ eingeschränkt. Nähere Darlegungen, warum er sich noch an den Kilometerstand zu erinnern glaubt, obwohl er den Wagen bereits mehr als viereinhalb Jahre zuvor erworben hat, vermochte er nicht abzugeben. Der Kilometerstand selbst lässt sich dem ohnehin nur rudimentär ausgefüllten Kaufvertrag nicht entnehmen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass das Kraftfahrzeug im Zeitpunkt des Verkaufs einen runden Kilometerstand wie den geschilderten aufwies. Angesichts der Tatsache, dass das Fahrzeug insoweit unbestritten von der Beklagtenseite den Zeitpunkt des Ankäufe vom privaten Vorbesitzer bereits gebraucht war geht das Gericht zugunsten der Beklagten von einem Kilometerstand von 1 km aus, der angesichts der unstreitigen Fahrleistung von 102.493 km im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einer durch den Kläger absolvierten Fahrtstrecke von 102.492 km entspricht.
Das Gericht geht allerdings davon aus, dass die zeitanteilige lineare Wertminderung den tatsächlichen Umständen, insbesondere dem Umstand, dass nach einem Zeitablauf von ca. 3 Jahren bzw. einer Laufleistung von ca. 50.000 km eine Halbierung des Fahrzeugwerts eingetreten ist, nicht ausreichend Rechnung trägt. Das Gericht hält es demgegenüber für vorzugswürdig, diesem Umstand dadurch Rechnung zu tragen, dass die Gesamtlaufleistung in 3 Einzelgruppen von 0-50.000, von von 50.001-150.000 km und von 150.001-300.000 km aufgeteilt wird. Der 1. Gruppe wird dabei ein ein dreifacher Wert, der 2. Gruppe ein zweifacher Werten, der letzten Gruppe ein einfacher Wert je gefahrenen km zugewiesen.
Im vorliegenden Fall verkörpert der gezahlte Bruttokaufpreis den Gegenwert für eine Restfahrleistung von noch 49.999 km in der Gruppe 1 und 100.000 km der Gruppe 2 und 150.000 km der Gruppe 3. Angesichts des Tachostands im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung von 102.493 km hat der Kläger damit 49.999 km aus Gruppe 1 und 52.493 km aus Gruppe 2 gefahren. Der ihm daraus erwachsene Gebrauchsvorteil errechnet sich damit als Quotient aus der gefahrenen km-Leistung anhand der Eingruppierung und der (fiktiven) Restfahrleistung ab Kauf unter Berücksichtigung der Eingruppierung in Höhe von  
Es verbleibt ein dem Kläger zustehender (Rück-)Zahlungsanspruch von 28.150 € – 14.356 € = 13.794 €.
Der mit Klage vom 11.06.2019 verfolgte Anspruch ist auch nicht verjährt.
Der klägerische Anspruch ist erst ab Rechtshängigkeit zu verzinsen (§§ 286,291 BGB). Im vorgelegten Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 27.12.2018 kann insoweit keine verzugsauslösende Handlung gesehen werden, da insoweit im Hinblick auf die angebotene Zug-um-Zug Rückabwicklung nicht die erforderlichen Angaben enthalten waren. Insbesondere fehlte die genaue Mitteilung des Kilometerstands des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Erwerbs und des Schreibens. Nur dadurch wäre die Beklagte in die Lage versetzt worden, die (angebotene) korrespondierende Nutzungsersatzleistung konkret zu berechnen.
III.
Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
Bezüglich des Klageantrags zu 1) war über den zuletzt gestellten Antrag hinaus Nutzungsersatz anzusetzen und in Abzug zu bringen (siehe hierzu oben).
Zinsen nach § 849 BGB schuldet die Beklagte nicht. § 849 BGB ist bereits dem Wortlaut nach nicht anwendbar. Die Beklagte hat weder eine Sache der Klagepartei entzogen noch beschädigt. Auch an einer Regelungslücke fehlt es vorliegend bei der auch im Deliktsrecht nur in engen Fallgruppen greifenden Regelung des § 849 BGB, so dass eine analoge Anwendung ebenfalls ausscheidet.
Der Antrag zu 2) ist zwar zulässig, das Feststellungsinteresse ergibt sich aus § 756 I ZPO. Die materiellen Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 293ff. BGB liegen jedoch nicht vor. Zwar kann grundsätzlich ein wörtliches Angebot in der auf Zug-um-Zug-Leistung gerichteten Klageerhebung zu sehen sein (BGH, Urteil vom 15.11.1996 -V ZR 292/95). Die Klagepartei hat sich vorliegend gemäß ihrer Argumentation jedoch keinen Nutzungsersatz anrechnen lassen wollen, so dass es an einem hinreichend konkreten Angebot fehlt (so auch LG Bonn Urt. v. 27.3.2019 – 1 O 394/17, BeckRS 2019, 5725).
Auch der Antrag zu 3) ist zulässig aber unbegründet.
Die zur Erstattung geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten konnten nicht zugesprochen werden. Die Beauftragung der jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der außergerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen war nicht erforderlich (§ 249 Absatz 1 BGB). Die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei, die gerichtsbekannt eine Vielzahl von Diesel-Käufern gegenüber der Beklagten vertreten, mussten wissen, dass die Beklagte außergerichtlich nicht leistungsbereit war, so dass eine über die Klagevorbereitung hinausgehende Tätigkeit wegen ersichtlicher Erfolglosigkeit überflüssig war (OLG Oldenburg, Urteil vom 30.10.2019 – 14 U 93/19).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 269 Abs. 3, 92 Abs. 1 ZPO. Das Gericht wertet den zuletzt gestellten Sachantrag, mit dem der Kläger nunmehr entgegen der ursprünglichen Klageerhebung einen Teil des geltend gemachten Zinsanspruchs nicht mehr verfolgen will und eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.191 € berücksichtigt wissen wollte, wodurch sich der von ihm ursprünglich gestellte Zahlungsantrag in derselben Höhe reduzierte, als (Teil-)Klagerücknahme. Die Klägerseite hat zwar in dem zunächst gestellten Sachantrag den von ihr geltend gemachten Schadensersatz „abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs“ geltend gemacht. Sie hat es jedoch im weiteren unterlassen, die Nutzungsentschädigung auf Grundlage der bei Klageeinreichung maßgeblichen Tatsachen, insbesondere des damaligen Kilometerstandes des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu berechnen und von der Klageforderung in Abzug zu bringen. Dies wird vom Gericht dahingehend gewertet, dass die Klageseite sich entgegen der rein verbal erklärten Bereitschaft tatsächlich keine Nutzungsentschädigung entgegenhalten lassen wollte.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708, 709 ZPO.
IV.
Für den Streitwert waren Zinsen und sonstige Nebenforderungen sowie die Zug-um-Zug-Leistungen nicht zu berücksichtigen; wegen der Identität des Streitgegenstands erfolgt auch keine wertmäßige Berücksichtigung des Klageantrags zu 2.


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