IT- und Medienrecht

Verbot der Verbreitung von Flugblättern im Wahlkampf unrechtmäßig

Aktenzeichen  10 CS 20.465

Datum:
9.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4506
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 6, § 152 Abs. 1
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, 2
StGB § 185
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Art. 21 Abs. 1

 

Leitsatz

Zur Bewertung der Äußerungen auf einem Flugblatt im Kommunalwahlkampf „Raus aus dem Rathaus!“ und „Deshalb: Volksverräter raus aus dem Rathaus!“.
1. Die Verbreitung einer im Kommunalwahlkampf auf einem Flugblatt dargestellten Karikatur verschiedener Stadträte, die mit einer (wenn auch polemische und ehrverletzende Kritik enthaltende) inhaltlichen Auseinandersetzung der Politik der im Rathaus vertretenen Parteien verbunden ist und mit der Aussage endet „Deshalb: Volksverräter raus aus dem Rathaus!“, darf nicht verboten werden, weil nicht die bloße Diffamierung der karikierten Personen im Vordergrund steht. (Rn. 8 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Verwendung des Begriffs „Volksverräter“ ist zu berücksichtigen, dass der Begriff zwar angesichts seiner historischen Belastung eine besondere Herabsetzung des betroffenen Personenkreises beinhalten kann, in der öffentlichen Diskussion jedoch auch heute noch gebraucht wird, um Kritik an der vermeintlich fehlenden Responsivität der politisch Verantwortlichen gegenüber den Einstellungen der Mehrheit des Volkes zu üben. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 22 S 20.780 2020-03-05 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Unter Abänderung der Nr.
III. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 5. März 2020 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Antragsgegnerin gegen die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 5. März 2020 erfolgte Wiederherstellung (bzgl. Nr. 1.) bzw. Anordnung (bzgl. Nr. 3.) der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers vom 24. Februar 2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. Februar 2020.
Mit diesem Bescheid untersagte die Antragsgegnerin unter Anordnung des Sofortvollzugs (Nr. 2.) dem Antragsteller, das Flugblatt mit dem Titel „Raus aus dem Rathaus“, das eine Karikatur abbildet, die das Münchner Kindl zeigt, das mit Hilfe eines Besens verschiedene Mitglieder des Stadtrates vom M2.platz kehrt, verbunden mit der auf der Rückseite des Flugblattes abgedruckten Aussage „Deshalb: Volksverräter raus aus dem Rathaus!“ im Gebiet der Landeshauptstadt München zu verbreiten (Nr. 1.). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,- Euro angedroht (Nr. 3.).
Seine dem dagegen gerichteten Eilantrag des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO stattgebende Entscheidung hat das Verwaltungsgericht damit begründet, dass die Interessenabwägung aufgrund einer summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ergebe, dass die Anfechtungsklage gegen die Untersagungsverfügung und die Zwangsmittelandrohung im angefochtenen Bescheid vom 24. Februar 2020 voraussichtlich erfolgreich sein werde und somit das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiege. Die Voraussetzungen der von der Antragsgegnerin für die Verbotsverfügung herangezogenen Rechtsgrundlagen nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStVG lägen nicht vor. Durch die im betreffenden Flugblatt dargestellte Karikatur verschiedener Stadträte, die mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung der Politik der im Rathaus vertretenen Parteien verbunden sei und mit der Aussage ende „Deshalb: Volksverräter raus aus dem Rathaus!“, werde der Straftatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB nicht verwirklicht. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sei in der dem Flyer zugrunde liegenden Meinungsäußerung des Antragstellers keine sogenannte Schmähkritik zu sehen. Eine möglicherweise beeinträchtigte Ehre der karikierten Personen habe im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung hinter der Meinungsfreiheit des Antragstellers gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zurückzutreten. Grundsätzlich habe jedermann insbesondere in der öffentlichen Auseinandersetzung, zumal im politischen Meinungskampf, das Recht, auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern. Die Strafnorm des § 185 StGB sei ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG. Bei Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellten, sei zwar keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem (betroffenen) Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter dem Ehrschutz zurücktrete. Lasse sich eine Äußerung aber weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, sei eine Abwägung der Meinungsfreiheit einerseits und der persönlichen Ehre des von der Äußerung Betroffenen andererseits unter Berücksichtigung der Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter anzustellen. Gemessen an diesen Grundsätzen stelle das vom Antragsteller im Rahmen des Wahlkampfes für die anstehende Kommunalwahl in Bayern verbreitete Flugblatt keine Formalbeleidigung bzw. Schmähung der karikierten Personen dar, sondern beinhalte erkennbar eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der derzeitigen Politik der im Stadtrat vertretenen Parteien. Die Äußerung auf der Rückseite des Flugblatts „Deshalb: Volksverräter raus aus dem Rathaus!