Medizinrecht

Behandlungsfehler, Facharzt, Heilbehandlung, Mangel, Implantation, Behandlung, Erinnerung, Behandlungsunterlagen, Schmerzen, Zugang, Zeitpunkt, Klage, Einwilligung, Beurteilung, Kosten des Rechtsstreits

Aktenzeichen  1 O 2310/19 Hei

Datum:
8.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44018
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht weder unter vertraglichen, noch unter deliktischen Gesichtspunkten ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten zu, weil Behandlungsfehler nicht feststehen und die Aufklärung im erforderlichen Maße erfolgte.
Die Kammer hat sich bei ihrer Beurteilung sachverständig durch den Facharzt für Orthopädie, Rheumatologie, Chirurgie und Unfallchirurgie Prof. Dr. Re… beraten lassen, welcher der Kammer als erfahrener Gutachter bekannt ist. Namentlich weiß die Kammer aus zahlreichen Fällen, dass der Sachverständige stets zu gut nachvollziehbaren und ausgewogenen Bewertungen kommt, ohne der Patienten- oder der Behandlerseite einseitig mehr zuzuneigen. Fehlerhaftes ärztliches Verhalten oder Aufklärungsmängel benennt der Sachverständige genauso deutlich wie den Mangel an Anhaltspunkten für einen Behandlungsfehler. In zahlreichen Fällen sich der Sachverständige auch nicht davor gescheut, einen Behandlungsfehler als grob zu klassifizieren. Im vorliegenden Fall ist der Sachverständige nach gründlicher Auswertung der Behandlungsunterlagen unter Berücksichtigung der Argumente der Parteien zu gut nachvollziehbaren und ausführlich begründeten Ergebnissen gekommen.
1. Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der Aufklärung sind nicht gegeben.
1) Die Beklagte war nicht verpflichtet, über Behandlungsalternativen aufzuklären. Alternative medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden standen – so der Sachverständige Prof. Dr. M. – nicht zur Verfügung. Aufgrund der Vorschädigung des Klägers lag eine fortgeschrittene Zerstörung sowie eine erhebliche Deformation des Hüftgelenks mit beginnendem Knochenverlust an der knöchernen Pfanne vor. Ohne Ersatz des Hüftgelenks zum damaligen Zeitpunkt wäre bei einer späteren Implantation eines Kunstgelenks aufgrund des fortschreitenden Knochenverlusts mit einer zunehmenden Schwierigkeit bei der Verankerung der Kunstpfanne, mit Bewegungseinschränkungen durch Weichteilverkürzungen und einem Muskelverlust durch verminderte Beanspruchung zu rechnen gewesen (vgl. S. 21, 27 des Gutachtens vom 06.03.2020, im Folgenden „GA“, Bl. 117, 123 d.A.).
1) Der Kläger wurde auch über die mit dem Eingriff spezifisch verbundenen Chancen und Risiken aufgeklärt. Davon ist die Kammer aufgrund der Einvernahme der Zeugin Dr. He. in der mündlichen Verhandlung vom 08.06.2021 überzeugt.
1) In der mit den Behandlungsunterlagen von der Beklagten vorgelegten Aufklärungsdokumentation vom 09.08.2016 werden die mit dem Eingriff spezifisch verbundenen Chancen und Risiken zutreffend wiedergegeben, so dass der Kläger im Großen und Ganzen wissen konnte, worauf er sich einließ (S. 26/27 GA, Bl. 122/123 d.A.). In dem vorgedruckten Aufklärungsbogen findet sich u.a. auch ein Hinweis darauf, dass Längenunterschiede der Beine sich nicht mit letzter Sicherheit vermeiden lassen. Die Risiken, die der Behandlung spezifisch anhaften und die für die weitere Lebensführung des Klägers besonders belastend sein können, wurden von der Zeugin Dr. He… durch Unterstreichungen hervorgehoben bzw. in den Arztanmerkungen handschriftlich vermerkt. Allein dieser Umstand ist jedoch kein Beleg dafür, dass ein ausreichendes Aufklärungsgespräch tatsächlich stattgefunden hat (OLG Koblenz Urt. v. 17.1.2018 – 5 U 861/17, BeckRS 2018, 12969 Rn. 15 -17), vor allem da die Zeugin Dr. He… nach eigenen Angaben die handschriftlichen Ergänzungen größtenteils vor dem von ihr geführten Aufklärungsgespräch mit dem Kläger vorgenommen hat. Den handschriftlichen Eintragungen kommt daher vorliegend keine Indizwirkung dahingehend zu, dass die Zeugin über die spezifischen Risiken auch tatsächlich mündlich, wie von § 630 Abs. 2 S. 1 Abs. 1 Nr. 1 1. HS BGB gefordert, angesprochen hat (zur Indizwirkung vgl. Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, BGB § 630e Rn. 35; Petig/Rensen, MDR 2012, 877, 880). Ein vorab handschriftlich ergänztes Formular hat gegenüber einem Formularvordruck ohne handschriftliche Anmerkungen keinen wesentlichen Mehrwert.
