Medizinrecht

Einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege nicht vom Leistungsumfang einer ambulanten Pflegewohngruppe umfasst

Aktenzeichen  L 5 KR 404/19

Datum:
20.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 44516
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V  § 13 Abs. 3, § 37 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4
HKP-RL § 2b Abs. 1
SGB XI § 36, § 38a, § 45b, § 71 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ambulante Pflegewohngruppen sind hinsichtlich der Verpflichtung zu einfachsten Maßnahmen der Behandlungspflege nicht mit Einrichtungen der Eingliederungshilfe nach SGB XII (a.F.) vergleichbar. (Rn. 59 – 60) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für eine faktische Gleichstellung ambulanter Pflegewohngruppen mit stationären Pflegeeinrichtungen besteht keine rechtliche Grundlage. (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Pflichtenstellung der Präsenskraft nach § 38a SGB XI ist nicht mit der von Sozialarbeiter*innen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe nach SGB XII (a.F.) vergleichbar. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 4 KR 9/19 2019-06-18 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 18.06.2019 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch in der Berufung.
II. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat, wie vom Sozialgericht zutreffend entschieden, einen Anspruch auf Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen der häuslichen Krankenpflege im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.11.2018 – 31.12.2018 und Freistellung von der Zahlungsverpflichtung des noch offenen Rechnungsbetrags vom 22.10.2018 – 31.10.2018. Hinsichtlich der verweigerten Genehmigung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form von Medikamentengabe und Blutzuckermessung sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Rechtsgrundlage der Kostenfreistellung sind sowohl § 37 Abs. 4 SGB als auch § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V. Diese Anspruchsgrundlagen können nebeneinander zur Anwendung kommen, da sie unterschiedliche Konstellationen betreffen (dazu I.), vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2017 – B 3 KR 11/16 R, Rz. 14 nach juris. Beide setzen einen Sachleistungsanspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V voraus (dazu II).
I.
Neben § 37 Abs. 4 SGB V und § 13 Abs. 3 SGB V scheidet als Rechtsgrundlage § 6 Abs. 6 der Richtlinie über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege aus (HKP-RL vom 17.9.2009, BAnz vom 9.2.2010 bzw. vom 21.10.2010, BAnz vom 14.1.2011, 339, Stand: 2. Juni 2017). Nach dieser Vorschrift hat die Krankenkasse zwar bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die vertragsärztlich verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Abs. 2 SGB V zu tragen, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird. Der Pflegedienst hatte vorliegend bis zum Zeitpunkt der Teilablehnungsentscheidung (16.10.2018) noch keine Leistungen der häuslichen Krankenpflege erbracht.
1. Nach § 37 Abs. 4 SGB V (idF des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20.12.1988, BGBl I 2477) sind den Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen kann (Alt. 1) oder Grund besteht, davon abzusehen (Alt. 2).
Die Klägerin hat am 01.10.2018 einen Antrag auf HKP-Leistungen gestellt. Nach den glaubhaften Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 20.08.2019 steht fest, dass diese – wie in der Praxis üblich – selbst keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen kann. Im Übrigen lässt die Beklagte auch durch sie bewilligte HKP-Leistungen (hier: Injektionen) durch den Pflegedienst K. W. (PdKW) ausführen. Da somit Alt. 1 erfüllt ist, wandelt sich der die häusliche Krankenpflege betreffende Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch um (stRspr, vgl. BSG, Urt. v. 26.03.1980 – 3 RK 47/79). Die Angemessenheit der Leistung in Höhe und Umfang ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Klägerin ist als von der Zuzahlung nach § 62 SGB V befreit.
2. Daneben besteht ein Kostenfreistellungsanspruch nach § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V (idF des Gesetzes vom 19.6.2001, BGBl I 1046). Danach wandelt sich der Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungs- bzw. Kostenfreistellungsanspruch um, wenn eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig von der Krankenkasse erbracht werden konnte, d.h. wenn ein Fall vorliegt, der es dem Versicherten unmöglich macht, den mit der Antragstellung beginnenden regelmäßigen Beschaffungsweg zu beschreiten (Alt. 1, dazu a) oder wenn die Krankenkasse einen Antrag des Versicherten auf Gewährung der Sachleistung häusliche Krankenpflege „zu Unrecht abgelehnt“ hat (Alt. 2, dazu b) und dem Versicherten dadurch Kosten entstanden sind, weil er sich – hier – gezwungen sah, sich eine Krankenpflegeperson selbst zu beschaffen.
