Kosten- und Gebührenrecht

Bergriff der wirtschaftlichen Identität von Forderung und Gegenforderung bei der Wertfestsetzung

Aktenzeichen  11 W 1094/18

Datum:
18.7.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21446
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 45 Abs. 3

 

Leitsatz

Zum Begriff der wirtschaftlichen Identität von Forderung und Gegenforderung bei der Wertfestsetzung gemäß § 45 Abs. 3 GKG.

Verfahrensgang

18 O 207/17 2017-12-15 Bes LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15.12.2017 abgeändert und der Streitwert für das Verfahren im ersten Rechtszug auf 5.104,50 € festgesetzt.

Gründe

Der als Beschwerde auszulegende Antrag der Klägerin „auf Abänderung gemäß § 63 Abs. 3 GKG“ gegen den Beschluss des Landgerichts ist gemäß § 68 Abs. 1 GKG zulässig und in der Sache auch begründet. Die Voraussetzungen für eine Erhöhung des Streitwerts durch die Hilfsaufrechnung liegen nicht vor.
Nach § 45 Abs. 3 GKG erhöht sich der Streitwert bei einer Hilfsaufrechnung mit einer bestrittenen Gegenforderung um den Wert der Gegenforderung, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht.
Gegen die Hauptforderung, den (Rest-)Gebührenanspruch, machte die Beklagte geltend, dass sie nicht hinreichend über die zu erwartenden Kosten aufgeklärt worden sei. In den Angelegenheiten „Vermögensauseinandersetzung“ und „Kindesunterhalt“ habe sie keinen Auftrag erteilt. Das Sorgerecht sei zwar Thema in einem Beratungsgespräch gewesen, auch dabei sei aber kein ausdrücklicher Auftrag erteilt worden und wäre auch nicht erteilt worden, wenn sie gewusst hätte, dass es sich um eine gebührenrechtlich gesonderte Angelegenheit handele. Zur Höhe der Gebühren für die Angelegenheit Trennungsunterhalt wurde von der Beklagten vorgetragen, dass rückständiger Unterhalt frühestens ab April 2013 habe geltend gemacht werden können und deshalb auch bei der Berechnung der rückständige Unterhalt keine Berücksichtigung finden dürfe. Die güterrechtliche Berechnung der Rechtsanwältin habe überdies keinerlei Eingang in die notarielle Scheidungsvereinbarung gefunden, weshalb keine Einigungsgebühr entstanden sei. In der Angelegenheit Güterrecht hätte lediglich der Gegenstandswert für die Auskunftsstufe angenommen werden müssen. Im Übrigen handele es sich um einen einheitlichen Auftrag, weshalb die Gegenstandswerte zu addieren seien. Die in der Rechnung mit jeweils 1,3 geltend gemachten Geschäftsgebühren für die Angelegenheiten Vermögensauseinandersetzung, Kindesunterhalt und Sorgerecht seien zudem zu hoch angesetzt.
Hilfsweise erklärte die Beklagte die Aufrechnung gegen die Klageforderung mit Schadensersatzansprüchen gegen die Klägerin in selbiger Höhe aus Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflichten über die Kosten.
Mit ihrem Antrag vom 07.05.2018 hat die Beschwerdeführerin zunächst erklärt, die Aufrechnung sei primär erfolgt. Diesen Einwand hat die Beschwerdeführerin zurückgezogen.
Das Landgericht hat über diese Aufrechnungsforderung eine „der Rechtskraft fähige“ Entscheidung getroffen. Auf die Frage, ob die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist, kommt es nicht an. Die Rücknahme der Klage im zweiten Rechtszug ändert an der Rechtskraftfähigkeit der Entscheidung nichts. Die Rücknahme kann den Streitwert des ersten Rechtszugs nicht reduzieren (Rohn in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., § 45 GKG Rn. 46; Sonnenfeld/Steder, RPfleger 1995, 60, 63; a. A. BGH, Urteil vom 26.11.1984, VIII ZR 217/83 Rn. 59 im juris-Ausdruck; Lappe Rpfleger 1995, 401; zum Meinungsstand: Leichsenring NJW 2013, 2155, 2158). Anders wäre das zu beurteilen, wenn die Klage schon in erster Instanz zurückgenommen worden wäre (hierzu Dörndörfer in Binz u. a., GKG, FamGKG, JVEG, 3. Aufl., § 45 GKG Rn. 32). Bei einer Rücknahme der Klage ist der Rechtsstreit zwar als nicht anhängig geworden anzusehen, wie die Klägerin zutreffend ausführt, der mit der Entscheidung und ihrer Vorbereitung verbundene Aufwand im ersten Rechtszug ist dadurch aber nicht weggefallen. Auf die Vergütung des „Tätigwerden des Gerichts und der Beteiligten“ stellt auch die Gesetzesbegründung ab (BT-Drs. 7/3243 S. 5; BT-Drs. 12/6962 S. 63), die Einwände gegen die Vergütung der „Mühewaltung“ (Lappe a.a.O.) treffen deshalb aus Sicht des Senats nicht zu.
Die Erhöhung des Streitwerts hat hier aber zu unterbleiben, weil nur eine sekundäre Verteidigung streitwerterhöhend sein kann, die wirtschaftlich nicht identisch ist (Rohn a.a.O. Rn. 45; Kurpat in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., §§ 45 GKG Rn. 28). Schindler (in Beck-OK Kostenrecht § 45 GKG Rn. 25) spricht treffend von einer „eigenständigen wirtschaftlichen Bedeutung“ der Gegenforderung, mit der hilfsweise aufgerechnet wird.
Im vorliegenden Verfahren kommt der geltend gemachte Schadensersatzanspruch immer nur dann zu tragen, wenn die Einwendungen gegen die Entstehung der Hauptforderung nicht durchgreifen.
Der mit der Hilfsaufrechnung geltend gemachte „Schaden“ hängt damit unmittelbar von der Begründetheit der Hauptforderung ab. Untechnisch gesprochen handelt es sich bei dem Ersatzanspruch eigentlich um eine weitere (rechtsvernichtende) Einwendung gegen den Anspruch selbst. Bei der letztlich identischen Frage, ob sich der Streitwert durch die Erhebung einer Widerklage erhöht oder ob „derselbe Gegenstand“ im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG vorliegt, stellt der Bundesgerichtshof ebenfalls nicht auf den zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff ab, sondern fordert eine wirtschaftliche Betrachtung. Eine Zusammenrechnung hat grundsätzlich nur dort zu erfolgen, wo durch das Nebeneinander von Klage und Widerklage eine „wirtschaftliche Werthäufung” entsteht, beide also nicht das wirtschaftlich identische Interesse betreffen. „Eine solche wirtschaftliche Identität von Klage und Widerklage liegt nach der von der Rechtsprechung entwickelten „Identitätsformel” dann vor, wenn die Ansprüche aus Klage und Widerklage nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass das Gericht unter Umständen beiden stattgeben kann, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zieht“ (BGH NJW-RR 2005, 506). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die Ansprüche demselben Lebenssachverhalt entspringen.
Im vorliegenden Verfahren hätte das Nichtbestehen (oder die Abweisung) der Hauptforderung zur Folge gehabt, dass die Gegenforderung nicht entstanden wäre. Die Haupt- und die Gegenforderung hätten aber auch nebeneinander bestehen können. So kann dem Anwalt ein Auftrag gegeben werden und hieraus ein Gebührenanspruch entstehen, dem Mandanten aber gleichzeitig Schadensersatzansprüche wegen fehlender Aufklärung über diese Gebühren zustehen.
Die Rechtsprechung hat in Abweichung von dieser formalen Abgrenzung der wirtschaftlichen Betrachtung auch in anderen Fällen den Vorzug gegeben. So hat das OLG Stuttgart (NJW 2011, 540) die Streitwerterhöhung abgelehnt, wenn sich der Beklage gegen eine Werklohnforderung in erster Linie mit fehlender Abnahme wegen Mängeln verteidigt, hilfsweise mit einem Schadensersatzanspruch wegen derselben Mängel aufrechnet, obwohl auch dort theoretisch Haupt- und Gegenanspruch nebeneinander bestehen könnten.
Das OLG Celle weist (zu gegenläufigen Ansprüchen auf Zugewinnausgleich) zutreffend darauf hin, dass die oben genannte Identitätsformel andererseits auch nicht genügt, um eine Zusammenrechnung auszuschließen. Voraussetzung für die Annahme desselben Gegenstandes ist weiter, dass Klage und Widerklage dasselbe wirtschaftliche Interesse betreffen. Ist dies nicht der Fall, entsteht gerade die „wirtschaftliche Werthäufung”, die der BGH als maßgeblich für die Zusammenrechnung ansieht (NJW-RR 2011, 223; im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt, BeckRS 2018, 5839 = NZFam 2018, 530 m. Anm. Schneider; OLG Hamm FamRZ 2017, 549: wirtschaftlich gesehen gehe es um die „gesamte Differenz“).
Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise führt im vorliegenden Verfahren aber nicht zur Streitwerterhöhung. Hierin unterscheidet sich das Verfahren von anderen Verfahren, in denen hilfsweise ein Anspruch zur Aufrechnung gestellt wird, dessen Entstehung mit der Klageforderung nicht im Zusammenhang steht und der zur Abwehr der Klage „geopfert“ wird.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht angreifbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG)


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