“ weise einen deutlichen Sachbezug zu den zuvor aufgeführten politischen Positionen der Parteien auf, die im Rathaus vertreten seien und denen auch die karikierten Personen angehörten. Eine Herabwürdigung der auf der Vorderseite abgebildeten Politiker des Stadtrates ohne jeglichen Sachbezug liege darin nicht. Die demnach vorzunehmende Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Antragstellers einerseits und dem Ehrschutz der karikierten Personen andererseits ergebe, dass der Meinungsfreiheit des Antragstellers im konkreten Fall der Vorrang einzuräumen sei. Der verwendete Begriff „Volksverräter“ stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit den auf dem Flyer genannten (vorgeblichen) politischen Meinungen der Parteien, die im politischen Wettstreit mit dem Antragsteller stünden. Bei objektiver Betrachtung sei davon auszugehen, dass er den Begriff in dem aufgezeigten Zusammenhang gebrauche, um – wenn auch polemisch zugespitzt – auf aus seiner Sicht abzulehnende politische Positionen zu bestimmten Themen hinzuweisen und sich hiervon einprägsam abzugrenzen. Diese naheliegende Deutung seiner Äußerung auf dem Flugblatt stelle jedoch gerade in Zeiten des politischen Meinungskampfes kein strafbares Verhalten dar. Zu berücksichtigen sei dabei, dass die karikierten Politiker nicht als Privatpersonen, sondern als Repräsentanten des Stadtrats und daher als Personen der Öffentlichkeit dargestellt seien.
Zur Begründung ihrer Beschwerde mit dem Antrag, den Eilantrag des Antragstellers abzulehnen, trägt die Antragsgegnerin im Wesentlichen vor, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts handle es sich bei dem betreffenden Flugblatt um diffamierende Schmähkritik an den karikierten Personen. Zwar setze sich der Antragsteller auf dem Flugblatt auch mit angeblichen Positionen der „etablierten Rathausparteien“ sowie „Volksparteien“ inhaltlich auseinander. Dies gelte allerdings nicht für die Karikatur, die erkennbar auf einzelne LokalpolitikerInnen Münchens zugespitzt sei. Insoweit fehle es an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den von diesen Personen vertretenen politischen Positionen oder auch nur deren Parteien oder jeglichem sonstigen sachlichen Bezug der Meinungsäußerungen des Klägers. Der Ausspruch „Deshalb: Volksverräter raus aus dem Rathaus!“ beziehe sich auch keineswegs – wie vom Verwaltungsgericht unterstellt – auf die im Rathaus vertretenen Parteien, sondern vielmehr eindeutig auf die einzelnen, auf der Vorderseite des Flugblatts abgebildeten Personen, die für den Inhalt dieses Flugblatts prägend seien. Deren Diffamierung stehe im Vergleich zu den untergeordneten Textpassagen des Flugblatts für den Betrachter deutlich im Vordergrund. Die Diffamierung der karikierten Personen als vom Münchner Kindl wegzukehrender Kehricht zusammen mit den riesigen Lettern „Raus aus dem Rathaus“ und „Volksvertreter raus aus dem Rathaus“ sei der Kern der Botschaft des Flugblatts. Ein Sachbezug oder eine politische Meinungsäußerung seien darin gerade nicht erkennbar. Liege aber eine diffamierende Schmähkritik der karikierten Personen vor, erübrigten sich Ausführungen zur Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Antragstellers und dem Ehrschutz und der Menschenwürde der karikierten Personen.
Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf den zutreffenden Beschluss des Verwaltungsgerichts. Er regt im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache die Festsetzung des Streitwerts für beide Rechtszüge auf je 5.000,- Euro an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt nicht die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
Der Einwand der Antragsgegnerin, das Verwaltungsgericht habe unter Verkennung der Tragweite der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) die Äußerungen auf dem vom Antragsteller verantworteten und verbreiteten Flugblatt „Raus aus dem Rathaus!“ (Vorderseite des Flugblatts) und „Deshalb: Volksverräter raus aus dem Rathaus!“ (Rückseite) zu Unrecht nicht als Formalbeleidigung oder Schmähkritik der in der Bilddarstellung auf der Vorderseite des Flugblatts karikierten Personen eingestuft, greift nicht durch.
Das Verwaltungsgericht ist unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. zuletzt B.v. 14.6.2019 – 1 BvR 2433/17 -, B.v. 19.2.2019 – 1 BvR 1954/17 – jeweils juris) zutreffend davon ausgegangen, dass die Verwendung des Begriffs „Volksverräter“ mit Blick auf den konkreten Anlass und Kontext der Äußerung nicht als den Tatbestand von § 185 StGB verwirklichende Schmähkritik und damit als eine rechtswidrige Tat im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 LStVG zu bewerten ist. Es hat die textliche und bildliche Aussage dieses vom Antragsteller im Wahlkampf für die Kommunalwahl am 15. März 2020 in Bayern verwendeten Plakats bzw. Flugblatts ungeachtet seines möglichen ehrverletzenden Gehalts zu Recht als ein vom Schutzbereich des Art. 21 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasstes Werturteil angesehen (dazu zuletzt auch BayVGH, B.v. 23.5.2019 – 10 CE 19.997 – juris Rn. 13 m.w.N.) und auch die Schranken des Grundrechts auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 2 GG sowie die Bedeutung der Strafnorm des § 185 StGB rechtsfehlerfrei ermittelt. Es hat berücksichtigt, dass auch polemische und verletzende Formulierungen einer Aussage diese grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG entziehen (zuletzt BVerfG, B.v. 14.6.2019 – 1 BvR 2433/17 – juris Rn. 16). Nicht verkannt hat das Verwaltungsgericht auch den bei der Auslegung und Anwendung der §§ 185 ff. StGB geltenden Sonderfall herabsetzender Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, und die aus verfassungsrechtlichen Gründen geltenden strengen Anforderungen an die Qualifizierung von Äußerungen als Schmähkritik. Demgemäß hat es seine Bewertung der streitgegenständlichen Äußerungen auf dem Flugblatt unter besonderer Berücksichtigung von Anlass und Kontext vorgenommen (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 18 m.w. Rsprnachweisen). In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass es sich um Äußerungen im öffentlichen Kommunalwahlkampf der am 15. März 2020 stattfindenden Stadtratswahl in München handelt und bei solchen Äußerungen im öffentlichen Kontext bei der Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik nochmals strengere Anforderungen zu stellen sind (BVerfG, B.v. 19.2.2019 – 1 BvR 1954/17 – juris Rn. 14). Von Bedeutung ist auch, dass es sich bei der Plakat-/Flugblattwerbung für Wahlen auch heute noch um ein Wahlkampfmittel von erheblicher Bedeutung handelt, dessen Nutzung durch das Recht auf freie Meinungsäußerung im Wahlkampf geschützt ist (BVerfG, B.v. 24.5.2019 – 1 BvQ 45/19 – juris Rn. 18). Schließlich hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist, und im Fall einer mehrdeutigen Äußerung die Gerichte, wollen sie ihrer rechtlichen Würdigung die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung zugrunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen haben (BVerfG, B.v. 24.5.2019 – 1 BvQ 45/19 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Entgegen dem Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin genügt die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts den dargestellten Maßstäben. Vor allem hat das Verwaltungsgericht bei seiner Beurteilung der streitigen Äußerungen auf dem Flugblatt/Wahlplakat zu Recht den Kontext der inhaltlichen politischen Auseinandersetzung zwischen dem Antragsteller und seiner Stadtratsgruppierung (BIA) und den „etablierten Parteien“ im Stadtrat der Stadt München gesehen und wegen ihres sachlichen Bezugs eine bloße Herabsetzung der in der Bilddarstellung auf der Vorderseite karikierten Personen (wohl sämtlich Mitglieder verschiedener Fraktionen und Gruppierungen des Münchner Stadtrats) verneint (zum Abgrenzungskriterium eines sachlichen Bezugs der Äußerungen: BVerfG, B.v. 14.6.2019 – 1 BvR 2433/17 – juris Rn. 19; B.v. 19.2.2019 – 1 BvR 1954/17 – juris Rn. 14). Dass es sich im konkreten Fall um eine Äußerung handelt, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von ihrem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss (vgl. BVerfG, B.v. 19.2.2019 – 1 BvR 1954/17 – juris Rn. 11), hat weder die Antragsgegnerin nachvollziehbar dargelegt noch ist dies für den Senat ersichtlich.
