Medizinrecht

Abschiebungsverbot bzgl. Armenien

Aktenzeichen  W 8 K 19.31125

Datum:
6.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16351
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben des abzuschiebenden Ausländers besteht auch dann, wenn sich der Gesundheitszustand aufgrund des rückführungsbedingten Abbruchs einer notwendigen medizinischen Behandlung wegen einer unzureichenden oder – aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen – nicht zugänglichen Behandlungsmöglichkeit im Heimatland wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Mai 2019 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei den Klägern ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 VwGO), ist zulässig.
Zur Einhaltung der Klagefrist wird auf die Ausführungen im Sofortverfahren verwiesen (siehe VG Würzburg, B.v. 18.6.2019 – W 8 S 19.31126 – juris).
Die Klage ist auch begründet.
Der angegriffene Bescheid vom 21. Mai 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich A..
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erheblich ist die Gefahr auch, wenn sich der Gesundheitszustand aufgrund des rückführungsbedingten Abbruchs einer notwendigen medizinischen Behandlung wegen einer unzureichenden oder – aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen – nicht zugänglichen Behandlungsmöglichkeit im Heimatland wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Erforderlich aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und wirksame Hilfe tatsächlich nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des gesundheitlichen Zustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlichen und schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen. Mit der Präzisierung des Gesetzgebers, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers verhindern (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 19 CS 19.2136). Es genügt aber, wenn der Betreffende unter mehreren chronischen internistischen Erkrankungen leidet, die einer regelmäßigen ärztlichen Kontrolle und Behandlung mit Medikamenten bedürfen, um den Eintritt einer ansonsten alsbald eintretenden wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands bis hin zu einem lebensbedrohlichen Zustand zu verhindern (vgl. VG Magdeburg, U.v. 8.2.2019 – 3 A 387/17 MD – Asylmagazin 2019, 240).
Die Frage, ob Rückkehrern nach A. eine – wirksame – kostenlose Gesundheitsversorgung zur Verfügung steht, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere von Art und Ausmaß der Erkrankung und von der Frage, ob für die jeweilige Person die Kriterien für den kostenfreien Zugang zur Gesundheitsversorgung nach dem BBP („Basic Benefit Package“)-System erfüllt sind und die erforderliche Gesundheitsversorgung realistischerweise auch erreicht werden kann (vgl. OVG LSA, B.v. 23.4.2020 – 2 L 30/20 – juris).
Das Gericht ist angesichts der für die Kläger vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen nicht davon überzeugt, dass die Kläger bei einer Abschiebung nach A. die notwendige stationäre wie ambulante Behandlung sowie die erforderliche Medikation in ausreichendem Umfang in ihrem speziellen Einzelfall erreichen können. Das Gericht ist vielmehr davon überzeugt, dass die bei einer Abschiebung drohende längerfristige Behandlungsunterbrechung bis hin zum Behandlungsabbruch zu einer wesentlichen Verschlechterung der Erkrankung der Kläger führen würde.
Zwar ist im Grundsatz davon auszugehen, dass die Behandlung von Erkrankungen in A. gewährleistet ist und kostenlos erfolgt, wenn auch die Verfügbarkeit von Medikamenten problematisch sein kann (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asylabschiebungsrelevante Lage in der Republik A. vom 27.4.2020, Stand: Februar 2020, S. 19 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation A. vom 17.3.2020, S. 36 f.).
Jedoch führt das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht ausdrücklich auch an, dass dies nur für die primäre, jedoch nur eingeschränkt für die sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung gilt. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen Großteil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. Problematisch ist auch die Verfügbarkeit von Medikamenten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik A. vom 27.4.2020, Stand: Februar 2020, S. 19 f.).
Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH, Auskunft, A.: Medizinische Behandlungen Brustkrebs, psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen, Korporektomie, Palliativversorgung vom 18.9.2019) betont, dass mit dem BBP ein System partizipatorischer Zahlungen (Zuzahlungen) für Gesundheitsleistungen eingerichtet wurde, wonach bestimmte Kategorien verletzlicher Personen theoretisch kostenfreien (oder teilweise erstatteten) Zugang zum Gesundheitswesen erhalten. Jedoch deckt BBP die realen Kosten der Behandlungen nicht. Patienten müssen diese informell selbst tragen. Die privaten Institutionen begrenzen den Zugang gerade für vulnerable BBP-Patienten. Die Beteiligungszahlungen variieren je nach Komplexität der Behandlung, geographischer Lage, Art der Dienstleistung. Beim BBP-System übernehmen die Patienten in der Regel etwa die Hälfte der Kosten für die medizinischen Leistungen, die sie erhalten. Des Weiteren sind Medikamente ein großer Teil der Haushaltsausgaben und für die meisten Haushalte unerschwinglich. Das begrenzte Budget des BBP und die unzureichende Ausrichtung auf die Bedürftigen erlauben keine Sicherstellung der vorgesehenen Versorgungen mit lebenswichtigen Medikamenten. Teils sind hohe direkte Zahlungen seitens der Patienten erforderlich.
Die von den Klägern sowohl in den einzelnen behördlichen Verfahren als auch im gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Unterlagen – die allerdings zu einem großen Teil nicht dem Erfordernis einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechen – sind gleichwohl geeignet, Ausmaß und Umfang der Erkrankungen der Kläger sowie ihrer Bedürftigkeit und erforderlichen Medikation zu entnehmen. Die beiden 64 bzw. 65 Jahre alten Kläger haben nach Überzeugung des Gerichts jeweils schwerwiegende multiple chronische Erkrankungen.
Diagnostiziert sind etwa beim Kläger zu 1) insbesondere: NSTEMI, PCI und DE, STEMI, KHK (koronare Herzerkrankung), mittelgradige postkapilläre pulmonale Hypertonie, mittelgradig eingeschränkte Pumpfunktion, mittelgradige Trikuspidalklappeninsuffizienz, leichtgradige Mitralklappeninsuffizienz, Hypertonie, Morbus Crohn, Diabetes mellitus Typ 2, mittelgradige depressive Episode, Schlafstörungen, Anpassungsstörungen, Konzentrationsstörungen, Somatisierungsstörungen, Kopfschmerzen, Tinnitus aurium, Vertigo, zervikogen bedingt, Gleichgewichtsstörungen, venöse Gefäßektasie (Gefäßataxie) im Bereich des rechten Kleinhirnbrückenwinkels, HWS-Syndrom mit pseudoradikulärem Schmerzsyndrom, Adipositas.
Für den Kläger zu 1) sind folgende Medikamente verordnet: Torem 10 (Torasemid), Opipramol 50 (Opipramol dihydrochlorid), Palexia retard 50 (Tapentadol), Budenofalk 9 mg (Budesonid), Atorvastatin, Ezetrol 10 mg (Ezetimib), ASS 100 (Acetylsalicsäure), Brilique 90 (Ticagrelor), Entresto 24/26 (Sacubitril, Valsartan), Bisoprolol 2,5 (Bisoprolol hemifumarat), Xelevia 100 (Sitagliptin), Pantoprazol 40, Vitamin D3 + Calcium, Quetiapin 25, Tavor 0.5 (Lorazepam), Eplerenon, Movicol.
Bei der Klägerin zu 2) sind insbesondere diagnostiziert: Zustand nach Bandscheibenvorfall OP L5/S1, Osteochondrose der WS im Lumbalbereich, Osteochondrose der WS im Zervikalbereich, rez. LWS-Beschwerden, Zustand nach Facetteninfiltration L5/S1 beidseits und L4/L5, HWS-Syndrom Foramenstenose LWK5/SWK1 li., chronisches Schmerzsyndrom, Osteoporose, Zustand nach Sprunggelenksfraktur, Diabetes mellitus Typ 2, chronische Niereninsuffizienz, Vorhofflimmern, Hypothyreose, eingeschränkte Gehfähigkeit, Adipositas.
Für die Klägerin zu 2) sind folgende Medikamente verordnet: Torem 10 (Torasemid), L-Thyroxin 100 u. 75 µg (Levothyroxin), Atorvastatin 10 mg, Metformin 500 mg (Metformin hydrochlorid), Opipramol 50 (Opipramol dihydrochlorid), Novalgin (Metamizol natrium), Mirtazapin 15 mg, Carvedilol, Oxycodon-HCI (Oxicodon hydrochlorid), Domperidon, Exforge HCT (Amlodipin, Valsartan, Hydrochlorothiazid), Lorazepam, Pregabalin, Tolperison-HCI (Tolperison hydrochlorid), Fentanyl.
Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung wiederholt betont, dass er ärztlicherseits gehalten ist, regelmäßig seine Tabletten einzunehmen, damit sich seine Gefäße erweiterten und damit auch seine Herzaktivität regelmäßig funktioniere. Andernfalls würde er einen Herzinfarkt bekommen. Er müsse täglich 15 bis 20 Tabletten einnehmen. Außerdem müsse er alle ein bis zwei Wochen regelmäßig zum Hausarzt und alle sechs Monate zu einer allumfassenden Kontrolle ins Herzzentrum. Auch bei der Klägerin zu 2) sind regelmäßige Arzttermine und eine regelmäßige Medikamenteneinnahme erforderlich. Bei ihr sei zuletzt unter anderem die Dosis des Schmerzmittels erhöht worden. Die beiden Kläger befinden sich nach eigener Aussage unter ständiger ärztlicher Kontrolle.
Die Angaben decken sich mit den vorliegenden ärztlichen Befundberichten. Laut den Berichten ist teilweise eine lebenslängliche Behandlung erforderlich und eine regelmäßige Kontrolle und Anpassung der Medikation.
Unterstrichen wird die Behandlungsbedürftigkeit der Kläger durch Stellungnahmen des zuständigen Gesundheitsamtes beim Landratsamt Rh.-Gr. vom 14. Juni 2019. Dort ist ausdrücklich nicht nur ausgeführt, dass bei einer möglichen Heimreise eine ärztliche Begleitung während der Dauer des Transports erforderlich ist, auch um kurzfristig akute Erkrankungen während der Reise zu behandeln, sondern und vor allem auch angemerkt, dass sichergestellt sein soll, dass nach Ankunft im Herkunftsland eine medizinische Versorgung der zahlreichen Erkrankungen gewährleistet ist. Darüber hinaus ist noch anzumerken, dass bei der Klägerin zu 2) die Gehfähigkeit sehr eingeschränkt ist und sie – abgesehen von sehr kurzen Gehstrecken – auf den Rollstuhl angewiesen ist.
Vor diesem Hintergrund liegen nach Überzeugung des Gerichts bei beiden Klägern die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, weil im speziellen Fall die notwendige und ununterbrochene medizinische Versorgung der jeweiligen multiplen chronischen Erkrankungen einschließlich der erforderlichen Medikation bei einer Rückkehr nach A. nicht gewährleistet ist, sodass alsbald nach ihrer Rückkehr mit einer deutlichen Verschlimmerung der Leiden der Kläger zu rechnen ist.
Die Einwendungen der Beklagtenseite vermögen nicht zu überzeugen, zumal im Bescheid die vorliegenden Atteste nicht umfassend gewürdigt sind, sondern vielmehr teilweise auf frühere Bescheide verwiesen wurde, die sich aber offensichtlich nicht mit A., sondern mit der Uk. als Zielstaat befassten.
Wie schon erwähnt, ist vielmehr davon auszugehen, dass nach den oben zitierten Erkenntnissen zu A. ein Großteil der medizinischen Versorgung nicht mehr grundsätzlich kostenfrei ist und die Einkommensmöglichkeiten der Kläger (insbesondere Rente bzw. Sozialbeihilfen) angesichts der erforderlichen Zuzahlungen für die Medikamente nicht ausreichend erscheinen, um alle notwendigen Behandlungen, auch stationärer Art, sowie die erforderliche Medikation lebenslänglich, zu gewährleisten (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 20.1.2017 – AN 4 S 17.30146 – juris). In dem Zusammenhang fällt auch in Gewicht, dass die Kläger, die nicht mehr im erwerbsfähigen Alter sind, noch zu Zeiten der ehemaligen Sowjetunion das Gebiet A.s nach dem großen Erdbeben 1988 vor über 30 Jahren verlassen haben und bei einer Rückkehr bzw. Abschiebung nach A. ohne Unterkunft und ohne familiäre Hilfe auf sich allein gestellt wären.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.2002 – 1 C 1/02 – Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 66) kann sich ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung auch aus Umständen im Zielland ergeben, die dazu führen, dass der Betroffene die medizinische Versorgung tatsächlich dort nicht erlangen kann, weil sie ihm individuell entweder aus finanziellen oder aus sonstigen Gründen nicht zugänglich ist.