a) Ein Anspruch nach § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB V scheidet aus, weil kein Fall der Unaufschiebbarkeit vorlag. Für den Versicherten wurden Leistungen bei der Beklagten am 01.10.2018 beantragt, die die Beklagte schon mit Bescheid vom 16.10.2018 abgelehnt hatte, bevor der ambulante Pflegedienst ab dem 22.10.2018 die streitigen HKP-Leistungen erbrachte.
b) Es liegt ein Anwendungsfall von § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V vor. Über den ausdrücklich geregelten Anwendungsbereich des Kostenerstattungsanspruchs hinaus ist § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V auch auf Fälle der Kostenfreistellung anzuwenden (stRspr, vgl. zB BSG, Urt. v. 07.05.2013 – B 1 KR 44/12 R). Ein Anspruch besteht dann, wenn zwischen der rechtswidrigen Ablehnung der Sachleistung durch die Krankenkasse und dem Kostennachteil des Versicherten ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl. bspw. BSG, Urt. v. 04.04.2006 – B 1 KR 12/14 R). An einem solchen Kausalzusammenhang fehlt es, wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hatte und fest entschlossen war, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte (stRspr, vgl. zB BSG, Urt. v. 11.09.2012 – B 1 KR 3/12 R). Anspruchshindernd wäre insofern bereits ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem PdKW, denn die Krankenkasse muss zunächst die rein faktische Möglichkeit haben, sich mit dem Leistungsbegehren zu befassen, es zu prüfen und ggf. Behandlungsalternativen aufzuzeigen, bevor eine Selbstbeschaffung mit Kostenerstattungsanspruch in Betracht kommt (vgl. bspw. BSG, Urt. v. 11.05.2017 – B 3 KR 30/15 R). Aus den Verträgen zwischen der Klägerin und dem PdKW sind keine Vereinbarungen ersichtlich, welche die Erbringung von Leistungen zur HKP und deren Vergütung regeln, wenn diese nicht im Vorfeld nach Erstellung eines Kostenvoranschlags als „frei vereinbart“ gelten. Daher ist nach praktischer Anschauung davon auszugehen, dass ab dem in der jeweiligen ärztlichen Verordnung genannten Leistungsbeginn konkludent Einzelaufträge erteilt werden, deren Vergütungspflicht durch Annahme der Leistungen entsteht. Im Übrigen ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass im Vorfeld des Ablehnungsbescheids der Beklagten von der Klägerin keine verbindlichen Verpflichtungsgeschäfte mit einem bestimmten Pflegedienst zur Erbringung der HKP abgeschlossen worden sind und dass die Leistungen im streitgegenständlichen Zeitraum durch den Pflegedienst tatsächlich erbracht worden sind.
In seiner Höhe entspricht der Freistellungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V vorliegend dem nach § 37 Abs. 4 SGB V. Der Vergütungsanspruch des PdKW, dem die Klägerin ausweislich der Rechnungen vom 05.11.2018, 04.11.2018 und 04.01.2019 ausgesetzt war und teilweise noch ist, ist – wie von der Beklagten im Übrigen nicht bestritten wird – in seiner Höhe (gesamt 2002,94 EUR) notwendig. Die Klägerin ist von der Zuzahlung nach § 62 SGB V befreit.
Da der Kostenfreistellungsanspruch nach § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch reicht, setzt er voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat (stRspr, vgl. bspw. BSG Urt. v. 07.03.2012 – B 1 KR 6/11 R, Rz. 15 zitiert nach Juris mwN).
II.
Die Klägerin hat einen Primärleistungsanspruch gegen die Beklagte auf Leistungen der HKP in Form der Behandlungssicherungspflege nach §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4, 37 Abs. 2 SGB V, § 2b Abs. 1 HKP-RL basierend auf der ärztlichen Verordnung vom 01.10.2018.
