Kosten- und Gebührenrecht

Streitwert eines Feststellungantrag – fiktive Reparaturkosten

Aktenzeichen  2 T 1556/20

Datum:
3.4.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 37389
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 3, § 256

 

Leitsatz

1. Bei dem Antrag auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftigen Schadens bemisst sich das konkrete wirtschaftliche Interesse der Partei zum einen nach der Höhe des drohenden Schadens, zum anderen aber auch danach, wie hoch oder wie gering das Risiko eines Schadenseintrittes und einer tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Feststellungskläger ist (Anschluss BGH BeckRS 9998, 77247). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist fiktiv bereit auf der Basis üblicher Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt abgerechnet, sind die zu erwartenden weiteren Kosten nach tatsächlicher Reparatur maßgebend Nutzungsentschädigung und Mehrwertsteuer; hieran hat sich auch der Wert eines entsprechenden Feststellungsbegehrens zu orientieren. (Rn. 19 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 C 956/19 2020-02-10 AnU AGSCHWABACH AG Schwabach

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Klägervertreters gegen den Streitwertbeschluss des Amtsgerichts Schwabach im Anerkenntnisurteil vom 10.2.2020 wird dieser abgeändert und der Streitwert auf 3.347,33 € festgesetzt.
2. Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

A.
Mit Beschluss vom 10.2.2020 hat das Amtsgericht den Streitwert (nach Anerkenntnis durch die Beklagten) auf 1836,17 € festgesetzt. Neben dem mit 1.425,99 € bezifferten Leistungsantrag hat es den Antrag auf Feststellung, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin zukünftig entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen mit 410,18 € bemessen. Hierbei seien 80% eines zukünftigen Nutzungsausfallschadens sowie 80% der im Rahmen einer zukünftigen Reparatur anfallenden Mehrwertsteuer zu berücksichtigen. Maßgeblich seien als Grundlage für den Ansatz der Mehrwertsteuer insoweit die Reparaturkosten, die sich bei einem zulässigen Verweis auf eine Referenzwerkstatt ergäben.
Gegen diesen, dem Klägervertreter am 21.2.2020 zugestellten Beschluss hat dieser mit Schriftsatz vom 19.2.2020 (sic) eingegangen beim Amtsgericht am 20.2.2020 Beschwerde eingelegt. Da der Klägerin zustehe, die tatsächliche Reparatur bei einer markengebundenen Fachwerkstatt durchführen zu lassen, seien für den Feststellungsantrag auch deren (höhere) Reparaturkosten zu Grunde zu legen – dies unabhängig davon, dass die Klägerin im Rahmen der Klage die fiktiv abgerechneten Reparaturkosten auf der Grundlage der von der Beklagten vorgerichtlich benannten freien Fachwerkstatt in Ansatz gebracht habe.
Mit Beschluss vom 24.2.2020 hat das Amtsgericht der Streitwertbeschwerde nicht abgeholfen und die Vorlage an das Beschwerdegericht verfügt.
Die Beklagten sind mit Schriftsatz vom 24.3.2020 der Streitwertbeschwerde entgegengetreten. Maßgeblich sei, welcher Betrag mit der Klage geltend gemacht werde. Die Klägerin sei nicht gezwungen, ihr Fahrzeug in einer freien Werkstatt reparieren zu lassen; dies stehe jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Streitwert.
B.
I.
Die Streitwertbeschwerde ist zulässig (§§ 63 Abs. 2, 68 GKG, §§ 3 ff. ZPO).
1. Die Beschwerde ist fristgerecht bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, eingelegt (§ 68 Abs. 1 S. 3 mit § 63 Abs. 3 S. 2 GKG§ 68 Abs. 3 S. 5 GKG i.V.m. § 66 Abs. 5 S. 5 GKG).