Aus der eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 31. Januar 2020 samt Anlagen ergibt sich nichts Gegenteiliges.
Denn in der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 31. Januar 2020 mit den beiliegenden ärztlichen Gutachten der Kooperationsärztin der Deutschen Botschaft E. vom 13. Dezember 2019 wird zwar angeführt, dass die Krankheiten der beiden Kläger in A. grundsätzlich behandelt werden können und dass ein Großteil der erforderlichen Medikamente dort auch verfügbar ist. Jedoch sind auch einige und im Einzelfall der Kläger durchschlagende Unwägbarkeiten und Probleme aufgezeigt, die nach Überzeugung des Gerichts dafürsprechen, dass den Klägern die erforderliche Behandlung samt Medikation nicht zeitnah bzw. nicht auf Dauer zur Verfügung stehen würde. Denn in der Auskunft ist unter anderem erwähnt, dass erst nach drei Monaten medizinischer Überwachung in einer Poliklinik eine entsprechende kostenlose Behandlung zu erhalten ist und dass wahrscheinlich (nicht sicher?) eine Fachkommission die Kläger als schwerbeschädigte Personen anerkennen würde. Weiter ist ausdrücklich vermerkt, dass es möglich ist, dass Patienten nicht zu jedem Zeitpunkt eine Behandlung oder Medikamente erhalten können, weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insoweit müssten Krankenhauskosten und Kosten für Medikamente entsprechend den Preislisten bezahlt werden. Gerade für Menschen wie bei den Klägern mit chronischen Erkrankungen stellten die Krankenhauskosten und Kosten für Medikamente eine große finanzielle Bürde dar.
Weiter ist in der Auskunft ausgeführt, dass theoretisch ein Rentenanspruch bestehen könnte. Erforderlich ist jedoch ein Antrag mit Nachweisen und Dokumenten, die den Klägern jedoch aufgrund ihres Schicksals nicht zur Verfügung stehen. Die Kläger haben das Gebiet A.s, das damals noch zur ehemaligen Sowjetunion gehört hat, vor ca. 30 Jahren verlassen. Die Kläger haben darauf verwiesen, dass es damals Arbeitsbücher gegeben habe, über die sie derzeit nicht mehr verfügten. Weiter ist fraglich, ob die Kläger als Voraussetzung für einen Rentenanspruch mindestens zehn Jahre anerkannt gearbeitet haben und dies auch nachweisen könnten. Vor diesem Hintergrund hält es das Gericht für unrealistisch, dass die Rente den Klägern innerhalb von zehn Tagen bestätigt werden könnte. Hinzu kommt die weitere offene Frage, ob die Kläger von Deutschland aus eine Drittperson mit der Zusammenstellung der erforderlichen Unterlagen beauftragen könnten, zumal sie über keinerlei Kontakte nach A. verfügen. Für die Hauptarbeitszeit in der Uk. haben die Kläger ohnehin keinerlei Nachweise.
Übrig bliebe ein möglicher Sozialbeihilfeanspruch von bis zu 25.500 AMD monatlich als Alternative, wobei nicht ausgesagt ist, welcher Zeitraum bis zu dessen Gewährung zu überbrücken sein würde. Auch die Hilfsprogramme etwa der Caritas in A. oder auch sonstige Rückkehrhilfen wie Integrationshilfen sind nur für eine Übergangszeit verfügbar, genauso wie Hilfen für Obdachlose.
Wie schon erwähnt, scheinen mögliche Leistungen auf kostenloser und regelmäßiger Basis in Polkliniken aufgrund des BBP-Systems für sich nicht ausreichend. Des Weiteren ist in der Auskunft ausdrücklich angemerkt, dass sich – bezogen auf die Klägerin zu 2) – die Kosten einer etwa zehntägigen stationären Behandlung in einer neurologischen Abteilung auf 220.000 AMD und die Gesamtkosten für Medikamente pro Monat auf 49.816 AMD belaufen würden, also insgesamt Kosten für Medikamente und stationäre Behandlung in der neurologischen Station in Höhe 269.816 AMD anfielen. Für den Kläger zu 1) beliefen sich etwa die Kosten einer dreiwöchigen stationären Behandlung in der kardiologischen Abteilung außerhalb des BBP-Rahmens auf 350.000 AMD und die Kosten für Medikamente pro Monat auf 133.133 AMD, zusammen 483.133 AMD.
Die Vertrauensärztin teilt weiter mit, dass die in der nationalen Wirkstoffliste nicht enthaltenen benötigten bzw. alternative Arzneimittel in privaten Apotheken gegen Bezahlung verfügbar sind, wie etwa Ramipril, Torasemide, Mirtazipin, Rexetin (als Ersatz für Opipramol) bzw. Sitagliptin, Quietapin, Gingko Biloba, Pantoprazol. Weiter ist in der Stellungnahme der Vertrauensärztin auf die gerichtliche Frage, ob es wahrscheinlich ist, dass der Patient Behandlung oder Medikamente aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen nicht erhält, ausdrücklich die Antwort gegeben: „Das kann passieren.“ Die betreffenden Medikamente seien auf eigene Kosten in Privatapotheken zu besorgen. Medikamente, die allerdings in der Liste stünden, können entweder kostenlos oder stark vergünstig bereitgestellt werden. Weiter ist durch die Vertrauensärztin angemerkt, dass ein Großteil der Bevölkerung ein niedriges Gehalt habe und die Preise für Krankenhausbehandlung und Medikamente eine riesige finanzielle Belastung darstellten, besonders für diejenigen mit chronischen Krankheiten außerhalb spezieller Programme wie TBC, Infektionen, Diabetes, HIV, Psychiatrie mit durch BBP garantierten kostenlosen medizinischen Dienstleistungen.
Zu möglichen finanziellen Hilfen ist in der eingeholten Auskunft samt ärztlichem Gutachten weiter dargelegt, dass eine Rente bei einer Beschäftigungszeit von zehn Jahren bei 21.000 AMD liegen würde, wobei – wie schon ausgeführt ist – die Kläger ihre Beschäftigungszeiten aufgrund der langen Abwesenheit und mangels erforderlicher Dokumente offenkundig nicht nachweisen könnten, zumal die Beschäftigungszeiten in die Zeit der ehemaligen S. fallen und die Arbeitsbücher nicht verfügbar sind. In der eingeholten Auskunft ist vermerkt, dass für den Erhalt sozialer Leistungen neben dem Reisepass Belege über Arbeitserfahrungen, also Beschäftigungsnachweise, Jahre der Beschäftigung, Zeugnisse von aktuellen und früheren Arbeitsplätzen und Sozialversicherungsausweise vorliegen müssten. Über Letztere verfügen die Kläger nicht. Genauso wenig erscheint es realistisch, dass ein Verwandter frühere Arbeitsplätze der Kläger aufsucht und nach über 30 Jahren Zeugnisse und Belege über Beschäftigungen und Sozialversicherungsverhältnissen besorgen könnte, zumal die Kläger keine Verwandten in A. haben.
Des Weiteren ist in der eingeholten Auskunft samt ärztlichem Gutachten ausgeführt, dass es kein staatliches Programm für Rückkehrer aus D. gibt. Vielmehr müssten diese einen Neustart wagen. Eingeschränkte Hilfe gibt es durch die armenische Caritas. Für Obdachlose gibt es eine gewisse Hilfe, wobei die Aufenthaltsdauer auf bis zu drei Monate beschränkt ist. Auch die weiteren Hilfen für Rückkehrer decken nach der Auskunft nur eine gewisse Übergangszeit ab, nach der die Kläger doch auf sich alleingestellt wären. Demnach blieben allenfalls die Sozialleistungen in Höhe von 25.500 AMD pro Person pro Monat.
Nach Überzeugung des Gerichts könnten die Kläger bei diesem Sachstand und ihren fehlenden finanziellen Möglichkeiten die erforderliche Behandlung bei einer Rückkehr nach A. nicht unterbrechungslos fortsetzen. Selbst, wenn für eine gewisse Übergangszeit Medikamente mitgegeben würden (was wohl nur eingeschränkt möglich ist), würde die sowohl medikamentöse Versorgung als auch die Behandlung unterbrochen, wenn nicht gar abgebrochen werden.
Vorliegend kann das Gericht nicht feststellen, dass bei den Klägern, bezogen auf ihre individuelle Situation, davon ausgegangen werden kann, dass sie allein und ohne fremde Hilfe in der Lage sind, ihre Angelegenheiten insbesondere in gesundheitlicher Hinsicht eigenverantwortlich zu regeln, sodass nicht gewährleistet ist, dass sie die notwendige medizinische Behandlung sowie ihre Medikation in A. erhalten (vgl. auch VG Gelsenkirchen, B.v. 24.2.2016 – 17a K 5036/14.A – Asylmagazin 2016, 171).
Zweifel an der Erreichbarkeit der medizinischen Behandlung in A. bestehen ohnehin schon für mittellose bzw. geringverdienende Personen, wie die Kläger, die allenfalls einen geringen Rentenanspruch oder Sozialleistungsanspruch haben, den sie allein auf sich gestellt erst einmal geltend machen müssten (vgl. VG Schwerin, U.v. 10.10.2014 – 3 A 929/12 As – juris). Von den Klägern würde erwartet werden, dass sie zwingend bestimmte Schritte unternehmen müssten, um überhaupt in den Genuss von Geldleistungen und auch zu einer zumindest teilweisen kostenlosen Krankenbehandlung zu kommen. Wie schon ausgeführt, sind gewisse Wartezeiten zu überbrücken. Dabei ist nicht ersichtlich, wie die Kläger ohne Geld sich in dieser Zeit und danach selbst versorgen und auch den ärztlichen Erfordernissen entsprechend Medikamente erhalten könnten.
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass in A. auch zahlreiche wohltätige Organisationen in humanitärer Mission tätig sind, die sich auf alle Bereiche erstrecken. Das armenische Rote Kreuz leistet soziale, ärztliche und psychologische Unterstützung etwa für alleinstehende Senioren, Flüchtlinge und Kinder. Wohltätigkeitsküchen werden betrieben und soziale Dienste geregelt. Des Weiteren können sozialbedürftige Personen in den Genuss verschiedener Beihilfen gelangen (vgl. dazu etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik A., Stand Februar 2020, vom 27.4.2020, S. 18 f; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von 21.12.2017; siehe auch Bundesamt für Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, A. vom 17.3.2020, S. 33 ff.). Gerade auch für Rückkehrer nach A. besteht die Möglichkeit sich an ein EU-Gemeinschaftsprojekt, ein Vermittlungszentrum für Reintegration, zu wenden. Dieses Vermittlungszentrum steht armenischen Staatsangehörigen, die in ihre Heimat zurückkehren, Unterstützungsleistungen zur Reintegration zur Verfügung. Die Unterstützung richte sich nach dem individuellen Förderbedarf. Das Vermittlungszentrum kann falls nötig eine kostenlose medizinische Untersuchung vermitteln. Auch die Caritas-A. leistet für Rückkehrer Hilfe zur Reintegration (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik A., Stand Februar 2020, vom 27.4.2020, S. 19; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland E., Auskunft vom 15.3.2016 an das VG Bayreuth; VG Würzburg, B.v. 27.8.2018 – W 8 S 18.31741 – juris), wenn diese auch nach der im vorliegenden Verfahren eingeholten Auskunft zeitlich begrenzt ist. Weiter gibt es Aufnahmeeinrichtungen für Obdachlose im Rentenalter (vgl. auch Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 27.3.2018).
Diese punktuellen Hilfen genügen nach Überzeugung des Gerichts im konkreten Fall der Kläger für sich nicht, weil bei den Klägern speziell ein weiterer medizinischer Förder- und Unterstützungsbedarf für einen längeren Zeitraum bzw. auf Dauer besteht.
Wie schon ausgeführt, kommt es nicht allein auf die Behandelbarkeit der Erkrankungen im Heimatland an, sondern auch darauf, ob die Kläger in der Lage sind, diese Möglichkeiten für sich zu nutzen (siehe OVG Rh-Pf, B.v. 23.7.2018 – 7 B 10768/18 – NVwZ-RR 2018, 948). Daran fehlt es gerade.
Selbst bei der Mitgabe von Medikamenten sowie Finanzmitteln für eine Übergangszeit sowie eine medizinische Beratung nach Einreise am Flughafen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik A., Stand Februar 2020 vom 27.4.2020, S. 22) erschließt sich für das Gericht nicht, wie die Kläger allein auf sich gestellt, ohne jegliche Verwandte in A., ohne Unterkunft und nach einer Abwesenheit von ca. 30 Jahren und auch ohne jegliche langfristige Unterstützung dauerhaft an die erforderlichen Medikamente kommen und weiter die erforderliche ambulante und stationäre Behandlung erhalten sollten. Ohne die erforderliche medizinische Versorgung ist eine wesentliche Verschlechterung der multiplen Krankheitsbilder der Kläger zeitnah wahrscheinlich.
Vorstehende Beurteilung gilt jedenfalls, solange sich Verwandte nicht in A., sondern in Deutschland oder in einem anderen Land wie die Uk. aufhalten (vgl. ebenso VG Magdeburg, U.v. 20.7.2018 – 3 A 94/16 MD – Asylmagazin 2018, 361; VG Chemnitz, U.v. 6.6.2016 – 4 K 1166/13.A – juris). Denn bei der gerichtlichen Prognose ist eine mögliche Unterstützung in der Heimat durch Angehörige einzubeziehen, gerade wenn es darum geht, dass die Kläger aufgrund ihres Gesundheitszustandes ihr Recht auf kostenfreie Behandlung nicht durchsetzen bzw. die finanziellen Mittel nicht aufbringen könnten (OVG NRW, B.v. 5.3.2018 – L A 83/17.A – MILo).
Unabhängig vom gesundheitlichen Aspekt ist des Weiteren ein Fall des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch dann gegeben, wenn in tatsächlicher Hinsicht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Betreffende nicht in der Lage wäre, sich in A. mit den für das Überleben notwendigen Gütern zu versorgen und dort das Existenzminimum zu sichern (OVG NRW, U.v. 4.9.2019 – 11 A 605/15.A – juris). Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen.
Abgesehen davon, dass für die Kläger schon im Hinblick auf ihre gesundheitliche Situation ein Abschiebungsverbot wie ausgeführt besteht, ist darüber hinaus und für sich selbst tragend festzustellen, dass die Kläger nach einer ca. 30-jährigen Abwesenheit aus A., ohne Unterkunft und ohne jegliche private Unterstützung und eigene Mittel und aufgrund ihres Alters und ihrer Gebrechen und auch ohne die Möglichkeit, Geld so zu erwirtschaften, verelenden würden.
Denn die Kläger können wie ausgeführt realistischerweise allenfalls eine Sozialleistung in Höhe von 25.500 AMD pro Person pro Monat erhalten, das entspricht etwa 47,00 EUR monatlich. Wie die Kläger, abgesehen von den medizinischen Erfordernissen, ihre Grundbedürfnisse damit befriedigen und sich auf Dauer eine geeignete Wohnung besorgen könnten, erschließt sich dem Gericht nicht (vgl. zu den Voraussetzungen der Erlangung von Sozialbeihilfe oder Renten auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Ö., Länderinformationsblatt der Staatendokumentation A. vom 17.3.2020, S. 33 ff.). Aufgrund ihrer speziellen Situation ist in tatsächlicher Hinsicht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Kläger nicht in der Lage wären, sich in A. mit den für ihr Leben notwendigen Gütern zu versorgen und dort ihr Existenzminimum zu sichern. Das die Armutsgrenze bestimmende Existenzminimum beträgt in A. ca. 60.000 AMD im Monat. Die zu erwartenden Sozialleistungen der Kläger liegen deutlich darunter. Die Kläger sind des Weiteren mit den Verhältnissen in A. aufgrund ihrer 30-jährigen Abwesenheit nicht vertraut und sie haben auch kein Obdach. Letzteres würden sie nach den vorliegenden Erkenntnissen wie schon erwähnt nur zeitlich begrenzt kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen. In A. gibt es für Rückkehrer derzeit keine staatliche Sozialunterstützung auf dem Wohnungsmarkt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, A.: Medizinische Behandlung Brustkrebs, psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung, Korporektomie, Palliativversorgung vom 18.9.2019, S. 19; IOM, Länderinformationsblatt A. 2019, S. 8). Wie sich die Kläger eine eigene Wohnung mangels Vermögen und mangels eigenen Einkommens finanzieren können sollten, ist nicht ersichtlich.
Das Gericht hat auf der Basis der Angaben der Kläger auch keine Anhaltspunkte, dass diese aufgrund von Unterstützung aus dem Ausland in ausreichendem Umfang in die Lage versetzt würden, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 4.9.2019 – 11 A 605/15.A – juris). Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass ihre Verwandten teilweise selbst sehr schwer krank wären und sich selbst versorgen müssten. Teilweise bestünden auch keinerlei Verbindungen zum eigenen Sohn, der sich womöglich in der Uk. aufhält.
Für die Kläger besteht demnach sowohl hinsichtlich der medizinischen Versorgungsmöglichkeit ein Abschiebungsverbot als auch hinsichtlich der fehlenden Sicherstellung des Existenzminimums.
Die Situation wird für die Kläger darüber hinaus zusätzlich durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie verschärft. A. hat in der Region bezogen auf die Bevölkerungsgröße die meisten bestätigten Infektionsfälle. Trotz eines Hilfspakets der Regierung ist fraglich, ob damit die wirtschaftlichen Einbußen und Nöte der Menschen abgefedert werden können. In A. steigt die Zahl der Infektionen und Todesfälle kontinuierlich. Die epidemiologische Situation in A. wird mit der Situation seinerzeit in Italien verglichen. Das bereits vor der Pandemie unterfinanzierte Gesundheitssystem ist überlastet. Einreisende müssen in eine strikte Selbstisolation bzw. durch einen Test nachweisen, dass sie nicht an Corona infiziert sind. In A. ist die Gefahr einer rapiden Weiterverbreitung des Virus und einer übermäßigen Belastung des Gesundheitssystems nicht gebannt. Am 6. Juli 2020 gab es in A. bei ca. drei Millionen Einwohnern 28.606 Infizierte und davon 484 Todesfälle. Es gibt des Weiteren auch eine bedeutende Anzahl von an COVID-19 erkrankten Menschen, die schwere und schwerste Symptome aufweisen. Bei einem weiteren Anstieg der Corona-Erkrankungen und vor allem bei einer Überschreitung der Kapazitätsgrenze im Gesundheitssystem ist mit einer erneuten Verschärfung von Beschränkungen in Wirtschaft und öffentlichem Leben zu rechnen, etwa auch mit örtlich begrenzten und zeitlich befristeten Einschränkungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die Corona-Pandemie hat zu eingreifenden sozioökonomischen Risiken geführt, zu Einkommenseinbußen, Entlassungen und Betriebsschließungen. Die verwundbarsten Gruppen in A. während der Pandemie sind diejenigen, die – wie gerade die Kläger – schon vor der Pandemie verwundbar waren und deren Situation jetzt noch schwieriger wird. Es handelt sich dabei um einsame und kinderlose ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Vertriebene und Arbeitsmigranten, Mehrkinder-Familien und alleinerziehende Mütter usw. Obwohl A. soziale Unterstützungsmaßnahmen eingeführt hat, wurden die meisten der gefährdeten Gruppen von diesen Unterstützungsprogrammen ausgenommen (vgl. zum Ganzen Österreichisches Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, Reiseinformationen A. vom 3.7.2020; GTAI, Germany Trade & Invest, COVID- 19, Allgemeine Situation und Konjunkturentwicklung vom 16.6.2020; WKO, die Wirtschaftskammer Österreich, Corona-Virus: Situation in A. vom 16.6.2020; Heinrich-Böll-Stiftung: Das Corona-Virus hat A. den Krieg erklärt vom 15.6.2020; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19-Information vom 9.6.2020, S. 4 f und vom 25.3.2020, S. 2 f; Stiftung Wissenschaften und Politik, SWP-Aktuell Nr. 28, April 2020, S. 4).
Hinzu kommt, dass die Kläger beide sowohl aufgrund ihres Alters als auch aufgrund ihrer multiplen Erkrankungen zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19 Erkrankung gehören (vgl. RKI, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf; abrufbar unter …).
Nach alledem droht den Klägern im Falle einer Rückkehr nach A. alsbald sowohl eine wesentliche Verschlimmerung ihrer Erkrankungen, weil die medizinische Versorgung in ihrem speziellen Fall nicht gewährleistet ist, als auch mangels Sicherstellung des Existenzminimums und mangels Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse einschließlich des Obdachs eine Verelendung, so dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind.
Ob daneben die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen, kommt es nicht mehr an, da es sich bei dem nationalen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG insoweit um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen handelt (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 23/10 – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 45; VG München, U.v. 15.3.2017 – M 17 K 16.35002 – juris).
Die Beklagte war infolgedessen unter Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides zu verpflichten, für die Kläger ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich A. festzustellen. Liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, ist des Weiteren die Abschiebungsandrohung betreffend A. aufzuheben (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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