Kosten- und Gebührenrecht

Streitwertbemessung anhand jährlicher Mieteinnahmen bzgl einer Nutzungsuntersagung

Aktenzeichen  15 C 18.2268

Datum:
30.1.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 1014
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 47 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 2,

 

Leitsatz

1 Die Befugnis, den Streitwert nach Ermessen zu bestimmen, ermöglicht es dem Gericht, den jeweiligen Wert im Interesse der Gleichbehandlung und Rechtssicherheit zu schätzen und dabei auf allgemeine Empfehlungen zurückzugreifen, die gleichartige Streitigkeiten schematisieren und typisieren.  (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Bemessung des Streitwerts bei Streitigkeiten über Nutzungsverbote ist es ermessensgerecht, bei einem vermieteten Objekt den Wert jährlicher Mieteinnahmen als wirtschaftliches Interesse des Vermieters als Adressat einer Nutzungsuntersagung anzusetzen. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ist von der Nutzungsuntersagung nicht das gesamte Gebäude umfasst, erscheint es geboten, für die Streitwertbemessung einen anteiligen Wert der Mieteinnahmen anzusetzen, der sich an dem Teil des vom Nutzungsverbot betroffenen Gebäudes orientiert. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 17.1580 2018-03-15 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

In Abänderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 15. März 2018 sowie des Beschlusses des Senats vom 4. Juli 2018 wird der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren sowie für die Rechtsmittelverfahren 15 B 18.1087 und 15 ZB 18.1233 auf jeweils 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Streitwertfestsetzungen in den Verfahren 15 B 18.1087 und 15 ZB 18.1233 im Beschluss des Senats vom 4. Juli 2018.
Mit Urteil vom 15. März 2018 (Az. Au 5 K 17.1580) wies das Verwaltungsgericht Augsburg die von der Klägerin erhobene Klage mit dem Antrag, einen bauordnungsrechtlichen Bescheid vom 20. September 2017, mit dem ihr untersagt wurde, das Kellergeschoss des Anwesens auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung L… für die gewerbliche Prostitution zu nutzen bzw. nutzen zu lassen, ab. Den Streitwert setzte das Verwaltungsgericht durch gesonderten Beschluss ebenfalls vom 15. März 2018 auf 96.000 Euro fest und stützte sich hierbei auf § 52 Abs. 1 GKG i.V. mit Nr. 9.4 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das Gericht setzte 2.000 Euro pro genutztem Raum und Monat an und errechnete so das für den Streitwert anzusetzende jährliche wirtschaftliche Interesse [4 (Räume) x 2.000 Euro x 12 (Monate) ].
Am 3. Mai 2018 ging beim Verwaltungsgericht per Telefax ein Schriftsatz der Bevollmächtigten der Klägerin ein, mit dem namens und im Auftrag der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 15. März 2018 wörtlich „Berufung“ eingelegt wurde (Verfahren 15 B 18.1087). Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2018 ließ die Klägerin sodann – unter gleichzeitiger Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Rechtsmittelfrist – einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen (Verfahren 15 ZB 18.1233).
Mit Beschluss des Senats vom 4. Juli 2018, der den Bevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 13. Juli 2018 zugestellt wurde, wurde die Berufung verworfen (15 B 18.1087) und der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt (15 ZB 18.1233). Die Streitwerte für das Berufungs- und das Zulassungsverfahren wurden in Orientierung an der Streitwertentscheidung des Verwaltungsgerichts, gegen die vormals keine Einwände erhoben worden waren, auf jeweils 96.000 Euro festgesetzt.
Mit Schriftsätzen vom 4. Oktober 2018 legte der Kläger sowohl hinsichtlich der Streitwertfestsetzung im (Berufungszulassung-) Verfahren 15 ZB 18.1233 als auch im (Berufungs-) Verfahren 15 B 18.1087 „Erinnerung gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts“ ein und erhob zudem „Gegenvorstellung gegen den Ansatz dieses Gegenstandswertes“ (gemeint: Streitwertes). Zur Begründung wird jeweils ausgeführt, die Untersagung der Nutzung als Bordell sowie der diesbezügliche Anfechtungsrechtstreit hätten sich nur auf das Kellergeschoss des betroffenen Anwesens beschränkt. Für das gesamte Gebäude mit drei Geschossen erhalte die Klägerin eine Miete von 5.000 Euro pro Monat. Tatsächlich sei im Kellergeschoss nur ein einziger Raum für Bordellzwecke genutzt worden; im Übrigen befänden sich dort nur Heizungsräume und Lagerräume. Insofern sei es bereits sehr hochgegriffen, wenn der Mietanteil für das Kellergeschoss pro Monat mit einem Betrag von 1.000 bis 1.500 Euro angesetzt werde. Aufs Jahr bezogen entfiele mithin ein Mietanteil von 12.000 bis 18.000 Euro auf die Kellerräume. Es werde beantragt, den Beschluss hinsichtlich der festgesetzten Streitwerte in beiden Verfahren abzuändern und diese jeweils auf einen Betrag i.H. von 15.000 Euro (Mittelwert) festzusetzen.
Die Beklagte sowie der Vertreter des öffentlichen Interesses haben sich hierzu nicht geäußert.
II.
Die Änderung der Streitwerte beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG.
Die Gegenvorstellung der Klägerin ist statthaft, weil sie sich gegen eine gerichtliche Entscheidung wendet, die gem. § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG auch von Amts wegen geändert werden kann und weil sie innerhalb der Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG erhoben wurde (BVerwG, B.v. 5.5.2009 – 7 KSt 2/09 u.a. – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 14.8.2012 – 20 C 12.1583 – juris Rn. 1; B.v. 19.6.2013 – 8 C 13.40027 – juris Rn. 4; B.v. 22.6.2015 – 21 C 15.1261 – juris Rn. 2; B.v. 13.8.2015 – 15 C 15.1674 – NVwZ-RR 2016, 158 = juris Rn. 4; SächsOVG, B.v. 2.5.2017 – 3 E 21/17 – juris Rn. 2; str. – zum Streitstand vgl. HessVGH, B.v. 20.3.2009 – 6 A 2226/08 – NJW 2009, 2761). Ist die Gegenvorstellung – wie hier – innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG erhoben worden, kann das Gericht auch noch nach Ablauf dieser Frist die Streitwertfestsetzung ändern (Schneider in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, zu § 63 GKG Rn. 99).
Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Dabei kommt es auf eine objektive Beurteilung an. Die Befugnis, den Streitwert nach Ermessen zu bestimmen, ermöglicht es dem Gericht, den jeweiligen Wert im Interesse der Gleichbehandlung und Rechtssicherheit zu schätzen und dabei auf allgemeine Empfehlungen zurückzugreifen, die gleichartige Streitigkeiten schematisieren und typisieren. Der Senat orientiert sich dabei regelmäßig an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der jeweiligen Fassung (vgl. B.v. 13.8.2015 – 15 C 15.1674 – NVwZ-RR 2016, 158 = juris Rn. 6).
Nach nochmaliger Prüfung des Falls hält der Senat unter Berücksichtigung des – nicht bestrittenen – Vorbringens der Klägerin einen Streitwert i.H. von 20.000 Euro sowohl für das Verfahren 15 B 18.1087 als auch für das Verfahren 15 ZB 18.1233 für ermessensgerecht. Nr. 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019) sieht u.a. für Streitigkeiten über Nutzungsverbote eine Orientierung an der „Höhe des Schadens oder der Aufwendungen (geschätzt)“ vor. Mangels anderweitiger Ansatzpunkte sieht es der Senat als ermessensgerecht an, bei einem vermieteten Objekt den Wert jährlicher Mieteinnahmen als wirtschaftliches Interesse des Vermieters als Adressat einer Nutzungsuntersagung anzusetzen (vgl. VG Schleswig, B.v. 14.11.2018 – 2 B 32/18 – auch juris Rn. 12). Die Mieteinnahmen setzt der Senat nach dem im vorliegenden Verfahren unbestritten gebliebenen Vortrag der Klägerin für das gesamte Gebäude mit 5.000 Euro monatlich und mithin mit 60.000 Euro jährlich an. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass nicht das gesamte Gebäude, sondern lediglich ein Teil davon von der streitgegenständlichen Nutzungsuntersagung betroffen war. Die Nutzungsuntersagung umfasste dabei nicht nur einen einzigen Raum im Kellergeschoss des betreffenden Gebäudes, sondern das Kellergeschoss als solches. Sowohl der angefochtene Bescheid (vgl. die Zwangsgeldandrohung) als auch das Verwaltungsgericht gingen von der Nutzung von mehreren Räumen aus (vgl. Rn. 9 des Urteils vom 15. März 2018 sowie die Begründung des Streitwertbeschlusses). Laut der Darstellung im Tatbestand der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 15. März 2018 (vgl. dort Rn. 15) hat die Klägerin zudem selbst erstinstanzlich vorgetragen, sie gehe davon aus, dass von der einschlägigen Baugenehmigung die Nutzung von vier Kellerräumen zur bordellartigen gewerblichen Nutzung gedeckt sei. Vor diesem Hintergrund sowie bei Berücksichtigung, dass das Gebäude über drei gewerblich (und eben bordellartig) nutzbare Geschosse verfügt (Kellergeschoss, Erdgeschoss, Obergeschoss) und dass es bei der (untersagten) Nutzung des Kellergeschosses gerade nicht um eine untergeordnete lagernde Hilfsnutzung, sondern um eine „aktive“ gewerbliche Nutzung ging, erscheint es geboten, für den Streitwert der Verfahren 15 B 18.1087 und 15 ZB 18.1233 jeweils ein Drittel der jährlichen Mieteinnahmen für das Gebäude – mithin 20.000 Euro – anzusetzen.
Der Senat geht im Rahmen der Auslegung des Begehrens der Klägerin entsprechend § 88 VwGO davon aus, dass vom Antrag im vorliegenden Verfahren auch die Abänderung der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht im erstinstanzlichen Verfahren umfasst ist. Die Änderung des Streitwertwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG (zur nachträglichen Abänderungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofs hinsichtlich der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren bei einer Streitwertabänderung im Rahmen einer Gegenvorstellung vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2012 – 20 C 12.1583 – juris in Zusammenschau mit der vorher ergangenen Entscheidung BayVGH, B.v. 3.7.2012 – 20 ZB 12.942 – juris).
Eine Entscheidung über die nach § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V. mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG nicht statthafte Streitwertbeschwerde (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 19.6.2013 – 8 C 13.40027 – juris Rn. 2) ist mit der vorliegenden Entscheidung entbehrlich geworden (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2012 – 20 C 12.1583 – juris Rn. 3).
Eine Kostenentscheidung unterbleibt, weil das Verfahren über die Gegenvorstellung gebührenfrei ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.


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