IT- und Medienrecht

Schadensersatzanspruch, Erfolgsaussicht, Fahrzeug, Kaufpreis, Annahmeverzug, Rechtsanwaltskosten, Vertragsschluss, Anspruch, Leistung, Vergleich, Vorteilsausgleichung, Kenntnis, Pflichtverletzung, Klage, Zug um Zug, Schluss des Jahres, nicht ausreichend

Aktenzeichen  24 O 581/20

Datum:
12.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 52917
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Amberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 23.588,21 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.07.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs des Klägers VW Passat mit der Fahrgestellnummer … an die Beklagte.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 31.07.2020 mit der Rücknahme des Fahrzeugs VW Passat mit der Fahrgestellnummer … im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihres Rechtsanwaltes … in Höhe von 1.242,84 € freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 13 % und die Beklagte 87 % zu tragen.
6. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Für die Beklagte ist es im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 27.142,26 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage hat überwiegend, wie aus dem Tenor ersichtlich, Erfolg.
Es besteht ein Anspruch des Klägers aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB, jedoch nur in Höhe von 23.588,21 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Pkws. Dem Zinsanspruch kann erst ab Rechtshängigkeit stattgegeben werden. Auch der Feststellungsantrag in Hinblick auf den Annahmeverzug ist ab Rechtshängigkeit erfolgreich. Freistellungsanspruch hinsichtlich außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht wie aus dem Tenor ersichtlich.
A.
Die Klage ist überwiegend begründet. Es besteht jedenfalls ein Anspruch aus § 826 i.V.m. § 31 BGB, welcher auch nicht verjährt ist.
I.
Das Gericht stützt sich hierbei auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, und schließt sich den dort getroffenen Rechtsausführungen an (so auch OLG Nürnberg, Hinweis vom 19.06.2020, 12 U 1825/19).
Es steht hiernach wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn ein Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt.
Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines vormaligen Mitglieds des Vorstands von der getroffenen strategischen Entscheidung, trägt der beklagte Hersteller die sekundäre Darlegungslast für die Behauptung, eine solche Kenntnis habe nicht vorgelegen. Darauf, ob die vormaligen Mitglieder des Vorstands von dem Kläger als Zeugen benannt werden könnten, kommt es nicht an.
Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht.
Die Entscheidung ist auch auf den hiesigen Fall übertragbar. Die zugrunde liegenden Sachverhalte sind jeweils vergleichbar. Insbesondere geht es in beiden Verfahren um Gebrauchtfahrzeuge. In beiden Fahrzeugen ist derselbe Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut. Streitgegenständlich ist jeweils ein Fahrzeug der Marke Volkswagen.
Die Rückzahlung darf antragsgemäß aber lediglich Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung erfolgen, § 320 BGB.
II.
Der Kläger muss sich vom ursprünglichen Kaufpreis, welcher ihm zurückzuzahlen ist, die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Im Rahmen der Vorteilsausgleichung und dem Gründsatz der Naturalrestitution ist der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre, § 249 Abs. 1 BGB. Wie der Bundesgerichtshof in der oben genannten Entscheidung entschieden hat, gelten die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB.
Im Rahmen des Deliktsrechts ist jedoch neben dem Grundsatz der Totalreparation der Grundsatz des Bereicherungsverbots zu beachten. Der Kläger darf hiernach nicht besser gestellt werden, als er ohne den geschlossenen Vertrag stehen würde.
Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des besonders freigestellten Tatrichters, § 287 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 30.07.2020, VI ZR 354/19; Urt. v. 30.07.2020, VI ZR 397/19).
Das Gericht schätzt die von dem Kläger gezogenen Vorteile gemäß § 287 ZPO, indem es den von dem Kläger gezahlten Bruttokaufpreis (33.499,00 €) für das Fahrzeug durch die voraussichtliche Rest-Laufleistung im Erwerbszeitpunkt (250.000 km – 18.000 km = 232.000 km) geteilt und diesen Wert mit den vom Kläger gefahrenen Kilometern (86.638 – 18.000 = 68.638 km) multipliziert hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2014 – VIII ZR 196/14, Schaden-Praxis 2015, 277, 278 juris Rn. 3; Urteil vom 17. Mai 1995 – VIII ZR 70/94, NJW 1995, 2159, 2161, juris Rn. 23; Wackerbarth, NJW 2018, 1713 ff.). Hieraus ergibt sich ein Betrag in Höhe von 9.910,79 €.