Der Klägervertreter hat die Beschwerde erkennbar im eigenen Namen erhoben. Denn nur so ist er beschwerdeberechtigt – aus eigenem Recht kann nur Beschwerde mit dem Ziel eingelegt werden, dass der Streitwert erhöht wird (BGH NJW-RR 1986, 737).
Die Beschwerde ist statthaft, da der Beschwerdewert 224,55 € beträgt (§ 68 Abs. 1 S. 1 GKG). Dieser Wert errechnet sich nicht aus der Differenz der Streitwerte, sondern der Gebühren. Beim Rechtsanwalt, der sich – wie hier – aus eigenem Recht gegen eine Wertfestsetzung wendet, liegen die Auswirkungen der Wertfestsetzung in der Abrechnung seiner Gebühren (OLG Karlsruhe JurBüro 2005, 542). Verkürzt gesagt kommt es darauf an, in welcher Höhe der Beschwerdeführer weniger an Gebühren erhält (Kammerbeschl. v. 14.06.2019 – 2 T 3238/19, n.v.; BeckOK KostR/Laube, 25. Ed. 1.3.2019, GKG § 68 Rn. 70). 2,5 Anwaltsgebühren belaufen sich bei dem vom Amtsgericht festgesetzten Streitwert von 1.836,17 € auf 354,03 €, bei einem (erstrebten) Streitwert von 3.347,33 € hingegen auf 578,58 €. Die Differenz von 224,55 € übersteigt damit die geforderte Beschwer von 200,00 €.
2. Auch wenn das Abhilfeverfahren des Amtsgerichts an gravierenden Mängeln leidet, ist das Beschwerdegericht nicht an einer Sachentscheidung gehindert.
Gemäß § 68 Abs. 1 S. 5 iVm § 66 Abs. 3 S. 1 GKG hat zunächst das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, zu prüfen, ob es die Beschwerde für zulässig und begründet hält. Die Nichtabhilfeentscheidung des Amtsgerichts muss erkennen lassen, dass dieses das Beschwerdevorbringen zur Kenntnis genommen, geprüft und berücksichtigt hat (OLG Koblenz, MDR 2015, 117). Das Gericht ist verpflichtet, den Inhalt der Beschwerdeschrift darauf zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung ohne Vorlage an das Beschwerdegericht zu ändern ist. Fehlt eine (erkennbare) derartige Prüfung, leidet das Abhilfeverfahren an einem wesentlichen Mangel (OLG Koblenz a.a.O.). Das Abhilfeverfahren dient namentlich einer Entlastung des Beschwerdegerichts (BGH NJW-RR 2017, 707).
In seiner formlosen Verfügung vom 24.2.2020 hat das Amtsgericht seine Nichtabhilfeentscheidung nicht begründet, sondern lediglich auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses verwiesen. Eine Befassung mit der ausführlichen Begründung der Beschwerde des Beschwerdeführers findet nicht statt.
Gleichwohl ist eine ordnungsgemäße Abhilfeentscheidung keine Verfahrensvoraussetzung für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens vor dem Beschwerdegericht (BGH NJW-RR 2017, 707).
II.
Die Beschwerde ist begründet. Der Streitwert ist auf 3.347,33 € festzusetzen.
1. Im Grundsatz legt das Amtsgericht die zutreffenden Maßstäbe für die Bewertung des Feststellungsantrages an:
Geht es um die Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftigen Schadens, dann bemisst sich das konkrete wirtschaftliche Interesse der Partei zum einen nach der Höhe des drohenden Schadens, zum anderen aber auch danach, wie hoch oder wie gering das Risiko eines Schadenseintrittes und einer tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Feststellungskläger ist (vgl. BGH NJW-RR 1991, 509). Denn die Bedeutung eines Feststellungsausspruches ist zwangsläufig größer, wenn der Schaden in absehbarer Zeit erkennbar droht als dann, wenn es sich nur um eine entfernt liegende, mehr theoretische, aber nicht völlig auszuschließende Möglichkeit handelt (BGH NJW-RR 1991, 509).
2. Gemessen daran gilt für den Streitfall folgendes:
