Kosten- und Gebührenrecht

Zur Geltendmachung von Rechtsanwaltsgebühren “in der selben Angelegenheit”

Aktenzeichen  7 C 19.2205

Datum:
20.7.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20688
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 15 Abs. 2, § 22 Abs. 1, § 32 Abs. 1
VwGO § 93

 

Leitsatz

1. Für die Annahme derselben Angelegenheit nach § 15 Abs. 2 RVG ist es ausreichend, wenn die verschiedenen Gegenstände als in dem Sinne einheitlich vom Anwalt bearbeitet und sie verfahrensrechtlich zusammengefasst bzw. in einem einheitlichen Vorgehen behandelt werden können. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 32 Abs. 1 RVG soll dem entgegenwirken, bei der Festsetzung der Anwaltsgebühren abweichend vorzugehen, wenn das Gericht getrennte Streitwerte für die Gerichtsgebühren festsetzt, nach diesen jeweils die Gerichtsgebühren berechnet und auch die entsprechenden Zahlungen verlangt hat.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Stellung des § 22 Abs. 1 RVG an der Spitze der Vorschriften über den Gegenstandswert zeigt, dass es sich um eine allgemeine Regel handelt, die eingreift, falls nicht Sondervorschriften bestehen. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 M 19.1133, M 5 M 16.1162 2019-05-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 27. Mai 2019 wird in Ziffer II. und III. aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
I. Die Anträge auf Kostenerinnerung werden abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten der Erinnerungsverfahren.“
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Erstattungsfähigkeit geltend gemachter Rechtsanwaltsgebühren.
Der (jetzige) Antragsteller und Kläger erhob zunächst Klage gegen die (jetzige) Antragsgegnerin zu 1 und Beklagte vor dem Arbeitsgericht Rosenheim und beantragte, 1) festzustellen, dass er die Voraussetzungen nach dem Bayerischen Hochschulpersonalgesetz für die Berufung als Professor erfülle, 2) festzustellen, dass die Hochschule ihn wegen Alters diskriminiert habe und 3) die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 424.869,80 Euro zu verurteilen. Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2018 nahm der Antragsteller den Klageantrag zu 3) zurück. Mit Beschluss vom 27. Februar 2018 verwies das Arbeitsgericht Rosenheim den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht München (Az. M 5 K 18.1364). Mit Schreiben an das Verwaltungsgericht vom 12. November 2018 zeigten die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin zu 1 und Beklagten ihre mit Vollmacht vom 25. Oktober 2018 erteilte Vertretung an. Mit am 27. November 2018 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schreiben nahm der Antragsteller die Klage insgesamt zurück. Mit Beschluss vom 28. November 2018 stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren ein, legte dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auf und setzte den Streitwert auf 424.869,80 Euro fest. Die Streitwertfestsetzung wurde mit Beschluss vom 7. Dezember 2018 aufgrund der vor der Verweisung an das Verwaltungsgericht erklärten teilweisen Klagerücknahme von Amts wegen dahingehend abgeändert, dass der Streitwert bis zum 23. Januar 2018 auf 424.869,80 Euro und ab dem 24. Januar 2018 auf 10.000 Euro festgesetzt wurde.
Das vor dem Verwaltungsgericht München – nach Verweisung durch das Arbeitsgericht München mit Beschluss vom 9. August 2018 – vom Antragsteller betriebene Verfahren (Az. M 5 K 18.4877) 1) auf Feststellung, dass die (jetzige) Antragsgegnerin zu 1 und Beklagte ihn wegen Alters diskriminiert habe, und 2) auf Verurteilung des (jetzigen) Antragsgegners zu 2 und Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 424.869,80 EUR, wurde nach Klagerücknahme mit Beschluss vom 28. November 2018 eingestellt, die Kosten dem Antragsteller auferlegt und der Streitwert auf 424.869,80 EUR festgesetzt. Bereits mit Schreiben vom 12. November 2018 hatten sich die Bevollmächtigten im Verfahren M 5 K 18.1364 unter Hinweis auf die bereits vorgelegte Vollmacht vom 25. Oktober 2018 auch für den Antragsgegner zu 2 und Beklagten bestellt.
Der Kostenbeamte setzte mit Kostenfestsetzungsbeschlüssen vom 15. Februar 2019 im Verfahren M 5 K 18.1364 und vom 20. Dezember 2018 im Verfahren M 5 K 18.4877 die den Bevollmächtigten der Antragsgegner zu erstattenden Kosten auf insgesamt 5.510,06 Euro (887,03 Euro im Verfahren M 5 K 18.1364 und 4.623,03 Euro im Verfahren M 5 K 18.1364) fest.
Auf die Kostenerinnerungen des Antragstellers änderte das Verwaltungsgericht die Kostenfestsetzungsbeschlüsse wie folgt ab: „Die den Beklagten in den Verfahren M 5 K 18.1364 und M 5 K 18.4877 vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München entstandenen notwendigen Aufwendungen werden auf insgesamt 4.623,03 Euro festgesetzt. Davon sind 106,32 Euro der Beklagten im Verfahren M 5 K 18.1364 und 4.516,71 Euro dem Beklagen im Verfahren M 5 K 18.4877 zu erstatten“. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass beide Gegenstände zu addieren gewesen seien, so dass die Gebühren nur einmal hätten gefordert werden können (§ 15 Abs. 2, § 7 Abs. 1, § 22 Abs. 1 RVG). Gemäß § 15 Abs. 2 RVG könne der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Die Verfahren M 5 K 18.1364 und M 5 K 18.4877 stellten zwei verschiedene Gegenstände innerhalb derselben Angelegenheit dar. Der Bevollmächtigte der Antragsgegner sei in beiden Klageverfahren aufgrund eines einheitlichen Auftrags durch die Antragsgegnerin zu 1 (Körperschaft des öffentlichen Rechts) und den Antragsgegner zu 2 (Träger und Aufsicht der Antragsgegnerin zu 1) tätig geworden. Es sei hier zudem derselbe Rahmen gegeben, da die Bevollmächtigten in beiden Verfahren das gleiche Rechtsschutzziel (Klageabweisung) mit weitgehend gleicher Begründung (Vorrang der Leistungsklage, fehlendes Feststellungsinteresse, Bestandskraft der Stellenbesetzungsentscheidung) verfolgt hätten und somit – trotz der geringfügig divergierenden Prüfungsaufgaben – inhaltlich gleichartig und gleichgerichtet vorgegangen seien. Auch sei ein innerer Zusammenhang der Gegenstände zu bejahen, denn die erhobenen Klagen beruhten auf demselben Lebenssachverhalt (Ablehnung der Bewerbung des Antragstellers um eine Professorenstelle bei der Hochschule). Der Einordnung beider Klageverfahren als „dieselbe Angelegenheit“ stünde auch nicht der Umstand entgegen, dass das Gericht beide Verfahren getrennt behandelt und gesonderte Streitwerte festgesetzt sowie gesonderte Gerichtsgebühren gefordert habe. Folglich stehe dem Bevollmächtigten insgesamt nur eine Verfahrensgebühr in Höhe von 3.864,90 Euro zu.
Zur Begründung ihrer Beschwerde tragen die Antragsgegner vor, es fehle vorliegend jedenfalls an einem „gleichen Rahmen“. Dies gehe schon daraus hervor, dass im Verfahren M 5 K 18.1364 Streitgegenstand die „Berufung zum Professor“ und Beklagte die Hochschule gewesen sei, im Verfahren M 5 K 18.4877 dagegen Streitgegenstand „Altersdiskriminierung und Schadensersatz“ und Beklagter der Freistaat Bayern. Dementsprechend habe es auch verschiedene Aktenzeichen, keine Verbindung der Verfahren und eine getrennte Abrechnung von Gerichts- und Anwaltskosten gegeben.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die beiden Werte der Gegenstände hier zusammengerechnet werden müssen und die Bevollmächtigten der Antragsgegner die Gebühren nur einmal fordern können. Die Anträge des Antragstellers auf Kostenerinnerung sind daher abzulehnen und die Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen.
Zwar kann – wie vorliegend – ein einheitlicher Lebensvorgang dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne nach § 15 Abs. 2 RVG darstellen. Dem steht auch nicht entgegen, wenn der Anwalt zur Wahrung der Rechte seines Mandanten verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen zu prüfen bzw. mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat. Für die Annahme derselben Angelegenheit nach § 15 Abs. 2 RVG ist es ausreichend, wenn die verschiedenen Gegenstände als in dem Sinne einheitlich vom Anwalt bearbeitet und sie verfahrensrechtlich zusammengefasst bzw. in einem einheitlichen Vorgehen behandelt werden können. Auch kann ein Anwalt von mehreren Mandanten beauftragt worden sein (vgl. Mayer in Gerold/Schmidt, RVG Kommentar, 24. Aufl. 2019, § 15 Rn. 5, 11). Liegt danach „dieselbe Angelegenheit“ vor, werden nach § 22 Abs. 1 RVG die Werte mehrerer Gegenstände zusammengerechnet und gemäß § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren nur einmal fordern.
Solange aber das Gericht – wie in den hier vorliegenden Verfahren – getrennte Streitwerte für die Gerichtsgebühren festsetzt, nach diesen jeweils die Gerichtsgebühren berechnet und auch die entsprechenden Zahlungen verlangt, fehlt es an einem einleuchtenden Grund dafür, bei der Festsetzung der Anwaltsgebühren abweichend vorzugehen. Genau dieser Vorgehensweise soll § 32 Abs. 1 RVG entgegenwirken. Wird der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert gerichtlich festgesetzt, ist die Festsetzung auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 5.2.2009 – 9 OA 349/08 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 20.1.2010 – 12 E 1642/08 – juris Rn. 4 jeweils mit Verweis auf BVerfG, B.v. 19.12.2001 – 1 BvR 814/01 – NVwZ-RR 2002, 389). Einschlägige Ausnahmen von diesem Grundsatz sind im Gesetz nicht vorgesehen. Einen sachlichen Grund, warum ausnahmsweise eine Abweichung von der Regelung des § 32 Abs. 1 RVG zur Berechnung der Anwaltsgebühren und die damit verbundene Ungleichbehandlung gerechtfertigt wäre, hat das Verwaltungsgericht nicht angeführt und ist auch nicht ersichtlich.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist ein sachlicher Grund nicht darin zu sehen, dass der Kläger mit seinen Klagerücknahmen und der – wegen der ex-tunc Wirkung – entfallenden Anhängigkeit seiner Klagen einer möglichen Verfahrensverbindung gemäß § 93 VwGO durch das Gericht zuvorgekommen ist. Ob mehrere Verfahren miteinander verbunden werden, steht im Ermessen des Gerichts. Auch wenn das Gericht eine Verbindung der Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung in der Regel erst im Vorfeld oder zu Beginn der mündlichen Verhandlung vornimmt und nicht bereits nach deren Anhängigkeit, ist dies selbst bei mehreren Gegenständen derselben Angelegenheit nicht zwingend, zumal bei differierenden Ansprüchen und unterschiedlichen Klagegegnern. Häufig erfolgt in diesen Fällen nur eine gemeinsame Terminierung.
An einer Verbindung der beiden Verfahren fehlt es vorliegend bereits. Ungeachtet dessen kann sich selbst eine tatsächlich erfolgte Verfahrensverbindung nur insoweit auf die Höhe der Gebühren des Rechtsanwalts auswirken, als diese nicht schon vor Verbindung der Verfahren entstanden sind. Dies war hier hinsichtlich der Verfahrensgebühr der Fall, so dass eine sachliche Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung durch das Gericht im Hinblick auf die Festsetzung der Gerichtsgebühren einerseits und der Rechtsanwaltsgebühren andererseits insbesondere nicht darin zu sehen ist, dass – wie das Verwaltungsgericht meint – auch bei späteren Verfahrensverbindungen von mehreren isoliert erhobenen Klagen von Gesetzes wegen bis zum Zeitpunkt der Verbindung mehrere Streitwerte festzusetzen seien, aus denen wegen § 40 GKG mehrere (Gerichts-)Verfahrensgebühren entstünden. Denn die Verfahrensgebühr für den Rechtsanwalt entsteht unabhängig davon bereits für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (vgl. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 2 der Anl. 1 zu § 2 Abs. 2 RVG), also mit dessen Beauftragung im jeweiligen Verfahren; eine spätere Verfahrensverbindung kann damit lediglich Auswirkungen auf diejenigen Rechtsanwaltsgebühren haben, die erst nach der Verbindung der Verfahren entstehen. Da die Bevollmächtigten von beiden Antragsgegnern am 25. Oktober 2018 beauftragt worden sind, hätte selbst eine spätere Verbindung der beiden Verfahren nicht verhindert, dass die Verfahrensgebühr jeweils aus den getrennten Streitwerten zu berechnen war.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unmittelbar aus § 15 Abs. 2 Satz 1, § 22 Abs. 1 RVG. Die selbständige Anwendung dieser Vorschriften ist rechtlich nicht vertretbar, solange für das entsprechende Gerichtsverfahren kein einheitlicher Streitwert gebildet worden ist. Die Stellung des § 22 Abs. 1 RVG an der Spitze der Vorschriften über den Gegenstandswert zeigt, dass es sich um eine allgemeine Regel handelt, die eingreift, falls nicht Sondervorschriften bestehen. Soweit sich die Rechtsanwaltsgebühren nach den in gerichtlichen Verfahren geltenden Wertvorschriften richten (§ 32 Abs. 1 RVG), bestimmt sich nach diesen Vorschriften auch, ob die Werte verschiedener Gegenstände zusammenzurechnen sind (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 5.2.2009 – 9 OA 349/08 – juris Rn. 7; OVG NW, B.v. 20.1.2010 – 12 E 1642/08 – juris Rn. 9 jeweils mit Verweis auf BVerfG, B.v. 19.12.2001 – 1 BvR 814/01 – NVwZ-RR 2002, 389). Hier wurde für die Gerichtsgebühren unangefochten keine Addition der Einzelstreitwerte vorgenommen, für eine extra legem von der abschließenden Regelung des § 32 Abs. 1 RVG vorzunehmende Bildung eines Gesamtgegenstandswerts ist daneben kein Raum.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da nach erfolgreicher Beschwerde Gerichtsgebühren nicht erhoben werden (vgl. Nr. 5502 Anl. 1 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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