Zur angenommenen möglichen Gesamtfahrleistung des streitgegenständliche Pkws von 250.000 Kilometern nimmt das Gericht entsprechend Bezug auf den Hinweis des OLG Nürnberg vom 19.06.2020, 12 U 1825/19, dort unter Rekurs auf das Endurteil des OLG Nürnberg vom 26.02.2020, 12 U 1336/19). Die Annahme der Fahrleistung von 250.000 km entspricht auch der herrschenden Rechtsprechung vor Bekanntwerden des sog. „Abgasskandals“ (vgl. OLG München, Urt. v. 06.04.2020, 21 U 3039/19, Rz. 66, zit. nach juris; BGH, Urt. v. 30.07.2020, VI ZR 354/19; Urt. v. 30.07.2020, VI ZR 397/19).
Der errechnete Wert in Höhe von 9.910,79 € ist vom Brutto-Kaufpreis in Höhe von 33.499,00 € abzuziehen. Es verbleibt ein Wert in Höhe von 23.588,21 €.
III.
Der Anspruch ist wegen der verjährungshemmenden Wirkung der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage auch nicht verjährt.
Zwar konnte die erst am 09.07.2020 eingegangene und der Beklagten am 30.07.2020 zugestellte Klage die bereits abgelaufene Verjährung nicht mehr gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmen.
Eine Verjährungshemmung trat jedoch durch die Anmeldung des Klägers zum Klageregister des Musterfeststellungsverfahrens vor dem OLG Braunschweig gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 S. 2, § 209 BGB ein.
Zum Zeitpunkt der Anmeldung war der Anspruch noch nicht verjährt.
1. Das Gericht geht von einem Verjährungsbeginn mit Ablauf des Jahres 2015 aus (so bzgl. Fahrzeugen der Marke VW auch OLG Nürnberg, 12 W 3427/20).
Die Verjährung des Anspruchs aus § 826 ZPO richtet sich, ebenso wie die eines Anspruchs aus § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB, nach §§ 195, 199 BGB. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
Für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Verjährungseinrede ist derjenige darlegungs- und beweisbelastet, der sich auf Verjährung beruft, hier also die Beklagte.
a) Der Schadensersatzanspruch der Klagepartei ist bereits mit dem Erwerb des Fahrzeugs im November 2012 entstanden.
Zu diesem Zeitpunkt bestand aber noch keine Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis vom Bestehen des Anspruchs und der Person des Schuldners.
b) Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis in diesem Sinne lagen mit Schluss des Jahres 2015 vor.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die auf der Rechtsprechung zu § 852 BGB a.F. aufbaut, liegt die erforderliche Kenntnis im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Es ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Anstelle positiver Kenntnis genügt auch grob fahrlässige Unkenntnis der genannten Umstände.
Die Erhebung einer Klage muss bei verständiger Würdigung in einem Maße Erfolgsaussicht haben, dass sie zumutbar ist. Nicht ausreichend ist die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von Anknüpfungstatsachen. Hinzukommen muss vielmehr, dass der Geschädigte aus den Anknüpfungstatsachen den Schluss auf eine Pflichtverletzung durch eine bestimmte Person zieht oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gezogen hat.
Der Verjährungsbeginn setzt grundsätzlich nicht voraus, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Der Gläubiger muss zumindest aufgrund der Tatsachenlage beurteilen können, ob eine rechtserhebliche Handlung von dem üblichen Vorgehen abweicht. Ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn aber hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. In diesen Fällen fehlt es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn. Das gilt erst recht, wenn der Durchsetzung des Anspruchs eine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung entgegensteht.
bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen lagen die Voraussetzungen für eine Klageerhebung bereits im Jahr 2015 vor (so auch OLG Nürnberg, 12 W 3427/20).
(1) Insbesondere stand dem Verjährungsbeginn nicht die fehlende Zumutbarkeit einer Klageerhebung im Jahr 2015 entgegen.
Eine Unzumutbarkeit ergibt sich weder aus der „schleppenden Aufarbeitung des Abgas-Skandals und seiner Ausmaße durch die Beklagte“ noch aus der sich „anfangs sehr zögerlich entwickelnden Instanzenrechtsprechung“.