a) Ausgangspunkt sind zunächst die im klägerischen Haftpflichtgutachten bezifferten brutto Reparaturkosten von 4.374,62 €, denen ausweislich des TÜV-Gutachtens, S. 4, die Stundenverrechnungssätze der markengebundenen VW Fachwerkstatt zu Grunde liegen.
Dies ist der Schadensbetrag (abzüglich bereits regulierter bzw. zugesprochener fiktiver Reparaturkosten), der der Klägerin über den bereits bezifferten Betrag hinaus droht, nämlich im Fall einer tatsächlichen Reparatur. Nach (zunächst) fiktiver Schadensabrechnung bleibt es dem Geschädigten nämlich – im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung – im Übrigen unbenommen, zu einer konkreten Berechnung auf der Grundlage der tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten überzugehen (BGH, Urteil vom 24. Januar 2017 – VI ZR 146/16 -, juris).
Der Geschädigte darf, sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensberechnung vorliegen, dieser grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (st. Rspr. z.B. BGH, Urteil vom 15. Juli 2014 – VI ZR 313/13 -, juris). Gegebenenfalls muss er sich allerdings entgegenhalten lassen, dass der von ihm bzw. seinem Gutachter als erforderlich geschätzte Betrag für eine fachgerechte Reparatur sich nicht als zutreffend erweist – dies ist der Ansatzpunkt der „Verweisungsrechtsprechung“ des BGH. Eine zumutbare fachgerechte Reparatur kann demnach auch in der zumutbaren Inanspruchnahme einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt mit günstigeren Stundensätzen erreicht werden. Dies ändert aber nichts daran, dass im Fall einer tatsächlich durchgeführten Reparatur es dem Geschädigten selbstverständlich unbenommen bleibt, diese in einer markengebundenen Fachwerkstatt durchführen zu lassen. Ein besonderes Interesse hieran muss er nicht nachweisen. Vielmehr belegt er im Fall der konkreten Schadensberechnung sein besonderes Interesse an einer solchen Reparatur gerade durch die Reparaturrechnung (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09 -, BGHZ 183, 21-28 Rn. 15).
Der Einwand der Beklagten, dass maßgeblich für die Bemessung des Streitwertes sei, welcher Betrag mit der Klage geltend gemacht werde, unterstützt das gefundene Ergebnis geradezu: Bei bezifferter Leistung und Zukunftsfeststellung ist jeder Antrag gesondert zu bewerten und dann zu addieren (§ 5 ZPO; Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 3 ZPO Rn. 16.143). Die Bewertung des Feststellungsantrages ist aber gerade unabhängig vom Leistungsantrag, mit dem bereits realisierte Schäden beziffert eingefordert werden. Deshalb ist es nicht nur nicht unzulässig, sondern vielmehr geboten, bei der Bemessung der zukünftigen Schäden die mit dem Leistungsantrag bereits bezifferten Positionen außer Betracht zu lassen.
b) Das Risiko, dass sich die konkreten (höheren) Reparaturkosten verwirklichen werden, ist im Streitfall als sehr hoch anzusehen. Die Klägerin hat in der Klageschrift (S. 5) vortragen lassen, ihr Fahrzeug später in einer Fachwerkstatt reparieren zu lassen. Es gehe zunächst primär um die Klärung der Haftung dem Grunde nach. Dem sind die Beklagten zu keinem Zeitpunkt entgegengetreten. Damit ist insoweit keine Veranlassung gegeben, den üblichen Feststellungsabschlag mit mehr als 20% der vollen Forderung bzw. des zukünftigen (zusätzlichen) Schadens zu bemessen (vgl. BGH NJW-RR 1991, 509).
Nach alledem erweist sich die Bewertung des Feststellungsantrags in der Klageschrift S. 5 als zutreffend. Den darin enthaltenen Beträgen sind die Beklagten dem Grunde nach nicht entgegengetreten.
C.
Die deklaratorische Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben