Medizinrecht

Auslegung anhand des Wortlauts, keine 2G-Kontrolle im Bekleidungsgeschäft der Antragstellerin

Aktenzeichen  RO 5 E 21.2425

Datum:
23.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42099
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BaylfSMV § 10 Abs. 1 S. 1 und 2 15.

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird vorläufig festgestellt, dass § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 5 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 und 5 der Fünfzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in der Änderungsfassung vom 14.12.2021 (15. BayIfSMV, BayMBl. 2021 Nr. 876) dem Betrieb des Geschäfts der Antragstellerin in der … in … (…) nicht entgegensteht, da das Ladengeschäft der Antragstellerin zur Deckung des täglichen Bedarfs gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 15. BayIfSMV dient.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist Betreiberin des Textileinzelhandelsgeschäfts … in … Im Geschäft der Antragstellerin werden fast ausschließlich Kleidungsstücke und Schuhe als Randsortiment verkauft. Sie begehrt die Feststellung, dass ihr Geschäft nicht unter die sog. 2G-Regel fällt.
Mit Änderungsverordnung vom 3.12.2021 hat das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die 15. BayIfSMV unter anderem im Hinblick auf die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handelsangebote verschärft. Seit dem 8.12.2021 gilt nach § 10 Abs. 1 15. BayIfSMV die sogenannte 2G-Regel auch für die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handelsangebote. Der Zugang darf nur Kunden gewährt werden, die nachweislich entsprechend der jeweiligen Vorschriften hierzu geimpft oder genesen sind. Ausgenommen bleiben nach § 10 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 15. BayIfSMV Ladengeschäfte, die der Deckung des täglichen Bedarfs dienen. Zum täglichen Bedarf gehören ausweislich des § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV insbesondere der Lebensmittelhandel einschließlich der Direktvermarktung, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Schuhgeschäfte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörakustiker, Tankstellen, der Verkauf von Presseartikeln und Tabakwaren, Filialen des Brief- und Versandhandels, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte, Baumärkte, Gartenmärkte, der Verkauf von Weihnachtsbäumen und der Großhandel.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass es sich bei ihrem Geschäft um ein Ladengeschäft zur Deckung des täglichen Bedarfs im Sinne der 15. BayIfSMV handelt. Sie ließ daher ihr Ladengeschäft in … ohne Einlasskontrollen auch nach dem 8.12.2021 weiterhin für alle Personengruppen zugänglich geöffnet. Am 9.12.2021 kontrollierte das Landratsamt Regensburg das Ladengeschäft der Antragstellerin. Dabei wurde festgestellt, dass dort keine Zutrittskontrolle im Sinne des § 10 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 und 5 15. BayIfSMV durchgeführt wird. Mit Datum vom 10.12.2021 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin daher auf, das genannte Ladengeschäft zu schließen. Eine Öffnung sei erst möglich, wenn die Antragstellerin den gesetzlichen Vorgaben (Kontrolle der Zutrittsbeschränkung) nachkomme. Eine Anhörung hinsichtlich dieser Ordnungswidrigkeit erhalte die Antragstellerin in den kommenden Tagen auf dem Postweg.
Die Antragstellerin ließ hiergegen mit Datum vom 13.12.2021 um Eilrechtsschutz nachsuchen.
Die Antragstellerin beantragt,
Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass § 10 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 und 5 der Fünfzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in der Änderungsfassung vom 3.12.2021 (15. BayIfSMV, BayMBl. 2021 Nr. 841) dem Betrieb des Textilhandelsgeschäfts der Antragstellerin in der … in … (* …*) nicht entgegensteht, da das Ladengeschäft der Antragstellerin zur Deckung des täglichen Bedarfs gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 der Fünfzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung dient.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sei zulässig und begründet. Der Statthaftigkeit des Antrags stehe nicht entgegen, dass er eine Umgehung des Normenkontrollverfahrens darstelle. Die Antragstellerin begehre nicht etwa eine abstrakte Klärung der Gültigkeit einer Rechtsnorm oder einer abstrakten Rechtslage. Mit ihrem Antrag auf Feststellung mache sie vielmehr geltend, dass sie durch die getroffene Regelung unmittelbar in einer subjektiven Rechtsposition betroffen sei. Der Antrag sei als Feststellungsantrag auch im Übrigen zulässig. Die Antragstellerin habe ein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Klärung, ob der Betrieb ihres Einzelhandelsgeschäfts ohne eine Durchführung von Einlasskontrollen rechtmäßig ist. Schon bei summarischer Prüfung werde feststehen, dass eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs in der Hauptsache einerseits, sowie schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile andererseits im Fall der Klärung in einem Hauptsacheverfahren zu verzeichnen seien. Der Anordnungsanspruch folge aus einer Ungleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetztes (GG), der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG, einfachgesetzlich konkretisiert durch die Gewerbefreiheit des § 1 Abs. 1 GewO. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege habe das ihm zustehende Verordnungsermessen mit Blick auf die von ihm getroffene Differenzierung zwischen verschiedenen Geschäften des Einzelhandels überschritten bzw. nicht konkret genug ausgeführt. Bei der Untersagung des Betriebs von Bekleidungsgeschäften des Einzelhandels handele es sich um einen nicht gerechtfertigten Eingriff in den Grundsatz der Gleichheit, in die Berufsausübung sowie in das Eigentumsrecht. Bei der nicht abschließenden Aufzählung wolle der Gesetzgeber die beispielhaft bezeichneten Fälle in den Tatbestand einbeziehen, lasse jedoch ausdrücklich auch nicht aufgezählte Sachverhalte für eine spätere Extension zu. Dann sei es den Gerichten überlassen, die in der Norm nicht aufgezählten Tatbestände im Wege der Extension einzubeziehen. Unerklärlich bleibe es daher, dass zum Beispiel Schuhgeschäfte, Buchhandlungen und Blumenfachgeschäfte unter die Ausnahmeregelung fallen sollten, während hingegen Bekleidungsgeschäfte hiervon ausgenommen seien. Eine Begründung, weshalb gerade diese Ladengeschäfte in die Ausnahmeregelung aufgenommen worden seien, fehle. Allerdings werde durch das Wort „insbesondere“ klargestellt, dass es sich bei den genannten Beispielen um eine nicht abschließende Aufzählung handele. Eine unterschiedliche Behandlung von Bekleidungsgeschäften und Schuhgeschäften sei daher schon dem Wortlaut nach nicht möglich. Bereits im März 2021 habe sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) mit der Frage der „für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte“ im Rahmen des Wortlauts der 12. BayIfSMV auseinandersetzen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 31.03.2021 – 20 NE 21.540). § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV habe ebenfalls eine beispielhafte Aufzählung zugrunde gelegen. Dort seien Buchhandlungen explizit aufgeführt gewesen, während hingegen Schuhgeschäfte keine Erwähnung gefunden hätten. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens habe deshalb geklärt werden sollen, ob Schuhgeschäfte unter „sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte“ fallen würden. Laut der Entscheidung des BayVGH komme es nicht darauf an, dass der „täglichen Versorgung“ dienende Ladengeschäfte die Deckung eines im eigentlichen Wortsinn „täglich“ auftretenden Bedarfs jedes einzelnen dienen müssten, sondern vielmehr liege ein täglicher Bedarf schon dann vor, wenn die Geschäfte einen individuellen Bedarf abdeckten, der jederzeit und damit „täglich“ eintreten könne. Wenn der Verordnungsgeber also Buchhandlungen und Schuhgeschäften das erforderliche Gewicht für einen täglichen Bedarf zumesse, so müsse ein entsprechendes Gewicht selbst bei strenger Auslegung des Merkmals auch bei Bekleidungsgeschäften vorliegen. Denn selbst unterstellt, der Verordnungsgeber hätte Buchhandlungen und Schuhgeschäfte nur wegen einer gesteigerten Bedeutung für schutzwürdige Lebensbereiche – etwa Bildung, Beruf und Wissenschaft sowie körperliche Unversehrtheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit – ausdrücklich privilegiert, müsse eine in dem Gewicht vergleichbar gesteigerte Bedeutung auch Bekleidungsgeschäften zukommen. Ein Textilhandelsgeschäft decke ebenso, wenn nicht sogar deutlich mehr, den Bedarf an wichtigen Gütern der Grundversorgung wie ein Schuhgeschäft, Blumenladen oder Gartenmarkt. Jeder Mensch brauche täglich Kleidungsstücke, um adäquat leben zu können. Deshalb könne ein Betrieb des Textileinzelhandels nicht weniger grundversorgungsrelevant sein als ein Schuhgeschäft, Bau- oder Gartenmarkt. Für die Antragstellerin sei hinter diesem Zutrittskonzept keine Schlüssigkeit und auch keine Gerechtigkeit erkennbar. Aus infektiologischer Sicht könnten daher die unterschiedlichen Zutrittsvoraussetzungen nicht gerechtfertigt werden. Darauf, dass das Aufsuchen eines Bekleidungsgeschäfts durch den Kunden nicht im engeren Sinn „lebensnotwendig“ sei, komme es nach alledem ebenso wenig an wie auf die Tatsache, dass der Verkauf von Bekleidung grundsätzlich – wenn auch wegen der regelmäßig erforderlichen Anprobe nur bei Inkaufnahme etlicher Nachteile – unter Verwendung technischer Hilfsmittel ohne persönlichen Kontakt erbracht werden könne, denn beides gelte ohne Weiteres auch für die Mehrzahl der in § 10 Abs. 1 15. BayIfSMV ausdrücklich genannten Ladengeschäfte. Die angegriffenen Bestimmungen der 15. BayIfSMV seien auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Es gebe keine Anhaltspunkte dazu, die belegen würden, dass die Infektionszahlen bzw. das Infektionsgeschehen durch die uneingeschränkte Öffnung des Einzelhandels vorangetrieben werden. Nach dem Robert Koch-Institut sei es nach wie vor so, dass in den meisten Kreisen die Ausbrüche des Coronavirus vor allem in Altenpflegeheimen, dem beruflichen Umfeld sowie in Privathaushalten stattfänden. Die Einzelhandelsbetriebe würden hier seit Monaten nicht als Herde des Ausbruchsgeschehens gelistet. Alles in allem liege bei der Abwägung der Belange der Antragstellerin einerseits und des Antragsgegners andererseits kein überwiegender Belang des Antragsgegners vor. Insbesondere gebe es für eine unterschiedliche Behandlung von Einzelhandelsgeschäften im Hinblick auf die Möglichkeit zur uneingeschränkten Öffnung der Ladengeschäfte keine die Sache rechtfertigenden Gründe. Es liege auch ein Anordnungsgrund vor. Die Untersagung werde sich im Hauptsacheverfahren mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweisen. Die Betriebsschließung gehe mit gravierenden finanziellen Einbußen einher, die eine Gefährdung von Arbeitsplätzen und des Unternehmens nach sich zögen.