(i) Die Volkswagen AG als Herstellerin des Motors des streitgegenständlichen Fahrzeugs hat die breite Öffentlichkeit und damit nicht nur die potentiellen Erwerber von Kraftfahrzeugen, die mit dem Motor EA 189 ausgestattet sind, sondern auch die Besitzer solcher Fahrzeuge, in Form von Pressemitteilungen ab Ende September 2015 bis Mitte Oktober 2015 darüber informiert, dass dieser Motor mit einer Abschalteinrichtung versehen ist, die vom KBA als nicht ordnungsgemäß angesehen wird und daher zu entfernen ist. Zeitgleich war der sog. Diesel- oder Abgasskandal Gegenstand einer sehr umfassenden Presseberichterstattung. Die Öffentlichkeit wurde ferner durch das KBA über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei Fahrzeugen mit dem Dieselmotor EA 189 informiert. Die Beklagte schaltete Anfang Oktober 2015 eine Website frei, auf der durch Eingabe der FIN überprüft werden kann, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Abschalteinrichtung versehen ist, also von dem sog. Dieselskandal betroffen ist. Dies wurde ebenfalls in einer Pressemitteilung bekannt gegeben und war, wie allgemein bekannt ist, Gegenstand einer umfangreichen Presseberichterstattung.
(ii) Im Jahr 2015 stand keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage, ob die Beklagte den Erwerbern von Kraftfahrzeugen mit dem Motor EA 189 deliktisch haftet, der klageweisen Geltendmachung eines solchen Anspruchs entgegen. Vielmehr gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Entscheidungen zu dieser Frage. Alleine der Umstand, dass offene, bislang höchstrichterlich nicht entschiedene Rechtsfragen maßgeblich sind, macht eine Klageerhebung nicht unzumutbar. Der Rechtsweg dient gerade dazu, solche Fragen zu klären. Ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Klärung einer entscheidungserheblichen Frage ist stets zumutbar. Zuwarten allein lässt keine Klärung der Rechtslage erwarten.
Eine unsichere oder zweifelhafte Rechtslage besteht nicht schon dann, wenn noch keine höchstrichterliche Entscheidung einer bestimmten Frage vorliegt. Verlangt wird vielmehr ein „ernsthafter Meinungsstreit in Rechtsprechung und Schrifttum“. Es gab 2015 aber auch keinen derartigen „ernsthaften“ Meinungsstreit in Rechtsprechung und Schrifttum bezüglich der Frage einer Haftung der Beklagten wegen des Motors EA 189.
Unerheblich ist, ob die Rechtslage möglicherweise nach 2015 unsicher oder zweifelhaft geworden ist. Die Verjährungsfrist wird nicht verlängert, wenn die Rechtslage erst unsicher wird, nachdem die Verjährung zu laufen begonnen hat.
(iii) Eine Unzumutbarkeit der Klageerhebung kann nicht aus den „sehr hohen Hürden“ abgeleitet werden, die an eine Haftung gemäß § 826 BGB gestellt werden. Die Vorschrift ergänzt als „kleine Generalklausel“ neben den Tatbeständen des § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB das Deliktsrecht um einen unmittelbaren Schutz von Vermögensschäden. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich ein abstrakt schwer zu fassender Tatbestand, der durch eine Vielzahl von Fallgruppen in der Rechtsprechung konkretisiert wird. Die sich daraus ergebenden Herausforderungen bei der Rechtsanwendung führen indes nicht zur Unzumutbarkeit einer Klageerhebung im Jahr 2015. Es gibt keinen Grundsatz dahingehend, dass die Verjährung eines auf eine Generalklausel gestützten Anspruchs erst beginnt, wenn sich in der Rechtsprechung eine entsprechende Fallgruppe herausgebildet hat. Vielmehr bleibt es auch in solchen Fällen bei dem Grundsatz, dass der Beginn der Verjährungsfrist nur ausnahmsweise herausgeschoben ist, wenn die Rechtslage unsicher oder zweifelhaft ist. Dies ist nicht bereits der Fall, wenn es um die Anwendung einer „schwierigen“, weil generalklauselartig gefassten Norm auf einen Sachverhalt geht und Rechtsprechung hierzu noch nicht ergangen ist. Die Verjährung beruht auf den Gedanken des Schuldnerschutzes und des Rechtsfriedens. Zum einen soll der Schuldner davor bewahrt werden, nach längerer Zeit mit von ihm nicht mehr erwarteten Ansprüchen überzogen zu werden. Zum anderen soll die Verjährung den Gläubiger dazu veranlassen, rechtzeitig gegen den Schuldner vorzugehen, wobei es dem Gläubiger auch möglich sein muss, den Anspruch durchzusetzen. Es widerspräche der dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit dienenden Funktion des Verjährungsrechts, wenn es für die Frage des Verjährungsbeginns darauf ankäme, ob der geltend gemachte Anspruch auf eine „einfache“ oder eine „schwierige“ Norm gestützt wird.
