IT- und Medienrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Kaufpreis, Kaufvertrag, Marke, Fahrzeug, Annahmeverzug, Leistungen, Anspruch, Software, Bank, Zulassung, Herausgabe, Gegenstandswert, Zug um Zug, unerlaubte Handlung, Herausgabe des Fahrzeugs

Aktenzeichen  34 O 716/21

Datum:
30.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24604
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.194,84 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.05.2021 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Seat vom Typ Altea, Freetrack 2.0 TDI 4×4 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
2. Es wird festgestellt, dass der unter Ziffer 1. ausgeurteilte Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Forderung des Antrags unter 1. in der Höhe des vom Gericht festgesetzten Anspruchs der Beklagten auf Nutzungsersatz für die von der Klägerin zwischen Rechtshängigkeit der Klage und dem Termin der letzten mündlichen Verhandlung gezogenen Nutzungen von 1.900 km, also 215,60 € erledigt hat.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 37 % und die Beklagte 63 % zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
7. Der Streitwert wird auf 10.143,79 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Das Landgericht Regensburg ist nach § 32 ZPO örtlich zuständig. Deliktischer Erfolgsort ist der Sitz der Klagepartei, da dort der Schaden eingetreten ist. Da der Schadenseintritt selbst zum Tatbestand der Rechtsgutsverletzung gehört, ist der Ort des Schadenseintritts Verletzungs- und damit Begehungsort (Zöller – Schultzky, 32 Auflage 2018, § 32 Rn. 19). Ort des Schadenseintritts ist der Wohnort der Klagepartei als Geschädigte (vgl. BeckOK ZPO/Toussaint, a.a.O. Rn. 12.1), welcher sich im Moment des Vertragsschlusses im hiesigen Bezirk befand. Dort wurde durch die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit in die Rechtsgüter der Klagepartei eingegriffen.
Der Kläger hat – unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung – gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 826, 31 BGB, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Ob dieser Anspruch verjährt ist, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, da er jedenfalls gemäß § 852 BGB weiterhin durchsetzbar bleibt.
Aufgrund der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, dessen gesetzliche Abgasgrenzwerte bewusst durch eine unzulässige Abschalteinrichtung lediglich auf dem Prüfstand eingehalten werden, ist die Beklagte zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19) und bleibt nach Eintritt der Verjährung im Rahmen des § 852 BGB auch bei einem Gebrauchtfahrzeug zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet (LG Hildesheim, Urteil vom 05. März 2021 – 5 O 217/20, Rn. 74 juris; LG Trier, Urteil vom 28. April 2021 – 5 O 545/20, BeckRS 2021, 9908 Rn. 74; Bruns NJW 2021, 1121).
Im Einzelnen:
Die Beklagte fügte der Klagepartei in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zu, §§ 826, 31 BGB. Denn sie entschied in einer nach den Gesamtumständen sittenwidrigen Art und Weise, dass der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattete Motor EA 189 in unterschiedliche Fahrzeugtypen ihrer Konzernunternehmen und damit auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingebaut und dieser sodann mit der erschlichenen Typgenehmigung in Verkehr gebracht wurde. Durch diese Entscheidung ist der Klagepartei kausal ein Schaden entstanden, der im Abschluss des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug zu sehen ist. Schließlich hatte die Beklagte im Zeitpunkt ihrer Entscheidung Kenntnis von dem Eintritt dieses Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens für den Eintritt des Schadens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände, so dass die Beklagte der Klagepartei gegenüber aus §§ 826, 31 BGB für die Schäden haftet (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19).
Der Schaden des Käufers liegt in der Belastung mit der ungewollten Verbindlichkeit, nicht erst in dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteilen. Allein maßgebend ist, dass der abgeschlossene Vertrag, nämlich die Eigenschaften des Kaufgegenstands, nicht den berechtigten Erwartungen des Getäuschten entsprach und überdies die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 -, juris Rn. 16 ff.). Seide Voraussetzungen waren im maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses gegeben, weil vorliegend wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung die Entziehung der EG-Typgenehmigung bei Aufdeckung der manipulierten Software drohte bzw. die Anordnung von Nebenbestimmungen sowie bei deren Nichterfüllung die Stilllegung des Fahrzeugs. Wegen des zur Rechtswidrigkeit der EG Typgenehmigung führenden und damit die Zulassung des Fahrzeugs gefährdenden Mangels ist gerade der intendierte Hauptzweck des Fahrzeugs, dieses im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, bereits vor der tatsächlichen Stilllegung unmittelbar gefährdet (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2019 – VIII ZR 225/17 -, juris Rn. 22), was bereits einen Schaden darstellt (ebenso OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019 – 5 U 1318/18 -, juris Rn. 85; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 – 13 U 142/18 -, juris Rn. 19; Urteil vom 18. Juli 2019 – 17 U 160/18 -, juris Rn. 97).
Der Klagepartei hätte schon bei lebensnaher Betrachtung das Fahrzeug nicht erworben, wenn sie gewusst hätte, dass diesem einmal die Stilllegung aufgrund Manipulation bzw. aufgrund des Erschleichens der Typengenehmigung drohen würde. Es liegt im Übrigen auf der Hand, dass der Käufer davon ausgeht, dass mit dem hergestellten Fahrzeug alles in Ordnung ist und er im Rahmen der Zulassung davon ausgehen kann, dass keine Betriebsuntersagung droht, vor allem keine, welche durch eine Manipulation in der Motorsteuerungssoftware zur Täuschung des KBA ihre Ursache hat, deren Konsequenzen für das Fahrzeug (Update zulässig und unschädlich oder Stilllegung) unabsehbar sind.
In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Kausalität des eigenen Verhaltens für den Eintritt des Schadens und der das Sittenwidrigkeitsurteil begründenden tatsächlichen Umstände voraus. Davon ist auf Beklagtenseite nach der zitierten Rechtsprechung des BGH unzweifelhaft auszugehen, nachdem die Beklagte hier sich nicht anderweitig substantiiert einlässt.
Als Rechtsfolge muss die Klägerin von der ungewollten Verbindlichkeit befreit werden, das heißt, dass sie den gezahlten Kaufpreis zurückverlangen kann (abzüglich Nutzungsentschädigung), Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Nach § 249 BGB ist im Rahmen des Schadensersatzes der Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Hätte die Beklagte den mit der manipulierten Software versehenen Motor nicht in den Verkehr gebracht, wäre er nicht in den streitgegenständlichen PKW eingebaut und der PKW so nicht verkauft worden. Dann hätte die Klagepartei den Kaufvertrag über dieses von ihr erworbene Fahrzeug nicht geschlossen. Also ist sie bei konsequenter Anwendung des Schadensersatzrechts so zustellen, wie sie ohne den Kaufvertrag stehen würde.
Zwar trägt die Beklagte vor, dass mit dem Update das Fahrzeug nunmehr nur noch in dem Modus betrieben werde, der vorher nur auf dem Prüfstand eingeschaltet war. Daher bestehe keine Gefahr mehr, dass die Zulassung entzogen werden könnte. Die Beklagte erklärt auch, dass das Update von den Behörden freigegeben worden sei. Es sei bescheinigt worden, dass es keine negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug habe. Zwar sind nachträgliche Entwicklungen grundsätzlich bei der Beurteilung des Schadens einzubeziehen. Der Schaden entfällt aber nur dann, wenn er durch eine nachträgliche Entwicklung vollständig kompensiert wird. Im vorliegenden Fall kann der nachträgliche Einbau des Updates den Schaden, der durch den nachteiligen Vertrag für die Klagepartei eingetreten ist, nicht vollständig kompensieren. Dies folgt schon aus den Unsicherheiten, die in der öffentlichen Diskussion über die Folgen des Updates entstanden sind. Das Update ist nicht unumstritten, auch wenn die Beklagte nachteilige Folgen bestreitet. Die Gefahr negativer zukünftiger Folgen verbunden mit dem sich fortsetzenden negativen Makel, ein Auto zu besitzen, das vom „Abgasskandal“ betroffen war, genügt, um keine vollständige Kompensation annehmen zu können. Ob die Installation des Softwareupdates eine weitere schädigende sittenwidrige Handlung darstellt, muss vorliegend nicht entschieden werden.
Im Rahmen des Schadensersatzanspruches hat die Klagepartei sich die gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – Az. VI ZR 252/19). Die Beklagte wird, auch wenn sich der Kläger Nutzungsvorteile anrechnen lassen muss, nicht unbillig entlastet, weil die Möglichkeit das Fahrzeug zu nutzen durch den Mangel nicht wesentlich beeinträchtigt war.
Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde mit einer Laufleistung von 4 km erworben. Gem. § 287 ZPO legt das Gericht eine Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 250.000 km zugrunde, da der Seat Altea als Kompaktvan der Kompaktklasse angehört, bei der nach der Lebenserfahrung zu erwarten wäre, dass das Fahrzeug eine durchschnittliche Laufleistung von 20.000-25.000 km im Jahr fahren kenn. Dass Seat eine Garantie geben würde, dass das Fahrzeug auch darüber hinaus sicher nutzbar sei, wird von der Klagepartei nicht vorgetragen.
Daraus errechnet sich ein Vorteilsausgleich/eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 23.024,20 € wie folgt: Kaufpreis 27.915 € × Laufleistung der Klagepartei von 202.900 km (206.900 km – 4 km) : Gesamtrestlaufleistung von 246.000 km (250.000 km – 4 km) = 23.024,20 €.
Demnach hat die Beklagte der Klagepartei einen Betrag in Höhe von 6.194,84 € (Kaufpreis 27.915 € abzüglich Nutzungsentschädigung 23.024,20 € zuzüglich Finanzierungskosten 1.304,04 €) zu zahlen, denn auch die Finanzierungskosten von unstreitig 1.304,04 € wären nicht angefallen, wenn der streitgegenständliche Kaufvertrag unterblieben wäre.
Mangels Entscheidungserheblichkeit kann dahingestellt bleiben, ob der aus § 826 BGB entstandene Schadensersatzanspruch der Klägerin verjährt ist, denn der Klägerin steht der mit der Klage geltend gemachte Anspruch jedenfalls als Restschadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB i.V.m. § 852 Satz 1 BGB zu, der seinerseits nicht verjährt ist.
Stellt die Klagepartei ihren Antrag auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung auf § 852 Satz 1 BGB um, handelt es sich bei unveränderter Anspruchshöhe um eine bloße Änderung der Rechtsausführungen gemäß § 264 Nr. 1 ZPO. Des Gericht hat daher nach Einrede der Verjährung durch die Beklagtenpartei von sich aus die Voraussetzungen des § 852 BGB zu prüfen (BeckOGK/Eichelberger, Stand 1. März 2021, § 852 BGB Rn. 37, 38; Staudinger/Vieweg, BGB, 2015, § 852 Rn. 23). § 852 Satz 1 BGB ist dabei ebenfalls als Schadensersatzanspruch zu qualifizieren, der tatbestandlich zunächst dieselben Voraussetzungen hat wie der (ggf. weitergehende) verjährte Schadensersatzanspruch (so schon LG Hildesheim, Urteil vom 5. März 2021 – 5 O 217/20).
Bei § 852 Satz 1 BGB handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht, weshalb die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 812 ff. BGB nicht erfüllt sein müssen (BGH, Urteil vom 26. März 2019, a.a.O., Rn. 15 juris; Staudinger/Vieweg, a.a.O., § 852 Rn. 19).
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des § 826 BGB gegeben (s.o.), weshalb die Beklagte zum Ersatz des der Klagepartei aus der unerlaubten Handlung entstandenen Schadens nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet ist, § 852 Satz 1 BGB.
Die Beklagte hat auf Kosten der Klagepartei etwas erlangt, nämlich den Kaufpreis abzüglich der Händlermarge. Der Begriff „auf Kosten … erlangt“ stellt in § 852 Satz 1 BGB auf die Handlung ab, durch die die Vermögensverschiebung bewirkt worden ist (so schon LG Hildesheim, Urteil vom 05. März 2021 – 5 O 217/20, Rn. 70 juris). Bei einer unerlaubten Handlung kommt es dabei nicht darauf an, auf welchem Wege sich die dadurch veranlasste Vermögensverschiebung vollzogen hat (BGH, Urteil vom 14. Februar 1978 – X ZR 19/76, Rn. 62 juris). Dadurch soll verhindert werden, dass derjenige, der einen anderen durch eine unerlaubte Handlung schädigt und dadurch sein Vermögen vermehrt hat, im Besitz des auf diese Weise erlangten Vorteils verbleibt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 31. Juli 2007 – 17 U 338/06, BeckRS 2007, 12724; Staudinger/Vieweg, a.a.O., § 852 Rn. 17). Voraussetzung hierfür ist, dass eine tatsächliche Vermögensmehrung bei dem Ersatzpflichtigen eingetreten ist, wobei es auf eine unmittelbare Vermögensverschiebung nicht ankommt. Der Vermögenszuwachs muss aber durch die unerlaubte Handlung verursacht sein und auf den Geschädigten zurückgehen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 31. Juli 2007 – 17 U 338/06, BeckRS 2007, 12724). Damit ist für die Vermögensverschiebung eine wirtschaftliche Betrachtung maßgebend, da es sich bei dem Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB um eine Fortsetzung des Schadensersatzanspruchs in anderem rechtlichen Gewand handelt. Sofern der Vermögensverlust beim Geschädigten einen entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger zur Folge gehabt hat, ist er – sofern die übrigen Voraussetzungen der Norm vorliegen – nach § 852 Satz 1 BGB auch dann herauszugeben, wenn diese Vermögensverschiebung dem Schädiger durch einen Dritten vermittelt worden ist (BGH, Urteil vom 14. Februar 1978, a.a.O., Rn. 63 juris). Die Vermögensverschiebung kann auch auf andere Weise erfolgen, wenn sie nur im ursächlichen Zusammenhang mit der Verletzungshandlung steht (vgl. nur BGH, Urteil von 26. März 2019 – X ZR 109/16, Rn. 21 juris,). Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise korrespondiert der dem Letzterwerber entstandene Schaden mit dem Vermögenszufluss bei dem Hersteller (LG Hildesheim, Hinweisbeschluss vom 29. November 2020 – 5 O 183/20 – BeckRS 2020, 35828). Damit kommt es entscheidend auf den Umfang des verjährten Schadensersatzanspruches an, nach dem sich der Restschadensersatzanspruch richtet (so schon LG Hildesheim, Urteil vom 05. März 2021 – 5 O 217/20, Rn. 72 juris). Grund hierfür ist, dass die Verpflichtung zum Wertersatz einen Ausgleich für einen rechtswidrigen Eingriff in eine dem Betroffenen ausschließlich zugewiesene Dispositionsbefugnis darstellt (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016, I ZR 48/15., Rn. 97 juris; BGH, Urteil vom 27 Oktober 2006 – 1 ZR 182/04, Rn. 7 juris).
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, dass die Vermögensdisposition der Klagepartei durch die Verletzungshandlung der Beklagten kausal war. Durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs kam es bei der Beklagten zu einem Vermögenzufluss und bei der Klagepartei zu einem wirtschaftlich im Zusammenhang stehenden Schaden (so schon LG Hildesheim, Urteil vom 05. März 2021 – 5 O 217/20)
Für der Anspruch der Klagepartei ist es auch unerheblich, ob es sich vorliegend bei einem Kilometerstand von nur 4 km bei Kauf um ein Gebrauchtfahrzeug handelte (LG Trier, Urteil vom 28. April 2021 – 5 O 545/20, BeckRS Rn. 74; LG Hildesheim, Urteil vom 05. März 2021 – 5 O 217/20 Rn. 74 juris; Bruns NJW 2021, 1121, 1126) und die Weiterveräußerung des Fahrzeugs an den Kläger damit außerhalb der Wertschöpfungskette der Beklagten erfolgte (LG Hildesheim, Urteil vom 05. März 2021, Rn. 74 juris; a.A. Martinek, JM 2021, 9, 14). Diese Argumentation liefe auf einen „Einbau“ des Grundsatzes der Relativität der Schuldverhältnisse in das Deliktsrecht und damit auf einen Systembruch hinaus: § 852 Satz 1 BGB „verlängert“ bestehende deliktische Ansprüche über den Zeitpunkt der Verjährung hinaus. Die Vorschrift greift damit immer dann, wenn ein deliktischer Anspruch besteht. Dieser richtet sich vorliegend gegen die Beklagte gemäß § 826 BGB. Der Umstand, dass daneben ein weiteres Vertragsverhältnis zu einem Gebrauchtwagenhändler besteht bzw. bestand, schmälert diesen deliktischen Anspruch in seinem Anwendungsbereich jedoch unstreitig nicht, spiegelbildlich gilt dies dementsprechend auch für § 852 Satz 1 BGB (so schon LG Hildesheim, Urteil vom 05. März 2021 – 5 O 217/20 Rn. 74 juris).
Überdies ist die Vermögensverschiebung im ursächlichen Zusammenhang mit der schädigenden Handlung erfolgt, weil durch das arglistige Verschweigen der Manipulation des Motors (schädigende Handlung) der Käufer den Pkw erworben und den Kaufpreis gezahlt hat. Ohne die schädigende Handlung hätte weder der Neuwagenkäufer noch der Gebrauchtwagenkäufer dieses Auto gekauft und der Erlös wäre nicht an die Beklagte geflossen. Hätte der Neuwagenkäufer von der Manipulation Kenntnis erhalten, hätte dieser das Auto zurückgegeben und die Beklagte hätte das erlangte Etwas herausgeben müssen. Durch den Weiterverkauf an den Gebrauchtwagenkäufer perpetuiert sich der Vermögenszufluss (das erlangte Etwas) bei der Beklagten, da sie dann in Höhe des Gebrauchtwagenpreises (insofern müsste sich der Neuwagenverkäufer seinerseits seinen Verkaufspreis anrechnen lassen, wollte er Schadensersatz fordern) weiterhin den Erlös aus dem Neuwagenverkauf behielte und zwar nun auf Kosten des Gebrauchtwagenkäufers. Dies beruht weiterhin auf derselben Schädigungshandlung, nämlich dem Inverkehrbringen des manipulierten Fahrzeugs. Diesen Erlös muss sie als weiterhin vorhandenes erlangtes Etwas (in gekürzter Höhe) an den Gebrauchtwagenkäufer herausgeben.
Eine Gewinnerzielung der Beklagten ist keine Voraussetzung für einen Anspruch des Geschädigten gemäß § 852 BGB, da es sich um einen Wertersatzanspruch handelt, der (entgegen Martinek, JM 2021, 9, 12, 13) nicht in Höhe eines vom Schädiger erzielten Gewinns begrenzt ist (LG Hildesheim, Urteil vom 05. März 2021 – 5 O 217/20). Ausreichend ist die Erlangung eines Vermögensvorteils (BGH, Urteil vom 15. Januar 2015 – I ZR 148/13, Rn. 34 juris).
Bei der Berechnung des Gewinns würden Aufwendungen der Beklagten vor Auslieferung des manipulierten Gegenstands in die Berechnung einfließen, welche sie in Form des manipulierten Gegenstands allerdings nach obiger Darstellung zurückerhält. Die getätigten Aufwendungen zur Herstellung des manipulierten Gegenstands können das als Gegenleistung für die Hingabe des manipulierten Gegenstands erlangte Etwas offenkundig nicht schmälern.
Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs von § 852 BGB ist nicht deshalb geboten, weil dem Kläger die Beteiligung an der Musterfeststellungsklage möglich gewesen wäre (ausführlich hierzu OLG Stuttgart, Urteil vom 09. März 2021 BeckRS 2021, 5075 Rn. 46 ff.; a.A. Martinek, JM 2021, 56 ff.). Der Gesetzgeber bezweckte mit der Einführung einer Musterfeststellungsklage eine Stärkung der Rechtsposition der Betroffenen. Eine Einschränkung bestehender Ansprüche aus § 852 BGB, die gerade einer verjährten Schadensersatzanspruch voraussetzen, wäre mit dem Gesetzeszweck nicht zu vereinbaren (LG Hildesheim, Urteil vom 05. März 2021 – 5 O 217/20, Rn. 76 juris; LG Trier, Urteil vom 28. April 2021 – 5 O 545/20, BeckRS 2021, 9908 Rn. 67).
Soweit die Beklagte sich auf den Einwand der Entreicherung bezüglich ihrer Aufwendungen zur Schadensreduzierung (Software-Update, Information der Öffentlichkeit etc.) beruft, greift dieser aufgrund Bösgläubigkeit nicht durch, §§ 819, 818 IV BGB. Dies gilt erst recht, wenn, wenn diese Aufwendungen zur Beseitigung derjenigen Schäden getätigt werden, die von der Beklagten durch ihr vorsätzlich sittenwidriges Verhalten gerade entstanden sind (LG Hildesheim, Urteil vom 05. März 2021 – 5 O 217/20, Rn. 79 juris; vgl. auch MünchKommBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 315).
Die Klagepartei kann Zahlung nur Zug um Zug gegen Rückgewähr des streitgegenständlichen Fahrzeuges verlangen. Der Bereicherungsanspruch ist bei urgleichartigen Leistungen vom Angebot der Rückgewähr der empfangenen Gegenleistung bedingt. (LG Hildesheim, Urteil vom 5. März 2021 – 5 O 217/20; MünchKommBGB/Schwab, a.a.O., § 818 Rn. 241); dies gilt hier aufgrund der Rechtsfolgenverweisung in § 852 BGB auf das Bereicherungsrecht ebenfalls.
Die Beklagtenpartei ist der ihr insoweit obliegenden sekundären Darlegungslast hinsichtlich des an sie geflossenen Zahlbetrags (Kaufpreis abzüglich Händlermarge) durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs nicht nachgekommen. Das Gerichi kann gleichwohl vorliegend von einer konkreten Schätzung nach § 287 ZPO Abstand nehmen, da die grundsätzliche Limitierung des Anspruchs durch die ursprüngliche Schadenshöhe (s.o.) vorliegend weniger als 50 % des ursprünglichen. Kaufpreises beträgt. Eine dies übersteigende Händlermarge erachtet das Gericht für nicht realistisch und wurde auch beklagtenseits nicht vorgetragen (so schon LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 16. März 2021 – 9 O 7343/20 be: Herausgabe von wenige: als 50 % des ursprünglichen Kaufpreises).
Eine Verjährung des Anspruchs aus § 852 BGB liegt nicht vor, da dessen 10-jährige Verjährungsfrist gemäß § 852 S. 2 BGB erst mit Abschluss des Kaufvertrages im Juni 2011 begonnen hat und die Klage noch im Mai 2021 zugestellt wurde.
Die Pflicht zur Verzinsung des in Ziffer 1 des Tenors ausgeurteilten Betrages ab 14.05.2021 (Rechtshängigkeit) ergibt sich aus § 291 BGB.
Es war nach alledem festzustellen, dass sich die Klage in Höhe von Nutzungen aus einer Fahrleistung von 1.900 km, also in Höhe von 215,60 €, nach Rechtshängigkeit erledigt hat, was bei der Kostenquotelung Berücksichtigung erfährt.
Die Bedingung für den gestellten Hilfsantrag ist nicht eingetreten.
Es war im Ergebnis auszusprechen, dass der Anspruch auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten beruht.
Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet. Zu einem zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten de: Beklagten geeigneten vorgerichtlichen Angebot im Sinne von BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – Az. VI ZR 252/19 trug die Klägerin nichts vor.
Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gehören zwar zum Schaden aus §§ 826, 31 i.V.m. § 852 BGB. Sie können vorliegend nicht erstattet werden, da die Klägerin nicht dartut, was überhaupt an vorgerichtlicher Tätigkeit von ihren Anwälten entfaltet wurde, sodass der Anspruch nicht schlüssig begründet wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO, die zum Streitwert auf § 3 ZPO. Der Streitwert wa: nicht auf den vollen Kaufpreis festzusetzen, weil der Kläger von Anfang an die Anrechnung der Nutzungsentschädigung in Abzug gebracht hatte. Der Streitwert wa: also in Höhe des Kaufpreises minus den vom Kläger errechneten Abzug, insgesamt auf 10.143,79 € festzusetzen. Dem Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs kommt nach der neueren Rechtsprechung des BGH im Falle einer Zug-um-Zug-Verurteilung kein eigener wirtschaftlicher Wert zu, weil die Frage des Annahmeverzugs nur ein rechtlich unselbständiges Element der umstrittenen Leistungsverpflichtung und deshalb mit dieser wirtschaftlich identisch ist (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2021 – VIII ZR 369/19, Rn. 11 juris).


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