IT- und Medienrecht

Zustellung einer einstweiligen Verfügung im Ausland – Verpflichtung zur Übersetzung

Aktenzeichen  14 W 1170/19

Datum:
14.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
CR – 2020, 120
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EuZustVO Art. 8 Abs. 1a
ZPO § 179 S. 3

 

Leitsatz

1. Im Rahmen der EuZustVO fällt die Prüfung inhaltlicher Fragen in die Zuständigkeit des im Übermittlungsstaat angerufenen, mit der Sache befassten Gerichts (Anschluss an EuGH BeckRS 2016, 80963). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Um zu ermitteln, ob der Empfänger eines zugestellten Schriftstücks die Sprache des Übermittlungsmitgliedsstaats, in der das Schriftstück abgefasst ist, versteht, ist bei juristischen Personen nicht allein auf die Sprachkenntnisse ihrer Organe abzustellen, sondern auch auf die tatsächlich im Unternehmen vorhandenen und verfügbaren Fähigkeiten, auf die der Empfänger in zumutbarer Weise zugreifen kann (Anschluss an OLG Köln BeckRS 2019, 10630; OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2014, 21100) (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 O 590/19 2019-09-03 Bes LGKEMPTEN LG Kempten

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 03.09.2019, Az.: 22 O 590/19, aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die einstweilige Verfügung des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 26.04. 2019, Az.: 22 O 590/19, der Antragsgegnerin spätestens am 27.06.2019 wirksam zugestellt worden ist.
3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
4. Der Beschwerdewert wird auf 2.500,– € festgesetzt.

Gründe

I.
Das Landgericht Kempten (Allgäu) hat am 26.04.2019 auf Antrag des Antragstellers folgende einstweilige Verfügung gegen die Antragsgegnerin erlassen:
Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,– €, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, oder einer Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten untersagt,
1. einen von dem Antragsteller auf der F.b.seite von B. P. zu dem Thread mit dem Titel „Nachtleben in T.“ eingestellten Kommentar mit folgendem Wortlaut:
„Ja sicha gibt’s einen Beweis. Die waren schwarz.“
zu löschen,
2. den Antragsteller wegen der erneuten Einstellung dieses Kommentars auf der Plattform www. … zu sperren.
3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 10.000,– € festgesetzt.
Der Beschluss ist dem Antragstellervertreter am 03.05.2019 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz des Antragstellervertreters vom 13.05.2019 hat der Antragsteller die Zustellung der einstweiligen Verfügung samt Anlagen durch das Gericht gemäß §§ 191, 183 Abs. 1 Nr. 1 und 1069 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. Art. 4 VO (EG) 1393/2017 beantragt.
Er trägt vor: Die Antragsgegnerin verfüge in Deutschland über 31 Mio. Kunden. Sie unterhalte ihr Angebot vollständig in deutscher Sprache und stelle alle Vertragsunterlagen (Gemeinschaftsstandards und Nutzungsbedingungen) in deutscher Sprache zur Verfügung. In Ziffer 4. ihrer Nutzungsbedingungen habe sie die Geltung deutschen Rechts und die Zuständigkeit der deutschen Gerichte in Verbrauchersachen vereinbart. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass sie deutschsprachige Mitarbeiter auch in der Rechtsabteilung beschäftige. Die regelmäßige Behauptung der Antragsgegnerin, keine deutschsprachigen Juristen zu beschäftigen, dürfte im Übrigen auch offenkundig wahrheitswidrig sein. Die Antragsgegnerin selbst schreibe in ihrem (im Internet veröffentlichten) NetzDG-Transparenzbericht vom 27.08.2018: „Anzahl der Personen, die NetzDG-Meldungen prüfen: NetzDG-Beschwerden werden durch Teams aus geschulten Fachkräften und Juristen geprüft. Die Teams, die über das NetzDG-Formular übermittelte Beschwerden bearbeiten, bestehen aus etwa 65 Personen, wobei wir den Personalbestand bei einem erhöhten Beschwerdeaufkommen anpassen können.“
Der Antragsteller ist der Ansicht, eine Übersetzung der einstweiligen Verfügung bzw. der Anlagen sei nicht erforderlich.
Dies gelte dann, wenn nach Art und Umfang der Geschäftstätigkeit in einem bestimmten Land davon ausgegangen werden könne, dass im Unternehmen Mitarbeiter vorhanden seien, welche sich um rechtliche Auseinandersetzungen mit den Kunden in der Landessprache kümmern könnten. Erforderlich sei eine Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller Umstände.
Über das Vorliegen von Sprachkenntnissen entscheide dabei nicht die Antragsgegnerin nach Belieben, sondern vielmehr das Prozessgericht anhand der gegebenen Anhaltspunkte.
Der Antragsteller hält das Verhalten der Antragsgegnerin für rechtsmissbräuchlich.
Das Landgericht Kempten (Allgäu) hat mit Verfügung vom 03.06.2019 die Zustellung der einstweiligen Verfügung und des Schriftsatzes des Antragstellervertreters vom 13.05.2019 direkt an den in Irland gelegenen Sitz der Beklagten verfügt.
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz der Antragsgegnervertreter vom 27.06.2019 erklärt, sie verweigere die Annahme der – innerhalb der letzten sieben Tage erhaltenen – o.g. Schriftstücke. Sie hat dem Schriftsatz das in Anhang II zur Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 (im Folgenden: EuZustVO) vorgegebene Formblatt beigefügt und darin angegeben, sie verstehe (nur) die englische Sprache.
Das Landgericht Kempten (Allgäu) hat daraufhin dem Antragsteller mit Schreiben vom 04.07. 2019 mitgeteilt, die einstweilige Verfügung habe nicht zugestellt werden können, da sie übersetzt werden müsse. Hierfür werde ein Kostenvorschuss i.H.v. 700,– € angefordert.
Der Antragsteller ist der Ansicht, entscheidend sei nicht, ob die Person, die die Post annehme, über Deutschkenntnisse verfüge, sondern, ob ein Unternehmen sich aufgrund seiner starken Auslandspräsenz organisatorisch auf fremdsprachige Korrespondenz einstellen müsse. Außerdem ergäbe sich die Verpflichtung, Mitarbeiter mit deutschen Sprachkenntnissen zu beschäftigen, auch aus dem NetzDG. Die Zurückweisung der einstweiligen Verfügung sei rechtsmissbräuchlich, so dass die Zustellung nach §§ 179 Satz 3 ZPO, 242 BGB als wirksam gelte.
Die Antragsgegnerin trägt vor, kein Mitglied ihrer Rechtsabteilung besitze die Sprachkenntnisse, die erforderlich seien, um ohne Unterstützung eines externen Beraters eine Beschwerde, Gerichtsbeschlüsse oder Mitteilungen auf Deutsch vollumfänglich zu verstehen oder die Antragsgegnerin aktiv auf Deutsch zu verteidigen. Die Dienstleistung von F.b. sei in vielen Ländern weltweit erhältlich und werde in 89 Sprachen angeboten. Die Antragsgegnerin verfüge nicht über Angestellte, die sämtliche 89 Sprachen sprächen.
Sie meint, die Tatsache, dass sie ihre Dienstleistungen in Deutschland anbiete, sei irrelevant für die Frage, ob sie gerichtliche Schriftstücke wirksam handhaben und ihre Rechte in deutscher Sprache verteidigen könne.
Das Landgericht Kempten (Allgäu) hat mit Beschluss vom 03.09.2019 entschieden:
1. Der Beschluss vom 26.04.2019 ist zum Zwecke der Zustellung ins Englische zu übersetzen.
2. Die Kosten der Übersetzung trägt der Antragsteller.
3. Die Übersetzung wird davon abhängig gemacht, dass der Antragsteller einen Kostenvorschuss in Höhe von 700,– € einzahlt.
Im Rahmen der Gründe führt das Landgericht Kempten aus:
Nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (C-384/14) obliege dem angerufenen Gericht die Prüfung, ob eine Zustellung nach Art. 8 EuZustVO zu Recht verweigert worden sei. Dies sei anhand aller schlüssigen Tatsachen und Beweismittel zu überprüfen, mit denen konkret der Nachweis für die Sprachkenntnisse des Empfängers erbracht werde, ohne dass das Gericht sich insoweit auf irgendeine Vermutung stützen könnte.
Im vorliegenden Fall ergebe sich eine entsprechende zweifelsfreie Sprachkenntnis nicht. Nicht aktenkundige Mutmaßungen über entsprechende Sprachkenntnisse entsprächen weder der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, noch seien sie geeignet, die Rechtssicherheit im Zustellungsrecht zu fördern.
Gegen den dem Antragstellervertreter am 06.09.2019 formlos mitgeteilten Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz des Antragstellervertreters vom 20.09.2019, eingegangen beim Landgericht Kempten Allgäu am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt und diese begründet.
Das Landgericht Kempten (Allgäu) hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 23.09. 2019 nicht abgeholfen.
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze und die in der Akte befindlichen Entscheidungen des Landgerichts Kempten (Allgäu) Bezug genommen. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet und hat damit Erfolg.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO und wahrt die Form des § 569 Abs. 2 ZPO sowie die Frist des § 569 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ZPO.
2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Die einstweilige Verfügung vom 26.04.2019 ist der Antragsgegnerin wirksam zugestellt worden. Die Voraussetzungen einer berechtigten Annahmeverweigerung nach Art. 8 Abs. 1 EuZustVO sind nicht erfüllt, da die Antragsgegnerin nach der Überzeugung des Beschwerdegerichts die deutsche Sprache i.S.d. Art. 8 Abs. 1 lit. a) EuZustVO versteht.
a) Die Prüfung inhaltlicher Fragen wie der Fragen, welche Sprache bzw. welche Sprachen der Empfänger eines Schriftstückes versteht, ob dem Schriftstück eine Übersetzung in eine der in Art. 8 Abs. 1 EuZustVO genannten Sprachen beizufügen ist und ob die Verweigerung der Annahme eines Schriftstücks nach dieser Vorschrift gerechtfertigt ist, fällt in die Zuständigkeit des im Übermittlungsstaat angerufenen, mit der Sache befassten Gerichts (EuGH, BeckRS 2016, 80963 [Alta Realitat SL], Rdnr. 55 f.; Müko ZPO/Rauscher, Art. 8 EuZustVO, Rdnr. 17).
b) Im Hinblick auf den anzuwendenden Prüfungsmaßstab ist zu berücksichtigen, dass der Erlass der EuZustVO u.a. auf der Erwägung beruhte, dass für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, die in einem anderen Mitgliedsstaat zugestellt werden sollten, zwischen den Mitgliedsstaaten verbessert und beschleunigt werden müsste (Erwägungsgrund 2). Um die Wirksamkeit der Verordnung zu gewährleisten, sollte die Möglichkeit, die Zustellung von Schriftstücken zu verweigern, auf Ausnahmefälle beschränkt werden (Erwägungsgrund Nr. 10).
Mit dem Ziel, die Wirksamkeit und die Schnelligkeit der gerichtlichen Verfahren zu verbessern und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, stellt die EuZustVO daher den Grundsatz einer direkten Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke zwischen den Mitgliedstaaten auf, was eine Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren bewirkt. Auf diese Ziele wird auch in den Erwägungsgründen Nrn. 6 bis 8 der Verordnung hingewiesen (EuGH, BeckRS 2015, 81151 [Alpha Bank Cyprus Ltd], Rdnr. 30; BeckRS 2016, 80963 [Alta Realitat SL], Rdnr. 48).
Diese Ziele dürfen allerdings nicht dadurch erreicht werden, dass in irgendeiner Weise die Verteidigungsrechte beeinträchtigt werden, die den Empfängern der Schriftstücke aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 47 Abs. 2 EU-Grundrechte-Charta, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) erwachsen (EuGH, BeckRS 2015, 81151 [Alpha Bank Cyprus Ltd], Rdnr. 31; BeckRS 2016, 80963 [Alta Realitat SL], Rdnr. 49; BGH, NJW 2007, 775, Rdnr. 16, 27).
Insoweit ist nicht nur dafür Sorge zu tragen, dass der Empfänger eines Schriftstücks das betreffende Schriftstück tatsächlich erhält, sondern auch dafür, dass er in die Lage versetzt wird, die Bedeutung und den Umfang der im Ausland gegen ihn erhobenen Klage tatsächlich und vollständig in einer Weise zu erfahren und zu verstehen, die es ihm ermöglicht, seine Rechte vor dem Gericht des Übermittlungsmitgliedsstaats wirksam geltend zu machen (EuGH, BeckRS 2015, 81151 [Alpha Bank Cyprus Ltd], Rdnr. 32; BeckRS 2016, 80963 [Alta Realitat SL], Rdnr. 50).
Unter diesem Blickwinkel ist die EuZustVO daher in der Weise auszulegen, dass in jedem Einzelfall ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen der Parteien gewährleistet ist, indem die Ziele der Wirksamkeit und der Schnelligkeit der Übermittlung von Verfahrensschriftstücken mit dem Erfordernis der Gewährleistung eines angemessenen Schutzes der Verteidigungsrechte des Empfängers der Schriftstücke in Einklang gebracht werden (EuGH, BeckRS 2015, 81151 [Alpha Bank Cyprus Ltd], Rdnr. 33 m.w.N.; BeckRS 2016, 80963 [Alta Realitat SL], Rdnr. 51).
Um zu ermitteln, ob der Empfänger eines zugestellten Schriftstücks die Sprache des Übermittlungsmitgliedsstaats, in der das Schriftstück abgefasst ist, versteht, hat das Gericht sämtliche Anhaltspunkte zu prüfen, die ihm der Antragsteller hierzu unterbreitet (EuGH, NJW 2008, 1721 [Ingenieurbüro M. W. und Partner GbR], Rdnr. 80 bzgl. der Vorgängerregelung des Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 (EuZVO)).
c) Bei juristischen Personen ist nicht formaljuristisch auf die Sprachkenntnisse ihrer Organe abzustellen. Maßgeblich sind insoweit die tatsächlich im Unternehmen vorhandenen und verfügbaren Fähigkeiten, auf die der Empfänger in zumutbarer Weise zugreifen kann (OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2015, 183, 184; OLG Köln, EuZW 2019, 750, Rdnr. 6; LG Heidelberg, BeckRS 2018, 41758, Rdnr. 6; LG Offenburg, BeckRS 2018, 23801, Rdnr. 25; AG Erding, BeckRS 2014, 16268, unter Ziffer I. der Entscheidungsgründe; Musielak/Voit/Stadler, Art. 8 EuZustVO, Rdnr. 4; MüKo ZPO/Rauscher, Art. 8 EuZustVO, Rdnr. 12). Betreibt ein Unternehmen in einem bestimmten Staat Geschäfte in größerem Umfang, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass es Mitarbeiter hat, die sich um rechtliche Auseinandersetzungen mit den in diesem Staat ansässigen Kunden kümmern und jedenfalls über ausreichende Kenntnisse der Sprache verfügen, in der die Geschäfte mit den betreffenden Kunden abgewickelt werden (vgl. OLG Köln, a.a.O.; LG Heidelberg, a.a.O.; LG Offenburg, a.a.O.; AG Berlin-Mitte, MMR 2017, 497, Rdnr. 6). Ferner begründet die Tatsache, dass ein Unternehmen sich zur Vertragsabwicklung in einer bestimmten Sprache verpflichtet hat, die widerlegliche Vermutung, dass auch in einem Rechtsstreit mit dem Vertragspartner Zustellungen in dieser Sprache vorgenommen werden dürfen und verstanden werden (vgl. Musielak/Voit/Stadler, Art. 8 EuZustVO, Rdnr. 4).
Daraus ergibt sich nicht, dass bezüglich juristischer Personen, die Geschäfte im Ausland betreiben, das Übersetzungserfordernis stets entfiele – was im Hinblick auf die Regelung des Art. 8 EuZustVO zweifelhaft erschiene (vgl. LG Essen, Beschluss vom 31.05.2019, Az.: 16 O 48/19, unter Ziffer II. der Gründe; LG München I, Beschluss vom 18.04.2019, Az.: 29 O 12576/18, unter Ziffer I. der Gründe). Vielmehr ermöglicht eine auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung die Findung eines für den jeweiligen Einzelfall sachgerechten Ergebnisses.
d) Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung ist im konkreten Fall Folgendes zu berücksichtigen:
Nach dem Vortrag des Antragstellers verfügt die Antragsgegnerin in Deutschland über 31 Mio. Kunden. Sie unterhält ihr Angebot vollständig in deutscher Sprache und stellt alle Vertragsunterlagen (Gemeinschaftsstandards und Nutzungsbedingungen) in deutscher Sprache zur Verfügung. In Ziffer 4. ihrer Nutzungsbedingungen hat sie die Geltung deutschen Rechts und die Zuständigkeit der deutschen Gerichte in Verbrauchersachen vereinbart. Die Antragsgegnerin betreibt ferner eine deutschsprachige Homepage, auf der u.a. der vom Antragsteller zitierte NetzDG-Transparenzbericht vom 27.08.2018 eingestellt ist.
Diesen substantiierten Vortrag des Antragstellers hat die Antragsgegnerin nicht hinreichend bestritten.
Soweit sie vorträgt, die Dienstleistung von Facebook sei in vielen Ländern weltweit erhältlich und werde in 89 Sprachen angeboten, sie verfüge jedoch nicht über Angestellte, die sämtliche 89 Sprachen sprächen, ist dies unerheblich. Entscheidungsrelevant ist allein, ob die Antragsgegnerin die Möglichkeit hat, auf sachkundiges Personal zurückzugreifen, das in hinreichendem Umfang der deutschen Sprache mächtig ist.
Aufgrund des oben unter Punkt c) dargelegten Prüfungsmaßstabs kann die Antragsgegnerin sich auch nicht darauf berufen, dass kein Mitglied ihrer Rechtsabteilung die Sprachkenntnisse besitze, die erforderlich seien, um ohne Unterstützung eines externen Beraters eine Beschwerde, Gerichtsbeschlüsse oder Mitteilungen auf Deutsch vollumfänglich zu verstehen oder die Antragsgegnerin aktiv auf Deutsch zu verteidigen. Dies kann vor dem Hintergrund des o.g. Vortrags des Antragstellers – der hinsichtlich der Zahl der in Deutschland vorhandenen Facebook-Kunden, der Ausgestaltung ihrer Verträge und der sprachlichen Gestaltung der o.g. Homepage nicht bestritten worden ist – nur dahingehend verstanden werden, dass entsprechende Sprachkenntnisse (lediglich) nicht bei den in Irland beschäftigten Mitarbeitern der (dort ansässigen) Antragsgegnerin vorhanden sind. Aufgrund des o.g. Gesamtbildes ist das Beschwerdegericht jedenfalls davon überzeugt, dass für die Betreuung deutscher Kunden – ggf. durch eine weitere zum F.b.-Konzern gehörende Gesellschaft – Mitarbeiter mit entsprechenden Sprachkenntnissen vorhanden sind. Dass derartige personelle Ressourcen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten mit deutschen Kunden nicht auch durch die Antragsgegnerin als formale Vertragspartnerin dieser Kunden genutzt werden könnten, ist für das Beschwerdegericht nicht vorstellbar, zumal davon auszugehen ist, dass bei einer Zahl von 31 Mio. in Deutschland ansässigen F.b.-Kunden Rechtsstreitigkeiten vor deutschen Gerichten in einer Größenordnung anfallen, die es schon aus wirtschaftlichen Gründen naheliegend erscheinen lässt, entsprechend qualifizierte deutschsprachige Mitarbeiter zu beschäftigen.
Dass deutschsprachige Juristen zur Bearbeitung der rechtlichen Fragestellungen, die sich im Zusammenhang mit den mit in Deutschland ansässigen F.b.-Nutzern geschlossenen Verträgen ergeben, zur Verfügung stehen, ergibt sich im Übrigen auch aus dem vom Antragsteller zitierten NetzDG-Transparenzbericht vom 27.08.2018. Nachdem dessen Inhalt von der Antragsgegnerin nicht bestritten worden ist und die Antragsgegnerin wiederum unstreitig Vertragspartnerin (auch) der in Deutschland ansässigen F.b.-Nutzer ist, lässt dies aus Sicht des Beschwerdegerichts nur den Schluss zu, dass die bezeichneten Juristen (jedenfalls auch) für die Antragsgegnerin tätig sind.
e) Die Folgen einer unberechtigten Annahmeverweigerung bestimmen sich unter Berücksichtigung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität nach der lex fori (vgl. EuGH, BeckRS 2016, 80963 [Alta Realitat SL], Rdnr. 83 ff. Nach § 179 Satz 3 ZPO gilt die einstweilige Verfügung damit als zugestellt (vgl. LG Heidelberg, BeckRS 2018, 41758, Rdnr. 8; a.a.O., Geimer/Schütze/ Okonska, Art. 8 EuZustVO, Rdnr. 94; MüKo ZPO/Rauscher, Art. 8 EuZustVO, Rdnr. 18).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
4. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GKG. Da das Beschwerdeverfahren nicht den Erlass der streitgegenständlichen einstweiligen Verfügung, sondern nur die Frage ihrer wirksamen Zustellung zum Gegenstand hat, kann nur ein Bruchteil des für das Verfügungsverfahren insgesamt angesetzten Streitwerts i.H.v. 10.000,– € zugrunde gelegt werden. Aus Sicht des Beschwerdegerichts erscheint ein Bruchteil von 1/4 des o.g. Wertes angemessen.


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