(iv) Auch der Umstand, dass – wie sich im vorliegenden sowie einer Vielzahl weiterer sogenannter „Dieselverfahren“ gegen die hiesige Beklagte oder andere Konzerngesellschaften des Volkswagen-Konzerns eindrücklich zeigt – das Vorliegen der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen für eine deliktische Haftung der Beklagten aus § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz im Streit steht, genügt nicht, um das Vorliegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage zu bejahen. Andernfalls ergäbe sich alleine daraus, dass eine beklagte Partei das Vorliegen der Voraussetzungen eines gegen sie geltend gemachten Anspruchs umfassend bestreitet oder dass sie über einen längeren Zeitraum das Ergehen rechtskräftiger ober- und höchstrichterlicher Entscheidungen gegen sie verhindert, ein Hinausschieben des Verjährungsbeginns. Hierfür besteht aber keine Veranlassung.
(2) Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass dem Kläger bereits im Jahr 2015 die Erhebung einer Klage zumutbar war.
cc) Vorliegend hatte die Klagepartei, die ihr Dieselfahrzeug mit einem EA 189-Motor im Jahr 2012 erworben hatte, zur Überzeugung des Gerichts bereits im Jahr 2015 mindestens grob fahrlässige Unkenntnis von den gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB für den Beginn der Verjährung erforderlichen Tatsachen, so dass die Verjährungsfrist mit Ende des Jahres 2015 begann.
Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis i.S. des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dem Gläubiger muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung, mithin ein besonders schwerwiegendes Verschulden gegen sich selbst vorgeworfen werden können. Grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen liegt hierbei dann vor, wenn sich dem Gläubiger die Kenntnis der relevanten Tatsachen förmlich aufdrängen musste, er jedoch davor die Augen verschloss.
Der Sachverhalt des sog. „Dieselskandals“ war bereits ab September 2015 in der Medienberichterstattung omnipräsent.
Dass der allgemeinen Berichterstattung nicht ohne Weiteres die Betroffenheit des eigenen PKW’s zu entnehmen war, ist nicht entscheidend. Die Klagepartei weiß, welches Fahrzeug gefahren bzw. erworben wurde, dass es mit einem Dieselmotor ausgestattet ist und wer dessen Hersteller ist.
Zwar trifft den Gläubiger im Grundsatz keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiativen zur Klärung des Schadensverlaufs oder des Umfangs der Schadensausbreitung zu entfalten. Im vorliegenden Fall den Weg zur Ermittlung der eigenen Schadensbetroffenheit jedoch nicht beschritten und die Internetabfrage nicht in Anspruch genommen zu haben, erscheint nach Lage des Falles geradezu unverständlich, da die Klagepartei naheliegende und unschwer zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat. Umstände, weshalb eine Benutzung des Abfrageportals nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sein sollte, sind nicht ersichtlich.
Auch ohne von den Behörden oder der Herstellerin des Motors individuell und unmittelbar durch direktes Anschreiben darauf aufmerksam gemacht worden zu sein, war es vor diesem Hintergrund grob fahrlässig, sich die Information der eigenen Schadensbetroffenheit über die allgemein zugänglichen und bekanntgemachten Quellen nicht schon Ende 2015 beschafft zu haben.
In diesem Kontext ist auch unerheblich, dass die Beklagte damals wie heute bestreitet, dass verfassungsmäßig berufene Vertreter der Beklagten von der Verwendung der Abschalteinrichtung Kenntnis hatten und deshalb der subjektive Tatbestand der deliktischen Anspruchsnormen erfüllt sei. Insoweit haben sich seit dem Jahr 2015 bis zur Klageerhebung keine neuen Erkenntnisse ergeben. Angesichts des unsubstantiierten Bestreitens der Beklagten unter Berücksichtigung von deren sekundärer Darlegungslast stand und steht die fehlende Detailkenntnis der Klägerseite vom Wissen der Repräsentanten der Beklagten um die Abschalteinrichtung einer Klage nicht entgegen.
Wegen grob fahrlässiger Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen begann die Verjährung damit Ende des Jahres 2015 (vgl. hierzu und zum Ganzen auch OLG Stuttgart, Urteil vom 07. April 2020, 10 U 455/19, Rn. 39-73, abrufbar in juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 14. April 2020, 10 U 466/19, Rn. 35-54, abrufbar in juris; OLG München, Beschl. v. 03.12.2019, 20 U 5741/19, BeckRS 2019, 31911).
dd) Damit ist festzuhalten, dass maßgeblich für den Beginn der Verjährung gem. § 199 Abs. 1 BGB das allgemeine Bekanntwerden des Dieselskandals war, über den ab Herbst 2015 in sämtlichen Medien umfassend berichtet wurde. Es ist nicht vorstellbar, dass ein in Deutschland lebender VW-Kunde hiervon keine Kenntnis gehabt hätte. Die Verjährung begann damit mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen, so dass die Ansprüche Ende 2018 verjährt wären (so auch Hinweisbeschluss des OLG München vom 03.12.2019, 20 U 5741/19, BeckRS 2019, 31911; OLG Nürnberg, 12 W 3427/20).
2. Die Verjährung war aber ausreichend durch die zwischenzeitliche Anmeldung des Klägers zum Klagregister des Musterfeststellungsverfahrens vor dem OLG Braunschweig gehemmt, § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB.
Hiernach wird die Verjährung gehemmt durch die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Die Klagepartei ist für die Voraussetzungen des Vorliegens der Hemmungstatbestände darlegungs- und beweispflichtig (Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl., 2020, § 204 Rn. 55).
Für den Eintritt der Hemmung kommt es entscheidend auf den Zeitpunkt der Anmeldung an (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 07.04.2020, 10 U 455/19, abrufbar in juris). Diese erfolgte ausweislich des Klagevortrags und der als Anlage K 5 vorgelegten Bestätigung am 03.12.2018, also vor Ablauf der Verjährungsfrist.
Wie der Kläger unbestritten mitteilte, hat er die Anmeldung nicht zurückgenommen, sondern verblieb bis zum Abschluss im Musterfeststellungsverfahren; einen Vergleich hat er nicht angenommen.
Aus dem Schreiben des Bundesamtes für Justiz vom 10.12.2019, Anlage K 5, ergibt sich, dass sich der Kläger zur Musterfeststellungsklage beim Oberlandesgericht Braunschweig, 4MKL-18 gegen die Volkswagen AG mit Eingangsdatum 03.12.2018 mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug angemeldet hat.
Gemäß der Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Bundesverband erklärte der Verbraucherzentrale Bundesverband am 30.04.2020 gegenüber dem OLG Braunschweig die Rücknahme der Musterfeststellungsklage gegen VW; VW erklärte die Zustimmung zur Klagerücknahme. Das Musterfeststellungsklageverfahren war damit beendet.
Gem. § 204 Abs. 2 S. 1 BGB endet die Hemmung sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens.
Die Hemmung endete damit am 30.10.2020.
Die am 09.07.2020 eingegangene Klage wurde der Beklagten am 30.07.2020, mithin rechtzeitig, zugestellt.
Die Hemmung endete mit damit am 28.03.2020. Die Klage ging erst am 05.08.2020 ein und wurde am 04.09.2020 zugestellt. Verjährung war damit bereits eingetreten.
IV.
Da bereits einem Anspruch aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB stattzugeben war, bedarf es nicht der Eingehung auf weitere mögliche Anspruchsgrundlagen.
B.
Der auf Feststellung des Annahmeverzuges gerichtete Klageantrag ist zulässig und ab Rechtshängigkeit begründet.
I.
Das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich aus §§ 274 Abs. 2 BGB, 756 ZPO.
II.
Die Beklagte befand sich ab 31.07.2020, also ab Rechtshänigigkeit der Klage, gemäß §§ 293, 295 BGB im Annahmeverzug.
1. Nachdem der Klägervertreter im Schreiben vom 11.05.2020, Anlage K 2, die Rückzahlung des Gesamtkaufpreises forderte, hat er die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten, von denen er sie im Hinblick auf den im Wege der Vorteilsausgleichung geschuldeten und vom Kaufpreis in Abzug zu bringenden Nutzungsersatz hätte abhängig machen dürfen. Er hat damit die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als er hätte beanspruchen können. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (so auch BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, m.w.N.).
