Kosten- und Gebührenrecht

Prozesskostenhilfenbewilligung für Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bereits beendeten längerfristigen polizeilichen Observation

Aktenzeichen  10 C 21.1523

Datum:
16.6.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20853
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
PAG Art. 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 (idF bis zum 24.5.2018)

 

Leitsatz

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife der beantragten Prozesskostenhilfe, der vorliegt, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer bereits beendeten längerfristigen polizeilichen Observation auf der Rechtsgrundlage von Art. 33 Abs. 1 und 2 BayPAG in der bis zum 24.5.2018 geltenden Fassung hat das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob die Vorschrift vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Anforderungen an Rechtsgrundlagen für eine längerfristige Observation verfassungskonform ist. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 23 K 18.5128 2021-05-03 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

Dem Kläger wird unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 3. Mai 2021 für seine Klage (M 23 K 18.5128) Prozesskostenhilfe bewilligt.

Gründe

Der Kläger verfolgt mit seiner Beschwerde seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine beim Bayerischen Verwaltungsgericht München anhängige Klage (M 23 K 18.5128) weiter. Mit dieser Klage begehrt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bereits beendeten längerfristigen polizeilichen Observation seiner Person.
Die Beschwerde ist zulässig (§ 146 Abs. 1 VwGO) und begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger Prozesskostenhilfe zu Unrecht versagt.
1. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, der gegeben ist, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist, hier also der 20. Dezember 2020, an dem der Kläger die Unterlagen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vorgelegt hat.
Gemessen daran bietet die Klage schon deswegen hinreichende Erfolgsaussichten, weil das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren zu prüfen haben wird, ob die vom Beklagten herangezogene und allein in Betracht kommende Rechtsgrundlage in Art. 33 Abs. 1 und 2 BayPAG in der bis zum 24. Mai 2018 geltenden Fassung vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Anforderungen an Rechtsgrundlagen für eine längerfristige Observation (U.v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09 – BVerfGE 141, 220 – juris Rn. 103 ff., 153 ff.) verfassungskonform ist.
3. Die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe liegen beim Kläger, der u.a. Wohngeld bezieht, vor.
4. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Eine Gebühr nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) fällt nicht an, da die Beschwerde in vollem Umfang Erfolg hat. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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