Aktenzeichen S 11 R 1141/15
SGB VI § 10, § 11 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2a Nr. 2
Leitsatz
Sowohl die grammatikalische Auslegung als auch die systematische Auslegung spricht gegen eine Beschränkung der Anwendbarkeit des § 10 SGB VI auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für die Zeit vom 02.04.2012 bis 01.07.2014 für den Versicherten C. gezahlten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe von 62.049,27 € zu erstatten.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 62.049, 27 € festgesetzt.
Gründe
Die von der Klägerin gemäß §§ 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum örtlich und sachlich zuständigen SG erhobene Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG zulässig. Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben streitig. Im Rahmen dieses Erstattungsbegehrens besteht zwischen der Klägerin und der Beklagten kein Über- und Unterordnungsverhältnis, sondern ein Gleichordnungsverhältnis, so dass die allgemeine Leistungsklage die statthafte Klageart ist (vgl. BSG, Urteil vom 01.04.1993, RK 10/92 m.w.N.; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 54 Rn. 41).
Die Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erstattung der von ihr für den Versicherten (R.K.) erbrachten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe von 62.049,27 € gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX zu.
Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs. 1 Satz 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften, § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX.
Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist § 14 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz SGB IX. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu, Satz 2.
§ 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX räumt dem zweitangegangenen Träger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Reha-Träger ein. Dieser spezielle Anspruch geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB X grundsätzlich vor. Er ist begründet, soweit der Versicherte von dem Träger, der ohne die Regelung in § 14 SGB IX zuständig wäre, die gewährte Maßnahme hätte beanspruchen können (vgl. BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 4, Rn. 18 ff.; BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr. 4, Rn. 9 ff.; BSGE 101, 207 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 7, Rn. 28 ff.; BSGE SozR 4-3250 § 14 Nr. 10, Rn. 11 m.w.N.). Die Zuständigkeitszuweisung erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die in der konkreten Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind. Im Verhältnis zum behinderten Menschen wird dadurch eine eigene gesetzliche Verpflichtung des zweitangegangenen Trägers begründet, die vergleichbar der Regelung in § 107 SGB X einen endgültigen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistungen in diesem Rechtsverhältnis bildet. In dem Verhältnis der Reha-Träger untereinander ist jedoch eine Lastenverschiebung ohne Ausgleich nicht bezweckt (BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr. 4, Rn. 12).
Die spezialgesetzliche Erstattungsvorschrift des § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX ist im vorliegenden Fall anwendbar, weil die Beklagte den bei ihr am 12.09.2011 eingegangenen Antrag des Versicherten auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben am 19.09.2011 (Schriftsatz vom 15.09.2011) und somit binnen zwei Wochen nach Antragseingang, d. h. unverzüglich im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX an die Klägerin weitergeleitet hat. Die Klägerin hat danach die Leistungen an den Versicherten als zweitangegangener Reha-Träger im Sinne des § 14 SGB IX erbracht.
Voraussetzung des Erstattungsanspruchs nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX ist, dass nach der Bewilligung der Leistung durch den vorleistenden Reha-Träger (§ 14 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB IX) festgestellt wird, dass der andere Träger für die Leistung zuständig ist. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass eine solche Erstattungslage hier besteht, weil die Klägerin als zweitangegangener Reha-Träger nicht für die erbrachte Leistung an den Versicherten nach den Vorschriften ihres Leistungsrechts – nämlich des SGB III – zuständig war.
Die Zuständigkeit für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich in Werkstätten für behinderte Menschen richtet sich nach § 42 Abs. 1 SGB IX (i.d.F. vom 27.12.2003, gültig ab 01.01.2005 bis 31.12.2007). Nach Nr. 1 dieser Vorschrift erbringt die Bundesagentur für Arbeit diese Leistungen, soweit nicht einer der in den Nrn. 2 – 4 genannten Träger zuständig ist. Nach Nr. 3 dieser Vorschrift sind die Träger der Rentenversicherung unter den Voraussetzungen der §§ 11 – 13 SGB VI zuständig.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ergibt sich ihre vorrangige Leistungsverpflichtung als Rentenversicherungsträger sowohl aus § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI (i.d.F. vom 09.12.2010, gültig ab 01.01.2011 bis 31.12.2016) als auch aus § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI (i.d.F. vom 09.12.2010, gültig ab 01.01.2011 bis 31.12.2016).
Nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI haben Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfüllt, die bei Antragstellung eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen. Hierunter fällt auch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer. Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass unter § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nur eine Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit fällt, sind weder nach dem Gesetzeswortlaut noch nach Sinn und Zweck der Vorschrift gerechtfertigt. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist es daher rechtlich nicht erheblich, dass beim Versicherten nach der Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Beklagten ein Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt auf Dauer von nur unter drei Stunden vorgelegen hat und eine Besserungsprognose sich nicht ergeben hat. Vielmehr begründet ein Rentenbezug unabhängig von der Frage einer Besserungsprognose bereits die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI.
Zwar weist die Formulierung in § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI „… Rente … beziehen“ darauf hin, dass die Rente nach dem Wortlaut der Vorschrift grundsätzlich auch tatsächlich bezogen werden muss. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist jedoch bereits die Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen für den Rentenbezug ausreichend, wozu auch die Stellung des Rentenantrags gehört. Das Stammrecht allein reicht nicht aus, es muss auch ein Antrag gestellt worden sein (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 43; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12.12.1996, L 1 J 12/96; Luthe in: jurisPK, 2. Aufl. 2013, § 11 Rn. 31; Kater in: KassKomm, § 11 Rn. 7; hingegen gehört zum „Rentenbezug“ nach Günniker [Hauck/Noftz, SGB VI, § 11 Rn. 10] die Auszahlung der Rente aufgrund eines Bewilligungsbescheids).
Im vorliegenden Fall waren zum Zeitpunkt der Antragstellung am 12.09.2011 sämtliche Voraussetzungen des Rentenanspruchs erfüllt und es stand lediglich noch die Bescheiderteilung aus. Hier galt der Antrag auf medizinische Rehabilitation vom 23.02.2011 aufgrund Umdeutung gemäß § 116 Abs. 2 SGB VI als Rentenantrag. Auch lagen die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben am 12.09.2011 vor.
Gegen den Einwand der Beklagten, die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI lägen nur dann vor, wenn eine Rente tatsächlich bezogen werde, spricht bereits, dass der Anspruch nicht von der Bearbeitungsdauer des Rentenantrags abhängen kann, so dass der Rentenbescheid noch nicht erlassen worden sein muss (so zu Recht Kater in: KassKomm, a.a.O.). Andernfalls könnte ein Reha-Träger Einfluss nehmen auf die Zuständigkeit für die Erbringung von Leistungen. Dies wäre mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren. Zudem spricht für die erweiternde Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI auch, dass der Rentenversicherungsträger auf diese Weise Teilhabeleistungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt und insbesondere vor Erlass des Rentenbescheids erbringen kann und so die Möglichkeit hat abzuwarten, ob der Rentenbezug durch Teilhabeleistungen nach Maßgabe der Grundsätze „Reha vor Rente“ noch abgewendet werden kann (vgl. auch Luthe in: jurisPK – SGB VI, a.a.O., Rn. 31; m.w.N.; aA Ebenhöch in: GK-SGB VI, § 11 Rn. 11).
Soweit die Beklagte hiergegen einwendet, dass es vorliegend überhaupt nicht auf die Frage ankomme, ob der Anspruch von der Bearbeitungsdauer des Rentenantrags abhängen könne, weil eine Prüfung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen hier erst nach Vorlage der vollständigen Rentenantragsformulare zum 29.11.2011 möglich gewesen sei, vermag die von der Beklagten gezogene rechtliche Schlussfolgerung das Gericht nicht zu überzeugen. Insoweit geht die Beklagte davon aus, dass in Umdeutungsfällen nicht unterstellt werden könne, dass die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI immer bereits zum Zeitpunkt der Stellung des ursprünglichen Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation bzw. auf Leistungen zur Teilhabe vorgelegen hätten, da zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht erkennbar gewesen sei, ob das Rentenstammrecht an sich bestehe. Bei dieser Argumentation verkennt die Beklagte, dass es auf die Objektivierbarkeit des Vorliegens der Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI ankommen muss und maßgeblich ist, dass im Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben das Rentenstammrecht besteht und ein entsprechender Antrag gestellt worden ist. Insofern ist für den Rentenversicherungsträger auch durchaus zeitnah eine Beurteilung der Zuständigkeit möglich. Der Hinweis der Beklagten darauf, dass als Antragsdatum der Eingang des vollständigen Leistungsantrags zugrunde zu legen sei und dieser erst dann vorliege, wenn eine Beurteilung des Erfülltseins sämtlicher Leistungsvoraussetzungen überhaupt erst möglich sei, widerspricht schon dem von der Beklagten zugrunde gelegten Antragsdatum der Erwerbsminderungsrente. Denn die Beklagte hat den Antrag vom 23.02.2011 auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 116 Abs. 2 SGB VI umgedeutet und – zu Recht – diesen Zeitpunkt und nicht den Zeitpunkt der Übersendung der Antragsformulare für maßgeblich erachtet. Jedenfalls kann die Bearbeitungsdauer bis zum Erlass des Rentenbescheids keinen rechtlichen Einfluss auf die Beurteilung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben haben, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben die Voraussetzungen für die Rentengewährung vorliegen. Ebensowenig kann auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Umdeutung eines Reha-Antrags in einen Rentenantrag gemäß § 116 Abs. 2 SGB VI abgestellt werden, weil auch dieser von der Bearbeitungsdauer des Rentenversicherungsträgers abhängt (so zu Recht SG Nürnberg, Urteil vom 09.12.2014, S 3 R 1322/13).
Aus den dargelegten Gründen ergibt sich aus der Entscheidung des BSG vom 27.01.1994 (5 RJ 18/93) keine andere rechtliche Beurteilung. Nach dieser Entscheidung ist der Zeitraum, in welchem ein Versicherter schon wegen fehlender Antragstellung keinen Anspruch auf Zahlung einer Rente hat, keine Rentenbezugszeit im Sinne von § 1246 Abs. 2a Satz 2 Nr. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO). Abgesehen davon, dass sich das BSG in dieser Entscheidung nicht mit dem Begriff „Rente … beziehen“ als versicherungsrechtliche Voraussetzung für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auseinandergesetzt hat, rechtfertigen die Zielsetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI eine Gleichstellung der Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen des Rentenanspruchs mit dem tatsächlichen Rentenbezug aufgrund Erlass des Rentenbescheids.
Gegen die Anwendbarkeit des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SG VI spricht auch nicht, dass Rentenantragsteller im Fall eines begründeten Rentenanspruchs bereits die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI erfüllen. Soweit die Beklagte daraus folgert, dass es einer weiteren Absicherung durch § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nicht bedürfe, ist darauf zu verweisen, dass sich der Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI wesentlich von dem des § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI unterscheidet. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI „… wenn ohne diese Leistungen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre …“ normiert diese Vorschrift den Rechtsgedanken „Reha vor Rente“ im Hinblick auf die Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Demgegenüber ist dieser Rechtsgedanke in § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nicht ausdrücklich normiert, so dass der Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nicht darauf beschränkt ist.
Darüber hinaus ergibt sich die vorrangige Leistungsverpflichtung der Beklagten für die Maßnahmen im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich aus § 42 SGB IX i.V.m. § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI.
Nach § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI werden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an Versicherte auch erbracht, wenn sie für eine voraussichtlich erfolgreiche Rehabilitation unmittelbar im Anschluss an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der Träger der Rentenversicherung erforderlich sind.
Zu Unrecht beruft sich die Beklagte darauf, dass die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI nicht erfüllt seien, weil die Aufnahme in eine W. keine „erfolgreiche Rehabilitation“ im Sinne dieser Vorschrift bedeute. Gegen diese Rechtsauffassung spricht sowohl die grammatikalische, systematische als auch die teleologische und rechtshistorische Auslegung der Vorschrift.
Zunächst ist festzustellen, dass Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer W. auch zum Leistungskatalog der gesetzlichen Rentenversicherung gehören. Nach § 16 SGB VI erbringen die Träger der Rentenversicherung die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 33 – 38 SGB IX sowie im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer W. nach § 40 SGB IX.
Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer anerkannten W. erhalten behinderte Menschen
1. im Eingangsverfahren zur Feststellung, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben ist sowie, welche Bereiche der Werkstatt und welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den behinderten Menschen in Betracht kommen, und um einen Eingliederungsplan zu erstellen,
2. im Berufsbildungsbereich, wenn die Leistungen erforderlich sind, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit des behinderten Menschen soweit wie möglich zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen und erwartet werden kann, dass der behinderte Mensch nach Teilnahme an diesen Leistungen in der Lage ist, wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Sinne des § 136 zu erbringen.