1) Obwohl sich die Beklagte zum Beleg einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht mit Erfolg auf eine entsprechende Aufklärungsdokumentation stützen kann, ist ihr mit Hilfe der Zeugin Dr. He… der Nachweis gelungen, den Kläger wie behauptet aufgeklärt zu haben. Dass sie die handschriftlichen Ergänzungen im Aufklärungsbogen größtenteils vorab vorgenommen hat, hat die Zeugin Dr. He… freimütig eingeräumt und glaubhaft bekundet, dass dieses Vorgehen ihrer eigenen Vorbereitung auf die Durchführung des Aufklärungsgesprächs als Erinnerungsstütze diente (zur faktischen Bedeutung von Aufklärungsformularen für den Arzt vgl. Petig/Rensen, MDR 2012, 877, 880). Die Zeugin Dr. He… hat sich der Kammer als eine gewissenhafte und sorgfältige junge Ärztin dargestellt und die Kammer ist davon überzeugt, dass sie den Kläger mündlich über alle im Aufklärungsbogen genannten Risiken, vor allem die handschriftlich hervorgehobenen, aufgeklärt hat. Dafür spricht insbesondere auch, dass das Risiko des Materialbruchs in den Arztanmerkungen zum Aufklärungsgespräch doppelt handschriftlich dokumentiert ist. Zudem gab die Zeugin Dr. He… überzeugend an, angesprochen zu haben, dass eine Beinlängendifferenz verbleiben könne. Nach ihrer Aussage sei dieses Risiko eine Frage, die die Patienten regelmäßig besonders interessiere (S. 4 des Sitzungsprotokolls, Bl. 153 d.A.).
1) Ohne dass es im Ergebnis darauf ankäme, ist die Kammer außerdem davon überzeugt, dass der Kläger, der selbst keine Erinnerung mehr an das Aufklärungsgespräch hatte, auch bei – unterstellten – Aufklärungsversäumnissen in den Eingriff eingewilligt hätte. Nach eigenem Bekunden litt er zum Zeitpunkt des Eingriffs aufgrund der Vorschädigung seiner Hüfte unter stärksten Schmerzen (Zitat: „Ich war am Boden zerstört und bin es jetzt noch.“) und versprach sich von der Implantation der Hüftgelenksendoprothese eine Verbesserung seines Zustands (S. 2/3 des Sitzungsprotokolls, Bl. 151/152 d.A.).
2. Auch stehen dem Kläger keine Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der von ihm behaupteten Behandlungsfehler zu, denn er hat nicht nachgewiesen, dass die streitgegenständliche Behandlung nicht dem fachärztlichen Standard entsprochen hätte.
2) Die Indikation zum Ersatz des Hüftgelenks war gegeben. Realistische Behandlungsalternativen bestanden nicht (S. 21, 23 GA, Bl. 118, 119 GA sowie obige Ausführungen zu 1.a.). Sowohl der Röntgenbefund wie auch der klinische Befund sprachen für die Implantation eines Kunstgelenks. Trotz des Alters des Klägers von unter 50 Jahren war es nach dem fachärztlichen Standard richtig, ihm zur Implantation einer Totalendoprothese zu raten. Bei weiterer konservativer Behandlung wäre mit einer fortschreitenden Knochendestruktion, Zunahme des Beckenschiefstandes, Verkürzung der Weichteilstrukturen, Muskelminderung und damit ungünstigen Aussichten für eine später vorgenommene Implantatfixierung, die Standzeit und die Funktion des Kunstgelenks zu rechnen gewesen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen gibt es keine Altersgrenze, sondern es kommt auf den individuellen Fall an. Auch eine Gelenksversteifung oder eine Oberschenkelkopfresektion wie auch eine Schmerzmittelbehandlung stellen keine brauchbaren Alternativen dar (S. 23/24 GA, Bl. 119/120). Davon, dass eine Gelenksversteifung oder eine Oberschenkelkopfresektion angezeigt gewesen wäre, scheint der Kläger im Übrigen selbst nicht auszugehen (Bl. 13 d.A.).