1. Dazu werden zunächst folgende Feststellungen getroffen:
a) Die betagte multimorbide Klägerin leidet nach der medizinischen Dokumentation u.a. an Diabetes mellitus Typ 2 mit Nierenkomplikation, entgleist (ICD-10 E11.21G), chronischer Nierenkrankheit (ICD-10 N.18.1G), mittelgradigen depressiven Episoden (ICD-10 F32.1G), Hypothyreose (ICD-10 E03.9) sowie gesichert Hypercholesterinämie, Senilität und Morbus Parkinson (ICD-10 G.20). Zur Behandlung ihrer Erkrankungen ist sie laut ärztlichem Behandlungsplan 7 mal täglich auf Medikamentengabe durch Dritte angewiesen. Die Klägerin ist insbesondere aufgrund der Parkinsonerkrankung und der Senilität nicht in der Lage, sich ihre erforderliche Medikation ohne fremde Hilfe zuzuführen. Aufgrund der im streitgegenständlichen Zeitraum durchgeführten intensivierten Insulintherapie waren routinemäßige Dauermessungen medizinisch erforderlich. Dies ist zwischen den Beteiligten im Übrigen nicht streitig.
b) Die Klägerin lebt seit Dezember 2016 dauerhaft zur Miete in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft II im S. (Im Folgenden: WG) zusammen mit 11 weiteren hilfebedürftigen Personen. In dem selben Gebäude vermietet der Vermieter W. GmbH Räume an eine weitere Wohngemeinschaft mit bis zu 12 Bewohnern. Im vollzogenen Mietvertrag ist u.a. geregelt: Nr. 1.1: Dem Mieter wird der Raum Nr. A001, der aus dem beigefügten Lageplan ersichtlich ist, ausschließlich zu Wohnzwecken überlassen. Nr. 3.1: Die Miete (Netto-Kaltmiete) beträgt monatlich 418,12 Euro. Nr. 4.1: Die Betriebskosten für den Raum A001 betragen 174,20 Euro als monatliche Pauschalzahlung. Nr. 5.1: Bei Vertragsunterzeichnung leistet der Mieter eine Kaution in Höhe von drei Monatskaltmieten = 1.254,36 Euro. Nr. 12.2: Die diesem Vertrag beigefügte Gemeinschaftsordnung, der Betreuungsvertrag und das Übergabeprotokoll sind Vertragsbestandteil.
Die WG und der Raum der Klägerin erfüllen von Größe und Ausstattung her die Anforderungen und aktuellen Standards hinsichtlich der Raumgrößen, der hygienischen Bedürfnisse, der Beleuchtung und Belüftung, der Wahrung der Intimsphäre und zwar rund um die Uhr. Die entsprechenden Anforderungen des § 1 Abs. 2 HKP-RL sind deshalb tatbestandlich erfüllt. Es leben dort keine pflegebereiten Angehörigen der Klägerin, ihre 11 Mitbewohner sind ebenfalls pflegebedürftig. Dies ist unter den Beteiligten zudem nicht strittig, so dass sich insoweit nähere Prüfungen und Sachaufklärungsmaßnahmen erübrigen (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens z.B. BSG, Urt. vom 21.4.2015 – B 1 KR 8/15 R; Bayer. LSG, Urteil vom 13. März 2018 – L 5 KR 504/15, Rn. 20 mwN – zitiert nach Juris).
c) Der zwischen der Klägerin und dem PdKW wirksam abgeschlossene Betreuungsvertrag hat ua folgenden Inhalt:
§ 2 Nr. 1: Der Träger verpflichtet sich, die Betreuung in der ambulanten Wohngruppe sicherzustellen. Hierzu beschäftigt der Kläger Betreuungskräfte, die rund um die Uhr (nachts in Rufbereitschaft) verfügbar sind und die erforderlichen Leistungen erbringen. Soweit Leistungen nicht selbst erbracht werden können, ist der Träger berechtigt, andere Dienstleister ganz oder teilweise mit der Durchführung des Betreuungsangebots zu beauftragen.
Nr. 4: Die Leistungen der Betreuungskräfte umfassen insbesondere: – Rufbereitschaft 24 Stunden – Bereithaltung bzw. Vermittlung von pflegerischen Diensten; – Gewährung von Erster Hilfe im Notfall und Vermittlung ärztlicher Hilfe; – Verständigung von Angehörigen bei Notsituationen; – Kooperation mit Ärzten; – Hilfestellung in Behördenangelegenheiten; – Entwicklung und Gestaltung einer Hausgemeinschaft; – Information und Beratung der Angehörigen bzw. Betreuer; – Wäscheservice … – Zubereitung von täglich drei Haupt-, sowie bis zu drei Zwischenmahlzeiten mit alkoholfreien Getränken – Reinigung der Wohnung;
§ 3 Nr. 1: Für die in § 2 bezeichneten Leistungen erhält der Träger vom Bewohner ein pauschales Entgelt in Höhe von monatlich EUR 1.150,00.
d) Der zwischen der Klägerin und dem PdKW wirksam abgeschlossene Vertrag über ambulante pflegerische Leistungen sieht ua vor:
1.2. Die Leistungen des SGB V und deren Vergütungen ergeben sich dem Grunde nach aus der vom Pflegedienst mit der Krankenkasse des Kunden geschlossenen Vergütungsvereinbarung. Die vertragsärztlich verordneten Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V werden mit der auf der Rückseite dieser Verordnung vorgesehenen Unterschrift des Kunden jeweils Bestandteil des vertraglich vereinbarten Leistungsumfangs. Für nicht gesetzlich krankenversicherte Kunden, die ärztlich verordnete Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Anspruch nehmen, ergeben sich die Vergütung dieser Leistungen aus einem Kostenvoranschlag den der Pflegedienst unverzüglich aushändigt.
1.3. Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung – soweit bewilligt – und der Pflegeversicherung oder anderer Sozialleistungsträger werden vom Pflegedienst unmittelbar mit diesen abgerechnet. Die hinsichtlich der Leistungen der Pflegeversicherung verbleibenden Eigenanteile sowie die Leistungen der häuslichen Krankenpflege gegenüber nicht gesetzlich Versicherten werden dem Kunden in Rechnung gestellt.
1.4. Bewilligt die gesetzliche Krankenkasse ärztlich verordnete Leistungen nicht und will der Kunde diese dennoch in Anspruch nehmen, erstellt der Pflegedienst einen Kostenvoranschlag für diese Leistungen auf Basis der zwischen der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse und dem Pflegedienst vertraglich vereinbarten Vergütung. Die nicht bewilligten, aber aufgrund ärztlicher Anordnung weiterhin in Anspruch genommenen Leistungen hat der Kunde selbst zu bezahlen.
e) Für alle Mitglieder der WG ist wirksam bestimmt u.a.:
§ 8 Betreuungsvertrag und Pflegevertrag 1. Für jeden Mieter ist mit einem Dienstleister ein individueller Betreuungs- und Pflegevertrag abzuschließen.
f) Die Präsenzkraftbestellungsvereinbarung hat u.a. folgenden Inhalt:
2.) Leistungen:
Die von den Präsenzkräften zu leistenden Tätigkeiten können sein: – Organisatorische Unterstützung bei Ein- und Auszug von Bewohnern (nicht Möbeltransport)? regelmäßigen Betreuungsangeboten – Kontakt zu ehrenamtlichen Helfern (Beschäftigungsprogramme) – Beratung und lnformationsaustausch mit Bewohnern, Angehörigen, – Vereinbarung von Terminen mit Dritten (z.B. Friseur, Fußpflege, Geistlichen etc.} – Veröffentlichung von Informationen, Terminen etc. (Pinnwand, Presse) – Entgegennahme und Verteilung von Wareneingängen/Post für Bewohner – Hilfestellung in Behördenangelegenheiten – Vermittlung von Hausmeisterdiensten – Kooperation mit Ärzten, Therapeuten und Apotheken – Begleitung bei Arztvisiten und Umsetzung der Anweisungen des Arztes Individuelle Pflege- und Betreuungsleistungen sind nicht Gegenstand dieses Auftrages. Fürsorgeleistungen nach dem SGB XII werden im Rahmen dieser Vereinbarung nicht erbracht.
5.) Finanzierung im Rahmen des Wohngruppenzuschlags der Pflegekassen
2. Basierend auf diesen Feststellungen steht der Klägerin der begehrte Anspruch auf HKP-Leistungen in Form der Medikamentengabe und Blutzuckermessung gegen die Beklagte zu, denn die Klägerin benötigt diese in der RL vorgesehenen Leistungen (dazu a), die ambulante Wohngruppe ist grundsätzlich ein geeigneter Ort zur Erbringung der HKP (dazu b). Es bestehen nach Prüfung im Einzelfall auch keine Leistungsausschlüsse (dazu c und d).
a) Die Klägerin benötigt Leistungen der HKP in Form der Medikamentengabe und Blutzuckermessung zur Behandlungssicherung.
Leistungen der HKP blieben gemäß § 13 Abs. 2 SGB XI grundsätzlich unberührt von Ansprüchen gegen die Beigeladene. Diese hat, ausweislich des Pflegevertrags, Behandlungssicherungsleistungen auch nicht erbracht. Dies wird von der Beklagten nicht bestritten.
Die Medikamentengabe ist als HKP-Leistung in Anlage Nr. 26 in der HKP-RL bei Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit vorgesehen. Die Klägerin leidet unter diesen Einschränkungen. Die Blutzuckermessung ist eine HPK-RL gemäß Nr. 11 der Anlage.
b) Die WG ist grundsätzlich ein geeigneter Ort zur Erbringung von HKP-Leistungen durch die Beklagte (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB V).
Hinsichtlich der Gesetzesentwicklung zu den „sonstigen geeigneten Orten“ in § 37 SGB V wird auf die Ausführungen des BSG verwiesen (Urt. v. – B 3 KR 11/14 R, Rz. 12-21 zitiert nach juris), die sich der Senat zu eigen macht. An der grundsätzlichen Eignung der WG besteht im Hinblick auf die ausdrückliche Nennung von „betreuten Wohnformen“ im Gesetz und in § 1 Abs. 2 S. 3 HKP-RL kein Zweifel. Gesetzlich ist zwar nicht definiert, was unter einer betreuten Wohnform zu verstehen ist (vgl. BSG, Urt. v. 18.02.2016 – B 3 P 5/14 R, Rz. 8 nach juris, BT-Drs- 17/9369 S. 41), anerkannt sind jedoch – unter Berücksichtigung fließender Übergänge und dynamischer Entwicklung – sinnvolle Zwischenformen zwischen Pflege in häuslicher Umgebung und vollstationärer Pflege (LSG NRW, Urt. v. 20.09.2018 – L 5 P 97/17).
c) Es besteht kein Leistungsausschluss nach § 37 Abs. 3 SGB V.
In der WG wohnen keine Personen, die im Rahmen der Laienpflege die HKP übernehmen können, da dort keine pflegebereiten Angehörigen der Klägerin leben und ihre 11 Mitbewohner ebenfalls pflegebedürftig sind.
Betreuer und Pflegepersonen, die sich zur Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten in der WG aufhalten, sind nicht kontinuierlich in den Wohn- und Lebensbereich eingebunden und können nicht mit Haushaltsangehörigen gleichgestellt werden. Aufgrund des Ausnahmecharakters verbietet sich eine Ausdehnung der Vorschrift, § 2 Abs. 2 SGB I (vgl. BSG, Urt. v. 30.03.2000 – B 3 KR 23/99, Rz. 16f. nach juris).
d) Es besteht kein vorrangiger Anspruch auf Erbringung von HKP-Leistungen gegenüber der WG, die einen Anspruch gegen die Beklagte ausschließen würden (§ 1 Abs. 6 HKP-RL, vgl. auch BSG, Urt. v. 28.05.2003 – B 3 KR 32/02 R).
aa) Die WG ist keine zugelassene stationäre Einrichtung nach § 71 Abs. 2 SGB XI, in welcher die Erbringung von Leistungen der medizinischen Behandlungspflege bereits im Leistungsspektrum enthalten ist, soweit – wie vorliegend – kein besonders hoher Bedarf besteht (§ 37 Abs. 2 S. 3 SGB V, § 1 Abs. 6 S. 2 HKP-RL).
Die Beigeladene hat die WG heimrechtlich als ambulant betreute Wohngemeinschaft anerkannt (§§ 2 Abs. 3, 18 ff. PfleWoqG) und gewährt den Bewohnern den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI sowie den Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI. Dem hat sich die Beklagte in den letzten Jahren zu keinem Zeitpunkt entgegengestellt.
Familiäre Verknüpfungen zwischen dem Vermieter, vertreten durch F. W., und der Erbringerin der Pflege- und Betreuungsleistungen, K. W., führen nicht dazu, dass eine von der Beigeladenen als ambulant betreute Wohngemeinschaft qualifizierte Wohnform vorliegend daraufhin überprüft werden muss, ob diese nur zur Umgehung der Verpflichtungen einer stationären Einrichtung gem. § 2 Abs. 1 PfleWoqG gegründet worden ist.
