Kosten- und Gebührenrecht

Keine Beiordnung eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts

Aktenzeichen  10 C 17.1076

Datum:
19.6.2017
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO ZPO § 121 Abs. 3, Abs. 4

 

Leitsatz

1 Auch wenn eine Rechtsverfolgung im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr beabsichtigt ist, kann der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe weiterverfolgt werden, wenn der Prozesskostenhilfeantrag rechtzeitig und vollständig vor Abschluss des Klageverfahrens gestellt wurde (BayVGH BeckRS 2014, 50150). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 § 121 Abs. 3 ZPO soll sicherstellen, dass ein Prozesskostenhilfeberechtigter nicht besser gestellt wird als ein kostenbewusster und vernünftiger Prozessbeteiligter, der seine Prozesskosten selbst tragen muss (VGH BW BeckRS 2015, 46258). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 E 17.127 2017-05-03 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zu den Bedingungen eines im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts erfolgt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Der in I. innerhalb des Bezirks des Prozessgerichts wohnhafte Kläger und Antragsteller (im Folgenden Antragsteller) beantragte für seine Klage auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG und das entsprechende Eilverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten.
Mit Beschluss vom 3. Mai 2017 bewilligte das Verwaltungsgericht München als Prozessgericht die beantragte Prozesskostenhilfe und ordnete dem Antragsteller seine in B. ansässige Rechtsanwältin „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts“ bei. Im Klageverfahren sei eine Zeugeneinvernahme der Mutter des Kindes des Antragstellers zur Vater-Kind-Beziehung erforderlich. Auch sei zu entscheiden, ob das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Die Einschränkung der Beiordnung auf einen „ortsansässigen Rechtsanwalt“ beruhe auf § 121 Abs. 3 ZPO. Besondere Umstände i.S.d. § 121 Abs. 4 ZPO lägen nicht vor.
In der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2017 hat der Antragsteller seine Klage auf Erteilung einer Duldung und seinen Antrag auf vorläufige Aussetzung der Abschiebung zurückgenommen.
Gegen den Beschluss vom 3. Mai 2017 legte die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 15. Mai 2017 insoweit Beschwerde ein, als die Bewilligung von Prozesskostenhilfe lediglich zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts erfolgt ist. Sie sei auf Ausländer-, Asyl- und Familienrecht spezialisiert. Eine erfolgreiche Vertretung des Antragstellers sei nur mit speziellen Kenntnissen des Familienrechts möglich. Auch wenn er in der Nähe seines Wohnorts einen Rechtsanwalt mit speziellen Kenntnissen im Ausländerrecht gefunden hätte, hätte es der Beiziehung eines weiteren Anwalts mit familienrechtlichen Kenntnissen bedurft.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen. Die im Beschwerdeschriftsatz vorgetragenen Gründe rechtfertigten keine Abänderung des angegriffenen Beschlusses.
Im Übrigen wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten in den Verfahren M 12 K 17.126 und M 12 E 17.127 verwiesen.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Einer Beschwerdeentscheidung steht zwar nicht entgegen, dass der Antragsteller seine Klage auf Erteilung einer Duldung und seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgenommen hat (1.). Er hat aber keinen Anspruch auf Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten ohne die angegriffene Beschränkung (2.) Klarzustellen ist lediglich, dass die Beiordnung zu den Bedingungen eines im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Anwalts erfolgt (3.).
1. Der Antragsteller hat seine Klage und seinen Antrag auf vorläufige Aussetzung der Abschiebung noch vor der Einlegung der Beschwerde zurückgenommen. Eine Rechtsverfolgung ist somit im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr beabsichtigt. Der Antragsteller kann aber in einem solchen Fall seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und damit verbunden die hier allein strittige unbeschränkte Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten weiterverfolgen, wenn er seinen Prozesskostenhilfeantrag rechtzeitig und vollständig vor Abschluss des Klageverfahrens gestellt hat (BayVGH, B.v. 7.4.2014 – 10 C 12.195 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall.
