Kosten- und Gebührenrecht

Insolvenzverfahren, Insolvenzverwalter, Kostenerstattung, Zustellung, Streitwert, Festsetzung, Erinnerung, Umsatzsteuer, Mangel, Erstattung, Anspruch, Auslagen, Form, Verfahren, Sinn und Zweck, Keine Zustellung, Rechtsprechung des BGH

Aktenzeichen  1513 IK 297/21

Datum:
1.4.2022
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10204
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Auf die Erinnerung der Insolvenzverwalterin … vom 15.10.2021 gegen den Beschluss des AG München vom 30.09.2021 hin, wird dieser dahingehend abgeändert, dass die Kosten wie folgt ergänzend festgesetzt werden:
Kosten für übertragenene Zustellungen für 5 Zustellungen mit einem Pauschalbetrag von 3,50 EUR je Zustellung netto 17,50 EUR
zzgl. Umsatzsteuer in Höhe von 19,00 % 3,32 EUR,
insgesamt: brutto 20,82 EUR.

Gründe

Die Erinnerung ist zulässig und begründet.
Die Insolvenzverwalterin legte mit Schriftsatz vom 15.10.2021 Erinnerung gegen den Vergütungsbeschluss des AG München vom 30.09.2021 ein.
Die Insolvenzverwalterin hatte mit Schreiben vom 06.07.2021 beim Amtsgericht die Festsetzung der Vergütung für die Tätigkeit als Insolvenzverwalterin in Form der Mindestvergütung, die Festsetzung der Auslagen, und die Kosten für die übertragenen Zustellungen zzgl. 19 % Umsatzsteuer beantragt. Mit Beschluss des Amtsgerichts wurden lediglich die Mindestvergütung und die Auslagen festgesetzt. Die von der Insolvenzverwalterin weiter beantragte Festsetzung der Kosten für die übertragenen Zustellungen in Höhe von 17,50 € zzgl. 19 % Umsatzsteuer wurde durch die Rechtspflegerin zurückgewiesen. Diese wies die Vergütung der Zustellungen mit der Begründung zurück, dass unter Anwendung von Nummer 9002 KV GKG der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes keine Zustellungsauslagen erstattet werden, da vorliegend lediglich eine Anzahl von fünf Zustellungen vorliegt. Weiter wird in den Gründen des Beschlusses ausgeführt, dass ein Anspruch auf Kostenersatz erst ab der elften Zustellung besteht. Deswegen wurde eine Kürzung vorgenommen.
Die Rechtspflegerin half mit Verfügung vom 20. Oktober 2021 der Entscheidung nicht ab.
Die Insolvenzverwalterin ist der Auffassung, dass sich die Einschränkung der Nummer 9002 nicht auf das Insolvenzverfahren auswirkt. Konkret würden sich die Gerichtsgebühren im Insolvenzverfahren nicht nach einem Streitwert richten. Die Einschränkung lasse sich damit auch nicht auf das Insolvenzverfahren übertragen. Mit der Regelvergütung des Insolvenzverwalters würde grundsätzlich keine Zustellung mitfinanziert. Die Insolvenzverwalterin argumentiert weiter, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Satzes 2 in § 4 Abs. 2 InsVV lediglich eine einheitliche Regelung für die Höhe der Zustellkosten schaffen wollte und mit den Zustellungen dem Verwalter gemäß § 8 Abs. 3 InsO eine Aufgabe übertragen wird, die an sich den Gerichten obliegt und damit außerhalb der Regelaufgaben des Verwalters. Hierbei zitiert die Insolvenzverwalterin BGH Beschluss vom 21.03.2013, Az: IX ZB 209/10. Der BGH hatte in diesem Beschluss entschieden, dass Insolvenzverwalter für die von der Justizbehörde übertragenen Zustellungen bereits ab der ersten Zustellung gesondert zu vergüten sind. Somit sollte die Ergänzung des § 4 Abs. 2 InsVV lediglich zu einer einheitlichen Regelung bezüglich der Kosten von 3,50 € je Zustellung führen. Die Sonderklausel der Nummer 9002 ist nach ihrer Auffassung in diesem Fall auf der Insolvenzverwalter nicht anwendbar.