Das bundesrechtliche Heimgesetz (§ 1 Abs. 2 S. 3 HeimG) ist nicht anwendbar, da die Klägerin, ausweislich der vorliegenden Verträge, durch Abschluss des Mietvertrages nicht verpflichtet wird, Pflegeleistungen von einem bestimmten Anbieter anzunehmen.
bb) Die Prüfung im Einzelfall führt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin weder einen gesetzlichen noch privatrechtlichen Anspruch auf HKP in Form der Medikamentengabe gegen die WG hat, die im Verhältnis zu einem Anspruch gegen die Beklagte vorrangig sind.
Streitgegenständliche HKP-Leistung ist vorliegend die Medikamentengabe, die in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG als einfachste Leistung der HKP im Gegensatz zur qualifizierten Leistung einzuordnen ist. In Anknüpfung an § 37 Abs. 3 SGB V können einfachste Leistungen praktisch von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen erbracht werden. Sie erfordern keine medizinische Sachkunde. Da zählen neben der Medikamentengabe nach ärztlicher Anweisung, die Blutdruck- und Blutzuckermessung, das Anziehen von Thrombosestrümpfen, das An- und Ablegen von Stützverbänden, das Einreiben mit Salben oder die Verabreichung von Bädern (BSG, Urt. v. 25.02.2015 – B 3 KR 11/14 R, Rz. 28 nach juris).
aaa) In Abgrenzung zur Rechtsprechung des 3. Senats aus 2015 (Urt. v. 25.02.2015 – B 3 KR 10/14 und 11/14 R, v. 22.04.2015 – B 3 KR 16/16 R), die Einrichtungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII betraf, sind vorliegend keine gesetzlichen Ansprüche auf die Erbringung einfachster Leistungen der HKP gegen die WG ersichtlich. Im Bereich des ambulanten Wohnens gibt es weder ein Dreiecksverhältnis Nutzer – Einrichtung – Sozialhilfeträger noch gesetzliche Regelungen, die den Schluss zulassen, dass die Erbringung einfachster medizinischer Leistungen nach der Natur der Sache zum Aufgabenbereich der WG gehören. Einrichtungen zur Eingliederungshilfe haben den gesetzlichen Auftrag, Menschen Hilfe zur Wiedererlangung von Selbständigkeit zu gewähren. Erbringt der Träger der Sozialhilfe die Leistungen der Eingliederungshilfe in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen, wird grundsätzlich der gesamte Bedarf des Hilfebedürftigen nach § 9 Abs. 1 SGB XII in der Einrichtung in einrichtungsspezifischer Weise befriedigt. Die Einrichtung übernimmt für den Hilfebedürftigen von dessen Aufnahme bis zur Entlassung die Gesamtverantwortung für seine tägliche Lebensführung (BSG, Urt.v. 22.04.2015 – B 3 KR 16/14 R, Rz. 27 zitiert nach juris). Darunter fallen auch Gesundheitsbelange wie Medikamenteneinnahme und Blutzuckermessung, deren Übernahme durch die Einrichtung gemäß §§ 55 S. 1, 75 ff. SGB XII vereinbart werden kann (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 24.02.2010 – L 9 KR 23/10 B ER).
Ob eine WG für demente, alte Menschen, deren Gesundheitszustand sich naturgemäß progredient verschlechtert, „vergleichbare Eingliederungsleistungen“ (BSG, Urt. v. 25.02.2015 – B 3 KR 11/14 R, Rz. 28 nach juris) erbringen kann, darf offenbleiben, denn es fehlt bei dem hier vorliegenden selbstbestimmten Zusammenschluss von Pflegebedürftigen auf der Basis zivilrechtlicher Verträge an gesetzlichen Regelungen und Aufgabenzuweisungen, die dem SGB XII entsprechen.
bbb) Ebenso wenig bestehen vorrangige zivilrechtliche Ansprüche der Klägerin gegen die WG. Weder aus einem der von der Klägerin abgeschlossenen Verträge, noch aus dem Gedanken der Gesamtverantwortung können Ansprüche gegen die WG hergeleitet werden.
(1) Der Mietvertrag vom 11.12.2016 hat die Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand.
(2) Der Pflegevertrag vom 11.12.2016 regelt Leistungen die zwischen dem Pflegedienst und der Krankenkasse des Kunden geschlossen werden. Die Möglichkeit weitere Leistungen frei zu vereinbaren besteht, ist aber von der Klägerin nicht in Anspruch genommen worden.