2. Die Voraussetzungen des Annahmeverzuges liegen aber ab Rechtshängigkeit vor, da der Klägervertreter dort den Nutzungsersatz in Abzug gebracht hat. Die Beklagte verweigert bis heute sowohl jegliche Zahlung als auch die Entgegennahme des Fahrzeugs (vgl. auch OLG Brandenburg, Urteil vom 03. Juni 2020 – 4 U 139/19 -, Rn. 63, juris). Eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung hindert den Eintritt des Annahmeverzugs nicht, so dass irrelevant ist, dass der Klägervertreter von einer Gesamtfahrleistung von 350.000 km ausgegangen ist (so auch OLG Stuttgart Urt. v. 31.3.2020 – 12 U 452/19, BeckRS 2020, 5651).
C.
Die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs sind nicht gegeben, weil der Schuldner nur in Verzug geraten kann, wenn der Gläubiger die ihm obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß anbietet (so auch BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, m.w.N.).
Damit kann Verzinsung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung seit Rechtshängigkeit begehrt werden, §§ 291, 2888 Abs. 1 S. 2 BGB (OLG München, Urteil vom 06. April 2020 – 21 U 3039/19 -, Rn. 72-80, juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 14. Februar 2020, 2 U 128/19, Rn. 70, 71, juris; BGH, Urt. v. 30.07.2020, VI ZR 354/19).
D.
Dem Kläger steht ferner ein Anspruch auf Freistellung von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu, allerdings nur in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe.
Die Kosten der Rechtsverfolgung sind in den hier gelagerten Fällen grundsätzlich Bestandteil des nach §§ 826, 249 ff. BGB zu erstattenden Schadens, weil die Inanspruchnahme eines Anwalts aus Sicht des Käufers eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war.
Eine Überschreitung der Schwellengebühr von 1,3 nach der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG ist nicht angezeigt, weil die Abfassung des Anwaltsschreibens vom 11.05.2020 annähernd 5 Jahre nach Aufdecken des Dieselskandals weder überdurchschnittlich schwierig noch überdurchschnittlich umfangreich war. Hinzu kommt, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers, was gerichtsbekannt ist, eine Vielzahl von Käufern in gleichartigen Verfahren vertreten (so auch OLG Celle Urt. v. 22.1.2020 – 7 U 445/18, BeckRS 2020, 955).
Für den Gegenstandwert der vorgerichtlichen Tätigkeit ist auf den Wert des verfolgten und berechtigten Anspruchs zum Zeitpunkt des Tätigwerdens des Anwalts, hier im Mai 2020, abzustellen. Hierfür ist der zurückverlangte Kaufpreis um den Nutzungsvorteil in Abzug zu bringen, ohne dass es hierfür einer Gestaltungserklärung bedarf (vgl. BGH, NJW 2015, 3160). Zwar enthält das Anwaltsschreiben vom 11.05.2020 keine Angaben zum damaligen Kilometerstand. Jedoch datiert die Klage vom 09.07.2020. Darin ist der Kilometerstand mit „derzeit“ 81.000 km angegeben. Der Kilometerstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 26.10.2020 beträgt 86.638 km. Der Kläger ist damit in den letzten 3 1/2 Monaten 5.638 km gefahren. Dies entspricht einer durchschnittlichen monatlichen Laufleistung von ca. 1.610,86 km. Zwischen dem Datum der Klageschrift und dem Anspruchsschreiben vom 11.05.2020 liegen ca. 2 Monate, was eine geschätzte Laufleistung in diesem Zeitraum von 3.221,71 km ergibt. Dies ist von den gefahrenen Kilometern zum Zeitpunkt der Klage am 09.07.2020 in Abzug zu bringen und ergibt einen Kilometerstand zum Zeitpunkt des Tätigwerden des Anwalts Mitte Mai 2020 von 77.778 km.
Demnach ergibt sich nach der obigen Formel (33.499,00 € / 232.000 km × 59.778 km (77.778 km – 18.000 km) ein Abzugsbetrag in Höhe von 8.631,48 €. Der damalige Forderungsbetrag lag mithin bei 24.867,52 €.
Abgestellt auf einen Gegenstandswert von bis zu 25.000,00 € errechnen sich die einschlägigen Anwaltskosten wie folgt:
1,3 Geschäftsgebühr, §§ 13, 14 RVG, Nr. 2300 VV RVG
1.024,40 €
zgl. Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG
20,00 €
zzgl. 19 % Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG
ergibt 1.242,84 €.
Ein Freistellungsanspruch ist, da keine Geldschuld, nicht zu verzinsen (OLG Nürnberg, 12 W 3427/20).
E.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit für den Kläger auf § 709 S. 1 ZPO und für die Beklagte im Kostenpunkt auf § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
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