Medizinrecht

Ausschluss eines kroatischen Staatsangehörigen von Leistungen nach dem SGB II

Aktenzeichen  S 13 AS 29/18 ER

Datum:
28.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17815
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 86b Abs. 2 S. 1
SGB II § 2 Abs. 3 Nr. 2, § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 8
FreizügG/EU § 2 Abs. 3 Nr. 2

 

Leitsatz

Zur Reichweite des Ausschlusses eines EU-Bürgers gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. (Rn. 14 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 12.01.2018 vorläufig, längstens bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren Alg II zu gewähren.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I.
Streitig ist die Gewährung von Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Wege der einstweiligen Anordnung.
Der Antragsteller, ein kroatischer Staatsangehöriger, reiste am 14.03.2914 in der BRD ein und führte hier die Tätigkeit eines selbständigen Fliesenlegers aus. Die Gewerbeanmeldung datiert vom 22.04.2014.
Ende Mai 2015 konnte der Kläger seine selbständige Tätigkeit wegen Erkrankung nicht mehr ausüben. Am 30.06.2015 erfolgte die Gewerbeabmeldung. Seither ist er arbeitsunfähig. Am 10.05.2016 hatte er darüber hinaus einen Herzinfarkt.
Die Antragsgegnerin bewilligte ab Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und lehnte mit Bescheid vom 15.11.2017 einen Weiterbewilligungsantrag ab, weil der Antragsteller nach mehr als einjähriger beruflicher Tätigkeit zwar maximal für 2 Jahre einen Selbständigen-Status habe, danach sich jedoch sein Aufenthaltsrecht aus der Arbeitssuche begründe und der Antragsteller demzufolge dem Leistungsausschuss nach § 7 SGB II unterfällt.
Gegen diese Entscheidung legte der Antragsteller am 08.12.2017 Widerspruch ein, der durch Bescheid vom 17.01.2018 zurückgewiesen wurde. Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid wandte sich der Antragsteller mit der am 24.01.2018 erhobenen Klage.
Am 12.01.2018 beantragte er bereits,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 12.01.2016 zu verpflichten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen und verweist auf die Entscheidung des Landessozialgerichts München L 16 AS 284/16 B ER vom 20.06.2016 wonach der Selbständigen-Status nur zwei Jahre aufrecht erhalten bleibt.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag des Antragstellers an.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Vornahme-Sachen ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des gegebenen Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine solche Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Vorliegend handelt es sich um eine Regelungsanordnung, denn der Antragsteller begehrt die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz ab Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, dass heißt ab 12.01.2018.
Die Regelung von § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt sowohl einen Anordnungsgrund (die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, wenn ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist), als auch ein Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das ein solcher Rechtsschutz geltend gemacht wird) voraus, wobei zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch eine Wechselbeziehung bestehen muss. An das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlich ist bzw. wäre. Ist die in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit unbegründet, ist wegen des Fehlens des Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen sind, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. In diesem Fall ist unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers einerseits sowie des öffentlichen Intereses andererseits zu überprüfen, ob dem Antragsteller zuzumuten ist, die Hauptsache-Entscheidung abzuwarten.
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, denn er ist zwar arbeitsunfähig jedoch erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Er ist unstreitig auch hilfebedürftig. Nach Überzeugung des Gerichts ist der Antragsteller nicht vom Leistungsbezug nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug lediglich Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Das Aufenthaltsrecht des Antragstellers ergibt sich jedoch auch nach § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz EU, falls sein Selbständigen-Status fortbesteht. Nach dieser Vorschrift bleibt das Recht auf Einreise und Aufenthalt des Arbeitnehmers und selbständig Erwerbstätigen unberührt, bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder infolge bei unfreiwilliger durch die zuständige Bundesagentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit, oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen auf die der Selbständige keinen Einfluss hat, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit.
Unstreitig hat der Antragsteller mehr als ein Jahr gearbeitet, so dass sein Selbständigen-Status bzw. Arbeitnehmer-Status fortbesteht. Zwar hat das LSG in seiner Entscheidung vom 20.06.2016 L 16 AS 284/16 B ER aufgeführt, dass das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU nur solange besteht wie die Arbeitnehmereigenschaft fortbesteht. Diese könne jedoch nur 2 Jahre fortbestehen. Das LSG schließt dies aus der Entstehungsgeschichte des Art. 7 Abs. 3 RL 2004/38/EWG. Zur Begründung des Kommissionsentwurfs der Richtlinie war ausgeführt worden, dass die wesentlichen Bestimmungen der R L 68/360 EWG übernommen wurden. In Art. 7 Abs. 2 RL 68/360/EWG konnte die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis beschränkt werden, nachdem der Arbeitnehmer länger als 12 Monate unfreiwillig arbeitslos war. Die Beschränkung durfte jedoch 12 Monate nicht unterschreiten. Somit blieb bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach EWG-Recht das Aufenthaltsrecht für 2 Jahre erhalten. Das LSG überträgt diese alten Regelungen auf § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU und schließt daraus, dass die Arbeitnehmereigenschaft für längstens 2 Jahre erhalten bleibt.
Dem kann das erkennende Gericht nicht folgen. Art. 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU enthält eben gerade keine Begrenzung des Arbeitsnehmer-Status bzw. Selbständigen-Status. Eine restriktive Auslegung dergestalt, wie sie vom LSG vorgenommen wird, hält das erkennende Gericht nicht für möglich. Hätte der Gesetzgeber den Arbeitnehmer-Status auf 2 Jahre begrenzen wollen, hätte er dies in § 2 Freizügigkeitsgesetz regeln müssen. Eine Anspruchsbegrenzung ohne gesetzliche Grundlage erscheint verfassungswidrig. Möglicherweise wäre es wünschenswert eine Begrenzung des Arbeitnehmer-Status einzuführen, sie würde sich auch in das Freizügigkeitsgesetz im Hinblick auf § 4 a Abs. 1 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz gut einordnen. Eine solche Begrenzung gibt es aber nicht. Das BSG hat es bislang offen gelassen, ob eine Begrenzung des Arbeitsnehmer-Status möglich ist. Für Einschränkungen von grundsätzlich bestehenden Ansprüchen bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. Die Begrenzung kann nicht durch Auslegung veralteten EWG-Rechts ermittelt werden.
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte, hat die in der Hauptsache erhobene Klage hat Aussicht auf Erfolg. Ein Anordnungsanspruch ist daher gegeben, so dass die Antragsgegnerin zu verpflichten war, vorläufig längstens bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 12.01.2018 zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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