2) Auch Behandlungsfehler in Form einer fehlerhaften Planung des Eingriffs, einer fehlerhaften intraoperativen Kontrolle sowie einer fehlerhaften Positionierung der Pfanne konnte der Kläger nicht nachweisen.
2) Der Sachverständige hat bestätigt, dass der Eingriff anhand einer – ihm auch vorliegenden – Planungsskizze geplant wurde, wobei sowohl die Größe der Prothesenkomponenten bestimmt als auch die Anatomie des Klägers, insbesondere auch die voroperative Beinlängendifferenz des Klägers, berücksichtigt wurden. Die Planung des Eingriffs wurde durch die Ärzte der Beklagten auch ordnungsgemäß dokumentiert (S. 25 GA, Bl. 121 d.A.; S. 6 Sitzungsprotokoll, Bl. 155 d.A.). Intraoperativ wurde eine Röntgenkontrolle durchgeführt, die entsprechend der Planung eine korrekte Beinlänge zeigte (S. 25 GA, Bl. 121 d.A.).
2) Dass durch den Eingriff, insbesondere durch die falsche Positionierung der Pfanne, eine Beinlängendifferenz in der Form verursacht wurde, dass das linke Bein jetzt länger ist als das rechte Bein, bestätigte der Sachverständige Prof. Dr. Mü… nicht. Der Sachverständige hat das Röntgenbild des Beckens vom 25.10.2016 ausgewertet und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass durch den Eingriff die ursprünglichen anatomischen Verhältnisse vor dem Unfall des Klägers wieder hergestellt und ein horizontaler Beckenstand erreicht wurde, denn die oberen Enden der Trochanter majores liegen auf gleicher Höhe (S. 25 GA, Bl. 121; S. 7/8 des Sitzungsprotokolls; Bl. 156/157 d.A.). Hinweise darauf, das das Röntgenbild vom 25.10.2016 „einen Beckengeradestand manipuliere“ (vgl. Bl. 134 d.A.) bzw. fehlerhaft gefertigt wurde, liegen nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht vor (S. 7 Sitzungsprotokoll, Bl. 156).
2) Der Kammer ist bewusst, dass das Ergebnis des Sachverständigen Prof. Dr. Mü…, dass durch den Eingriff keine Beinlängendifferenz in Form eines längeren linken Beines verursacht wurde, nicht der Wahrnehmung des Klägers von seinem Körper entspricht, denn schließlich steht fest, dass der Kläger schon frühzeitig gegenüber der Beklagten angab, er habe das Gefühl, das linke Bein sei 1 1/2 cm zu lang. Der Sachverständige Prof. Dr. Mü… hat jedoch auch dazu Stellung genommen. Er führte aus, dass sich Patienten an eine pathologische Situation gewöhnen können und nach der operativen Korrektur derselben finden, dass die erreichte Geradestellung nicht passe (S. 8, Bl. 157 d.A). Festzuhalten ist, dass präoperativ eine Beinlängendifferenz in Form von links 2 cm < rechts bestand, so dass es einleuchtend erscheint, dass der Kläger sein Bein nach dem streitgegenständlichen Eingriff als zu lang empfand.
2) Dass die nachbehandelnden Ärzte anders als der gerichtliche Sachverständige zu dem Ergebnis kamen, dass eine Beinlängendifferenz vorliegt, ändert im Ergebnis nichts daran, dass Schadensersatzansprüche des Klägers im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Behandlung zu verneinen sind. Zum einen differieren die Messungen der festgestellten Beinlängendifferenz durch die nachbehandelnden Ärzte, teilweise sogar erheblich (von 14 mm bis zu 1,6 cm). Zum anderen können – so der Sachverständige – die abweichenden Befunde auch darauf beruhen, dass zum Zeitpunkt der Fertigung der jeweiligen Aufnahmen bzw. Messungen eine eingeschränkte Beweglichkeit der beteiligten Gelenke vorlag (S. 7 des Sitzungsprotokolls; Bl. 156 d.A.). Schließlich handelt es sich bei einer (unterstellten) Beinlängendifferenz um ein typisches Risiko des streitgegenständlichen Eingriffs, über das der Kläger auch aufgeklärt wurde (S. 27 GA, Bl. 123 d.A.; S. 5 des Sitzungsprotokolls, Bl. 154 d.A.; S. 3 des Aufklärungsbogens), so dass auch aus diesem Grund ein Behandlungsfehler zu verneinen wäre.
II.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 2 ZPO.


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