Medizinrecht

Eilantrag, Entziehung der Fahrerlaubnis, Erhebung von Widerspruch und (nachfolgend) Klage, ärztliches Gutachten nicht beigebracht, offenes Widerspruchsverfahren, Erkrankungen (insulinpflichtige Diabetes mellitus Typ I und andere)

Aktenzeichen  W 6 S 21.1417

Datum:
25.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45958
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AGVwGO Art. 15
FeV § 46 Abs. 1
FeV § 11 Abs. 8
FeV Nr. 4, 5 und 6 der Anlage 4 zur

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehung des Entzugs seiner Fahrerlaubnis.
1. Der Antragsteller (geb. … 1955) war ursprünglich im Besitz der Fahrerlaubnis der (alten) Klassen 2 und 3 (ausgestellt am 2.4.1974, erweitert am 1.2.1977); aktuell ist der Antragsteller nach Umtausch und Verzicht auf die Fahrerlaubnisse der Gruppe 2 noch im Besitz der Fahrerlaubnis der (neuen) Klassen A79, A1, AM, B, BE und L.
Der Kläger hatte als Führer eines Kraftfahrzeugs am 23. Mai 2017, 12:18 Uhr, in W., N. Straße, einen Verkehrsunfall mit Sach- und Personenschäden infolge einer Hypoglykämie (Unterzuckerung) bei bekannter Diabeteserkrankung verursacht. Aus der auf Anforderung des Landratsamts M.-S. (künftig: Landratsamt) vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 27. September 2017 der überörtlichen Gemeinschaftspraxis der Fachärzte (u.a. für Diabetologie) Dr. K. und Kollegen, Marktheidenfeld, ergab sich, dass beim Antragsteller seit November 1985 ein Diabetes mellitus Typ I bestehe, weshalb er sich seit 29. Juli 2008 in fachärztlicher Mitbehandlung befinde. Bei Einhaltung aufgeführter Voraussetzungen erscheine das Führen von Kraftfahrzeugen der Führerscheinklasse 3 möglich. Auf Anforderung des Landratsamts (Schreiben vom 5.10.2017) legte der Antragsteller ein Zeugnis über eine augenärztliche Untersuchung des Sehvermögens (Anlage 6 Nr. 2.2 der Fahrerlaubnisverordnung) vom 21. März 2018 des Augenarztes Dr. S., W., vor, wonach er ausreichendes Sehvermögen für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 (A, A1, B, BE, M, S, L und T) hat. In einer beim Landratsamt aufgenommene Niederschrift vom 28. März 2018 erklärte der Kläger, dass er auf die Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Klasse 2 (Gruppe 2) verzichte. In einer weiteren Erklärung vom 28. März 2018 erklärte sich der Kläger mit Auflagen (1. sechsmal tägliche Protokollierung aller gemessenen Blutzuckerwerte, 2. Führen und Mitführen eines Fahrtenbuchs im Fahrzeug mit Dokumentierung der Blutzuckerwerte vor Fahrtantritt und stündlichen Wiederholungsmessungen bei längeren Fahrten, 3. regelmäßige Überprüfung der Protokollierung und Befundbesprechung durch einen Diabetologen in 3-monatigen Abständen und Vorlage einer Bescheinigung hierüber beim Landratsamt) einverstanden. Die Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 wurde ihm daraufhin nach Umtausch in die neuen Fahrerlaubnisklassen belassen. In der Folgezeit legte der Antragsteller in Vollzug der Auflagen ärztliche Bescheinigungen der überörtlichen Gemeinschaftspraxis Dr. K. und Kollegen (vom 25.8.2018, 8.10.2018, 22.1.2019, 21.5.2019 und 8.7.2019) beim Landratsamt vor. Hierauf wird jeweils verwiesen. Auf Anregung des behandelnden Facharztes in der Bescheinigung vom 8. Juli 2019 teilte das Landratsamt dem Antragsteller mit Schreiben vom 9. Juli 2019 mit, dass von der weiteren Vorlage von Attesten abgesehen werde.
2. Durch eine Mitteilung der Polizeiinspektion W.-Land wurde dem Landratsamt bekannt, dass der Antragsteller am 27. März 2021, 12:29 Uhr, in Wa …, Ortsteil R …, als Führer des Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen … … nach den Angaben einer Zeugin durch gefahrene „Schlangenlinien“ unter Inanspruchnahme auch der Gegenfahrbahn und nicht nachvollziehbares starkes Bremsen und Beschleunigen seines Fahrzeugs auffällig geworden war. Auf die Zeugin machte der Antragsteller einen leicht verwirrten Eindruck. Ein von der hinzugekommenen Polizei durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen Wert von 0,00 mg/l. Der Antragsteller zeigte sich während der Sachverhaltsaufnahme wenig einsichtig und konnte den Grund der Kontrolle nicht nachvollziehen. Nach dem Eindruck der Polizei bestanden vor dem Hintergrund der bereits in der Vergangenheit erfolgten Verkehrsauffälligkeit begründete Zweifel an der gesundheitlichen Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen (s. polizeiliche Ereignismeldung der PI W.-Land vom 16.4.2021).
Mit Schreiben vom 29. April 2021 forderte das Landratsamt den Antragsteller unter Hinweis auf den Vorfall vom 27. März 2021 und dem bereits im Jahr 2017 durchgeführten Überprüfungsverfahren auf, zur Klärung von Zweifeln an seiner Fahreignung ein fachärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung bis zum 15. Juli 2021 vorzulegen (§ 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 FeV). Zu klären seien die Fragen, ob beim Antragsteller eine Krankheit vorliege, insbesondere eine altersbedingte Krankheit nach Nr. 4, 5 und 6 der Anlage 4 zur FeV, die gegenwärtig seine Fahreignung ausschließe (Frage 1), ob der Antragsteller in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht zu werden (Frage 2) und ob weitere Untersuchungen, z. B. psychologische Tests des Leistungsvermögens, erforderlich seien (Frage 3). Die Aufforderung entspreche der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens. Auf die Folgen der nicht oder nicht rechtzeitigen Vorlage des geforderten Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 FeV wurde hingewiesen.
Der Antragsteller erklärte sich am 6. Mai 2021 mit einer Begutachtung durch die T S … … GmbH, W …, einverstanden, der das Landratsamt die Fahrerlaubnisunterlagen übermittelte.
Mit Schreiben vom 17. Mai 2021 zeigte der Bevollmächtigte unter Vollmachtvorlage seine Bevollmächtigung an und beantragte Akteneinsicht, die ihm nach Rückholung der Fahrerlaubnisakte von der T S … … GmbH mit Schreiben des Landratsamts vom 28. Mai 2021 auch gewährt wurde. Die vom Bevollmächtigten zurückgegebene Fahrerlaubnisakte (Schreiben vom 2.6.2021) wurde der T S … … GmbH mit Schreiben des Landratsamts vom 7. Juni 2021 wieder zurückgegeben unter Verlängerung der Frist zur Vorlage des Gutachtens bis 30. Juli 2021. Mit Schreiben vom 16. August 2021 teilte die T S … … GmbH dem Landratsamt mit, dass sich die Rücksendung der Führerscheinakte noch verzögern werde. Das Landratsamt verlängerte daraufhin die Vorlagefrist bis zum 31. August 2021, was dem Bevollmächtigten mit Schreiben vom 24. August 2021 mitgeteilt wurde. Mit Email vom 27. August beantragte der Bevollmächtigte eine weitere Fristverlängerung bis zum 31. Oktober 2021. Der Antragsteller habe ihm glaubhaft versichert, dass er bemüht sei, das fachärztliche Zeugnis wesentlich früher vorzulegen, aufgrund von Terminschwierigkeiten sei dies aber bisher nicht möglich gewesen. Mit Schreiben vom 27. August 2021 bat daraufhin das Landratsamt die T S … … GmbH um Mitteilung bis spätestens 15. September 2021, bis wann die Begutachtung abgeschlossen sei (entsprechende E-Mail an den Bevollmächtigten).
Mit Schreiben vom 6. September 2021 gab die T S … … GmbH die übermittelten Fahrerlaubnisunterlagen zurück.
Mit Schreiben vom 7. September 2021 bat das Landratsamt den Antragsteller, das Gutachten bis spätestens 24. September 2021 vorzulegen.
Mit Schreiben vom 23. September 2021 bat der Bevollmächtigte des Antragstellers die Führerscheinakten an die p …- … GmbH in W … zu übersenden, damit der Antragsteller das geforderte fachärztliche Gutachten zur Überprüfung seiner Fahreignung beibringen könne.
Mit Schreiben vom 23. September 2021 hörte das Landratsamt den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an und gab Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11. Oktober 2021. Aufgrund der mehrfach verlängerten Frist zur Beibringung des Gutachtens sehe das Landratsamt keine Veranlassung, nochmals eine Begutachtung bei einer anderen Begutachtungsstelle durchzuführen. Die Frist zur Beibringung des Gutachtens sei mehr als angemessen und ausreichend gewesen.
Mit Schreiben vom 27. September 2021 nahm der Bevollmächtigte Stellung und versicherte, dass er in engen zeitlichen Abständen die Sache mit dem Antragsteller besprochen habe und dass sich der Antragsteller auch Untersuchungen gestellt habe. Zum einen sei es durch Corona zu zeitlichen Verzögerungen gekommen, zum anderen brauche es Zeit für die Gutachtenserstellung. Der Antragsteller habe sich nunmehr entschieden, die Begutachtung bei der Firma p …- … GmbH in W … durchzuführen und es werde gebeten, die Akten dorthin zu übersenden. Mit weiteren Schreiben vom 29. September 2021 teilte der Bevollmächtigte mit, dass beantragt werde, die Unterlagen an die T T … GmbH in W … zu senden, da bei der p …- … GmbH offensichtlich aus organisatorischen Gründen keine Möglichkeit bestehe, eine Begutachtung durchführen zu lassen.
Mit Bescheid vom 29. September 2021 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen (Nr. 1) und gab ihm auf den Führerschein der Klassen A79, A1, AM, B, BE und L umgehend, spätestens innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides, beim Landratsamt abzugeben bzw. im Falle des Abhandenkommens des Führerscheins innerhalb dieser Frist eine Versicherung an Eides statt über den Verbleib abzugeben (Nr. 2). Für den Fall der nicht rechtzeitigen Abgabe des Führerscheins wurde dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 4) und dem Kläger die Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. 5 und 6). Zur Begründung wurde unter Hinweis auf die o. g. Vorgänge ausgeführt, der Antragsteller habe sich wegen Nichtvorlage des zurecht geforderten Fahreignungsgutachtens und ausreichender Frist zu dessen Beibringung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV als nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen und ihm sei deshalb die Fahrerlaubnis zu entziehen sei (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV). Das Landratsamt sehe keine Veranlassung, bei einer anderen Begutachtungsstelle eine erneute Begutachtung durchführen zu lassen. Aus dem Vorbringen lasse sich schließen, dass die bei der T S … … GmbH durchgeführte Begutachtung nicht zu dem erhofften Ergebnis geführt habe. Die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins ergebe sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 FeV; die ersatzweise Abgabe eine Versicherung an Eides statt über den Verbleib des Führerscheins beruhe auf § 5 Satz 1 StVG. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides liege gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO im überwiegenden öffentlichen Interesse. Das Interesse des Antragstellers am Fortbestand der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs sei überwiegend in seiner persönlichen Mobilität zu sehen. Demgegenüber stehe das Interesse der Gesamtheit aller Straßenverkehrsteilnehmer, bei der ständig ansteigenden Verkehrsdichte Gefahren für die Verkehrssicherheit so gering wie möglich zu halten bzw. von vornherein auszuschließen. Es sei bekannt, dass von Fahrzeugführern, welche die zur Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr erforderlichen Voraussetzungen nicht besäßen, erhebliche Gefahren für Leben und Gesundheit der übrigen Verkehrsteilnehmer ausgingen. Dies gelte insbesondere für Kraftfahrer, die nicht über die notwendigen körperlichen oder gesundheitlichen Voraussetzungen verfügten. Aufgabe der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde sei somit, die Masse der übrigen Verkehrsteilnehmer vor den Gefahren, die von solchen Verkehrsteilnehmern ausgingen, wirksam zu schützen. Dies könne allein durch die Anordnung des sofortigen Vollzugs erreicht werden, da ansonsten der Betroffene durch Einlegung der zulässigen Rechtsbehelfe den Eintritt des durch den Bescheid beabsichtigten Schutzzweckes auf längere Zeit hinausschieben könne. Dies könne nicht im Interesse eines gefahrlosen Ablaufs des Straßenverkehrs hingenommen werden. Da die Fahrerlaubnis durch Sofortvollzug entzogen werde, könne bei einem vorläufigen Belassen des Führerscheins ein falscher Rechtsschein über den Besitz der Fahrerlaubnis entstehen, indem ein Inhaber eines Führerscheins bei berechtigten Behörden (z. B. Polizei im In- und Ausland) sich durch die Vorlage dieses Führerscheins als Inhaber einer gültigen Fahrerlaubnis darstellen könne. Um diesem falschen Rechtsschein gegenüber Behörden mit Polizeibefugnissen und somit die Gefahr von falschen sicherheitsrechtlichen Entscheidungen entgegenzuwirken, sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung erforderlich. Die Androhung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz. Die Kostenentscheidung beruhe auf § 6a StVG, §§ 3 und 4 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr i. V. m. Nr. 206 des Gebührentarifs. Auf den dem Antragsteller am 30. September 2021 zugestellten Bescheid wird im Übrigen verwiesen.
Mit Schreiben vom 13. Oktober 2021 forderte das Landratsamt die Abgabe des Führerscheins bis zum 25. Oktober 2021. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 stellte das Landratsamt das angedrohte Zwangsgeld fällig und gab dem Antragsteller auf, den Führerschein nunmehr bis zum 12. November 2021 abgegeben mit Hinweis darauf, dass ansonsten das Landratsamt die Polizei mit der Einziehung des Führerscheins im Wege des unmittelbaren Zwangs beauftragen werde.
Am 28. Oktober 2021 ließ der Antragsteller gegen den Bescheid vom 29. September 2021 beim Landratsamt per Telefax Widerspruch erheben (Eingang 16:23 Uhr), über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist. Vorgelegt wurde ein weiteres Zeugnis über eine augenärztliche Untersuchung des Sehvermögens (Anlage 6 Nr. 2.2 der Fahrerlaubnisverordnung) des Augenarztes Dr. S. vom 30. September 2021 für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2021 bat das Landratsamt den Bevollmächtigten, seinen Widerspruch gegen den Entzugsbescheid bis zum 12. November 2021 zu begründen, ansonsten werde das Verfahren der Regierung von Unterfranken vorgelegt.
3. Ebenfalls am 28. Oktober 2021 ließ der Kläger Klage (W 6 K 21.1414, Eingang: 16:34 Uhr) erheben, über die noch nicht entschieden ist und im zugrundeliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen den Bescheid des Landratsamts M.-S. vom 29. September 2021 anzuordnen (Antragsschriftsatz vom 28.10.2021) bzw. die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Bescheid vom 29. September 2021 wiederherzustellen und die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffern 1 und 2 des Bescheides der Beklagten 25. September 2021 aufzuheben (Schriftsatz vom 27.11.2021).
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2021 ausgeführt, der Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger sei zu Unrecht die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Führerscheinklasse A79, A1, M, B, BE und L entzogen worden. Zu Unrecht sei auch die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffern 1 und 2 des angefochtenen Bescheides angeordnet worden. Der Antragsteller habe unter dem Datum 30. September 2021 ein Zeugnis über die augenärztliche Untersuchung des Sehvermögens (Anlage 6 Nr. 2.2 der Fahrerlaubnisverordnung) beigebracht, wonach die Anforderungen der Anlage 6 Nr. 1.2 bzw. 2.1/2.2 der FeV mit Sehhilfe erreicht würden.
Mit Schriftsatz vom 17. November 2021 ließ der Antragsteller ergänzend vortragen, es werde bestritten, dass der Kläger am 27. März 2021, gegen 12:29 Uhr, wegen seiner Fahrweise im Straßenverkehr auffällig geworden sei. Richtig sei lediglich, dass der Kläger an diesem Tag von einer Polizeibeamtin in Zivil angehalten worden sei, Auffälligkeiten bei seiner Fahrweise im Straßenverkehr habe es zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben. Der Antragsteller sei äußerst besonnen und langsam gefahren und habe insbesondere die rechte Fahrspur eingehalten. Bestritten werde, dass der Kläger mit der linken Fahrzeugseite über die Mittellinie der Fahrspur geraten sei, mit seinem Fahrzeug geschlingert habe, dieses beschleunigt bzw. abbremst habe aus nicht nachvollziehbaren Gründen. Der Antragsteller habe sich freiwillig der Verkehrskontrolle unterzogen. Der freiwillige Atemalkoholtest sei negativ geblieben. Der Antragsteller nehme auch keine Drogen. Beim Antragsteller bestünden keinerlei gesundheitliche Zweifel, die seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Verkehr ausschlössen. Zum Beweis hierfür werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Das Landratsamt habe den Antragsteller mit Schreiben vom 29. April 2021 aufgefordert, zur Klärung seiner Fahreignung ein Gutachten eines Facharztes vorzulegen. Nachdem es infolge von Corona immer wieder zu Verzögerungen gekommen sei, die der Antragsteller nicht zu vertreten habe, habe er der Beklagten zuletzt das Zeugnis über die augenärztliche Untersuchung und des Sehvermögens des Antragstellers durch Zeugnis des Augenarztes Dr. S. vom 30. September 2021 vorgelegt. Der Mitarbeiter des Landratsamtes sei aufgefordert worden, die Führerscheinakte dem T T … in W … vorzulegen, damit dort eine Begutachtung des Antragstellers erfolge. Dieser habe die Akte nicht dorthin übersandt, sondern dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen. Es sei somit unterlassen worden, dem Antragsteller rechtliches Gehör zu gewähren, stattdessen erreichten den Antragsteller jetzt zu Unrecht wöchentliche Mahnungen und Zwangsgeldandrohungen.
Die Beklagte habe das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides nicht in der den Anforderungen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechenden Weise dargelegt. Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiege das private Adresse an einer Außervollzugsetzung des Verwaltungsakts, weil ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestünden. Der Antragsteller habe sich unabhängig von der Anordnung der hiesigen Begutachtung in regelmäßigen Abständen in Behandlung befunden und habe hierüber Bescheinigungen vorgelegt (ärztliche Bescheinigungen des Arztes Dr. K. vom 27.9.2017, 25.8.2018, 8.10.2018, 21.5.2019, 8.7.2019, 1.2.2020 und vom 17.6.2021 sowie Zeugnis über die augenärztliche Untersuchung des Sehvermögens Dr. S. vom 21.3.2018). Aktuell befindet sich der Antragsteller in augenärztlicher Behandlung und lasse sich von Dr. S. seine Augen untersuchen. Danach bestätige der Augenarzt aufgrund der Untersuchung des Antragstellers vom 30. September 2021 ein ausreichendes Sehvermögen und dass die Anforderungen nach Anlage VI Nr. 1.2 bzw. 2.1/2.2 der Fahrerlaubnisverordnung mit Sehhilfe erreicht werden. Auflagen und Beschränkungen seien nur bezüglich einer Sehhilfe erforderlich. Der Antragsteller trage beim Autofahren eine Brille. Mit dem vorgelegten augenärztlichen Zeugnis vom 30. September 2021 sei belegt, dass der Antragsteller am Straßenverkehr teilnehmen könne. Die Beklagte vermute lediglich die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, was jedoch durch das neueste augenärztliche Zeugnis vom 30. September 2021 widerlegt sei. Damit sei auch der Schluss des Landratsamts auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausreichend widerlegt. Dem Kläger könne nicht vorgeworfen werden, aus Gründen, die er nicht zu vertreten habe, kein Gutachten vorzulegen. Das Landratsamt mache ihm sogar unmöglich, ein Gutachten vorzulegen, weil es sich weigere, die amtliche Akte an die Begutachtungsstelle zu senden. Allgemein sei bekannt, dass durch Corona-Erkrankungen es immer wieder zu Verzögerungen auch bei ärztlichen Behandlungen komme, die der allgemeinen Situation nicht geschuldet gewesen seien. Der Antragsteller sei bereit, sich jederzeit einer ärztlichen Untersuchung und Begutachtung zu stellen und daran mitzuwirken. Der Antragsteller habe auf Anordnung des Antragsgegners das Schreiben der überörtlichen Gemeinschaftspraxis Dr. K. und Kollegen vom 22. Januar 2019 vorgelegt. Darin werde bestätigt, dass der Antragsteller sich weiterhin in regelmäßiger diabetologischer Betreuung in der diabetologischen Schwerpunktpraxis befinde. Die Vorstellung erfolge derzeit in ein- bis zweimonatigen Abständen, zuletzt am 10. Dezember 2018 und zum Auslesen der aktuellen Glukosesensordaten am 14. Januar 2019 (Schreiben Dr. K vom 22.1.2019). Die Therapiekontrolle erfolge inzwischen mittels eines kontinuierlichen Glukosemonitorsystems. Die Selbstdokumentation des Gewebszuckerwertes und der Insulintherapie werde täglich durchgeführt. Es werde nach dem letzten Protokoll vom Dezember und der ersten Januarhälfte 10 bis 12 Scans (Kontrollen zu den Gewebsglukosewerten) täglich durchgeführt. Schwere Unterzuckerungen seien seit dem 23. Mai 2017 nicht mehr aufgetreten. Die Stoffwechsellage könne als ausreichend stabil gewertet werden. Der Antragsteller sei sich seiner Hypoglykämieneigung und Hypoglykämiewahrnehmungsstörung bewusst und verhalte sich entsprechend vorsichtig. Vor den (eher seltenen und kurzen) Autofahrten erfolge immer eine Kontrolle der Gewebszuckerwerte. Bei Werten unter 120 mg/dl würden adäquat schnelle und mittelschnelle Kohlehydrateinheiten zugeführt. Entsprechende Traubenzuckerpräparate würden immer (in der Hosentasche, Jackentasche und Tasche) mitgeführt und seien auch im Fahrzeug griffbereit deponiert. Ein Fahrtenbuch werde nicht geführt, da man dies dem Antragsteller nicht zur Auflage gemacht habe. Insgesamt werde dem Kläger bescheinigt, dass er seinen Auflagen durchgehend nachkomme, sich weiter in regelmäßiger diabetologischer Behandlung/Betreuung mit entsprechenden Kontrollen, insbesondere auch der augenärztlicher Kontrolle, befinde und weiterhin von seiner Fahreignung ausgegangen werden könne. Der Antragsteller mache auf Rat des Bevollmächtigten derzeit von der Benutzung seiner Fahrerlaubnis keinen Gebrauch und lassen sich mit dem Taxi oder öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Auf den Schriftsatz und die als Anlage beigefügten ärztlichen Bescheinigungen (Dr. K. und Kollegen vom 27.9.2017, 25.8.2018, 8.10.2018, 21.5.2019, 8.7.2019, 1.12.2020, 17.6.2021 sowie die augenärztlichen Zeugnisse Dr. S. vom 21.3.2018, 3.1.2020 und 30.9.2021) wird verwiesen.
Das Landratsamt beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf die Ausführungen im Bescheid vom 29. September 2021 verwiesen und ergänzend ausgeführt: Der Antragsteller habe trotz mehrfacher Fristverlängerung und Aufforderung kein Gutachten vorgelegt. Das erstmals am 30. September 2021 eingegangene augenärztliche Attest erfülle nicht die Voraussetzungen eines Gutachtens einer anerkannten Begutachtungsstelle und könne daher nicht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts führen. Die Anordnung des Sofortvollzugs der Ziffern 1 und 2 des Bescheides sei formell rechtmäßig. Die Begründung des Sofortvollzugs gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO sei nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall sei eine auf den Einzelfall eingehende und nicht bloß formelhafte Begründung erfolgt. Eine Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses gegen das Suspensivinteresse des Antragstellers falle vorliegend zu dessen Lasten aus. Der Bescheid vom 29. September 2021 sei offensichtlich rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV seien erfüllt. Bereits 2017 sei ein Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung des Antragstellers eingeleitet worden, da er im Straßenverkehr aus gesundheitlichen Gründen auffällig geworden sei. Da die Polizei nunmehr am 16. April 2021 erneut eine Meldung über einen derartigen Vorfall gemacht habe, sei die Einholung eines Gutachtens eingefordert worden (§ 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3, § 11 Abs. 8 FeV). Das angeordnete Gutachten sei nicht beigebracht worden, sodass von einer fehlenden Fahreignung auszugehen sei und der Entzug der Fahrerlaubnis und die Einziehung des Führerscheins rechtmäßig erfolgt seien. Auch müsse darüber hinaus die Interessenabwägung durch die bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Straßenverkehr zu Ungunsten des Antragstellers ausfallen. Die Interessen des Antragstellers überwögen nicht das öffentliche Interesse daran, dass der Antragsteller zunächst bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr am Straßenverkehr teilnehmen könne. Die wirtschaftlichen und sonstigen Nachteile, die für den Antragsteller mit der Entziehung der Fahrerlaubnis verbunden seien, müssten im Hinblick auf den hohen Rang der durch die Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Fahrerlaubnisinhabers gefährdeten Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer zurücktreten.
Mit Schriftsatz vom 22. November 2021 führte das Landratsamt ergänzend aus, dass durch eine Zeugenaussage zweifelsfrei feststehe, dass der Antragsteller sein Fahrzeug unsicher gesteuert habe. Der Antragsteller habe das angeforderte Gutachten in Auftrag gegeben, eine Fristverlängerung sei gewährt worden. Die nun vorgelegten Atteste und ärztlichen Bescheinigungen könnten nicht zu einer anderen Bewertung des Sachverhalts führen und das angeforderte Gutachten nicht ersetzen. Im Interesse der Verkehrssicherheit habe eine weitere Verzögerung durch die Beauftragung einer neuen und zusätzlichen Begutachtungsstelle nicht hingenommen werden können. Deshalb sei auch der Sofortvollzug angeordnet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
1. Bei sachgerechter Auslegung des erhobenen Antrags (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) begehrt der Antragsteller die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. September 2021 gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen bzw. wiederherzustellen. Dieser Antrag ist zulässig und insbesondere statthaft.
Der Antragsteller hat am 28. Oktober 2021 (eingegangen per Telefax um 16:32 Uhr) beim Landratsamt Widerspruch erheben lassen, der nach Aktenlage noch anhängig ist und über den noch nicht entschieden ist. Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 17. November 2021 weiterhin beantragt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers wiederherzustellen und die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffern 1 und 2 des Bescheides vom 29. September 2021 aufzuheben, so handelt es sich nicht um weitergehende eigenständige Anträge, die vom zugrunde liegenden Verfahren abzutrennen wären (§ 93 VwGO), sondern diese wurden im Rahmen des bereits anhängigen Eilverfahrens (W 6 S 21.1417) im Hinblick auf die neben dem Widerspruch erfolgte Klageerhebung formuliert. Eine entsprechende Auslegung des Antrags im Sinne einer weiteren eigenständigen Antragserhebung würde sich auch verbieten, da ein solcher Antrag (derzeit) unzulässig wäre, da die am 28. Oktober 2021 erhobene Klage (eingegangen bei Gericht um 16:34 Uhr) im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unzulässig ist. Bei der Möglichkeit eines fakultativen Widerspruchsverfahrens wie im vorliegenden Fall (s. Art. 15 Abs. 1 Nr. 6 AGVwGO; hierzu BayVGH, B. v. 15.4.2020 – 11 CS 20.316 – juris; siehe auch die zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung) ist im Falle der Erhebung von Widerspruch und Klage vorrangig das Widerspruchsverfahren zu betreiben und eine dennoch erhobene Klage ist unzulässig. Dies gilt in jedem Fall dann, wenn der Widerspruch zeitlich vorhergehend erhoben wird (Art. 15 Abs. 2 Satz 3 AGVwGO; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 68 Rn. 17a). Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat auf eine telefonische Nachfrage des Gerichts am 24. November 1021 auch bestätigt, dass durch die Formulierung der Anträge im Begründungsschriftsatz vom 17. November 2021 nicht beabsichtigt gewesen sei, ein weiteres Eilverfahren im Hinblick auf die erhobene Klage zu eröffnen und dass der erhobene Widerspruch noch anhängig ist.
Der zulässige Antrag ist jedoch unbegründet. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts liegen die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8, § 46 Abs. 1 FeV für den Entzug der Fahrerlaubnis vor, so dass dem erhobenen Widerspruch kein Erfolg beigemessen werden kann. Zwar wird für die abschließende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung letztlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier der Erlass des noch ausstehenden Widerspruchsbescheides, maßgeblich sein. Inwieweit die Widerspruchsbehörde im Hinblick auf die erklärte Begutachtungsbereitschaft des Antragstellers sich veranlasst sieht, ggf. eine nochmalige Begutachtung zu ermöglichen, kann dahingestellt bleiben. Die Kammer sah sich auch im Rahmen der Abwägung der gegenseitigen Interessen bei noch offenen Widerspruchsverfahren im Hinblick auf das vorgelegte ärztliche Attest der überörtlichen Gemeinschaftspraxis Dr. K. und Kollegen vom 1. Dezember 2020 nicht veranlasst, eine entsprechend verpflichtende Entscheidung zugunsten des Antragstellers (z. B. mit Maßgaben) zu treffen. Im Einzelnen:
2. Die aufschiebende Wirkung des erhobenen Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (Nr. I und II des Bescheides) entfällt im vorliegenden Fall, weil die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Soweit in Nr. 3 des Bescheides ein Zwangsgeld (Art. 31 VwZVG) angedroht wurde, ist der Bescheid kraft Gesetzes sofort vollziehbar (Art. 21a VwZVG, § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). In diesen Fällen kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung des erhobenen Rechtsbehelfs (hier des Widerspruchs) im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 – 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 85 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
2.1 Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid genügt den lediglich formell-rechtlichen Anforderungen. Sie zeigt, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war und enthält die Erwägungen, die er für die Anordnung des Sofortvollzugs als maßgeblich angesehen hat. Dass in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle betreffend die Ungeeignetheit von Kraftfahrern das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch ist und die fahrerlaubnisrechtliche Anordnung der sofortigen Vollziehung ähnlich begründet wird, ändert an deren Einzelfallbezogenheit nichts (vgl. etwa BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris; B.v. 15.6.2016 – 11 CS 16.879 – juris).
2.2 Eine summarische Prüfung, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmen ist, ergibt, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 29. September 2021 mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird. Der Antragsteller hat das zu Recht angeordnete ärztliche Gutachten ohne ausreichenden Grund nicht beigebracht, weshalb gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen war.
2.2.1 Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder nur bedingt geeignet ist, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 – 14 FeV entsprechende Anwendung. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde bei Eignungszweifeln die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV auch von einem für die Fragestellung zuständigen Facharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation oder von einem Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 erfüllt (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV).
Nach § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festzulegenden Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV). Der Betroffene hat die Fahrerlaubnisbehörde darüber zu unterrichten, welche Stelle er mit der Untersuchung beauftragt hat (§ 11 Abs. 6 Satz 3 FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde teilt der untersuchenden Stelle mit, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind, und übersendet ihr die vollständigen Unterlagen, soweit sie unter Beachtung der gesetzlichen Verwertungsverbote verwendet werden dürfen (§ 11 Abs. 6 Satz 4 FeV). Die Untersuchung erfolgt aufgrund eines Auftrages durch den Betroffenen (§ 11 Abs. 6 Satz 5 FeV). Die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens unterbleibt, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht (§ 11 Abs. 7 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Der Betroffene ist hierauf bei der Anordnung nach Abs. 6 hinzuweisen (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV).
An die Einhaltung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Folgen für den Betroffenen (Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, ggf. Entzug der Fahrerlaubnis) gravierend sind und ein Rechtsbehelf gegen die Gutachtensanforderung selbst als unselbständige Maßnahme der Beweiserhebung (§ 44a VwGO) nicht gegeben ist. Deshalb kann nur die Einhaltung der formellen und materiellen Voraussetzungen, insbesondere ein ausdrücklicher Hinweis auf die Konsequenzen der Nichtvorlage eines Gutachtens, die Entscheidung des Betroffenen umfassend gewährleisten. Der Schluss auf die Nichteignung nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist somit nur zulässig, wenn der Betroffene bei der Anordnung auf diese Rechtsfolge gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV hingewiesen wurde und die Anordnung, ein ärztliches bzw. medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, rechtmäßig ist. Dies setzt voraus, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig ist, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sowie hinreichend bestimmt ist und die Weigerung des Betroffenen ohne ausreichenden Grund erfolgt ist (BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 51 m. w. Hinweisen auf weitere Rspr.). Ermessen besteht im Rahmen des Schlusses auf die Nichteignung gemäß § 11 Abs. 8 FeV nicht (BayVGH, B. v. 31.10.2014 – 11 CS 14.1627 – juris).
2.2.2 Die genannten Voraussetzungen für den Schluss auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV sind hier nach summarischer Prüfung gegeben.
Vorliegend bestand mit dem Vorfall vom 27. März 2021, auf den in der Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens vom 29. April 2021 Bezug genommen wird, ein hinreichender Anlass, ein solches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen. Der Antragsteller ist an diesem Tag erneut im Straßenverkehr auffällig geworden („Schlangenlinien fahren“, nicht nachvollziehbares starkes Bremsen und Beschleunigen, Uneinsichtigkeit), ohne dass dies auf Alkohol- oder Drogenkonsum hätte zurückgeführt werden können. Die PI W.-Land vermutete gesundheitliche Einschränkungen und gab an, dass nach ihren Erkenntnissen der Antragsteller bereits im Zusammenhang mit einer Diabeteserkrankung auffällig geworden war (Sachverhaltsdarstellung der PI W.-Land im Rahmen der Ereignismeldung vom 16.4.2021). Soweit der Antragsteller in Abrede stellt, dass er an diesem Tag im Straßenverkehr Auffälligkeiten gezeigt haben soll, er insbesondere keine Schlangenlinien gefahren sei und auch nicht auf die Gegenfahrbahn geraten sei, so kann diesem pauschalen Vorbringen kein durchgreifendes Gewicht beigemessen werden. Die Angaben der PI W.-Land fußten auf den ausführlichen Angaben der Zeugin F., einer Polizeibeamtin, die mit ihrem Fahrzeug hinter dem Pkw des Antragstellers auf der B 8 auf der Höhe von Wa … bis zum Parkplatz des Penny-Markts in Ü … gefahren war und die sich dort später gegenüber dem Antragsteller mit ihrem Dienstausweis auswies. Deren Beobachtungen (s. Zeugenschaftlicher Bericht, Bl. 72 der Behördenakte) sind detailliert und eindeutig, Belastungstendenzen sind nicht erkennbar und wurden auch von der PI W.-Land nicht gesehen. Vor diesem Hintergrund und den Erkenntnissen aus der vormaligen Überprüfung der Fahreignung des Antragstellers im Zusammenhang mit einem Unfallgeschehen am 23. Mai 2017 infolge einer Hypoglykämie (Unterzuckerung) beim Führen eines Kraftfahrzeugs, genügt ein einfaches Bestreiten der festgestellten Verkehrsauffälligkeiten nicht. Im Hinblick auf das erst im Juli 2019 abgeschlossene Verfahren im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen am 23. Mai 2017 und dem sich anschließenden Verfahren zur Überprüfung von Auflagen (Erklärung des Antragstellers vom 28.3.2018) im Zusammenhang mit der Diabeteserkrankung des Antragstellers, in dem erst mit Erklärung des Landratsamts vom 9. Juli 2019 von der Vorlage weiterer ärztlicher Atteste Abstand genommen worden war, bedurfte es auch nicht zunächst der weiteren Anforderung von ärztlichen Attesten zu vorherigen Aufklärung (BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris; siehe hierzu die nachfolgenden Ausführungen). Nach den in dem vorangegangenen Verfahren gewonnenen Erkenntnissen lag die Annahme nahe, dass wiederum die Diabeteserkrankung und evt. Folgeerkrankungen des Antragstellers Anlass für die neuerlich festzustellenden Verkehrsauffälligkeiten gewesen sind. Auch war dem Antragsteller aus den Formulierungen der von ihm abgegebenen Erklärung vom 28. März 2018, in der er sich verpflichtet hatte, Auflagen zur Kontrolle seiner Diabeteserkrankung einzuhalten, bekannt, dass das Landratsamt seine Fahreignung erneut werde prüfen müssen, sofern Zweifel an der Einhaltung der Auflage entstehen oder es zu Auffälligkeiten im Straßenverkehr kommt (siehe Satz 3 der Erklärung vom 28.3.2018). Ein hinreichender Anlass für eine erneute Überprüfung der gesundheitlichen Situation des Antragstellers im Zusammenhang mit der bekannten Diabeteserkrankung lag somit vor. Aus dem Vorfall vom 27. März 2021 ergaben sich somit hinreichende Anhaltspunkte für die Veranlassung einer ärztlichen Begutachtung im Zusammenhang mit der Diabeteserkrankung als fahreignungsrelevante Erkrankung gemäß Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV.
Die Fragestellung in der Gutachtensanforderung ist nicht zu beanstanden, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
Aus Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen je nach vorliegender Form und Intensität der Diabeteserkrankung und je nachdem, ob Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 (Fahrerlaubnisklassen A und B) oder der Gruppe 2 (Fahrerlaubnisklassen C und D) betroffen sind. Maßgebend sind im Fall des Antragstellers die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1. So ist nach Nr. 5.3 der Anlage 4 zur FeV die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 uneingeschränkt gegeben, wenn eine ausgeglichene Stoffwechsellage unter der Therapie mit Diät oder oralen Antidiabetika mit niedrigem Hypoglykämierisiko vorliegt. Liegt eine Neigung zu schweren Stoffwechselentgleisungen bzw. eine erstmalige Stoffwechselentgleisung (Nr. 5.1 bzw. 5.2 der Anlage 4 zur FeV) oder eine medikamentöse Therapie mit hohem Hypoglykämierisiko (z. B. Behandlung mit Insulin) vor, so sieht Nr. 5.4 der Anlage 4 zur FeV vor, dass die Fahreignung für die Gruppe 1 nur bei ungestörter Hypoglykämiewahrnehmung gegeben ist. Im Falle wiederholt auftretender schwerer Hypoglykämien im Wachzustand (Nr. 5.5 der Anlage 4 zur FeV) ist die Fahreignung für Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 für die Dauer von drei Monaten nach dem letzten Ereignis nicht gegeben. Eine stabile Stoffwechsellage und eine ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung sind sicherzustellen und es bedarf einer fachärztlichen Begutachtung. Nummer 5.6 der Anlage 4 zur FeV verweist auf mögliche Folgekomplikationen einer Diabeteserkrankung, die sowohl im Fall einer Hypo- als auch einer Hyperglykämie eine Vielzahl von Organe des Körpers schädigen kann (siehe die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrteignung der Bundesanstalt für Straßenwesen, Stand 31.12.2019, Kap. 3.5). In Nr. 5.6 der Anlage 4 zur FeV wird diesbezüglich auf die Nr. 1 (mangelndes Sehvermögen), Nr. 4 (Herz- und Gefäßkrankheiten), Nr. 6 (Krankheiten des Nervensystems) und Nr. 10 (Nierenerkrankungen) verwiesen.
Im Falle des Antragstellers war in der Vergangenheit ein Diabetes mellitus Typ I diagnostiziert worden mit Verordnung eines Insulinmedikaments, der ständiger diabetologischer Überwachung bedurfte (siehe die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen der überörtlichen Gemeinschaftspraxis Dr. K. und Kollegen vom 27.9.2017, 25.8.2018, 8.10.2018, 22.1.2019, 21.5.2019 und 8.7.2019), der der Antragsteller im Rahmen der verhängten Auflagen (Erklärung vom 28.3.2018) weitgehend nachkam (mit Ausnahme der Führung eines Fahrtenbuchs), an deren Einhaltung nach den Verkehrsauffälligkeiten vom 27. März 2021 jedoch erneut zu zweifeln war. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, wenn das Landratsamt in der Anordnung zur ärztlichen Begutachtung vom 6. Mai 2021 im Zusammenhang mit der erneuten Auffälligkeit im Straßenverkehr am 27. März 2021 und dem Hinweis auf ein bereits 2017 wegen einer Diabeteserkrankung eingeleitetes Fahreignungsüberprüfungsverfahren nach Erkrankungen fragt, die nach den Nummern 4 (Herz und Gefäßkrankheiten), 5 (Diabetes mellitus) und 6 (Krankheiten des Nervensystems) der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung ausschließen. Soweit hierbei insbesondere auf eine altersbedingte Krankheit des im Jahr 1955 geborenen Antragstellers abgestellt wird, begreift das Gericht dies vorrangig vor dem Hintergrund einer bereits langjährig (seit 11/1985) bestehenden Diabeteserkrankung.
Die Anordnung der Fahreignungsbegutachtung verstieß im vorliegenden Fall auch nicht deshalb gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil das Landratsamt zuvor nicht zunächst ein ärztliches Attest eines behandelnden Arztes angefordert hat. Zwar kann aufgrund der Häufigkeit der Diabeteserkrankung in der Bevölkerung die bloße Diagnose einer Diabetes mellitus nicht ohne weiteres die sofortige Anordnung einer Begutachtung rechtfertigen, sondern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es, dass sich die Fahrerlaubnisbehörde vor einer Begutachtungsanordnung Kenntnis über Art und Schwere der Erkrankung – etwa durch die Vorlage eines ärztlichen Attestes durch den behandelnden Arzt – verschafft, inwieweit ausreichende Anhaltspunkte für eine eventuelle Ungeeignetheit des Betreffenden nach Nrn. 5.1 – 5.4 der Anlage 4 zur FeV vorliegen könnten (BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris). Ein solcher Fall, wie vom BayVGH im genannten Beschluss entschieden (bekannt war dort lediglich die Diagnose Diabetes mellitus und eine Begutachtung wurde sofort ohne weitere Anhörung angeordnet), liegt im vorliegenden Fall jedoch nicht vor, da aus dem 2017 eingeleiteten Überprüfungsverfahren, das erst mit Schreiben des Landratsamts vom 9. Juli 2019 aufgrund der Nachuntersuchungen und der vorgelegten Atteste eingestellt worden war, die Diabeteserkrankung des Antragstellers bereits bekannt war.
Auch die Fristsetzung zur Beibringung des ärztlichen Gutachtens, zunächst bis zum 15. Juli 2021, später verlängert bis zum 31. August 2021, war angemessen. Es bestanden und bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller nicht in der Lage gewesen wäre, innerhalb der gesetzten Frist das geforderte Gutachten beizubringen. Eine substantiierte Darlegung von Gründen, weshalb es nicht möglich gewesen wäre, das geforderte Gutachten innerhalb der gesetzten Frist bei der T S … … GmbH erstellen zu lassen, liegt nicht vor. Zwar ergaben sich Verzögerungen im Zusammenhang mit der gewünschten Akteneinsicht durch den Bevollmächtigten, was das Landratsamt zu einer ersten Fristverlängerung bis zum 30. Juli 2021 veranlasste, und es teilte die T S … … GmbH auch mit Schreiben vom 16. August 2021 mit, dass sich die Rücksendung der Akte verzögere. Auf die Anfrage des Landratsamts mit Schreiben vom 27. August 2021, bis zum 15. September 2021 mitzuteilen, bis wann die Begutachtung abgeschlossen sei, übermittelte die T S … … GmbH mit Schreiben vom 6. September 2021 jedoch die Fahrerlaubnisunterlagen ohne weitere Stellungnahme. Dieses Vorgehen spricht erfahrungsgemäß dafür, dass der Begutachtungsprozess entweder abgebrochen wurde oder das Gutachten nicht den erwünschten Inhalt hatte. Dass der Antragsteller auf Hinweis des Landratsamts, das Gutachten nunmehr vorzulegen, ohne weitere Begründung die Übermittlung der Fahrerlaubnisakten an die p …- … GmbH und später an die T T … GmbH erbat, stellt keinen hinreichenden Grund für eine (auch nachträgliche) weitere Fristverlängerung, über die die Fahrerlaubnisbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet (Art. 37 BayVwVfG), dar.
Auch die sonstigen Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV liegen vor. Der Antragsteller wurde insbesondere auf die Folgen der Nichtvorlage des Gutachtens bzw. dessen nicht rechtzeitiger Vorlage nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV in der Gutachtensanordnung hingewiesen.
2.2.3 Auch die sonstigen Einwendungen des Antragstellers greifen nicht durch. Die vorgelegten ärztlichen Unterlagen (Gemeinschaftspraxis Dr. K und Kollegen vom 27.9.2017, 25.8.2018, 8.10.2018, 21.5.2019, 8.7.2019, 1.12.2020, 17.6.2021 sowie die augenärztlichen Zeugnisse Dr. S. vom 21.3.2018, 3.1.2020 und 30.9.2021) und der diesbezügliche Vortrag des Antragstellers beziehen sich überwiegend auf das Überprüfungsverfahren bezüglich seiner Fahreignung im Jahr 2017 und die anschließende Überwachung der Einhaltung der Auflagen und hat somit keine Aussagekraft bezüglich des aktuellen Stands seiner Erkrankung und seiner Fahreignung, zumal sich bei einer Diabeteserkrankung die Voraussetzungen für die Fahreignung auch schnell ändern können. Dass der Antragsteller nach den neueren vorgelegten ärztlichen Attesten ein ausreichendes Sehvermögen für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 besitzt (augenärztliches Zeugnis Dr. S. vom 30.9.2021), ersetzt nicht eine (umfassende) ärztliche Begutachtung seiner Diabeteserkrankung und deren Folgen insgesamt. Das erstmals im gerichtlichen Verfahren vorgelegte aktuellere ärztliche Attest der Gemeinschaftspraxis Dr. K. und Kollegen vom 1. Dezember 2020 lässt das Krankheitsbild des Antragstellers zwischenzeitlich erheblich verschlechtert erscheinen.
Da der Antragsteller das somit zu Recht geforderte weitere Gutachten wegen seiner Diabeteserkrankung nicht innerhalb der gesetzten Frist beigebracht hat, war der Schluss auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV zutreffend. Die Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheides auf der Grundlage des § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV war deshalb zwingend und im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht zu beanstanden.
2.3 Auch die übrigen Regelungen des Bescheids (Ablieferungspflicht des Führerscheins in Nr. 2 und Androhung unmittelbaren Zwangs in Nr. 3 sowie die Kostenentscheidung in Nr. 5 und 6) sind nicht zu beanstanden. Hinweise auf eine eventuelle Rechtswidrigkeit dieser Regelungen sind weder erkennbar noch vorgetragen. Insofern verweist das Gericht auf die Begründung des Bescheides, der es folgt, und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO entsprechend).
3. Auch eine Abwägung der gegenseitigen Interessen kann dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Im Rahmen einer allgemeinen Interessenabwägung kommt eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen den für sofort vollziehbar erklärten Entzug der Fahrerlaubnis in der Regel nur dann in Betracht, wenn hinreichende gewichtige Gründe dafür sprechen, dass der Betroffene nicht bzw. nicht mehr fahrungeeignet ist oder sich abschätzen lässt, dass das von ihm ausgehende Gefahrenpotenzial nicht nennenswert über dem des Durchschnitts anderer motorisierter Verkehrsteilnehmer liegt. Solche hinreichend gewichtigen Gründe sind im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht ersichtlich. Aufgrund der nicht geklärten Fahreignung besteht Anlass zu der Annahme, dass eine aktive Teilnahme des Antragstellers am öffentlichen Straßenverkehr derzeit eine Gefahr für die Sicherheit begründet, die deutlich über der allgemein mit der Zulassung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr verbundenen Gefahr liegt. Wie oben dargestellt, ist die Fahreignung des Antragstellers nicht geklärt und dieser war bisher nicht bereit, in ausreichendem Maße an der Klärung der Eignungszweifel mitzuwirken. Auch wenn der Antragsteller nunmehr im noch offenen Widerspruchsverfahren seine Bereitschaft erklärt hat, sich begutachten zu lassen, ist andererseits zu sehen, dass nach dem zuletzt vorgelegten ärztlichen Attest der überörtlichen Gemeinschaftspraxis Dr. K. vom 1. Dezember 2020 sich sein Gesundheitszustand im Vergleich zu den vorhergehenden ärztlichen Bescheinigungen als verschlechtert darstellt, insbesondere werden dem Antragsteller „Probleme im Umgang mit Therapieanforderungen im Alltag (F 54)“ und „Non Compliance (Z 91.1)“ bescheinigt neben einer Vielzahl von Folgeerkrankungen. Des Weiteren wird im Rahmen der Anamnese ausgeführt, dass es bereits zu 34 Hypoglykämien im Aufzeichnungszeitraum mit einer durchschnittlichen Dauer von 111 Minuten gekommen sei. Der Verlauf über Nacht sei sehr wechselhaft zwischen hypoglykämisch und deutlich überhöht. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass von dem Antragsteller aktuell keine weitere Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs als von sonstigen Verkehrsteilnehmern ausgeht. Der Verdacht des Landratsamts, dass der Antragsteller Eignungsmängel verbergen will, ist deshalb nachvollziehbar. Auch wenn es der Widerspruchsbehörde im Hinblick auf die erklärte Begutachtungsbereitschaft des Antragstellers nicht verwehrt wäre, ggf. eine nochmalige Begutachtung zu ermöglichen, sieht die Kammer bei Abwägung der gegenseitigen Interessen auch im Hinblick auf das noch offene Widerspruchsverfahren und das vorgelegte ärztliche Attest der überörtlichen Gemeinschaftspraxis Dr. K. und Kollegen vom 1. Dezember 2020 keinen Anlass, eine entsprechend verpflichtende Entscheidung zugunsten des Antragstellers etwa in Form einer Maßgabe zu treffen. Nach derzeitigem Stand ist nicht verantwortbar, den Antragsteller bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides und bis zur eventuellen Bestandskraft der Fahrerlaubnisentziehung unter Belassung eines gültigen Führerscheins am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Die privaten Interessen können dabei keine ausschlaggebende Rolle zu Gunsten des Antragstellers spielen. Die mit der Fahrerlaubnisentziehung für den Antragsteller verbundenen Nachteile in Bezug auf seine private Lebensführung müssen von ihm im Hinblick auf den hohen Rang der durch die Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Kraftfahrers gefährdeten Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit sowie im Hinblick auf das überwiegende Interesse der Verkehrssicherheit hingenommen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt nach § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Für die Höhe des Streitwerts waren hier die Klassen A1 und B maßgebend, die die anderen Klassen mit umfassen (Nr. § 6 Abs. 3 FeV) und die gemäß Nr. 46.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 mit dem halben Auffangstreitwert und dem Auffangstreitwert (5.000,00 EUR) zu bewerten sind. Der sich so ergebende Streitwert von 7.500,00 EUR war gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für das Eilverfahren zu halbieren, sodass 3.750,00 EUR festzusetzen waren.


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