Aktenzeichen 10 C 17.1793
Leitsatz
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, also wenn dieser vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte. (Rn. 5) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Ändert sich im Laufe des Verfahrens die Sach- und Rechtslage zugunsten des Antragstellers, ist ausnahmsweise jedoch der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – hier des Beschwerdegerichts – maßgeblich, wenn nach dem materiellen Recht bei einer Entscheidung in der Hauptsache im Laufe des Verfahrens eingetretene Entwicklungen zu berücksichtigen sind (Hinweis auf BayVGH BeckRS 2018, 26914). (Rn. 5) (red. LS Alexander Tauchert)
3. Der Tatverdacht ist entfallen, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist, der Betroffene nicht als Täter in Betracht kommt oder ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Dagegen reicht zur weiteren Speicherung ein weiterhin bestehender Anfangsverdacht im strafprozessualen Sinne aus, es muss sich nicht um einen hinreichenden Tatverdacht i.S.d. § 203 StPO handeln. (Rn. 8) (red. LS Alexander Tauchert)
Verfahrensgang
AN 15 K 16.01976 2017-08-07 Bes VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach anhängige Klage weiter, mit der er – unter Aufhebung des Bescheids des Bayerischen Landeskriminalamts vom 8. September 2016 – die Verpflichtung des Beklagten erreichen will, im Bayerischen Kriminalaktennachweis (KAN) und im Integrationsverfahren Polizei (IGVP Vorgangsbearbeitung) gespeicherte Eintragungen zu löschen.
Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 VwGO) ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, also wenn dieser vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte. Ändert sich im Laufe des Verfahrens die Sach- und Rechtslage zugunsten des Antragstellers, ist ausnahmsweise jedoch der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – hier des Beschwerdegerichts – maßgeblich, wenn nach dem materiellen Recht bei einer Entscheidung in der Hauptsache im Laufe des Verfahrens eingetretene Entwicklungen zu berücksichtigen sind (BayVGH, B.v. 5.10.2018 – 10 C 17.322 – juris Rn. 6 m.w.N.). Da im vorliegenden Fall eine Verpflichtungsklage inmitten steht, bei der auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen ist, kommt es somit auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung an.
Gemessen an diesen Grundsätzen hat im vorliegenden Fall auch unter Einbeziehung des klägerischen Vorbringens im Beschwerdeverfahren das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat.
Nach Art. 62 Abs. 2 Satz 1 PAG (i.d.F.v. 18.5.2018 – n.F.) sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, wenn (Nr. 1) ihre Erhebung oder weitere Verarbeitung unzulässig war, (Nr. 2) sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen, oder (Nr. 3) bei der zu bestimmten Fristen oder Terminen vorzunehmenden Überprüfung oder aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgabe nicht mehr erforderlich ist. Ferner sind nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG (n.F.) personenbezogene Daten, die im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gewonnen wurden, unverzüglich zu löschen, wenn der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht entfallen ist. Insoweit haben sich keine für den vorliegenden Fall bedeutsamen Änderungen der Rechtslage gegenüber den noch dem Bescheid und der erstinstanzlichen Entscheidung zugrunde liegenden Vorgängervorschriften Art. 45 Abs. 2 bzw. Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG in der vor dem 18. Mai 2018 geltenden Fassung (a.F.) ergeben.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass bei fortbestehendem Tatverdacht die Kenntnis der gespeicherten personenbezogenen Daten zur Erfüllung der der speichernden Stelle obliegenden Aufgaben grundsätzlich weiterhin erforderlich ist. Der Tatverdacht ist entfallen, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist, der Betroffene nicht als Täter in Betracht kommt oder ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Dagegen reicht zur weiteren Speicherung ein weiterhin bestehender Anfangsverdacht im strafprozessualen Sinne aus, es muss sich nicht um einen hinreichenden Tatverdacht i.S.d. § 203 StPO handeln. Eine Einstellung nach §§ 153 ff. StPO lässt den Tatverdacht nicht entfallen. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO ist jeweils zu prüfen, ob die Einstellung wegen erwiesener Unschuld erfolgt ist, oder ob ein „Restverdacht“ fortbesteht, wenn etwa ein Tatnachweis vor Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geführt werden kann (BayVGH, B.v. 22.1.2015 – 10 C 14.1797 – juris Rn. 13 m.w.N.; BayVGH, B.v. 10.6.2013 – 10 C 13.62 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 1.8.2012 – 10 ZB 11.2438 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 20.2.2013 – 10 ZB 12.2455 – juris. Rn. 5; BayVGH, B.v. 5.1.2017 – 10 ZB 14.2603 – juris Rn. 13; Aulehner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand 1.2.2019, Art. 54 PAG Rn. 28 ff.; Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 4. Aufl. 2014, Art. 38 PAG a.F. Rn. 33 ff.).
In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze hat das Verwaltungsgericht in Bezug auf die neun (von ursprünglich zwölf) gespeicherten Aktenvorgänge bzw. Datensätze zutreffend festgestellt, dass jeweils noch ein Restverdacht in dem beschriebenen Sinn besteht; auf diese Ausführungen (BA S. 11-13) wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Auch in seinen umfangreichen Ausführungen im Beschwerdeverfahren kann der Kläger letztlich nicht darlegen, dass im weiteren Verlauf des Klageverfahrens der jeweils fortbestehende Restverdacht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeräumt werden könnte.
Was den Besitz kinder- und jugendpornografischer Schriften betrifft, wird der Restverdacht auch durch das im Disziplinarverfahren eingeholte weitere EDVtechnische Gutachten nicht beseitigt; insoweit wird lediglich festgestellt, dass sich der Vortrag des Klägers insbesondere hinsichtlich der etwa achtmonatigen alleinigen Verfügungsgewalt anderer Personen über die Datenträger nicht mit der für die im Disziplinarverfahren erforderlichen Sicherheit widerlegen lässt (Bescheid über die Einstellung des Disziplinarverfahrens vom 5.7.2018, S. 8). Der Restverdacht mag dadurch verringert worden sein, ausgeräumt wurde er damit nicht.
Bezüglich der weiteren noch gespeicherten Vorgänge hat der Kläger ebenfalls nichts Durchgreifendes gegen den jeweils fortbestehenden Restverdacht vorgetragen. Er trägt seine Sicht der Dinge vor; teilweise räumt er letztlich den Vorwurf ein und erklärt bzw. relativiert die ihm seinerzeit vorgeworfenen Taten, teilweise bestreitet er sie, ohne aber die Verdachtsmomente ausräumen zu können. Soweit der Kläger auf die Einstellung des Disziplinarverfahrens (auch) bezüglich der weiteren Vorwürfe verweist, ist festzuhalten, dass die Einstellung erfolgte, weil die Taten nicht mehr verfolgbar waren, entweder durch Zeitablauf oder durch den Umstand, dass für einen Teil der Vorwürfe bereits ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid vorlag.
Für eine Beweiserhebung, wie im klägerischen Schriftsatz vom 31. August 2018 verlangt, ist im Rahmen der vorliegenden Beschwerde kein Raum.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).