Nach diesen Vorschriften ist die Beklagte als Rentenversicherungsträger für Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich zuständig, wobei es genügt (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX), dass die Leistungen erforderlich sind, um die Leistungsfähigkeit oder Erwerbsfähigkeit des behinderten Menschen soweit wie möglich zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen und erwartet werden kann, dass der behinderte Mensch nach Teilnahme an diesen Leistungen in der Lage ist, wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Sinne des § 136 zu erbringen. Somit besteht eine Leistungsverpflichtung des Rentenversicherungsträgers – unter den Voraussetzungen des § 11 – 13 SGB VI – nicht nur im Hinblick auf eine Entwicklung, Verbesserung oder Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit/Erwerbsfähigkeit von Versicherten für den allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern auch im Hinblick darauf, wenigstens ein „Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ im Sinne des § 136 SGB IX zu erbringen. Eine Beschränkung der Leistungsverpflichtung des Rentenversicherungsträgers in Bezug auf eine Entwicklung, Verbesserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt ist nach dem Verweis in § 16 SGB VI auf § 40 SGB IX gerade nicht gegeben.
Zudem verweist § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX ausdrücklich nur auf die §§ 11 – 13 SGB VI, nicht jedoch auf die von den Beklagten herangezogene Vorschrift des § 10 SGB VI. Daraus folgt, dass § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX eine Sonderregelung zu § 10 SGB VI beinhaltet, indem anstelle der Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt lediglich die Erreichung von Wettbewerbsfähigkeit des Versicherten auf dem besonders geschützten Arbeitsmarkt einer W. als prognostisch erreichbares Rehabilitationsziel verlangt wird (so zu Recht auch SG Augsburg, Urteil vom 27.03.2014, S 7 AL 188/11 m.w.N.; Stähler in: jurisPK – SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 16 Rn. 28).
Somit spricht sowohl die grammatikalische Auslegung als auch die systematische Auslegung gegen eine Beschränkung der Anwendbarkeit des § 10 SGB VI im vorliegenden Fall und somit auch gegen eine Beschränkung des Prüfungsmaßstabs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Dass für die Tatbestandsvoraussetzung des § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI „voraussichtlich erfolgreiche Rehabilitation“ lediglich die Erreichung von Wettbewerbsfähigkeit des Versicherten auf dem besonders geschützten Arbeitsmarkt einer W. als prognostisch erreichbares Rehabilitationsziel genügt, ergibt sich auch aus der teleologischen und rechtshistorischen Auslegung des § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI. Durch die Einführung des § 11 Abs. 2a SGB VI ist die vormalige Zuständigkeit der Arbeitsverwaltung auf den Rentenversicherungsträger verlagert worden. Der Rehabilitationsauftrag der Rentenversicherung wurde dadurch betont und verstärkt. Gemäß der Gesetzesbegründung zu § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI soll der Rentenversicherungsträger für diejenigen Versicherten, die sowohl medizinische als auch daran unmittelbar anschließende berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation benötigen, das gesamte Rehabilitationsverfahren bis zu ihrer Wiedereingliederung in das Erwerbsleben durchführen, um auch in diesen Fällen einen zügigen und kontinuierlichen Ablauf des Rehabilitationsverfahrens und eine möglichst rasche und erfolgreiche Wiedereingliederung in das Erwerbsleben zu gewährleisten (BT-Drs. 12/3423, S. 61). Es soll somit die Einheitlichkeit des Rehabilitationsträgers gewährleistet werden, indem das gesamte Rehabilitationsverfahren von der medizinischen bis zur berufsfördernden Leistung in der Hand des Rentenversicherungsträgers liegt, der für die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben des Versicherten zuständig ist (Kreikebom, SGB VI, § 11 Rn. 6).
Der Einwand der Beklagten, dass Anknüpfungspunkt der Voraussetzung in § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI „voraussichtlich erfolgreiche Rehabilitation“ der allgemeine Arbeitsmarkt und nicht die Tätigkeit in einer W. sei, beruhe auf der Einweisungsvorschrift für Leistungen zur Teilhabe durch die Rentenversicherung, § 9 SGB VI, ist unbegründet. Nach der Rechtsauffassung der Beklagten ergebe sich aus § 9 SGB VI die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Rehabilitationsträger des gegliederten Sozialleistungssystems im Sinne des § 6 SGB IX i.V.m. § 7 Satz 2 SGB IX, nach denen sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen – und damit für die Rentenversicherung nach §§ 9 ff. SGB VI richten. Demnach könne sich eine Zuständigkeit der Rentenversicherung für Leistungen zur Teilhabe immer nur dann ergeben, wenn mit dieser die Zielvorstellung verknüpft sei, ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern bzw. die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben zu ermöglichen. Mit „Erwerbsleben“ könne nach den vorstehenden Ausführungen damit zwangsläufig immer nur der erste Arbeitsmarkt gemeint sein. Aufgrund des Ergebnisses dieser Leistung zur medizinischen Rehabilitation habe aber spätestens nach deren Beendigung und mit Vorliegen des Entlassungsberichts festgestanden, dass dieses Ziel und damit die Wiedereingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf Dauer unmöglich sei.
Zwar normieren die §§ 6 SGB IX i.V.m. § 7 Satz 2 SGB IX mit Verweis auf die §§ 9 ff. SGB VI die grundsätzliche Zuständigkeit der Rentenversicherung. Zutreffend ist auch, dass die Zielvorstellungen dieser Generalklauseln auf die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben (in diesem Sinne allgemeiner Arbeitsmarkt) gerichtet sind. Dabei verkennt die Beklagte jedoch, dass § 42 SGB IX i.V.m. § 11 SGB VI sowie § 16 SGB VI i.V.m. § 40 SGB IX spezialgesetzliche, für die Rentenversicherung zuständigkeitsbegründende Normen enthalten. Letztlich stellt die Interpretation der Tatbestandsvoraussetzung „voraussichtlich erfolgreiche Rehabilitation“ im Sinne einer Beschränkung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt eine teleologische Reduktion dar. Dies widerspricht aber der Systematik des § 16 SGB VI i.V.m. § 40 Abs. 1 SGB IX und der in § 40 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX eindeutig normierten Zielsetzung eines „Mindestmaßes wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ im Sinne des § 136 SGB IX.
Das Gericht hat auch keinen Zweifel daran, dass die im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich voraussichtlich erfolgreiche Rehabilitation „unmittelbar im Anschluss an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der Träger der Rentenversicherung“ erforderlich war. Die Beklagte beruft sich insoweit darauf, dass aufgrund des Ergebnisses der Leistung zur medizinischen Rehabilitation spätestens nach deren Beendigung und mit Vorliegen des Entlassungsberichts festgestanden habe, dass dieses Ziel und damit die Wiedereingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf Dauer unmöglich sei. Unter diesen Voraussetzungen liege ein „unmittelbarer Anschluss“ im Sinne des § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI nicht vor. Denn es habe unstreitig kein inhaltlicher Zusammenhang mehr zwischen dem ursprünglich verfolgten Zweck der Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt und der Eingliederung in die Werkstatt (geschützter Arbeitsmarkt) bestanden. Diese beiden Möglichkeiten hätten vollkommen unterschiedliche Zweckrichtungen verfolgt.
Im vorliegenden Fall hat die medizinische Rehabilitationsmaßnahme am 02.09.2011 geendet, Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wurde bereits am 12.09.2011 gestellt. Auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Beginns der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben am 02.04.2012 ist nach dem Sinn und Zweck des § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI nicht abzustellen. Maßgeblich ist vielmehr, ob spätestens zum Zeitpunkt der Beendigung der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme ein Bedarf für eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zutage getreten ist und die Voraussetzungen bis zum Beginn durchgehend vorliegen (BSGE 104, 294 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 9, Rn. 34). Dies ist hier der Fall. Im Entlassungsbericht vom 09.09.2011 hatte das A. festgestellt, dass zum Ende der Maßnahme eine tägliche Belastbarkeit des Versicherten von unter drei Stunden unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes festgestellt werden müsse, in geschützten und beschützten Bedingungen jedoch eine vollschichtige Belastbarkeit gegeben sei. Als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wurde eine Arbeitstrainings- / Berufsbildungsmaßnahme in einer wohnortnahen W. in N. vorgeschlagen (z. B. „S.“). Diese ärztlichen-sozialmedizinischen Prognosen wurden weder von der Klägerin noch von der Beklagten in Zweifel gezogen. Die weitere Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers ergibt sich aus der gesetzgeberischen Intention des § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI, nämlich das gesamte Rehabilitationsverfahren bis zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben durchzuführen, um auch in diesen Fällen einen zügigen und kontinuierlichen Ablauf des Rehabilitationsverfahrens und eine möglichst rasche und erfolgreiche Wiedereingliederung in das Erwerbsleben zu gewährleisten (BT-Drs. 12/3423, S. 61).
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).