Der Antragsgegner beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antrag sei unzulässig, da der vorrangige statthafte Antrag ein vorläufiger Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO sei. Die Antragstellerin begehre im Wege der vorläufigen Feststellung nach § 123 VwGO die Feststellung, dass es sich beim Betrieb eines Textilgeschäfts um ein Geschäft des täglichen Bedarfs im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 2 der 15. BayIfSMV handle. Nach Ansicht des Antragsgegners handele es sich dabei um eine streitgegenständliche Fragestellung zur Anwendung der 15. BayIfSMV, die direkt aus der Anwendung der Verordnung folge und dementsprechend bayernweit einheitlich durch den BayVGH entschieden werden solle. Der Antrag sei jedenfalls unbegründet, da kein Anordnungsanspruch der Antragstellerin bestehe. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin handele es sich bei einem Textileinzelhandel nicht um ein Ladengeschäft, das der Deckung des täglichen Bedarfs diene, so dass die Vorgaben des § 10 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV in Bezug auf den Infektionsschutz, insbesondere der Kontrolle von 2G-Nachweisen, verpflichtend zum Betrieb eines Ladengeschäfts zu beachten seien. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV würden beispielhaft Ladengeschäfte aufgezählt, die zur Deckung des täglichen Bedarfs zählten und nicht eine Kontrolle von 2G-Nachweisen durchführen müssten. In dieser beispielhaften Aufzählung seien Textilgeschäfte nicht aufgeführt. Vielmehr seien Bekleidungsgeschäfte als übergeordneter Sammelbegriff generell ausgenommen. Hätte der Verordnungsgeber aber eine Privilegierung von Bekleidungsgeschäften gewollt, so wäre ihm eine Nennung von Bekleidungsgeschäften möglich gewesen. Aus diesem Umkehrschluss heraus müsse das Landratsamt als Kreisverwaltungsbehörde davon ausgehen, dass die Aufzählung von Bekleidungsgeschäften bewusst und gewollt aus infektionsschutzrechtlichen Gründen unterblieben sei, eine Infragestellung der Einschätzung des Verordnungsgebers stehe dem Landratsamt insoweit nicht zu. Soweit die Antragstellerin bezüglich der Vergleichbarkeit von Textilgeschäften mit Schuhgeschäften auf die Entscheidung des BayVGH, B.v. 31.3.2021 – 20 NE 21.540, verweise, verkenne die Antragstellerin die zugrunde liegende Begründung des BayVGH. Während ein Schuhgeschäft zumindest auch einem gesundheitlichen und sicherheitsrelevanten Grundbedürfnis auf Nutzung von passenden und festen Schuhen diene, dessen Bedürfnis insbesondere bei Kleinkindern und heranwachsenden kurzfristig entstehen könne, sei im Falle täglicher Bekleidung kein dringendes Bedürfnis – insbesondere im gesundheitlichen und sicherheitsrelevanten Bereich – erkennbar. Darüber hinaus verkenne die Antragstellerin auch, dass die Regelungen in § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV eine komplette Schließung eines Ladengeschäfts und damit einen weitaus schwerwiegenderen Eingriff als die aktuelle Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV enthalten habe. Insofern sei während des Geltungszeitraums des § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV kein Erwerb von Schuhen in Schuhgeschäften möglich gewesen und darüber hinaus auch kein Erwerb von Kleidungsstücken in Bekleidungsgeschäften. Derzeit seien hingegen lediglich 2G-Nachweiskontrollen durchzuführen.
Hierauf nahm die Antragstellerin mit Schreiben vom 15.12.2021 wie folgt Stellung: Der Antrag sei statthaft und auch sonst zulässig. Vorliegend gehe es nicht um die Wirksamkeit der 15. BayIfSMV, sondern vielmehr um deren Vollzug im Einzelfall. Im Gegensatz zu den Vorfassungen habe sich der Verordnungsgeber bei Abfassung des derzeit gültigen § 10 Abs. 1 15. BayIfSMV bewusst dazu entschieden, die aus seiner Sicht zum täglichen Bedarf gehörenden Ladengeschäfte nicht abschließend aufzuführen. Er lasse daher den Vollzugsbehörden einen Interpretationsspielraum. Dieser Interpretationsspielraum werde von den Kreisverwaltungsbehörden in Bayern auch sehr unterschiedlich ausgelegt. Während in manchen Städten/Kreisen die Vorgehensweise der Antragstellerin mehr oder minder hingenommen werde, sei bisher nur für die Filiale der Antragstellerin in … die Schließung des Geschäfts bei Nichtbeachtung der 2G-Regelung durch das Landratsamt Regensburg konkret angedroht worden. Durch die nicht abschließende Aufzählung der Ladengeschäfte, die der Deckung des täglichen Bedarfs dienten, sei die der Schließungsanordnung zugrunde liegende Verordnung nicht angreifbar. Insofern wäre ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO auf vorläufige Außervollzugsetzung der Verordnung der ungeeignete Rechtsbehelf. Die Ausführungen des Landratsamts zur materiellen Rechtslage überzeugten ebenfalls nicht. Es sei lebensfremd anzunehmen, dass Schuhgeschäfte, insbesondere modische Ketten, einem „gesundheitlichen und sicherheitsrelevanten Grundbedürfnis auf Nutzung von passenden und festen Schuhen“ dienen würden. Schuhe würden nahezu ausschließlich unter funktionellen und modischen Aspekten gekauft. In der …er Altstadt werde es zahlreiche Schuhgeschäfte geben, deren Personal schon gar nicht ausgebildet wäre, „gesundheitliche und sicherheitsrelevante Grundbedürfnisse“ ihrer Kunden zu befriedigen. Durch die Aufnahme von Sanitätshäusern in den nicht abschließenden Katalog der Ladengeschäfte, die der Deckung des täglichen Bedarfs dienen, sei zurzeit zudem klargestellt, dass hierunter die Geschäfte für orthopädischen Schuhbedarf fielen, die insoweit das „gesundheitliche und sicherheitsrelevante Grundbedürfnis“ abdeckten. Textilkleidung diene daher vor diesem Hintergrund wie der klassische Schuhhandel gleichfalls der Deckung täglichen Bedarfs. Gerade in der Winterzeit hätten die Menschen ein Grundbedürfnis, mit wärmender Kleidung versorgt zu werden. Der Textileinzelhandel biete auch eine den Schuhgeschäften vergleichbare Fachberatung, um das Grundbedürfnis der Bevölkerung auf Nutzung von passender und winterfester Bekleidung bedienen zu können. Durch die Verordnung zur Änderung der 15. BayIfSMV vom 14.12.2021 habe sich an den verfahrensgegenständlichen Bestimmungen nichts geändert. Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin bestehe deshalb bis zum vorläufigen Außerkrafttreten der Verordnung am 12.1.2022 fort.
Am 21.12.2021 ließ die Antragstellerin mitteilen, dass der 20. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs am 17.12.2021 entschieden habe, dass Spielwarengeschäfte der „Deckung des täglichen Bedarfs“ im Sinne der verfahrensgegenständlichen Norm dienten und daher nicht in den Anwendungsbereich der Zugangsbeschränkungen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 15. BayIfSMV fielen (BayVGH, B.v. 17.12.2021 – 20 NE 21.3012). Der vom Betreiber des Spielwarengeschäfts gestellte Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO sei daher unzulässig gewesen, da es dem dortigen Antragsteller an der erforderlichen Antragsbefugnis gefehlt habe. Übertragen auf das vorliegende Verfahren bedeute dies, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowohl zulässig als auch begründet sei. Das Textileinzelhandelsgeschäft der Antragstellerin diene ebenso wie der Schuhhandel und auch Spielwarengeschäfte der „Deckung des täglichen Bedarfs“. Nach den überzeugenden Ausführungen des 20. Senats in seinem Beschluss vom 17.12.2021 sei der Begriff der „Ladengeschäfte mit Kundenverkehr für Handelsangebote (…), soweit diese nicht der Deckung des täglichen Bedarfs dienen“ unter Berücksichtigung der in § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BaIfSMV aufgelisteten Regelbeispiele auszulegen. Vor diesem Hintergrund müsse im Falle der Antragstellerin davon ausgegangen werden, dass auch Textileinzelhandelsgeschäfte der „Deckung des täglichen Bedarfs“ dienten, obwohl das dortige Angebot im Regelfall keine lebensnotwendigen Bedarfsgüter umfasse.
Mit Datum vom 21.12.2021 erteilte das Gericht folgenden Hinweis an den Antragsgegner: Vor dem Hintergrund des Beschlusses des BayVGH im Hinblick auf Spielwarenläden sei sehr fraglich, ob 2G für Bekleidungsgeschäfte haltbar sei. Es werde daher gebeten mitzuteilen, ob seitens des Antragsgegners beabsichtigt sei, an seiner Auffassung festzuhalten, dass die Antragstellerin unter die 2G-Regel falle.
Der Antragsgegner teilte am 22.12.2021 mit, dass er auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entscheidung des BayVGH vom 17.12.2021 zu Spielwarengeschäften an seiner Rechtsauffassung festhalte. Der Beschluss des BayVGH vom 17.12.2021 beziehe sich ausschließlich auf die Fragestellung, ob ein Spielwarengeschäft als Geschäft zur Deckung des täglichen Bedarfs im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV einzuordnen sei. Eine Vergleichbarkeit dieser Einschätzung zu Textilgeschäften sei für den Antragsgegner nicht erkennbar, die Beschlussbegründung stelle auch lediglich eine Vergleichbarkeit von Spielwarengeschäften mit Blumenläden oder Buchhandlungen fest, die bereits als Geschäfte zur Deckung des täglichen Bedarfs anerkannt seien. Soweit sich der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin auf die Entscheidung des OVG Lüneburg vom 16.12.2021 (13 MN 477/21) berufe, in der dieses die 2G-Regelung für den Einzelhandel außer Vollzug gesetzt habe, verweise er insoweit auf das Oberverwaltungsgericht eines anderen Bundeslandes. Dies sei vor allem aufgrund des Umstands, dass das Bundesland Niedersachsen im Vergleich zum Freistaat Bayern eine durchgehend geringere 7-Tage-Inzidenz aufweise (Stand 22.12.2021: Niedersachsen 167,9, Bayern: 255,6). Ebenso sei die Impfquote in beiden Bundesländern verschieden und zeige eine höhere Schutzbedürftigkeit im Freistaat Bayern auf. Das OVG Lüneburg habe die niedersächsische Corona-Verordnung vom 13.12.2021 in § 9 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1-3 aus Gründen der zweifelhaften Erforderlichkeit und jedenfalls aufgrund einer unangemessenen Ungleichbehandlung zwischen Geimpften und Ungeimpften außer Vollzug gesetzt. Der Freistaat Bayern habe wie oben aufgezeigt andere Erfahrungen mit den Auswirkungen der Coronapandemie durchlebt und insbesondere seit Anfang November 2021 mit stark steigenden Infektionszahlen und Intensivbettenbelegungen und einer vergleichsweise niedrigen Impfquote zu kämpfen. Mildere Maßnahmen wie die Einführung einer FFP2-Maskenpflicht seien bereits angeordnet worden, § 2 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV. Von der Pflicht zur Durchführung von 2G-Kontrollen seien nur Ladengeschäfte zur Deckung des täglichen Bedarfs ausgenommen. In § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV werde klargestellt, welche Geschäfte dies nach Ansicht des Verordnungsgebers seien, wobei der Textileinzelhandel oder Bekleidungsgeschäfte generell nicht aufgezählt würden. Wenn der Verordnungsgeber aber einem Branchenzweig wie die Bekleidungsbranche als Geschäfte zur Deckung des täglichen Bedarfs angesehen hätte, dann hätte er diesen ausdrücklich in seiner Aufzählung aufgenommen. Knackpunkt sei letztlich das Wort insbesondere. Damit aber gebe der Verordnungsgeber nicht frei, sämtliche Ladengeschäfte unter § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV zu subsumieren, sondern es seien neben den ausdrücklich aufgezählten Geschäften nur solche Geschäfte unter die Norm zu subsumieren, die einen vergleichbaren Charakter nach der bereitgestellten Dienstleistung oder Ware aufwiesen. Nach Auffassung des Antragsgegners sei eine Vergleichbarkeit des Textileinzelhandels der Antragstellerin mit einem der aufgezählten Ladengeschäfte nicht gegeben. Die streitige Frage hierbei sei, ob Textilgeschäfte mit Schuhgeschäften vergleichbar seien. Der Antragsgegner verneine auch weiterhin unter Berücksichtigung der Sachlage und Rechtsprechung des BayVGH eine Vergleichbarkeit. „Historisch“ gesehen seien Schuhgeschäfte aufgrund der Entscheidung des BayVGH vom 31.3.2021 (20 NE 21.540) in die damalige Aufzählung der Ladengeschäfte aufgenommen worden, die trotz der Schließung des Einzelhandels geöffnet werden durften. Diese Entscheidung sei vom Verordnungsgeber berücksichtigt worden und daher in § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV mit aufgenommen. In diesem Zusammenhang sei keine Aufnahme von Bekleidungsgeschäften erfolgt. Eine Vergleichbarkeit dieser Geschäftszweige bestehe nicht. In dem genannten Beschluss sei es dem BayVGH insbesondere um die Notwendigkeit gegangen, auch kurzfristig passende Schuhe für Kinder und Jugendliche erwerben zu können. Kernpunkt sei die Einschätzung gewesen, dass der schnelle und kurzfristige Erwerb von passendem Schuhwerk ein gesundheitsbezogenes Grundbedürfnis darstelle, welches auch unter Berücksichtigung der sonstigen damals erlaubten Ladengeschäfte (Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker und Hörgeräteakustiker) als vergleichbarer Grund für eine Unverzichtbarkeit für die tägliche Versorgung ausreichend sei. Im Falle von Bekleidung liege aber keine derartige Notwendigkeit vor, kurzfristig passende Kleidung zu beziehen. Während Menschen, insbesondere im Kindesalter, meist nur über ein geringes Sortiment an Schuhen verfügten und das Tragen von zu kleinen Schuhen schnell gravierende gesundheitliche Schäden nach sich ziehen könne, führe das kurzzeitige Tragen von nicht mehr passender Kleidung, auch einer zu kurzen Hose, nicht zu bleibenden Schäden. Vielmehr sei nach Ansicht des Antragsgegners ein Bezug über eine Online-Bestellung in diesem Falle ausreichend. Im Falle eines Schuhkaufs könne auch keine dritte geimpfte Person in ein Ladengeschäft geschickt werden, um einen Schuh abzuholen, während dies im Falle von Bekleidung in aller Regel möglich sei. Diese Einschätzung, dass Bekleidungsgeschäfte nicht als Geschäfte zur Deckung des täglichen Bedarfs anzusehen sein, sei im Wesentlichen am 18.3.2021 vom BayVGH selbst in einem Beschluss (20 NE 21.579) geteilt worden. Dabei habe der BayVGH vor allem auch unter Heranziehung des damaligen Lageberichts des R.-K.-Instituts auf das stark diffuse Infektionsgeschehen verwiesen. Auch aktuell schätze das R.-K.-Institut die Pandemielage und deren Entwicklung wieder als sehr besorgniserregend und die Gesundheitsgefahr der nicht oder nur einmal geimpften Bevölkerung als sehr hoch ein. Sollte das Gericht dennoch eine Vergleichbarkeit sehen, so weise der Antragsgegner noch einmal darauf hin, dass der Eingriff in die Berufsausübung der Antragstellerin als rechtmäßig und angemessen einzuschätzen sei. Denn entgegen der damaligen 12. BayIfSMV sei es der Antragstellerin erlaubt, ihr Ladengeschäft weiterhin zu öffnen. Sie müsse lediglich eine Überprüfung des Impf- oder Genesenenstatus mitsamt Identitätsfeststellung gewährleisten und dürfe nicht geimpften oder genesenen Personen ab dem Alter von 12 Jahren und 3 Monaten keinen Zutritt zum Ladengeschäft gewähren, soweit diese nicht nachweislich impfunfähig seien und über einen negativen PCR-Test verfügten. Die Entscheidung des Antragsgegners diene dem Zweck der Vermeidung von etwaigen Neuinfektionen durch Gewährleistung eines hohen Schutzstandards für Personen, die sich im Einzelhandel aufhielten und sei jedenfalls geeignet, die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Während die Gefährlichkeit einer Infektion auch unter Berücksichtigung der sogenannten Delta-Variante und der sich europaweit stark ausbreitenden sog. Omikron-Variante für vollständig Geimpfte und Genesene vom Robert Koch-Institut im Lagebericht vom 16.12.2021 noch als aktuell moderat eingestuft worden sei, so werde in der aktuellen Risikobewertung vom 21.12.2021 bereits eine sehr hohe Infektionsgefahr für Ungeimpfte und eine vergleichsweise geringere Infektionsgefahr für Geimpfte und Genesene ausgegeben. Das Infektionsgeschehen sei und bleibe diffus, sodass jede Maßnahme geeignet sei, Infektionsketten zu unterbrechen. Durch die Anforderung von 2G werde die Gefahr etwaiger Infektionen lediglich auf die Personen verteilt, die derzeit einem hohen, aber nicht sehr hohen Infektionsrisiko unterliegen würden und dank Impfung oder Genesung entweder eine Ansteckung vermeiden oder