Die Insolvenzverwalterin zitierte im Folgenden eine Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt, Beschluss vom 18.10.2021, Az: 810 IK 291/21 K-16-2. In dieser Entscheidung hat das Amtsgericht Frankfurt entschieden, dass die Einschränkung die Zustellungspauschale nur zu erheben, soweit in einem Rechtszug mehr als zehn Zustellungen anfallen und ein Auslagenersatz erst ab der elften Zustellung besteht, auf die Vergütung der Insolvenzverwalterin nicht anwendbar ist. Weiter ist das Amtsgericht Frankfurt der Meinung, dass die Kosten der Zustellung zu den erstattungsfähigen Auslagen der Insolvenzverwalterin gehören. Zustellungen, die auf Grund einer Anordnung nach § 8 Abs. 3 InsO entstanden sind, stellen zusätzliche Kosten für die Erledigung einer gesondert übertragenen Aufgabe dar, welche in voller Höhe zu vergüten sind.
Gesetzlich wurde für Verfahren die nach dem 31. Dezember 2020 beantragt worden sind, in § 4 Abs. 2 InsVV ein Satz eingefügt, der bezüglich der Zustellungen im Sinne des § 8 Abs. 3 InsO auf die Nummer 9002 des KV GKG verweist. Unter Nummer 9002 heißt es dort: „Pauschale für Zustellung mit Zustellungsurkunde, Einschreiben gegen Rückschein oder durch Justizbedienstete nach § 168 Abs. 1 ZPO je Zustellung 3,50 €. Neben Gebühren die sich nach dem Streitwert richten, mit Ausnahme der Gebühr 3007 wird die Zustellungspauschale nur erhoben, soweit in einem Rechtszug mehr als zehn Zustellungen anfallen“.
Aus der Drucksache 19/24181 ergibt sich in Zusammenhang mit der Neuregelung des § 4 InsVV: Eine weitere Folge der entsprechenden Anwendung von Nummer 9 1002 der Anlage eins zu § 3 Abs. 2 GKG besteht darin, dass ein Anspruch auf Auslagenersatz erst ab der elften Zustellung im Verfahren besteht.
Insgesamt ist die Meinungslandschaft zu dieser Frage in den Kommentierungen und der sonstigen Literatur sehr vielfältig.
In der Kommentarliteratur vertreten einige Autoren die Meinung, dass erst ab der elften Zustellung ein Anspruch auf Ersatz besteht (vgl. Forster (HambKommInsR/Forster, InsVV § 4 Rn. 38), Janssen (NK-GK/Janssen, 3. Aufl. 2021, InsVV § 4 Rn. 4 a), Riedel (Stephan InsVV/Riedel § 4 Rn. 6; § 8 Rn. 46). Dies geschieht ohne nähere Begründung.
Budnik vertritt die Auffassung (Budnik in Beck Onlinekommentar für Insolvenzrecht, § 4 InsVV, Rz. 14 b, Stand 01.01.2022), dass die Kosten bereits ab der ersten Zustellung anfallen. Weiter ist er Auffassung, dass die besonderen Kosten für die nach § 8 Abs. 3 InsO übertragenen Zustellungen neben der Pauschale nach § 8 Abs. 3 InsO geltend gemacht werden können. Budnik führt weiter aus, dass „allein die Normierung der Höhe der Zustellkosten in Abs. 2 keiner anderen Bewertung als in der den bisherigen Entscheidungen des BGH führen können“.
Auch Graeber in NZI 2021, 370 und Marquardt in NZI 2022, 54 weichen argumentativ von der Begründung der Bundestagsdrucksache ab.
Das AG Leipzig, Beschluss vom 20.12.2020 21, 401 IK 591/21 spricht eine Erstattung von Auslagen erst ab der elften Zustellung zu. Betont jedoch, dass es dem Insolvenzverwalter freisteht, statt der Auslagenpauschale tatsächlich angefallene Auslagen geltend zu machen.
Das AG Hamburg, Beschluss vom 04.02.2022, 86 h IK 35/21 vertritt zwar grundsätzlich die Auffassung, dass erst ab der elften Zustellung eine Erstattung erfolgen soll. Jedoch ist das AG Hamburg der Meinung, dass dem Insolvenzverwalter bis zum Ende des Verfahrens erfolgte gerichtliche Zustellungen auf die ersten zehn auslagenfreien Zustellungen anzurechnen sind. Hiernach sollen gerichtliche Zustellungen im Verfahren mit den Zustellungen des Insolvenzverwalters zusammengerechnet werden. Genannt wird das Beispiel: das Gericht hat bis Verfahrensende 12 Zustellungen veranlasst, der Insolvenzverwalter kann alle seine Zustellungen pauschaliert geltend machen).
Das AG Potsdam (Beschluss vom 27 Januar 2022, 6.50 IK 110/21) hat den Ersatz von Zustellungskosten gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 InsVV abgelehnt, da in diesem Fall der Insolvenzverwalter den generellen Auslagenersatz mit der Möglichkeit einer Pauschalierung gemäß § 8 Abs. 3 ins VV gewählt hatte.
Es ist der Ansicht des AG Frankfurt und Graebers zu folgen, dass die weiteren Voraussetzungen der besonderen Klausel in Nummer 9002 KV GKG bezüglich der Vergütung des Insolvenzverwalters nicht vorliegen (s.o. Graeber in NZI 2021, 370).
Voraussetzung für eine Beschränkung der Kostenerstattung im Sinne der Nr. 9002 KV GKG ist, dass es sich um Gebühren handelt, die sich nach einem Streitwert richten. Vorliegend geht es jedoch um eine Vergütung, welche sich gerade nicht nach dem Streitwert richtet. Die Voraussetzungen liegen also für die Vergütung eines Insolvenzverwalters nicht vor. Über diesen Mangel kann auch nicht das in § 4 Abs. 2 InsVV eingefügte Wort „entsprechend“ hinweghelfen. Auch nach dem Sinn und Zweck dieser besonderen Klausel kommt eine Beschränkung zulasten eines Insolvenzverwalters nicht in Betracht. Denn Nr. 9002 geht davon aus, dass die ersten zehn Zustellungen bereits durch die Gerichtskosten als abgedeckt angesehen werden. In der Regelvergütung eines Insolvenzverwalters sind Kosten für die Zustellung jedoch grundsätzlich nicht enthalten. Daher kann Nummer 9002 KV GKG auch nicht zulasten eines Insolvenzverwalters ausgelegt werden. Bereits nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschluss vom 21.03.2013 – IX ZB 209/10) steht fest, dass die Zustellungen grundsätzlich den Gerichten obliegen und damit nicht zu den mit der Regelvergütung abgegoltenen Tätigkeiten des Verwalters gehören können. Der BGH stellt insofern fest: „Würde der Verwalter für diese im Auftrag des Gerichts ausgeführte Sondertätigkeit nicht vergütet, wäre er letztlich ehrenamtlich tätig (BGH; s.o.). Dies widerspreche dem Grundsatz, dass der Staat für die Erledigung von im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben Staatsbürger im Rahmen ihrer Berufstätigkeit nicht ohne eine angemessene Vergütung in Anspruch nehmen darf (vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.2013 – IX ZB 209/10)“. Dieser Grundgedanke muss auch weiterhin gelten, insbesondere da die Gesetzesbegründung in der Drucksache 19/24181 keine klare und abschließende Regelung findet. Der Versuch der Neuregelung ist vielmehr in sich widersprüchlich ist. Allein auf den Wortlaut der Sonderklausel Nummer 9002 abzustellen, kann vorliegend nicht die Lösung sein.
Die Begründung des Regierungsentwurfs verfehlt es, den Besonderheiten der Vergütung des Insolvenzverwalters Rechnung zu tragen. Es mag zwar der ursprüngliche Gedanke des Regierungsentwurfs gewesen sein, jedoch kann dies dem Text der Neuregelung, dem Sinn und Zweck der Regelung, sowie dem Wortlaut der Nummer 9002 KV GKG schlicht nicht entnommen werden.
Der Beschluss des AG München war daher bezüglich der Kostenfestsetzung zu ergänzen und eine Kostenerstattung bereits ab der ersten Zustellung zu gewähren.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben