Kosten- und Gebührenrecht

Wiedereinsetzung bei Fristversäumnis eines juristischen Laien

Aktenzeichen  12 C 18.1507

Datum:
7.9.2018
Fundstelle:
BayVBl – 2019, 137
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60 Abs. 1 S. 1, § 166, § 173
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 117 Abs. 2 S. 1, § 124

 

Leitsatz

Reicht im Rahmen eines isolierten Prozesskostenhilfeantrags der Antragsteller vor Ablauf der Klagefrist die nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ein, kann ihm gleichwohl nach der Entscheidung über die Gewähr von Prozesskostenhilfe nach § 60 Abs. 1 Satz 1 VwGO Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gewährt werden, wenn er unverschuldet von der Notwendigkeit der Einreichung eines vollständigen Antrags keine Kenntnis hatte. Dies gilt es insbesondere dann, wenn es sich bei dem Antragsteller um einen juristischen, anwaltlich nicht vertretenen Laien und bei dem angestrebten Verfahren um ein erstinstanzliches Klageverfahren handelt. (Rn. 7)

Verfahrensgang

M 22 K 15.4438 2018-07-18 VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Nichtabhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts München vom 18. Juli 2018 (Az.: M 22 K 15.4438) wird aufgehoben.
II. Dem Verwaltungsgericht wird aufgegeben, über die Abhilfe aufgrund der Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens, in dem Kosten nicht erstattet werden, trägt die Staatskasse.

Gründe

I.
Die derzeit anwaltlich nicht vertretene Antragstellerin verfolgt mit ihrer Beschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für ihre auf Wohngeldleistungen gerichtete Klage weiter. Sie ließ gegen den die Leistung von Wohngeld versagenden Bescheid des Landkreises A. vom 4. März 2015 durch ihre damalige Bevollmächtigte zunächst Widerspruch einlegen, den die Regierung von Unterfranken mit Widerspruchsbescheid vom 1. September 2015 als unbegründet zurückwies. Der Widerspruchsbescheid wurde der damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin am 7. September 2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Mit Telefax vom 7. Oktober 2015 beantragte die Antragstellerin persönlich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin M. für eine noch zu erhebende Klage. Diesem Antrag war für den Bewilligungsfall zugleich eine Klagebegründung beigegeben. Mit Schreiben der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts München vom 12. Oktober 2015 wurde der Eingang des Prozesskostenhilfeantrags bestätigt. Diesem Schreiben war ohne nähere Erläuterung der Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse als Anlage beigefügt. In der Folge übermittelte die Antragstellerin mit Telefax vom 30. Oktober 2015 den ausgefüllten Vordruck nebst verschiedenen Anlagen (Kontoauszüge, Rentenbescheid etc.). Mit Schreiben vom 8. Mai 2018 (!) forderte das Verwaltungsgericht bei der Regierung von Unterfranken die Widerspruchsakte an. Weiter wies der Berichterstatter die Antragstellerin mit Schreiben vom 29. Mai 2018 darauf hin, dass der angestrebten Klage wohl die notwendigen Erfolgsaussichten fehlten, da der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken bereits bestandskräftig geworden sei. Ausweislich der „nunmehr“ vorgelegten Widerspruchsakte sei der Widerspruchsbescheid der damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin am 7. September 2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden, sodass die einzuhaltende Klagefrist am 7. Oktober 2015 geendet hätte. Bei einem isoliert gestellten Prozesskostenhilfeantrag könne zwar nach der Entscheidung hierüber Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gewährt werden. Dies setze indes voraus, dass der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe innerhalb der Rechtsmittelfrist und unter Vorlage aller erforderlichen Unterlagen, insbesondere der vollständig ausgefüllten Formblatterklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der dazugehörigen Belege ordnungsgemäß gestellt worden ist. An Letzterem fehle es, da die Klägerin die Formblatterklärung nebst Belegen erst am 30. Oktober 2015, mithin nach Ablauf der Klagefrist eingereicht habe.
Im weiteren Verlauf lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. Juni 2018 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin M. wegen fehlender Erfolgsaussichten der Klage eingedenk der Bestandskraft des streitgegenständlichen Ablehnungsbescheids ab.
Hiergegen legte die anwaltlich nicht vertretene Antragstellerin mit Telefax vom 8. Juli 2018 Beschwerde ein. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass weder ihr als juristischem Laien noch ihrer damaligen Anwältin bekannt gewesen war bzw. bekannt sei, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einer beabsichtigten Klage beigelegt werden müsste. Nach Aussage ihrer damaligen Bevollmächtigten werde in sozialrechtlichen Streitigkeiten zunächst Klage erhoben. Erst nach Mitteilung des Aktenzeichens erfolge eine Aufforderung durch das Gericht, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechender Belege nachzureichen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin M. werde daher aufrecht erhalten; an den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die sie zuletzt am 28. April 2018 dem Verwaltungsgericht München dargelegt habe, habe sich seither nicht geändert.
Der Beschwerde half das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2018 ohne Begründung nicht ab. Der beklagte Landkreis trat der Beschwerde unter Verweis auf den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts entgegen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht zur erneuten Abhilfeentscheidung.
1. Das Verwaltungsgericht erkennt zwar grundsätzlich zutreffend, dass bei einem sog. isolierten Prozesskostenhilfeantrag der angestrebten Klage die erforderlichen Erfolgsaussichten nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO fehlen, wenn der angegriffene Verwaltungsakt mit Ablauf der Klagefrist in Bestandskraft erwachsen ist und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO nach Ergehen einer Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch nicht gewährt werden kann. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt ihrerseits voraus, dass der Betroffene ohne Verschulden gehindert war, die Klagefrist einzuhalten. Liegt der Hinderungsgrund im wirtschaftlichen Unvermögen des (potentiellen) Klägers, wird ihm ausgehend von fristgebundenen Rechtsmittelverfahren regelmäßig zugemutet, innerhalb der Rechtsmittelfrist alles Erforderliche zu unternehmen, um diesen Hinderungsgrund zu beseitigen. Hierzu rechnet grundsätzlich auch die Einreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Rahmen eines „ordnungsgemäßen“ Prozesskostenhilfeantrags vor Fristablauf (vgl. hierzu z. B. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 60 Rn. 15; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 166 Rn. 31; Bader in Bader/Funke-Kaiser u.a., VwGO, 5. Aufl. 2011, § 166 Rn. 23, ferner BVerwG, B.v. 21.1.1999 – 1 B 3.99 – Buchholz 310 Nr. 38).
2. Allerdings gilt dies nicht in jedem Fall und ausnahmslos, insbesondere nicht in Rechtsbehelfsverfahren eines anwaltlich nicht vertretenen Klägers. Eine unverschuldete Nichteinhaltung der Rechtsbehelfs- bzw. Klagefrist kann vielmehr auch dann in Betracht zu ziehen sein, wenn einem juristischen Laien im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren erster Instanz, für das nach § 67 VwGO kein Vertretungszwang besteht, ohne eigenes Verschulden nicht bekannt war, dass dem Prozesskostenhilfeantrag die notwendigen Unterlagen gemäß § 166 VwGO in Verbindung mit § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO bereits vor Ablauf der Klagefrist beigefügt werden müssen. Eine derartige unverschuldete Unkenntnis über die gesetzlichen Erfordernisse eines Prozesskostenhilfegesuchs führt regelmäßig zur Gewährung von Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist nach § 60 Abs. 1 VwGO, sodass in diesem Fall nicht allein aufgrund eines unvollständigen Prozesskostenhilfeantrags von fehlenden Erfolgsaussichten der Klage ausgegangen werden darf (so ausdrücklich BayVGH, B.v. 10.6.2014 – 22 ZB 14.999 – juris Rn. 4; zu einer entsprechenden Belehrungspflicht des Gerichts im Falle des nicht oder nicht mehr anwaltlich vertretenen Klägers vgl. OLG Rostock, B.v. 31.1.2003 – 10 WF146/02, FamRS 2003, 1396; vgl. ferner Zimmermann-Kreher in BeckOK-VwGO, § 166 Rn. 39).
Auf den Umstand, dass weder ihr noch ihrer im Sozialrecht tätigen, ausdrücklich nur für das Widerspruchs-, nicht aber zugleich auch für ein anschließendes Klageverfahren Bevollmächtigten bekannt gewesen sei, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bereits vor Ablauf der Klagefrist beim Verwaltungsgericht eingereicht werden müsse, hat die Antragstellerin in ihrer Beschwerde auch ausdrücklich hingewiesen, ohne dass das Verwaltungsgericht sich mit diesem Vorbringen im Nichtabhilfebeschluss auseinandergesetzt hat. Des Weiteren lässt sich eine sonstige Verzögerung der Einreichung der erforderlichen Unterlagen durch die Antragstellerin, die zur Annahme einer schuldhaften Nichteinhaltung der Klagefrist führen würde, den vorliegenden Akten nicht entnehmen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 10.6.2014 – 22 ZB 14.999 – juris Rn. 5), da sie nach Übermittlung der entsprechenden Formblätter durch das Verwaltungsgericht diese nebst der dazugehörigen Belege ohne weiteres Zögern eingereicht hat. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts steht daher gerade nicht fest, dass der Antragstellerin nach einer Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag keine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist zu gewähren wäre.
3. Angesichts dessen sowie des Umstands, dass das Verwaltungsgericht im vorliegenden Verfahren bislang weder die wirtschaftlichen noch die materiellen Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe geprüft hat, macht der Senat von seiner nach § 173 VwGO in Verbindung mit § 572 Abs. 3 ZPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2016 – 12 C 16.416 – juris Rn. 3; OVG Saarlouis, B.v. 28.9.2007 – 1 D 399/07 – NVwZ-RR 2008, 215 [216]), unter Aufhebung des Nichtabhilfebeschlusses dem Verwaltungsgericht aufzugeben, unter Berücksichtigung einer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bestehenden Unkenntnis der Antragstellerin über die Notwendigkeit der Einreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bereits unmittelbar mit Antragstellung erneut über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das beabsichtigte Klageverfahren zu entscheiden.
4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 25.6.2014 – OVG 9 L 10.14 – BeckRS 2014, 54102). Kosten werden im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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