Medizinrecht

Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar für Fahranfänger

Aktenzeichen  W 6 K 20.390

Datum:
2.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35707
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2a Abs. 2
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
GG Art. 19 Abs. 4
FeV § 35
Anl. 12 zur FeV Abschn. A Nr. 2.1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da der angefochtene Bescheid des Landratsamts W. vom 19. Februar 2020 rechtmäßig gewesen ist.
1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Durch die Teilnahme der Klägerin an dem angeordneten Aufbauseminar hat sich der angefochtene Bescheid nach Klageerhebung gemäß Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erledigt, sodass die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage unzulässig geworden ist. Die daraufhin erklärte Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage war nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO kraft Gesetzes zulässig.
Das besondere Feststellungsinteresse der Klägerin ist vorliegend gegeben. So gebietet Art. 19 Abs. 4 GG die Gewährung von effektivem Rechtsschutz, jedoch darf dies zu keiner unnötigen Inanspruchnahme des Gerichts führen. Folglich steht die Beschreitung des Klageweges nur dann offen, wenn der Bürger des Rechtsschutzes (noch) bedarf. Maßgeblich für die Feststellung des besonderen Feststellungsinteresses ist, ob die Klagefortsetzung für die Verbesserung der Position der Klagepartei geeignet ist. Hierfür genügt jedes berechtigte Interesse an der gerichtlichen Feststellung rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 108). Vorliegend besteht das besondere rechtliche Interesse an einer Feststellung wegen der sich kraft Gesetzes ergebenden Rechtsfolgen des § 2a StVG, welche an die Anordnung eines Aufbauseminars knüpfen. So verlängert sich gemäß § 2a Abs. 2a Satz 1 StVG nicht nur die Probezeit des Fahranfängers um weitere zwei Jahre, sondern der Fahranfänger unterliegt bei weiteren Zuwiderhandlungen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften nunmehr dem Stufensystem des § 2a Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 StVG, welche – ähnlich wie das Stufensystem des § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG beim gemeinen Fahrerlaubnisinhaber – als nächste Maßnahmen zunächst die Verwarnung (Nr. 2) und schließlich die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 3) zur Folge haben. Nachdem ein Rechtsbehelf gegen die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung entfaltet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 2a Abs. 6 StVG) und bei nicht fristgerechter Teilnahme die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen ist (§ 2a Abs. 3 StVG), wird der Fahranfänger zur Abwendung dieser einschneidenden Folge das Aufbauseminar in der Regel absolvieren. Da die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe nach § 2a Abs. 3 StVG gerade nicht davon abhängt, dass die vorausgegangene Anordnung der Nachschulung rechtmäßig ist, sondern deren Vollziehbarkeit genügen lässt (Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke/Hühnermann, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, StVG § 2a Rn. 5), kann dies sein Interesse an der Feststellung der Rechtmäßigkeit der Anordnung nicht entfallen lassen. Entsprechend hat das Gericht im vorangegangenen Eilverfahren darauf hingewiesen, dass die Interessensabwägung nicht zu Gunsten der Klägerin ausfallen kann, da ihre erforderlichen finanziellen Aufwendungen für die Teilnahme an dem angeordneten Aufbauseminar und die Verlängerung der Probezeit im Fall eines Erfolges im Hauptsacheverfahren wieder rückgängig zu machen wären (VG Würzburg, B.v. 28.4.2020 – W 6 S 20.510, S. 13).
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet, da der angefochtene Bescheid zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Erledigung rechtmäßig gewesen ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 VwGO.
2.1. Rechtsgrundlage für die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar ist § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde für den Inhaber einer Fahrerlaubnis, gegen den wegen einer innerhalb der Probezeit begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die nach § 28 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 Buchstabe a oder c StVG in das Fahreignungsregister einzutragen ist, die Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen, wenn er eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. Die Fahrerlaubnisbehörde ist bei dieser Maßnahme an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden (§ 2a Abs. 2 Satz 2 StVG). Die Probezeit verlängert sich um zwei Jahre (§ 2 Abs. 2a StVG). Nach § 34 Abs. 2 FeV erfolgt die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 2a Abs. 2 StVG (§ 35 FeV) schriftlich unter Angabe der Verkehrszuwiderhandlungen, die zu der Anordnung geführt haben; dabei ist eine angemessene Frist zu setzen. Die schriftliche Anordnung ist bei der Anmeldung zu einem Aufbauseminar dem Kursleiter vorzulegen. Nach § 37 FeV ist über die Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 35 FeV vom Seminarleiter eine Bescheinigung zur Vorlage bei der Fahrerlaubnisbehörde auszustellen.
2.2 Diese Voraussetzungen lagen vor und werden von der Klägerin im Übrigen auch nicht bestritten. Nach dem vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Auszug aus dem Fahreignungsregister hat die Klägerin während der Probezeit eine schwerwiegende Zuwiderhandlung begangen, die rechtskräftig geahndet wurde. Der Vorfall vom 11. Juni 2019 ereignete sich innerhalb der ursprünglich bis zum 6. September 2019 laufenden Probezeit. Die Zuwiderhandlung ist auch eine schwerwiegende. Nach § 34 Abs. 1 FeV erfolgt die Bewertung der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe nach Anlage 12 zur FeV. Nach Abschnitt A Nr. 2.1 der Anlage 12 zur FeV handelt es sich bei Ordnungswidrigkeiten (§§ 24, 24a, 24c StVG) im Falle von Verstößen gegen die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung über die Geschwindigkeit (vorliegend wegen Unfalls aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit bei schlechten Sicht- oder Wetterverhältnissen gemäß § 3 Abs. 1, § 1 Abs. 2 i.V.m. § 49 StVO, § 24 StVG; 8.1 BKat) um schwerwiegende Zuwiderhandlungen. Die Einstufung hat der Verordnungsgeber selbst vorgenommen und sie wird von der Klägerin auch nicht in Frage gestellt. Die rechtskräftige Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit ist auch nach § 28 Abs. 3 Nr. 3a Buchst. bb) StVG (Geldbuße von mindestens 60,00 EUR) in das Fahreignungsregister einzutragen.
Mit der Einwendung, die Klägerin habe mangels Sorgfaltspflichtverletzung keine Ordnungswidrigkeit nach § 1 Abs. 2, § 3 StVO begangen, kann sie nicht durchdringen.
Nach § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG ist die Fahrerlaubnisbehörde bei Maßnahmen nach den Nrn. 1 bis 3 des § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gebunden. Damit ist der Fahrerlaubnisbehörde ebenso wie dem Gericht die Nachprüfung untersagt, ob der Inhaber der Fahrerlaubnis auf Probe die Straftat oder Ordnungswidrigkeit auch tatsächlich begangen hat, sodass eine (nochmalige) Prüfung der eingetragenen Ordnungswidrigkeit weder im behördlichen noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolgt (vgl. BT-Drs. 13/6914, S. 67). Folglich sind die Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 StVG im Rahmen einer gebundenen Entscheidung der Behörde ohne Rücksicht auf die konkreten Umstände der jeweiligen Zuwiderhandlung zwingend anzuordnen. Nur diese Auslegung der Regelung wird dem Zweck des Gesetzes gerecht, die Fahrerlaubnisbehörde und die Gerichte von der Nachprüfung ordnungswidrigkeitenrechtlicher Entscheidungen zu befreien. Auch für Gerichte, die die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde beurteilen, besteht damit die Bindung an die straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Entscheidungen. Die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 20.4.1994 – 11 C 44/92 – NJW 1995, 70 f.), wonach Verkehrsbehörden bei Anordnungen nach § 2a Abs. 2 StVG (a.F.) nicht an die darin enthaltenen Sachverhaltsfeststellungen gebunden sind, wenn gewichtige Anhaltspunkte gegen deren Richtigkeit sprechen, ist durch die Neufassung des Gesetzes überholt (vgl. auch VG Würzburg, U.v. 1.8.2018 – W 6 K 18.386).
Entscheidet sich der Betroffene, kein Rechtsmittel gegen den Bußgeldbescheid einzulegen, sondern ihn zu bezahlen und damit im Ergebnis die zugrundeliegende Ordnungswidrigkeit anzuerkennen, muss er sämtliche sich daraus ergebenden Folgen gegen sich gelten lassen, solange dieses nicht aufgehoben wurde oder die Zuwiderhandlung nicht mehr verwertet werden kann. Nachdem der maßgebliche Bußgeldbescheid offensichtlich nicht nichtig und damit rechtswirksam ist, ist die Frage, ob die Klägerin den geahndeten Verstoß am 11. Juni 2019 in vorwerfbarer Weise begangen hat, vorliegend nicht zu klären.
2.3. Der Einwand des Bevollmächtigten, die Klägerin hätte von der Bußgeldbehörde darüber unterrichtet werden müssen, dass aufgrund der festgesetzten Höhe des Bußgeldes (mehr als 60,00 EUR) sie von Gesetzes wegen an einem kostenpflichtigen Aufbauseminar teilnehmen müsse, vermag an der Beurteilung nichts zu ändern.
Bei dem Ordnungswidrigkeitenverfahren einerseits und dem Verwaltungsverfahren andererseits handelt es sich um zwei voneinander unabhängige Verfahren mit unterschiedlicher Zielrichtung: So ahndet das Bußgeldverfahren einen konkreten Vorschriftsverstoß des Betroffenen in der Vergangenheit, während die Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde als Gefahrenabwehrrecht die Verhütung von zukünftigen Gefahren durch den Fahrerlaubnisinhaber – hier: Fahranfänger – zum Ziel hat; die von der Fahrerlaubnisbehörde zu ergreifenden Maßnahmen sind durch das StVG vorgegeben und orientieren sich am konkreten Einzelfall. Damit obliegt die Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 StVG vorliegen, ausschließlich der Fahrerlaubnisbehörde und hat im Rahmen des Bußgeldverfahrens nicht nur keinen Raum, sondern etwaigen Ausführungen der Bußgeldbehörde könnte mangels Zuständigkeit auch keine Rechtsverbindlichkeit zukommen. Folgerichtig kann der Betroffene im Verwaltungsverfahren auch nicht mit dem Einwand gehört werden, im Rahmen des Ordnungswidrigkeitsverfahrens sei ihm erklärt worden, dass die Zuwiderhandlung keine weitergehenden Konsequenzen haben werde (vgl. OVG NW, B. v. 16.12.2015 – 16 B 1224/15 – juris, Rn. 7).
Soweit der Bevollmächtigte in diesem Zusammenhang unter Berufung auf Art. 19 Abs. 4 GG die Durchbrechung der Bindungswirkung des § 2a Abs. 2 Satz 3 StVG fordert, da die Klägerin ansonsten ihres effektiven Rechtsschutzes beraubt wäre, weil sie bei Erhalt des Bußgeldbescheides keine informierte Entscheidung habe treffen können, verfängt dies nicht. Der Betroffene hat nach Bekanntgabe des Bußgeldbescheides gemäß § 67 OWiG die Möglichkeit Einspruch einzulegen und sämtliche Einwände im Rahmen des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahrens vorzutragen, welche dort vollumfänglich überprüft werden. Aus welchen pragmatischen oder prozesstaktischen Erwägungen heraus der Betroffene darauf verzichtet, gegen den Bußgeldbescheid vorzugehen, ist unerheblich, da es ausweislich des eindeutigen Gesetzeswortlauts lediglich auf die Rechtskraft der Entscheidung ankommt. Folglich sieht das geltende Recht auch keine Verpflichtung der öffentlichen Gewalt vor, in Zusammenhang mit dem Erlass eines Bußgeldbescheids auf die sich ggf. aus § 2a Abs. 2 StVG ergebenden Folgen hinzuweisen (BayVGH, B.v. 16.1.2006 – 11 CS 05.1880 – juris, Rn. 13).
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass ein Fahranfänger im Rahmen der Fahrschulausbildung im theoretischen Unterrichtsteil u.a. über die gesetzlichen Rechte und Pflichten eines Fahrerlaubnisinhabers aufgeklärt wird, wozu auch die besonderen Anforderungen an einen Fahranfänger (Fahrerlaubnisinhaber auf Probe) und die Folgen eventueller Verstöße während der Probezeit zählen. Die Klägerin hätte daher wissen müssen, dass sie während ihrer Probezeit besonderen Anforderungen unterliegt und bei gewichtigeren Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften die Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet wird (in diesem Sinne auch OVG Hamburg, B.v. 18.9.2006 – 3 Bs 298/05 – juris, Rn. 10). Sie hätte sich nach Erhalt des Bußgeldbescheids zumindest über mögliche Folgen informieren bzw. Rechtsberatung einholen können.
Demnach erweist sich die Verpflichtung der Klägerin zur Teilnahme an dem angeordneten Aufbauseminar zum Zeitpunkt der Erledigung als rechtmäßig.
3. Nachdem die Klage keinen Erfolg hat, ist sie mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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