IT- und Medienrecht

Vorwegnahme der Hauptsache

Aktenzeichen  M 10 E 19.5282

Datum:
24.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1692
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
BayKAG Art. 9

 

Leitsatz

Es ist ausgeschlossen, in einer einstweiligen Anordnung eine Regelung zu treffen, die rechtlich oder zumindest faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft, also dem Antragsteller schon in vollem Umfang, wenn auch nur für beschränkte Zeit und unter dem Vorbehalt der Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in der Hauptsache erreichen könnte. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 12.703,10 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, eine Änderung des bestehenden Wasserhausanschlusses auf ihrem Grundstück durchzuführen.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks … in … (Fl.Nr. …, Gemarkung …). Auf diesem Grundstück befindet sich ein Gasthaus (Altbestand) mit Fremdenzimmern (seit 2015), das seit 1. April 2019 verpachtet ist.
Der Antragsgegner ist ein Zweckverband, der auf der Grundlage seiner Satzung für die öffentliche Wasserversorgungseinrichtung (Wasserabgabesatzung – WAS) vom 12. Juli 2011 unter anderem in der Gemeinde … eine öffentliche Einrichtung zur Wasserversorgung betreibt. Beiträge, Gebühren und Erstattung von Aufwand für Grundstücksanschlüsse werden auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (BGS/WAS) vom 12. Juli 2011 in der Fassung der Änderungssatzung vom 17. Dezember 2013 vom Antragsgegner erhoben.
Die Antragstellerin bat den Antragsgegner im September 2018 um Änderung des bestehenden Hausanschlusses für ihr Anwesen. Der bestehende Hausanschluss müsse größer dimensioniert werden, da zu wenig Wasserzufuhr bestehe. Zwar werde derzeit eine höhere Wasserzufuhr über zusätzliche Pumpen gewährleistet; dies sei allerdings nur eine Übergangslösung.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2018 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass im hier vorliegenden Fall der nachträglichen Änderung des Hausanschlusses auf Wunsch der Antragstellerin aufgrund von § 9 Abs. 2 Satz 4 WAS von der Antragstellerin eine Erklärung über die Übernahme der Kosten, die für die Arbeiten im öffentlichen Straßengrund und auf dem privaten Grundstück anfielen, gefordert werde.
Die Antragstellerin weigerte sich, diese Kostenübernahmeerklärung zu unterschreiben. In § 8 Abs. 1 BGS/WAS (Erstattung des Aufwands für Grundstücksanschlüsse) sei eindeutig geregelt, dass die Kosten der Änderung des Grundstücksanschlusses im öffentlichen Straßengrund vom Antragsgegner zu tragen seien.
Nach einer Stellungnahme der vom Antragsgegner beteiligten … … GmbH vom 11. März 2019 sei die bestehende Leitung nicht unterdimensioniert. Es sei zu vermuten, dass eine einzelne Maschine in der Gastwirtschaft sehr viel Wasserzufluss bei hohem Wasservordruck benötige.
Da es in der Folgezeit bei der Frage der Kostentragung nicht zu einer Einigung zwischen den Parteien kam, wurde die gewünschte Änderung des Hausanschlusses durch den Antragsgegner auch nicht veranlasst.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 18. Oktober 2019, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am 21. Oktober 2019, Klage auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Änderung des bestehenden Wasserhausanschlusses der Antragstellerin unter gleichzeitiger Übernahme der Kosten für die Arbeiten im öffentlichen Straßengrund durch den Antragsgegner erhoben. Gleichzeitig wird beantragt,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die im Klageantrag dargestellten Arbeiten unverzüglich auszuführen.
Zur Begründung wird vorgetragen, der bestehende Wasserhausanschluss aus den 1950er Jahren sei veraltet, was Dimensionierung und Material angehe. Die Frage der Kostentragung dürfe durch die Wasserabgabesatzung nicht geregelt werden. Hierfür mangle es an der gesetzlichen Grundlage. § 8 BGS/WAS hingegen finde seine Rechtsgrundlage in Art. 9 Kommunalabgabengesetz (KAG), nach dem die Kosten für die Änderung des Hausanschlusses im öffentlichen Straßenraum von der Gemeinde zu tragen seien. Die Angelegenheit sei dringlich. Der Pächter der Antragstellerin habe bereits angekündigt, das Pachtverhältnis zu kündigen, weil der Wasserzufluss zu gering sei und daher in der Gaststätte nicht ordnungsgemäß gearbeitet werden könne. Für die Antragstellerin könnten daher “Mietausfallkosten in exorbitanter Höhe” entstehen. Es gehe im Grunde des Streits nicht darum, dass die Arbeiten ausgeführt werden müssten, sondern darum, wer die Kosten für die Arbeiten im öffentlichen Straßengrund zu tragen habe. Da der Antragsgegner sich jedoch weigere, überhaupt irgendwelche Arbeiten auszuführen, sei eine einstweilige Anordnung geboten.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf einstweilige Anordnung abzulehnen.
Zur Begründung wird vorgetragen: Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf nachträgliche Änderung des Hausanschlusses ohne Abschluss einer Sondervereinbarung und unter Übernahme der Kosten im öffentlichen Straßengrund durch den Antragsgegner. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei abzulehnen, da keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestünden. Eine besondere Eilbedürftigkeit, die eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen würde, sei nicht ersichtlich. Der Hausanschluss auf dem Grundstück der Antragstellerin sei nicht veraltet, er sei vielmehr funktionstüchtig. Dies sei vom Antragsgegner noch im Mai 2016 anlässlich einer anstehenden Straßenbaumaßnahme überprüft worden. Von der Antragstellerin werde auch nicht behauptet, dass kein Wasser bezogen werden könne. Die begehrte Änderung der Hausanschlussleitung beruhe auf einer intensivierten Nutzung des Anwesens (insbesondere Fremdenzimmer). Die angeblich benötigte höhere Fördermenge könne auch mit einer den Regeln der Technik entsprechenden Haustechnik unproblematisch von der Antragstellerin selbst bewerkstelligt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist zwar zulässig, aber unbegründet. Die begehrte Ausführung der Änderung des Hausanschlusses auf dem Grundstück der Antragstellerin würde zum einen eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache darstellen, zum anderen hat die Antragstellerin weder Anordnungsgrund noch -anspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO).
1. Im vorliegenden Fall wird eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache begehrt.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden.
Das Gericht kann grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur im Hauptsacheprozess erreichen könnte. Grundsätzlich ausgeschlossen, da mit dem Wesen einer einstweiligen Anordnung nicht vereinbar, ist es daher, eine Regelung zu treffen, die rechtlich oder zumindest faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 66a).
Bei der vorliegend begehrten Ausführung der Änderung des Hausanschlusses auf dem Grundstück der Antragstellerin ist von einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache auszugehen. Die Ausführung der Arbeiten wäre eine endgültige, nicht mehr rückgängig zu machende Maßnahme.
Eine Vorwegnahme der Hauptsache wäre nur ausnahmsweise möglich, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig wäre, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache sprechen würde (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 123 Rn. 14). Dies ist vorliegend allerdings nicht der Fall. Insbesondere ist weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass ohne die Vorwegnahme der Hauptsache die soziale, berufliche oder wirtschaftliche Existenz (vgl. hierzu: Happ in Eyermann, a.a.O., Rn. 66c) der Antragstellerin gefährdet wäre. Zwar hat die Antragstellerin vorgetragen, dass eine Kündigung des Pachtverhältnisses sowie ein Pachtausfall “in exorbitanter Höhe” im Raum stünden. Dieser pauschale Vortrag genügt aber nicht, um eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Antragstellerin annehmen zu können. Eine derartige Gefährdung ist auch nach Aktenlage nicht ersichtlich.
2. Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Zwar wurde eine Dringlichkeit der Angelegenheit behauptet, da der Pächter der Antragstellerin eine Kündigung angedroht habe. Eine Glaubhaftmachung erfolgte insoweit jedoch nicht. Eine besondere Dringlichkeit erschließt sich dem Gericht auch nicht. Nach unbestrittenem Vortrag des Antragsgegners kann die Antragstellerin Wasser beziehen. Der Hausanschluss funktioniert grundsätzlich. Die von der Antragstellerin benötigte höhere Wasserzufuhr kann auch bereits aufgrund zusätzlich angeschlossener Pumpen (wenn auch nur als Übergangslösung) ermöglicht werden.
3. Zudem ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Nach summarischer Prüfung wird die Klage, die unmittelbar auf Änderung des Hausanschlusses auf dem Grundstück der Antragstellerin gerichtet ist, keinen Erfolg haben, da die Antragstellerin im vorliegenden Fall keinen unmittelbaren Anspruch auf Ausführung der Arbeiten hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass im konkreten Fall die Änderung des Hausanschlusses seitens der Antragstellerin begehrt wird, ohne dass der Hausanschluss von vornherein mangelbehaftet oder unterdimensioniert gewesen wäre oder nunmehr funktionsunfähig wäre. Hierfür sprechen insbesondere die Überprüfung im Mai 2016 durch den Antragsgegner sowie die Stellungnahme der AB-WA Plan GmbH vom 11. März 2019. Eine Anspruchsgrundlage, die in einem solchen Fall einen unmittelbaren (gebundenen oder im Wege der Ermessensreduzierung auf Null vermittelten) Anspruch auf Änderung des Hausanschlusses beinhalten würde, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Das Grundstück der Antragstellerin ist bereits angeschlossen; dem insoweit bestehenden Anspruch des Grundstückseigentümers aus § 4 Abs. 1 WAS ist daher genüge getan. Ein Anspruch auf Änderung bestehender Versorgungsleitungen besteht nicht (§ 4 Abs. 2 Satz 2 WAS), zumal es vorliegend nicht um eine Änderung der Versorgungsleitung, sondern des Hausanschlusses geht.
Soweit es um die Änderung des Grundstücksanschlusses geht, ist § 9 WAS einschlägig. Aus diesem folgt für den konkreten Fall jedoch unmittelbar kein entsprechender Anspruch.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 WAS wird der Grundstücksanschluss vom Zweckverband unter anderem geändert. Der Zweckverband bestimmt gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 WAS auch Zahl, Art, Nennweite und Führung der Grundstücksanschlüsse sowie deren Änderung. Nach § 9 Abs. 2 Satz 4 WAS kann der Zweckverband im Fall der nachträglichen Änderung des Grundstücksanschlusses auf Wunsch des Grundstückseigentümers verlangen, dass die näheren Einzelheiten einschließlich der Kostentragung vorher in einer gesonderten Vereinbarung geregelt werden.
Diese Vorschriften vermitteln nach ihrem Wortlaut keinen unmittelbaren Anspruch des Grundstückseigentümers auf Durchführung der Arbeiten seitens des Zweckverbands, soweit ein grundsätzlich funktionsfähiger und ausreichender Wasserhausanschluss besteht. Vielmehr bestimmt der Zweckverband über eine Änderung des Grundstücksanschlusses. Ein Anspruch auf Ausführung der Arbeiten könnte aus einer Sondervereinbarung folgen, die aber im vorliegenden Fall nicht abgeschlossen worden ist.
Da es hier um eine Änderung eines grundsätzlich funktionsfähigen Hausanschlusses auf Wunsch der Antragstellerin geht, ist es nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner – wie bei einem Zweitanschluss – den Abschluss einer Sondervereinbarung nach § 9 Abs. 2 Satz 4 WAS i.V.m. § 8 WAS gefordert und von der Übernahme der Kosten auch im öffentlichen Straßengrund durch die Antragstellerin abhängig gemacht hat. Es erscheint sachgerecht, die Kosten derartiger (zusätzlicher) Maßnahmen nicht allen Gebührenzahlern aufzuerlegen. § 9 WAS regelt insoweit die (Vor-)Frage, ob und unter welchen Bedingungen ein Grundstücksanschluss geändert wird. Dies kann bedeuten, dass der Grundstückseigentümer bei selbst gewünschten (zusätzlichen) Maßnahmen die Kosten vollumfänglich zu tragen hat. § 8 BGS/WAS hingegen setzt tatbestandlich unter anderem voraus, dass eine Veränderung des Grundstücksanschlusses (bereits) erfolgt ist, und regelt für diesen Fall die (Folge-)Frage der Erstattung des Aufwands. Zur Anwendung des § 8 BGS/WAS kommt es daher erst, wenn eine Änderung des Grundstücksanschlusses erfolgt ist, ohne dass der Zweckverband den Abschluss einer Sondervereinbarung mit entsprechender Kostentragungsregelung gefordert hätte.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog 2013.


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