2. Es kann offen bleiben, ob die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers beschwerdebefugt (2.1) ist, jedenfalls ist die Beschwerde gegen die Beschränkung der Beiordnung im Bewilligungsbeschluss für die Prozesskostenhilfe unbegründet (2.2).
2.1 An der Beschwerdebefugnis der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers bestehen Zweifel. Nach § 121 Abs. 3 ZPO ist die Beiordnung eines im Bezirk des Prozessgerichts nicht niedergelassenen Rechtsanwalts nur möglich, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Es wird daher die Auffassung vertreten, dass ein Rechtsanwalt, der in Kenntnis dieser gesetzlichen Regelung seine Beiordnung beantragt, obwohl er nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist, konkludent sein Einverständnis erklärt, dass er auf einen Ersatz der Mehrkosten verzichtet (Fischer in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 121 Rn. 18 m.w.N.; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 166 Rn. 141; BayVGH, B.v. 5.3.2010 – 19 C 10.236 – juris Rn. 2).
2.2 Die Beschwerde ist unbegründet, weil kein Anspruch auf Beiordnung eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts besteht. Die Vorschrift des § 121 Abs. 3 ZPO soll sicherstellen, dass ein Prozesskostenhilfeberechtigter nicht besser gestellt wird als ein kostenbewusster und vernünftiger Prozessbeteiligter, der seine Prozesskosten selbst tragen muss (VGH BW, B.v. 30.4.2015 – 11 S 124/15 – juris Rn. 2). Daher ist eine Beschränkung der Beiordnung auf die für einen im Bezirk des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt geltenden Bedingungen zur Vermeidung entbehrlicher Reisekosten grundsätzlich möglich.
Eine unbeschränkte Beiordnung eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts kann nur unter den Voraussetzungen, unter denen dem Antragsteller zusätzlich ein Verkehrsanwalt beigeordnet werden könnte, erfolgen. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen besonderer Umstände i. S. d. § 121 Abs. 4 ZPO. Derartige besondere Umstände können darin bestehen, dass der Rechtsstreit besondere rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten aufweist, die eine besonders qualifizierte rechtliche Beratung erfordern oder dass zu einem auswärtigen Anwalt ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht (Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 166 Rn. 141 m.w.N.). Solche besonderen Umstände hat der Antragsteller nicht dargetan. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren war zu klären, ob zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn eine nach Art. 6 GG geschützte Vater-Kind-Beziehung besteht. Besondere familienrechtliche Kenntnisse sind für die gerichtliche Zeugeneinvernahme der Kindsmutter und Lebensgefährtin des Antragstellers nicht erforderlich. Die Frage, ob der Antragsteller der biologische Vater des Kindes ist, wird im Vaterschaftsanfechtungsverfahren vor dem Familiengericht geklärt werden und ist nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.
3. Die Zurückweisung der Beschwerde erfolgt mit der Maßgabe, dass dem Antragsteller seine Rechtsanwältin zu den Bedingungen eines im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet wird. Das Erstgericht hat die Prozesskostenhilfe zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts bewilligt. Nach der Aufgabe des berufsrechtlichen Lokalisationsprinzips ist für die Beiordnung im Rahmen des § 121 Abs. 3 ZPO an die Niederlassung im Gerichtsbezirk anzuknüpfen (Fischer in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 121 Rn. 19). Davon ist das Verwaltungsgericht auch ausgegangen (EA S. 16). Daher war der Tenor des Beschlusses mit der entsprechenden Maßgabe zu versehen. Für die Bevollmächtigte des Antragstellers bedeutet dies, dass sie Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung bis zur größtmöglichen Entfernung von einem im Gerichtsbezirk gelegenen Ort bis an den Sitz des Verwaltungsgerichts hat (BayVGH, B.v. 5.3.2010 – 19 C 10.236 – juris Rn. 12).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 2 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben