IT- und Medienrecht

Schadensersatzanspruch, Annahmeverzug, Fahrzeug, Software, Vertragsschluss, Berichterstattung, Streitwert, Mangel, Medien, Erstattung, Anwaltskosten, Minderwert, Pkw, Rechtsanwaltskosten, Zug um Zug, Kosten des Rechtsstreits, vorgerichtliche Anwaltskosten

Aktenzeichen  12 O 402/20

Datum:
29.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 58160
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.312,57 Euro zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.05.2020  
Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws Seat Alhambra Style 2.0 TDI, Fahrgestellnummer
2.Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1) ge- nannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.  
3.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.100,51 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.05.2020 zu bezahlen.
4.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5.Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
6.Das Urteil ist für jede Partei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 31.300,01 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage hat teilweise Erfolg.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Schweinfurt gern. § 32 ZPO örtlich zuständig. Der Wohnort des Klägers im Zeitpunkt des Erwerbs und aktueller Standort des Fahrzeugs liegt in 2.
Dem Kläger steht der Beklagten gegenüber ein Schadensersatzanspruch gern. §§ 826 i.V.m. 31 BGB zu.
a) Indem die Beklagte den Motor für das streitgegenständliche Fahrzeug mit der streitgegenständlichen Software zur Prüfstanderkennung ausgestattet und in den Warenverkehr gebracht hat, liegt eine vorsätzliche sittenwidrige Handlung vor, die beim Kläger zu einen Vermögensschaden geführt hat (vgl. für den streitgegenständliche EA189-Motor: BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – Rz. 12 ff.).
b) Die schädigende Handlung ihrer Mitarbeiter ist der Beklagten über § 31 BGB zuzurechnen (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – Rz. 29 ff.).
c) Der Schaden der Klagepartei geht bei der sittenwidrigen Herbeiführung eines Vertragsschlusses auf den Ersatz des sog. negativen Interesses. Das heißt der Kläger ist so zu stellen, als hätte er bei Erwerb des Fahrzeugs von der besagten Software gewusst. Dann hätte er das Fahrzeug nicht erworben.
Der für einen Anspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden des Klägers ist nicht dadurch entfallen, dass dieser das von der Beklagten entwickelte Software-Update hat durchführen lassen (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19 -).
Als Rechtsfolge ergibt sich der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs. Der Käufer muss sich jedoch gezogene Nutzungen anrechnen lassen (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19-Rz. 64ff).
Das Gericht bewertet die vom Kläger gezogenen Gebrauchsvorteile mit 14.987,43 Euro.
Die Berechnung des Nutzungsvorteils gern. § 287 ZPO erfolgt (vgl. etwa auch BGH, Urteil vom 25.5.2020 -VI ZR 252/19 – Rz. 80), indem der Bruttokaufpreis (hier: 29.375,99 Euro) mit den gefahrenen Kilometern multipliziert und das Produkt durch die bei Vertragsschluss zu erwartende Restlaufleistung des Fahrzeugs dividiert wird.
Die gefahrenen Kilometer ergeben sich aus der Differenz des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung von unstreitig 119.760 km und dem Kilometerstand bei Vertragsschluss von ebenfalls unstreitig 100 km.
Die zu erwartende Gesamtlaufleistung schätzt das Gericht gemäß § 287 ZPO auf 250.000 km.
Hieraus ergeben sich gezogene Nutzungen im Wert von 14.987,43 Euro [= (31.300,01 Euro X 119.660 km)./. 249.900 km].
Der Kläger kann vom Kaufpreis also nur 16.312,57 Euro erstattet bekommen.
d) Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist auch nicht verjährt, § 214 BGB.
Der Anspruch des Klägers verjährt regelmäßig binnen 3 Jahren nach § 195 BGB. Die Verjährungsfrist beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die Darlegungslast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Schuldner (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, Überbl v § 194 Rn 24 m.w.N.).
aa) Eine positive Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände vor Ende des Jahres 2015 nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB liegt nicht vor.
Diese würde voraussetzen, dass dem Kläger die konkrete Betroffenheit seines Fahrzeugs bekannt war. Erst mit dieser Information besteht für den Käufer die Möglichkeit einer erfolgversprechenden Rechtsverfolgung gegen die Beklagte.
Zwar ist gerichtsbekannt, dass die Beklagte 22.09.2015 in einer Mitteilung nach § 15 WpHG über Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software bei Dieselmotoren des Typ EA 189 informiert hat. Dies reicht im konkreten Fall allerdings nicht aus, um von einer den Beginn der Verjährung auslösenden Kenntnis nach § 199 BGB der Klagepartei bereits im Jahr 2015 auszugehen. Zwar ist nicht unbedingt erforderlich, dass der Gläubiger alle Tatumstände in tatsächlicher und rechtlicher Weise zutreffend würdigt, auch nicht im Wege der Parallelwertung in der Laiensphäre {Grothe in Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2018, § 199 Rn. 29). Bei einfach gelagerten Sachverhalten mag es ausreichen, wenn ersieh aus den ihm bekannten Tatsachen seine Gläubigerstellung erschließen kann. Bei komplizierten Sachverhalten, zu denen das Gericht den vorliegenden zählt, sind höhere Anforderungen zu stellen.
Zwar ist zutreffend, dass es für die Klagepartei ohne weiteres möglich gewesen wäre, die entsprechenden Informationen zu erlangen, so etwa über die zu diesem Zweck aufgesetzte Website der Beklagten. Dies ist jedoch keine Frage der Kenntniserlangung, sondern allenfalls der fahrlässigen Unkenntnis.
Der Umstand, dass das streitgegenständliche Problem einen breiten Raum in den öffentlichen Medien eingenommen hat, vermittelte dem Kläger definitiv nicht positive die Kenntnis, dass sein Fahrzeug konkret betroffen ist.
Die Beklagte ist eines Beweises, dass das „Rückrückrufschreiben“ bereits im Jahr 2016 dem Kläger zugegangen ist, schuldig geblieben. Der Kläger behauptet, das Schreiben erst Anfang 2017 erhalten zu haben.
bb) Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen lag nicht vor.
Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus, insbesondere, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil ihm persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden kann, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat (vgl. etwa Grothe in Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2018, § 199 Rn. 31).
Insofern gilt, wie ausgeführt, dass es für den Kläger ohne weiteres möglich gewesen wäre, die Betroffenheit seines Fahrzeugs zu ermitteln, dies nach eigenen Angaben jedoch nicht getan hat. Ein grob fahrlässiges Verhalten in eigener Sache vermag das Gericht hierin jedoch nicht zu erkennen. Diesbezüglich ist zunächst zu sehen, dass bei gesetzlichen Ansprüchen, wie im vorliegenden Fall, die Voraussetzungen für die Annahme einer grob fahrlässigen Unkenntnis grundsätzlich höher anzusetzen sind als bei vertraglichen Ansprüchen. Im Falle einer bewussten vertraglichen Bindung wird man vom Gläubiger eher erwarten können, sich um hinreichende Informationen in seinen eigenen Angelegenheiten zu bemühen. In diesem Zusammenhang ist schließlich auch das Verhalten der Beklagten nach Bekanntwerden der Vorwürfe zu sehen. So führt die Beklagte in ihrer Pressemitteilung vom 22.09.2015 unter anderem aus, dass die Steuersoftware bei der Mehrheit der betroffenen Motoren keinerlei Auswirkungen habe. In einerweiteren Pressemitteilung vom 29.09.2015 teilte die Beklagte mit, dass an einer Umrüstung gearbeitet werde und die betroffenen Kunden in den nächsten Wochen und Monaten informiert würden. Die Beklagte verfolgte mithin eine Strategie, bei der die vorgenommenen Manipulationen am Abgasrückführungssystem verharmlost und gleichzeitig eine enge Einbindung der betroffenen Fahrzeugbesitzer in Aussicht gestellt wurde. Unter diesen Umständen drängte sich für den Inhaber eines Fahrzeugs aus dem Volkswagenkonzern aber keinesfalls auf, dass er nun seinerseits tätig werden musste, um seine Rechte zu wahren.
Zudem könne eine problematische und ungeklärte Rechtslage den Verjährungsbeginn hinausschieben. Verjährungsbeginn tritt erst dann ein, wenn eine zutreffende Einschätzung der Rechtslage möglich ist (vgl. dazu etwa Piekenbrock in beckonline.GROSSKOMMENTAR, Stand 01.05.2020, § 199 BGB Rn. 130 ff). Bei den Fällen der Abgasmanipulation in Zusammenhang mit dem Motor EA 189 gibt es erst seit dem Mai 2020 eine abschließende rechtliche Klärung durch den BGH (Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 -).
3. Zinsen sind gern. §§ 280 Abs. 1, 2, 286, 288 BGB ab dem 22.05.2020 zu zahlen. Die mit Anwaltsschreiben vom 30.04.2020 gesetzte Zahlungsfrist bis zum 21.05.2020 ist erfolglos abgelaufen.
II.
Darüber hinaus kann der Kläger auch die Feststellung des Annahmeverzuges verlangen, da sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges zumindest seit Klageerhebung in Annahmeverzug befindet. Das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist im Hinblick auf die besonderen Voraussetzungen bei der Zwangsvollstreckung einer Zug um Zug zu erbringenden Leistung (§§ 756 Abs. 1,765 Nr. 1 ZPO) gegeben.
III.
Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Ersatz bzw. Freistellung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB.
Der Höhe nach beschränkt sich der Anspruch jedoch auf den ausgeurteilten Betrag von 1.100,51 Euro, da für die Berechnung lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr ausgehend vom Wert der erfolgreichen Klage zuzüglich Auslagenpauschale zu Grunde zu legen war.
Es handelt sich vorliegend sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch hinsichtlich des rechtlichen Schwierigkeitsgrads nicht um einen überdurchschnittlichen Rechtsstreit. Die diskutierten Rechtsfragen sind Gegenstand unzähliger Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsentscheidungen, so dass standardisierte Schreiben und Textbausteine formularmäßig in einer Vielzahl von Fällen verwendet werden können.
Die Rechtsanwaltskosten sind gern. §§ 280 Abs. 1, 2, 286, 288 BGB ab dem 30.05.2020 zu verzinsen, denn die Klage wurde am 29.05.2020 zugestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
Der Streitwert beläuft sich auf 31.300,01 Euro, nämlich:
Klageantrag 1)
31.300,01 Euro Klageantrag 2)
0,00 Euro. § 43 Abs. 1 GKG
Klageantrag 3)
0,00 Euro (vgl. Noethen in Schneider/Herget, StreitwertKommentar, 14. Aufl. 2016, Rn. 2316 ff).


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben