Medizinrecht

Betriebsuntersagung, Einstweilige Anordnung, Verwaltungsgerichte, Waren des täglichen Bedarfs, Warensortiment, Einstweiliger Rechtsschutz, Ladengeschäft, Antragstellers, Außervollzugsetzung, Effektiver Rechtsschutz, Prozeßkostenhilfeverfahren, Folgenabwägung, Feststellungsinteresse, Normenkontrollverfahren, Festsetzung des Gegenstandswertes, Vorläufige Feststellung, Beschwerdeentscheidung, Beschwerdeschrift, Wert des Beschwerdegegenstandes, Beschwerdeeinlegung

Aktenzeichen  Au 9 E 21.216

Datum:
11.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 8018
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1
BayIfSMV § 12 Abs. 1 der 11.

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Schließung seines Ladengeschäfts auf Grundlage der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV).
Der Antragsteller ist Inhaber eines Ladengeschäfts, in dem insbesondere sog. „Weiße Ware“, d.h. Küchen- und Elektrogeräte, und Waren aus dem Bereich der Medien- und Kommunikationstechnik verkauft werden.
Die 11. BayIfSMV des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 15. Dezember 2020 (BayMBl. Nr. 737, BayRS 2126-1-15-G), zuletzt geändert durch Verordnung vom 28. Januar 2021 (BayMBl. Nr. 75) hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
§ 12
Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Märkte
(1) Die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr ist untersagt. Ausgenommen sind der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, der Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermittel und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel (…).
Abweichend von Satz 1 ist die Abholung vorbestellter Waren in Ladengeschäften zulässig; (…)
Mit E-Mail vom 26. Januar 2021 zeigte der Antragsteller die beabsichtigte Öffnung seines Ladengeschäfts zum Verkauf sog. „Weißer Waren“ beim zuständigen Landratsamt an und bat um eine entsprechende Bestätigung bis zum 28. Januar 2021, 12:00 Uhr. Das Landratsamt teilte dem Antragsteller daraufhin mit E-Mail vom 28. Januar 2021 mit, die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr sei untersagt. Das Ladengeschäft des Antragstellers sei nicht für die tägliche Versorgung unverzichtbar. Elektromärkte fänden sich auch nicht auf der sog. Positivliste des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege.
Mit Schriftsatz vom 5. Februar 2021 hat der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zuletzt beantragt,
Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 der 11. BayIfSMV unter Berücksichtigung der Änderung vom 8. Januar 2021 dem Betrieb des Ladengeschäfts des Antragstellers für den Verkauf von
1. Backöfen, Kochfelder, Mikrowellen, Babykostwärmer, Brotbackautomaten, Fritteusen, Kaffeemaschinen, Küchenmaschinen, Toaster, Töpfe, Pfannen, Geschirr, Besteck und sonstigen Waren, die der Lebensmittelverarbeitung/-zubereitung dienen,
2. Kühlschränke, Gefrierschränke, Gefriertruhen und Kühl- /Gefrierkombinationen und sonstigen Waren, die der Lebensmittellagerung dienen,
3. Waschmaschinen, Wäschetrockner, Geschirrspüler, Staubsauger, elektr. Rasierer, elektr. Zahnbürsten und sonstigen Waren, die der Grundhygiene dienen,
4. Radios, Fernseher, Smart-Home-Geräte und sonstige Waren, die dem Empfang von Rundfunk, Fernsehen und Internet dienen,
5. Telefone, Faxgeräte, Mobiltelefone und sonstige Waren, die der Fernkommunikation dienen,
6. PCs, Monitore, Laptops, Tabletts, Drucker und sonstige Waren, die dem Homeschooling & Homeoffice dienen,
7. etwaiges erforderliches Zubehör für die unter Ziff. 1. bis 5. genannten Waren und
8. etwaig erforderliche Softwareprodukte für die unter Ziff. 1. bis 6. genannten Waren