Die inhaltliche politische Auseinandersetzung des Flugblatts mit den etablierten Parteien des Münchner Stadtrats wird im einleitenden Text unter der Überschrift „Raus aus dem Rathaus!“ mit dem darunter befindlichen Bild, das ein Münchner Kindl darstellt, das mit einem großen Besen fünf karikaturhaft dargestellte Personen (wohl sämtlich Mitglieder verschiedener Fraktionen und Gruppierungen des Münchner Stadtrats) vom Münchner M2.platz kehrt, deutlich. Dieser lautet: „Auf einen groben Keil gehört ein grober Klotz. Was die etablierten Parteien unserem Land – und ganz besonders auch unserer Stadt München – seit vielen Jahren zumuten, ist unfassbar und unerträglich. Deshalb: Raus aus dem Rathaus!“ Im Anschluss daran werden einzelne politische Themenfelder – Zuwanderung und ihre (behaupteten) Auswirkungen, Klimawandel, political correctness bei Minderheitenförderung etc., Umgang mit „Politisch Andersdenkenden“- angesprochen und die diesbezügliche Politik der Stadt bzw. der „Volksparteien“ oder „Rathausparteien“ – teils sehr polemisch – kritisiert. Den Abschluss dieser Thesen bzw. Behauptungen bildet dann auf der Rückseite des Flugblatts die Aussage „Deshalb: Volksverräter raus aus dem Rathaus!“ und weiter „Am 15. März die einzige Opposition wieder ins Münchner Rathaus wählen: Bürgerinitiative Ausländerstopp. Die einzige ECHTE Alternative im Rathaus.*“
Der vom Verwaltungsgericht auf dieser Grundlage festgestellte Sachbezug der inkriminierten abschließenden Äußerung „Deshalb: Volksverräter raus aus dem Rathaus!“ wird nach alledem auch für den Senat hinreichend deutlich und ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin gerade nicht mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen. Soweit die Antragsgegnerin rügt, hätte der Antragsteller nur die etablierten Rathausparteien oder Volksparteien als solche gemeint, hätte das Flugblatt das zum Beispiel durch das Wegkehren der Partei-Logos der betreffenden Parteien deutlich machen müssen, wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass in der plakativen politischen Auseinandersetzung im Wahlkampf nicht die Partei-Logos, sondern vielmehr die Personen bzw. Köpfe dieser Personen für die jeweiligen Inhalte der Parteien stehen und in den Vordergrund gestellt werden. Insoweit hat der Antragsteller in seiner Beschwerdeerwiderung auch zutreffend darauf verwiesen, dass bei einer Kommunalwahl in erster Linie Personen gewählt werden. Weiter kann nicht durchgreifend eingewandt werden, ein inhaltliche bzw. thematische Sachbezug sei hier auch deshalb zu verneinen, weil der karikierte Personenkreis nicht (vollständig) mit den im Rathaus vertretenen etablierten Parteien identisch sei. Zum einen würde dies bei zehn bisherigen Fraktionen bzw. Gruppierungen im Münchner Stadtrat wohl den Rahmen einer solchen bildlichen Karikatur sprengen, zum anderen sind jedenfalls nach dem Eindruck des Senats die dargestellten karikierten Personen ohnehin nur relativ schwer „zuordenbar“ bzw. identifizierbar.
Schließlich ist bei der Verwendung des Begriffs „Volksverräter“ nicht außer Acht zu lassen, dass der Begriff zwar angesichts seiner historischen Belastung eine besondere Herabsetzung des betroffenen Personenkreises beinhalten kann, in der öffentlichen Diskussion jedoch auch heute noch gebraucht wird, um Kritik an der vermeintlich fehlenden Responsivität der politisch Verantwortlichen gegenüber den Einstellungen der Mehrheit des Volkes zu üben (vgl. ausführlich VerfGH Sachsen, U.v. 3.11.2011 – Vf. 31-I-11 – juris Rn. 37; BayVGH, B.v. 23.5.2019 – 10 C 19.997 – juris Rn. 18).
Ausgehend davon teilt der Senat die Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass ungeachtet der polemischen und auch ehrverletzenden Kritik des Flugblatts (noch) die politische Auseinandersetzung im Kommunalwahlkampf mit den anderen Stadtratsparteien und nicht die bloße Diffamierung der in der Bilddarstellung karikierten fünf Personen im Vordergrund steht.
Die vom Verwaltungsgericht demgemäß vorgenommene Abwägung zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit des Antragstellers einerseits und dem Ehrschutz der karikierten Personen andererseits wird mit der Beschwerde nicht infrage gestellt.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG, wobei aufgrund der Vorwegnahme der Hauptsache der volle Auffangwert zugrunde gelegt wird (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2019 – 10 C 19.997 – juris Rn. 22).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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