Medizinrecht

Anforderungen an eine ärztliche Invaliditätsfeststellung

Aktenzeichen  34 O 758/18

Datum:
18.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 33767
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AUB 95 § 7 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die nach § 7 I (1) AUB 95 als Voraussetzung für den Anspruch auf Invaliditätsleistung geforderte ärztliche Invaliditätsfeststellung erfordert (auch) die Angabe eines konkreten, die Arbeitsfähigkeit des Versicherten beeinflussenden Dauerschadens (im Anschluss an BGH BeckRS 1995, 4724 zu § 8 II (1) AUB 61). Dem genügt eine ärztliche Stellungnahme, die die bloße Diagnose einer traumatischen Supraspinatussehnenruptur und einer Rippenserienfraktur des Versicherten sowie die anamnestische Beschreibung von Beschwerden im rechten Schultergelenk und Schmerzen enthält, nicht. (Rn. 16 und 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Versicherer, der nach Vorlage eines den Anforderungen des § 7 I (1) AUB 95 nicht genügenden ärztlichen Attestes noch während der Invaliditätseintritts- und -feststellungsfrist einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Versicherten beauftragt, ist es nicht verwehrt, sich später auf das Fehlen einer fristgerechten ärztlichen Invaliditätsfeststellung zu berufen (siehe aber OLG Koblenz BeckRS 2016, 17314 Rn. 27; OLG Karlsruhe BeckRS 2015, 4179 Rn. 24; OLG Saarbrücken BeckRS 2013, 11369). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 17.895,22 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Regensburg ist gem. §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gem. § 215 Abs. 1 VVG i.V.m. §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständig.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die vertragliche Invalditätsfeststellungsfrist aus § 7 Abs. 1 AUB 95, nach der die Invialidität binnen 18 Monaten nach dem Unfall eingetreten und binnen weiterer 3 Monate ärztlich festgestellt und gelten gemacht sein muss, wurde nicht eingehalten. Es mangelt an einer fristgemäßen, ärztlichen Feststellung.
Wie bereits im gerichtlichen Hinweis vom 11.07.2018 (Bl. 28) ausgeführt wurde die Frist zur ärztlichen Feststellung einer Invalidität nicht eingehalten. Insbesondere sind die nach ständiger, höchstrichterlicher Rechtsprechung zu stellenden Anforderungen an ärztliche Invaliditätsfeststellungen nicht gewahrt. Der BGH führt hierzu aus (BGH, Urteil v. 07.03.2007, IV – 137/06, NJW-RR 2007, 977):
„Aus der Invaliditätsfeststellung müssen sich aber die ärztlicherseits dafür angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen ergeben. Denn die Invaliditätsbescheinigung soll dem Versicherer Gelegenheit geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen und seine Leistungspflicht auf Grundlage der ärztlichen Feststellung zu prüfen. Zugleich soll sie eine Ausgrenzung von Spätschäden ermöglichen, die in der Regel nur schwer abklärbar und überschaubar sind und die der Versicherer deshalb von der Deckung ausnehmen will (Senat, NJW-RR 1988, NJW-RR Jahr 1988 Seite 601 = VersR 1988, VERSR Jahr 1988 Seite 286). Deshalb können nur die in der ärztlichen Invaliditätsfeststellung beschriebenen unfallbedingten Dauerschäden Grundlage des Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung sein.
Daraus folgt: Erforderlich ist die Angabe eines konkreten, die Arbeitsfähigkeit des Versicherten beeinflussenden Dauerschadens (BGHZ 130, BGHZ Band 130 Seite 171 [BGHZ Band 130 Seite 178] = NJW 1995, NJW Jahr 1995 Seite 2854). Allein das wird den berechtigten Interessen des Versicherers gerecht, die dieser an der zeitnahen Klärung seiner Leistungspflicht hat. Nur einem Dauerschaden, zu dessen Ursache und Auswirkungen sich die Bescheinigung bereits verhält, kann der Versicherer nachgehen. Führt die ärztliche Bescheinigung hingegen einen Dauerschaden, auf den sich der Versicherungsnehmer später für seinen Anspruch auf Invaliditätsleistung beruft, noch gar nicht auf, kann der mit der Regelung in § AUB1995 § 7 AUB1995 § 7 Absatz I (1) Abs. AUB1995 § 7 Absatz 2 AUB 95 verfolgte Zweck nicht erreicht werden. Der Versicherer hat für diesen Fall keinen Anlass, den Sachverhalt weiter abzuklären, weil ihm der Dauerschaden, den der Versicherungsnehmer später geltend macht, durch die ärztliche Feststellung nicht bekannt wird. Umgekehrt kann der Versicherungsnehmer nicht davon ausgehen, dass eine ärztliche Bescheinigung, die (nur) einen bestimmten Dauerschaden benennt, ihn davon enthebt, einen weiteren, dort nicht aufgeführten Dauerschaden, der nach seiner Auffassung zusätzlich vorliegt, ärztlich feststellen zu lassen.“
Den vorgelegten Anlagen K3, K4 und K5, also den Arztbriefen des Klinikums … lässt sich kein konkreter, die Arbeitsfähigkeit des Klägers beeinflussender Dauerschaden entnehmen. Es werden die Diagnosen traumatische Supraspinatussehnenruptur und Rippenserienfraktur gestellt. Ebenso werden anamnestisch Beschwerden im rechten Schultergelenk und Schmerzen beschrieben. Eine dauerhafte Einschränkung, die die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt, folgt hieraus keineswegs von selbst und wird auch nicht beschrieben.
Nichts anderes ergibt sich darauf, dass die Beklagte selbst nach Vorlage der ärztlichen Atteste des Klägers einen Sachverständigen mit der Begutachtung beauftragt hat. Zum einen hätte auch dieser eine Invalidität feststellen können, was für den Kläger vorteilhaft gewesen wäre. Zum anderen war zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens die Invaliditätseintritts- und -feststellungsfrist noch lange nicht abgelaufen. Dem Kläger war es ohnehin – aber insbesondere vor dem Hintergrund des für den Kläger nachteiligen Ergebnisses des Gutachtens – unbenommen, einen anderen Arzt aufzusuchen. Unter keinem Gesichtspunkt kann das Gericht im vorliegenden Fall erkennen, dass die Beklagte sich infolge der Beauftragung eines Gutachters zur Feststellung einer eventuellen Invalidität des Klägers an den den AUB nicht genügenden Arztbriefen festhalten lassen müsste. Ansonsten müsste man davon ausgehen, dass es dem Versicherer stets verwehrt wäre, ein Gutachten in Auftrag zu geben, falls der Versicherungsnehmer ohne Vorlage einer den AUB genügenden ärztlichen Bestätigung Leistungen wegen aus einer Unfallversicherung fordert, wenn er nicht zugleich auf diese vertraglich vereinbarte Anspruchsvoraussetzung verzichten wollte.
Daher hat der Kläger keinen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag und der Antrag war zurückzuweisen.
III.
Mangels Bestehen der Hauptforderung waren auch die Nebenforderungen zurückzuweisen.
IV.
Der Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 3 ZPO. Die Kostenentscheidung fußt auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.


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