in der …straße … in … im Rahmen eines für den Kunden geöffneten Ladengeschäfts nicht entgegensteht, sofern die geltenden Vorgaben des § 12 Abs. 1 Satz 4 der 11. BayIfSMV und zum sonstigen öffentlichen Infektionsschutz sowie sonstiger einschlägiger gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller dürfe seinen Betrieb trotz der Regelung des § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV öffnen. Das Ladengeschäft falle unter den Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV, wonach sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte nicht von der Betriebsuntersagung erfasst seien. Der unbestimmte Rechtsbegriff sei auslegungsbedürftig. Es müsse ein Vergleich mit den in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV ausdrücklich genannten Geschäften erfolgen. Das Angebot des Antragstellers sei ähnlich wichtig für die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs, wie dasjenige der ausdrücklich genannten Geschäfte. Ein Großteil der vom Antragsteller angebotenen Ware sei nach der Zivilprozessordnung unpfändbar, sodass diese Grundversorgung stets gewährleistet werden müsse. Zudem diene eine Vielzahl der Ware der Wahrnehmung von Grundrechten wie beispielsweise der Berufsausübung und der Schulbildung im Distanzunterricht. Eine Förderung des Homeoffice oder eine Umsetzung des Distanzunterrichts sei nur dann möglich, wenn sich die Bürger auch mit den notwendigen Geräten versorgen könnten. Zur Anschaffung der passenden elektronischen Anlagen bedürfe es aber auch einer zumindest grundlegenden Beratung. Bei Onlinekäufen würden Kunden hingegen oftmals enttäuscht, was zu einer Rücksendung der Ware führe. Ältere Mitbürger könnten auch nicht auf das Online-Shoppen verwiesen werden. Die künftig gestatte „click & collect“ – Verkaufsweise biete im Hinblick auf die Wichtigkeit von Beratung und persönlichem Kundengespräch auch keine tragbare Alternative. Dem Antragsteller bleibe hiernach weiterhin untersagt, die Kunden persönlich über die Produkte aufzuklären und zu beraten. Auch entfalte die negierende Veröffentlichung des Bayerischen Staatsministeriums, die sogenannten „FAQ“, keine Bindungswirkung. Der Ausnahmetatbestand sei vielmehr immer dann erfüllt, wenn die Befriedigung des Bedarfs ein gewisses Gewicht habe und von der Rechtsordnung anerkannt sei. Der Verordnungsgeber müsse dabei auch auf die Bedürfnisse einzelner Personengruppen achten. Des Weiteren liege ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) vor. Der Verordnungsgeber habe nicht dargelegt, weshalb z.B. Telekommunikationsläden und Schreibwarenläden zur Versorgung von zu Hause lernenden Schülern/Studenten zur täglichen Versorgung unverzichtbar seien, während dies für Fachgeschäfte wie das des Antragstellers verneint wird. Auch seien große Supermärkte mittlerweile ähnlich ausgestattet wie elektronische Fachmärkte. Es liege deshalb eine massive Wettbewerbsverzerrung vor. Ein Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit sei gegeben, da der Antragsteller aufgrund der aktuellen Situation einen Umsatzverlust von ca. 75% hinnehmen müsse, der auch durch Einrichtung eines Lieferdienstes und dem „click & collect“-System nicht abgefangen werden könne. Die Angelegenheit sei auch deshalb dringlich, weil ein Ende der Beschränkung sowie die Auszahlung versprochener finanzieller Hilfen nicht absehbar seien.
Das Landratsamt ist dem Antrag für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 9. Februar 2021 entgegengetreten und hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass das Ladengeschäft des Antragstellers nicht zu den in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV genannten, von der Schließung ausgenommen Geschäften zähle. Diese Einschätzung werde auch durch die als „FAQ Corona-Krise und Wirtschaft“ bezeichneten Erläuterungen bestätigt. Diese stellten zwar keine Rechtsgrundlage dar, seien für die Einordnung von Ladengeschäften jedoch hilfreich. Das vom Antragsteller angebotene Warensortiment sei für die tägliche Versorgung nicht unverzichtbar. Im Übrigen sei es dem Antragsteller möglich, seine Ware über das „click & collect“-System sowie im Onlinehandel anzubieten. Auch eine telefonische Beratung sei weiterhin möglich.
Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2021 wird für den Antragsteller ergänzend ausgeführt, dass die sich aus dem Antrag ergebenden Waren für die tägliche Versorgung unverzichtbar seien. Dies gelte neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch für die Geräte zur Lebensmittellagerung und Lebensmittelzubereitung. Sämtliche Großgeräte im Haushalt seien über alternative Bezugsmöglichkeiten nicht adäquat und kurzfristig zu beschaffen. Es fehle in jeder Hinsicht an der persönlichen Beratung, die nicht nur für die Einbauproblematik bei Großgeräten, sondern auch für die Auswahl technischer Geräte erforderlich sei.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf den in der Gerichtsakte enthaltenen Schriftverkehr Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zwar zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Die vom Antragsteller begehrte vorläufige Feststellung, dass § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV dem Betrieb seines Elektrofachmarktes nicht entgegensteht, ist einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zugänglich. Die auf bloße Feststellung gerichtete einstweilige Anordnung ist vorliegend ausnahmsweise statthaft, da sich die Frage der Zulässigkeit der beabsichtigten Betriebsöffnung unmittelbar nach der 11. BayIfSMV beurteilt, ohne dass eine behördliche Entscheidung hierüber vorgesehen wäre.
b) Es liegt auch ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vor, da unter den Beteiligten streitig ist, ob § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV der vom Antragsteller beabsichtigten Öffnung seines Ladengeschäfts entgegensteht.
c) Der Antragsteller hat auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Der Verstoß gegen die Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV ist nach § 28 Nr. 11 der 11. BayIfSMV bußgeldbewehrt. Im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG ist es dem Antragsteller deshalb nicht zuzumuten, sein Ladengeschäft auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zu öffnen und erst gegen eine etwaige spätere behördliche Untersagungsverfügung gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
d) Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist der hier gestellte Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch nicht durch die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes nach § 47 Abs. 6 VwGO in einem eventuellen Normenkontrollverfahren gegen die Verordnung selbst ausgeschlossen. Der Antragsteller begehrt nicht die Unwirksamkeitserklärung bzw. die Aussetzung des Vollzugs einer untergesetzlichen Norm. Zwischen den Beteiligten steht vielmehr die Auslegung der Vorschrift in Streit.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
a) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Erforderlich ist für einen Erfolg des Antrags, dass der Antragsteller einen materiellen Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft machen kann.
b) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die vorläufige Feststellung, dass die Regelungen der 11. BayIfSMV der von ihm beabsichtigten Öffnung seines Elektrofachgeschäfts nicht entgegenstehen.
(1) Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV ist die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr grundsätzlich untersagt. Ausgenommen von der Betriebsuntersagung sind gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV lediglich der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, der Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermittel und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel.
(2) Als Ausnahmetatbestand ist § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV grundsätzlich eng auszulegen (vgl. BayVGH, B.v. 14.4.2020 – 20 CE 20.725 – juris Rn. 7 f.; vgl. auch BVerwG, U.v. 10.12.2014 – 1 C 15.14 – NVwZ-RR 2015, 313 – juris Rn. 20). Dafür streiten auch der Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV. Mit dem Erlass der 11. BayIfSMV und der Regelung in § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV verfolgt der Verordnungsgeber aufgrund des erheblichen Infektionsgeschehens eine weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens. Dazu gehört neben den strikten Kontaktbeschränkungen (§ 4 der 11. BayIfSMV) u.a. auch die weitgehende Schließung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr, um die Kontakte in der Bevölkerung stärker zu reduzieren. Maßgeblich für die Auslegung des Begriffs des „für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfts“ ist der objektivierte Wille des Normgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt. Für die Erfassung dieses objektiven Willens sind alle anerkannten Auslegungsmethoden heranzuziehen, d.h. die grammatikalische, systematische, teleologische und historische Auslegung. Diese Methoden ergänzen sich gegenseitig, wobei keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen hat (vgl. BVerfG, B.v. 31.3.2016 – 2 BvR 1576/13 – NVwZ-RR 2016, 521 – juris Rn. 63) m.w.N.). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Dieser ergibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Normgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich das Gericht nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfG, B.v. 26.8.2014 – 2 BvR 2172/13 – EuGRZ 2014, 646 – juris Rn. 16).
(3) Gemessen an diesen Maßstäben ist die Öffnung des Elektrofachgeschäfts des Antragstellers nicht ausnahmsweise zulässig. Es stellt weder eine in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV ausdrücklich erlaubte Betriebsform dar, noch handelt es sich unter Berücksichtigung von Wortlaut und Sinn und Zweck der Regelung um ein den privilegierten Geschäften gleichgestelltes, sonstiges für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft.
Eine Gleichstellung eines bestimmten Einzelhandelsgeschäfts mit sonstigen Ladengeschäften mit Kundenverkehr kommt nach dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV nur dann in Betracht, wenn dieses für die tägliche Versorgung der Bevölkerung unverzichtbar ist. Auch unter Berücksichtigung der vom Antragsteller mit Schriftsätzen vom 5. und 10. Februar 2021 vorgetragenen Argumente erfüllt das vom Antragsteller betriebene Elektrofachgeschäft diese Voraussetzungen nicht.
Zwar dient die im Elektrofachgeschäft des Antragstellers angebotene sog. „Weiße Ware“ grundsätzlich der Grundversorgung der Bevölkerung. Dieses reicht jedoch für die Einordnung als „für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft“ im Sinn von § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV nicht aus. Der Antragsteller deckt mit seinem angebotenen Warensortiment schwerpunktmäßig keine täglichen, sondern vielmehr längerfristige Anschaffungen ab, die in den meisten Fällen zurückstellbar sind und nicht den akuten unverzichtbaren täglichen Bedarf der Bevölkerung sicherstellen. Unter Berücksichtigung der oben aufgezeigten Gesamtkonzeption der 11. BayIfSMV können Elektrofachgeschäfte deshalb nicht den in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV ausdrücklich aufgeführten Betriebsformen gleichgestellt werden. Denn dort werden – anders als im Ladengeschäft des Antragstellers – unverzichtbare, nicht zurückstellbare Alltagsgeschäfte des täglichen Bedarfs getätigt. Dabei belegt der vom Antragsteller aufgezeigte erhöhte Beratungsbedarf bezüglich des von ihm angebotenen Warensortiments, dass es sich bei den in seinem Ladengeschäft getätigten Anschaffungen zu einem großen Teil nicht um Geschäfte zur Deckung des täglichen Bedarfs handelt, sondern um geplante Anschaffungen, denen unter Umständen auch ein längerer Entscheidungsprozess zugrunde liegt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es auch bezüglich der vom Antragsteller angebotenen Waren im Einzelfall zu einem kurzfristigen Bedarf kommen kann. Einen solchen dringenden Bedarf kann der Antragsteller jedoch über einen Lieferservice oder das nach § 12 Abs. 1 Satz 6 der 11. BayIfSMV gestattete „click & collect“- Verkaufsmodell abfangen. Auch können sich die Kunden des Antragstellers vor einer Bestellung telefonisch beraten lassen, die Bestellung anschließend telefonisch aufgeben und die bestellte Ware sodann am Ladengeschäft des Antragstellers abholen.
Für diese enge Auslegung des Ausnahmetatbestands in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV sprechen neben dem Wortlaut der Norm auch der Sinn und Zweck der Regelung. Das Gesamtkonzept des Verordnungsgebers verfolgt das Ziel, das öffentliche Leben weitestgehend stillzulegen, um alle nicht zwingend erforderlichen physischen Kontakte zu verhindern und so das Infektionsgeschehen abzuschwächen. Die derzeitige pandemische Situation eines weiterhin erheblichen und insbesondere unter Berücksichtigung von Virusvarianten diffusen Infektionsgeschehens gebietet deshalb eine strikte Auslegung des Ausnahmetatbestands. Infolgedessen sind auch Ladengeschäfte mit Kundenverkehr, die zwar grundsätzlich der Grundversorgung der Bevölkerung dienen, hierbei jedoch keinen unverzichtbaren täglichen Bedarf decken, von der Betriebsuntersagung des § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV erfasst.
(4) Die in § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV getroffene Betriebsuntersagung begegnet bei summarischer Prüfung entgegen dem Vorbringen des Antragstellers auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV ist zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung jedenfalls nicht zu erkennen.
(a) Die Einschätzung des Antragsgegners, dass das Warensortiment des Antragstellers mit sog. „Weißer Ware“ für die Versorgung der Bevölkerung mit Waren des täglichen Bedarfs nicht von gleicher Bedeutung ist wie die in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV ausdrücklich vom Verbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV ausgenommenen Betriebsformen, erweist sich voraussichtlich auch am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG als gerechtfertigt. Der Antragsteller kann sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, dass Telekommunikationsläden und Schreibwarengeschäfte ausweislich der als „FAQ Corona-Krise und Wirtschaft“ (Stand 26. Januar 2021) bezeichneten Erläuterungen zur 11. BayIfSMV öffnen dürfen. Zum einen ist die Öffnung von Telekommunikationsläden bereits auf die Reparatur und die akute Problembehebung begrenzt. Ein Verkauf ist auch hier nicht gestattet. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber bei der Differenzierung zwischen Verkaufsstellen für solche Güter, deren Verfügbarkeit er für die tägliche Versorgung der Bevölkerung als unbedingt erforderlich ansieht, und solchen, hinsichtlich derer ein erschwerter Zugang vorübergehend im Interesse einer möglichst weitgehenden Verringerung der Ansteckungsgefahr hingenommen werden kann, eine wertende Entscheidung zu treffen hat. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes ergibt sich deshalb nicht bereits daraus, dass die Verordnung keine einheitlichen Ge- und Verbote für alle unternehmerischen Tätigkeiten vorsieht. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Normgeber besonders bei Sachverhalten, die sich – wie das gegenwärtige weltweite Infektionsgeschehen – auf eine Vielzahl von Lebensbereichen auswirken, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen darf, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härte gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen. Unebenheiten, Friktionen und Mängel sowie gewisse Benachteiligungen in besonders gelagerten Einzelfällen, die sich im Zusammenhang mit Differenzierungen ergeben, müssen dabei in Kauf genommen werden (BayVerfGH, E.v. 16.11.2020 – Vf. 90-VII-20 – BeckRS 2020, 31088, Rn. 32ff.). Daran gemessen begegnet die Entscheidung des Antragsgegners, nicht auch Elektrofachgeschäfte von dem Betriebsverbot auszunehmen, aller Voraussicht nach keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die vorübergehende Betriebsuntersagung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr stellt nach Auffassung der Kammer auch ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Eindämmung der Verbreitung des Virus SARS-CoV-2 und der damit verbundenen neuartigen Lungenkrankheit COVID-19 dar. Ziel der ergriffenen Maßnahmen ist es u.a., den Anstieg des Infektionsgeschehens auf eine wieder nachverfolgbare Größe zu senken, um so eine Überforderung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Die Betriebsuntersagung ist zur Erreichung dieses Ziels auch geeignet, denn sie trägt zu einer Kontaktreduzierung bei. Ziel der Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV ist die Unterbindung nicht zwingend erforderliche persönlicher Kontakte. Entscheidend ist dabei auch, dass im Fall der Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr neben dem mit dem Betrieb einhergehenden Infektionsrisiko jedenfalls ein zusätzlicher Anlass für potenzielle Kunden geboten wird, sich zum Einkauf im Ladengeschäft in die Öffentlichkeit zu begeben, wobei sie nicht nur im Ladengeschäft selbst, sondern auch auf dem Weg dorthin und nach dessen Verlassen in Kontakt zu anderen – möglicherweise infizierten – Personen kommen können.
(b) Auch eine allgemeine Folgenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Die für eine Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssten die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen. Dem Interesse des Antragstellers, sein Elektrofachgeschäft für den Kundenverkehr zu öffnen, stehen dabei die Interessen der Allgemeinheit an einem möglichst wirksamen Schutz von Leib und Leben und dem öffentlichen Gesundheitssystem gegenüber. Nachdem sich die Situation über den Sommer entspannt hatte, stiegen die Infektionszahlen im Herbst/Winter 2020/2021 drastisch an. Zwar konnte in den letzten Wochen ein Rückgang der Neuinfektionen verzeichnet werden, doch bleibt die Lage im Hinblick auf die mittlerweile auch bereits in Bayern festgestellten Mutationen des Corona-Virus weiterhin äußerst angespannt. Das Robert-Koch-Institut (RKI) stuft die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland noch immer als sehr hoch ein (vgl. Robert – Koch – Institut, Situationsbericht vom 8. Februar 2021, abrufbar unter: https://bit.ly/2N7CjrO). Unter Berücksichtigung dessen ergibt die Folgenabwägung, dass im Hinblick auf die mit der Außervollzugsetzung der streitgegenständlichen Norm einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten die zu erwartenden Folgen schwerer ins Gewicht fallen, als die Folgen des Normvollzugs für die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) bzw. die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) des Antragstellers. Gegenüber den aufgrund des aktuellen Infektionsgeschehens bestehenden Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet ist, müssen die Interessen der von Betriebsschließungen und Nutzungsbeschränkungen Betroffenen derzeit zurücktreten (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2020 – 20 NE 20.2482 Rn. 50 m.w.N.).
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (BayVBl. Sonderbeilage Januar 2014). Dabei macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, den Streitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben, weil sich das gerichtliche Verfahren auf den Eilrechtsschutz beschränkt.


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