aber einen lediglich milden symptomatischen Verlauf von Covid-19 durchleben würden. Dies ermögliche gleichermaßen unter Berücksichtigung der Berufsausübungsfreiheit der Geschäftsinhaber und der allgemeinen Handlungsfreiheit der Bevölkerung eine angemessene Regelung zum Zutritt zu Geschäften des Einzelhandels, ohne dass dabei das Recht der einzelnen Personen, Geschäftsinhaber, Mitarbeiter und Kunden auf körperliche Unversehrtheit außer Acht gelassen werde. Es sei – analog zu den Begründungsäußerungen der Antragstellerin – auch noch auf den Beschluss des OVG Schleswig-Holstein vom 14.12.2021 (3 NE 31/21) zu verweisen. In diesem Beschluss habe das OVG die Einführung von Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte oder nicht vollständig Geimpfte sowie nicht Genesene bei Geschäften des Einzelhandels in einer summarischen Prüfung als rechtmäßig anerkannt. Abschließend weise der Antragsgegner auf die deutlich erhöhten Ansteckungsgefahr der neuen Virusvariante Omikron und deren hohe Ansteckungsraten in anderen europäischen und nichteuropäischen Ländern hin. Wenn hierfür in Deutschland und insbesondere in Bayern durch derartige Maßnahmen wie 2G-Kontrollen im Einzelhandel die Ausbreitung verlangsamt werden könne, so solle und müsse diese Maßnahmen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit angewandt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Gerichtsakt verwiesen.
II.
Dem Antrag war stattzugeben. Er ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Er ist insbesondere statthaft. Der Antrag nach § 123 VwGO ist nicht durch die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes nach § 47 Abs. 6 VwGO in einem eventuellen Normenkontrollverfahren gegen § 10 Abs. 1 Satz1 und 2 15. BayIfSMV vom 23.11.2021 (BayMBl. Nr. 816, BayRS 2126-1-19-G), die zuletzt durch Verordnung vom 14.12.2021 (BayMBl. Nr. 876) geändert worden ist, ausgeschlossen. § 47 Abs. 6 VwGO ist dann einschlägig, wenn sich das Rechtsschutzbegehren erkennbar auf das Ziel richtet, die entsprechenden Normen der 15. BayIfSMV außer Vollzug zu setzen. Anders stellt sich die Situation dar, wenn der Normadressat, unter Weitergeltung der Normen der 15. BayIfSMV, die Feststellung begehrt, ein bestimmter Sachverhalt falle (gegebenenfalls auch nach Auslegung der Norm) in ihren Anwendungsbereich. So liegt der Fall hier. Die Antragstellerin führt im Wesentlichen aus, dass das von ihr betriebene Textileinzelhandelsgeschäft ein Geschäft zur Deckung des täglichen Bedarfs sei. Streitgegenstand des Verfahrens ist also nicht die generelle Wirksamkeit von § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 15. BayIfSMV, sondern die Frage, ob das betriebene Geschäft unter den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV fällt.
b) Der Antrag hat sich insbesondere nicht erledigt, da die Laufzeit der 15. BayIfSMV und der für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Regelungen mit Änderungsverordnung vom 14.12.2021 bis 12.1.2022 verlängert worden sind.
c) Ein Rechtsschutzbedürfnis für den auf (vorläufige) Feststellung gerichteten Antrag auf einstweilige Anordnung ist gegeben, da sich die Frage der Öffnung des Textileinzelhandelsgeschäfts unmittelbar nach der 15. BayIfSMV beurteilt, ohne dass eine behördliche Zulassungsentscheidung vorgesehen wäre.
d) Der Antragstellerin ist es im Übrigen nicht zuzumuten, auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung das Geschäft weiter zu öffnen und erst gegen eine Schließungsanordnung, eine etwaige künftige polizeiliche Maßnahme oder gegen einen Bußgeldbescheid Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. VG Sigmaringen, B.v. 21.4.2020 – 14 K 1360/20 – juris Rn. 12).
2. Der Antrag ist begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind darüber hinaus nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung).
Vorliegend besteht die Besonderheit, dass die Feststellung, dass die Antragstellerin ihr Ladengeschäft ohne Zugangsbeschränkungen betreiben darf, im Wege der einstweiligen Anordnung zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen würde. Denn bei einem Obsiegen in der Hauptsache könnte die Antragstellerin nicht mehr zugesprochen bekommen, als das, was sie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt. Eine Vorwegnahme der Hauptsache widerspricht grundsätzlich dem Wesen und dem Zweck der einstweiligen Anordnung, denn diese dient der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Wird mit der begehrten Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen, sind an die Prüfung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur dann in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und der Antragstellerin durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris; BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris). Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss demnach offensichtlich erfolgreich erscheinen.
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist dem Antrag stattzugeben. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben.
a) Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Erfolgsaussichten einer noch zu erhebenden Klage in der Hauptsache sind bei summarischer Prüfung offenkundig gegeben.
aa) In der hier vorliegenden Feststellungssituation kommt es für das Gericht hinsichtlich der Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltende Rechtslage an (BVerwG, U.v. 27.9.2016 – 1 C 17.15 – juris Rn. 10 = BVerwGE 156, 164; BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 29; BayVGH, U.v. 5.3.2013 – 10 B 12.2219 – juris Rn. 29 m.w.N.; Riese in: Schoch/Schneider, VwGO, EL Juli 2020, § 113 Rn. 267,). Das Gericht hat daher seiner Prüfung die Regelungen der 15. BayIfSMV vom 23.11.2021 (BayMBI. 2021 Nr. 816), zuletzt geändert durch Verordnung vom 14.12.2021, zugrunde zu legen. Im Hinblick auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Antragstellung am 13.12.2021 (15. BayIfSMV in der Fassung der Änderungsverordnung vom 3.12.2021) hat sich durch die Änderung vom 14.12.2021 keine andere materielle Rechtslage im Hinblick auf die streitgegenständliche Fragestellung ergeben.
bb) Das Textilhandelsgeschäft der Antragstellerin, zu verstehen als ein Ladengeschäft, in dem vor allem verarbeitete Bekleidung geführt wird, dient der „Deckung des täglichen Bedarfs“ i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 15. BayIfSMV und fällt daher nicht in den Anwendungsbereich der Zugangsbeschränkung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 15. BayIfSMV.
(1) Grundlage für die Pflicht, bei Öffnung des Ladengeschäfts eine Einlasskontrolle nach der 2G-Regel durchzuführen, sind § 10 Abs. 1 Satz 1, § 5 Abs. 1, § 4 Abs. 3 und 5 15. BaySMV. Demnach ist die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handelsangebote nur gestattet, wenn die Kunden geimpft und genesen sind im Sinne von § 2 Nr. 2 und 4 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 oder noch nicht 12 Jahre und 3 Monate alt sind. Weitere Ausnahmen gelten nach § 4 Abs. 3 15. BayIfSMV. Nach § 4 Abs. 5 15. BayIfSMV haben Geschäftsbetriebe wirksame Zugangskontrollen samt Identitätsfeststellung in Bezug auf jede Einzelperson durchzuführen. In § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV sind Regelbeispiele („insbesondere“) der Geschäfte und Produkte aufgeführt, die zum täglichen Bedarf gehören. Die Formulierung der Vorschrift lässt erkennen, dass neben den beispielhaft aufgezählten Fällen auch weitere, nicht aufgezählte Fälle im Wege der Auslegung unter die Regelung fallen können. Bekleidungsgeschäfte sind in der Liste des § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV nicht genannt. Die Auslegung der Regelungen in § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 15. BayIfSMV anhand der allgemeinen Auslegungsmethoden, auch unter Berücksichtigung der Beschlüsse des BayVGH vom 31.3.2021 (20 NE 21.540) betreffend Schuhgeschäfte und vom 17.12.2021 betreffend Spielwarengeschäfte (20 NE 21.30), ergibt, dass das Ladengeschäft der Antragstellerin ein Geschäft zur Deckung des täglichen Bedarfs im Sinne der 15. BayIfSMV ist.
(2) Maßgeblich für die Auslegung ist der objektivierte Wille des Normgebers, wie er sich aus Wortlaut und Sinnzusammenhang ergibt. Für die Erfassung des Willens ist auf die anerkannten Auslegungsmethoden aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie die Materialen des Normsetzungsverfahrens und die Entstehungsgeschichte zurückzugreifen, wobei gerade bei der Auslegung der dem Schutz vor der weiteren Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus dienenden 15. BayIfSMV auch die dem jeweiligen Erlass bzw. der jeweiligen Änderung zugrundeliegende Infektionslage zu berücksichtigen ist (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2021 Rn. 8).
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV ist nicht eindeutig. Insbesondere wird der Begriff der „Deckung des täglichen Bedarfs dienenden“ Ladengeschäfte nicht näher konkretisiert oder gar definiert. Der Zugangsbeschränkung unterfallen danach Ladengeschäfte nur, „soweit diese nicht der Deckung des täglichen Bedarfs dienen“, wobei diese Formulierung durch eine – allerdings ausdrücklich nicht abschließende („insbesondere“) – regelbeispielhafte Aufzählung von Ladengeschäften in § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV erläutert wird.
Der Begriff der „Ladengeschäfte mit Kundenverkehr für Handelsangebote (…), soweit diese nicht der Deckung des täglichen Bedarfs dienen“ ist danach – wie der BayVGH in seinem Beschluss vom 17.12.2021 festgestellt hat – unter Berücksichtigung der in § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV aufgelisteten Regelbeispiele auszulegen.
Die Regelbeispiele – die auch vergleichsweise selten und i.d.R. nur anlassbezogen, jedenfalls gerade nicht täglich aufzusuchende Läden wie Optiker, Hörakustiker, Baumärkte und Weihnachtsbaumverkäufe umfassen – belegen zum einen, dass Ladengeschäfte einem „täglichen Bedarf“ nicht erst dann dienen, wenn sie der Deckung eines im eigentlichen Wortsinn „täglich“ auftretenden Bedarfs jedes einzelnen dienen, sondern vielmehr schon dann, wenn sie einen individuellen Bedarf abdecken, der jederzeit und damit „täglich“ eintreten kann (vgl. bereits BayVGH, B.v. 31.3.2021 – 20 NE 21.540 – juris Rn. 10; B.v. 3.3.2021 – 20 NE 21.391 – juris Rn. 11).
Wie der BayVGH weiter ausführt, ist zum mindestens erforderlichen Gewicht bzw. zur Dringlichkeit und Wichtigkeit eines solchen Bedarfs weder dem Verordnungstext noch der Begründung (vgl. BayMBl. 2021 Nr. 842) eine abstrakte Aussage zu entnehmen. Einziger Anhaltspunkt ist insofern das Gewicht der genannten Regelbeispiele, die aus Sicht des Verordnungsgebers der täglichen Bedarfsdeckung dienen sollen. Nachdem neben der (lebens-)notwendigen Grund- und Akutversorgung zuzuordnen Ladengeschäfte, wie Lebensmittel- und Getränkemärkte, Apotheken und Tankstellen, ebenso eindeutig nicht der notwendigen Akutversorgung dienende Ladengeschäfte wie Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte und Gartenmärkte ausdrücklich von den Zugangsbeschränkungen ausgenommen sind, kann ein „Bedarf“ i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV jedenfalls kein größeres Gewicht und keine höhere Dringlichkeit voraussetzen als dem Bedarf an Buchhandlungen, Blumenfachgeschäften und Gartenmärkten zukommt.
Es ist daher davon auszugehen, dass auch Textilwarengeschäfte wie das der Antragstellerin der „Deckung des täglichen Bedarfs“ i.S.d § 10 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV dienen. Die Versorgung mit passender Bekleidung stellt gerade auch bei im Wachstum befindlichen Kindern und Jugendlichen einen Bedarf dar, der von einem gewissen Gewicht ist und kurzfristig auftreten kann. Der Bedarf an Kleidungsstücken kann auch bei Erwachsenen jederzeit auftreten, so dass es sich um täglichen Bedarf handelt. Hinsichtlich der Gewichtung des Bedarfs an Bekleidung, z.B. an Unterwäsche, warmer Kleidung im Winter oder einfach an Kleidung für den täglichen Gebrauch in Beruf, Freizeit und sonstigen Lebensbereichen, ist für das Gericht nicht erkennbar, dass der Erwerb von Blumen oder Büchern von größerem Gewicht und größerer Dringlichkeit ist. Vielmehr ist die Wertigkeit, soweit dies angesichts der unterschiedlichen Bestimmungszwecke der einzelnen Produkte gesagt werden kann, jedenfalls vergleichbar.
Die Auslegung des Verordnungstexts ergibt demnach, dass das Geschäft der Antragstellerin von den Beschränkungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV ausgenommen ist.
(3) Auf die Möglichkeit, Bekleidung alternativ unter Verwendung technischer Hilfsmittel außerhalb von Ladengeschäften zu erwerben, kommt es, nach inzwischen wohl gefestigter Rechtsprechung des BayVGH, nicht an, denn dies gilt auch für einen großen Teil des Angebots der in § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV genannten Ladengeschäfte.
(4) Die Rechtsprechung des BayVGH zu § 12 Abs. 1 Satz 2 11./12. BayIfSMV (vgl. insbesondere B.v. 31.3.2021 – 20 NE 21.540 – juris Rn. 10; B.v. 3.3.2021 2021 – 20 NE 21.391 – juris Rn. 10; B.v. 18.3.2021 – 20 NE 21.579) kann wegen der unterschiedlichen Formulierungen der Verordnung damals und heute und der unterschiedlichen infektiologischen Gefährdungs- und Risikolage bei Erlass der jeweiligen Verordnungsregelungen aus Sicht des erkennenden Gerichts sinngemäß, aber nicht direkt herangezogen werden. Insbesondere die Entscheidung des BayVGH vom 18.3.2021, in der sich das Gericht mit der inzidenzabhängigen Schließung von Textileinzelhandelsbetrieben unter Geltung der 12. BayIfSMV befasst hat, legt daher kein anderes Ergebnis nahe.
b) In Anbetracht der begrenzten Geltungsdauer der 15. BayIfSMV, derzeit ist die Geltung bis 12.1.2022 befristet, ist der Antragstellerin ein Abwarten der Hauptsache nicht zumutbar. Wie die zukünftige Zugangssituation in Bekleidungsgeschäften ausgestaltet sein wird, ist nicht absehbar. Aus demselben Grund ist die Hauptsache vorwegzunehmen.
Dem Antrag war damit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
3. Das Gericht weist abschließend auf Folgendes hin: Die am Tag der Entscheidung, dem 23.12.2021, vorliegende Infektions- und Risikolage muss bei der rechtlichen Würdigung des vorliegenden Antrags, die sich (nur) mit der Ermittlung des Inhalts der in Rede stehenden Regelung anhand der anerkannten Auslegungskriterien, insbesondere des Wortlauts, befassen kann, unberücksichtigt bleiben. In der heute bekannten Situation, insbesondere vor dem Hintergrund der drohenden Gefahren durch die Virusvariante Omikron, dürften strenge Zugangsregelungen, wie z.B. 2G, wohl auch für den Bekleidungshandel oder für andere, keinem gewichtigen Bedarf entsprechende Produkte, möglich sein; die derzeitige Verordnungsregelung erlaubt eine solche Auslegung wie dargelegt allerdings nicht.
III.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Angesichts der Vorwegnahme der Hauptsache ist eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nicht angebracht.


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