(3) Der Betreuungsvertrag vom 11.12.2016 regelt in § 2 Nr. 4 die Leistungen der Betreuungskräfte, insbesondere die Zubereitung von Mahlzeiten und den Wäscheservice. Diese werden mit einer Pauschale von 1.150 EUR mtl., d.h. ca. 38 EUR pro Tag bei 24-Stunden-Präsenz abgerechnet. Die Leistungen, auf die Klägerin aus dem Betreuungsvertrag einen Anspruch hat, sind organisatorischer Natur oder betreffen die Versorgung, die aus Effizienzgründen allen Bewohnern in gleichem Maße zusteht, wie Essen, Wäsche und Sauberkeit. Die individuelle Gesundheitsfürsorge, die naturgemäß individuell für jeden Bewohner in unterschiedlichem Maße anfällt und substantiell unterschiedliche Kosten verursacht, ist von dem für allen Bewohner in selber Höhe anfallenden Pauschalbetrag nicht erfasst. Daher hat die Klägerin keinen umfassenden Wohn- und Betreuungsvertrag abgeschlossen. Die Bewohner der WG haben sich gerade darauf geeinigt, individuell benötigte Leistungen – wie Pflege und Krankenbehandlung – nicht gemeinschaftlich zu organisieren, sondern durch Einzelverträge abzuwickeln (vgl. § 8 der Gremiumsvereinbarung vom 11.12.2016).
Gegen die Ableitung von Ansprüchen auf einfachste behandlungspflegerische Tätigkeiten aus dem Betreuungsvertrag nach der Natur der Sache spricht zudem die mangelnde wirtschaftliche Abbildung dieser Leistungen in der Vergütungspauschale wie auch die Pflegerealität. Die Erbringung von behandlungspflegerischen Leistungen wäre im Rahmen des Rechtsgedankens des § 37 Abs. 3 SGB V nicht zumutbar. Nicht vorstellbar ist, wie eine Betreuungsperson es faktisch leisten sollte, bei mehreren Demenzkranken und senilen Bewohnern ggf. gleichzeitig, bspw. vor den Mahlzeiten, und mehrmals pro Tag (bei der Klägerin gar 7 Mal) medizinisch erforderliche Maßnahmen die Medikamentengabe und zusätzlich die Blutzuckermessung durchzuführen. Dies gilt auch, die Maßnahmen grundsätzlich einfach sind und keine medizinische Sachkunde erfordern. Dazu kommt, dass senile Bewohner pflegerische Maßnahmen zum Teil ablehnen. Im Pflegegutachten der Beigeladenen vom 21.03.2017 werden auch der Klägerin „häufige, pflegerelevante, inadäquate Handlungen“ attestiert.
Damit können und müssen die Pflegeleistungen im Rahmen der Leistungsverpflichtungen aus dem vorliegenden Betreuungsvertrag – anders als bei Einrichtungen nach dem SGB XII, vgl. B 3 KR 11/14, aaO, Rz. 28 zitiert nach juris – nicht erbracht werden.
(4) Aus dem Präsenzkraftvertrag vom 13.11.2018 können keine Individualansprüche einzelner WG-Bewohner abgeleitet werden. Die Präsenzkraft wird durch den Wohngruppenzuschlag des § 38a SGB XI finanziert, den die Beigeladene den Bewohnern der WG gewährt, und übernimmt zusätzliche Aufgaben. Nach dem Willen des Gesetzgebers dient der Wohngruppenzuschlag der Abgeltung des zusätzlichen Aufwands, der durch die Selbstorganisation der Pflege mit Beiträgen der Bewohner oder ihres sozialen Umfelds (vgl. BT-Drs. 18/2909 S. 42) entsteht. Der Aufgabenbereich einer Präsenzkraft ist damit von der pflegerischen Versorgung der Bewohner abzugrenzen (BSG, Urt. v. 18.02.2016 – B 3 P 5/14 R). Eine Präsenzkraft wird von allen Bewohnern gemeinsam beauftragt und ist allen – im vorliegenden Fall 12 Personen – gleichermaßen in der Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet. Unabhängig von einer tatsächlichen Überforderung einer Präsenzkraft – die vertraglich im Übrigen auch nur 35 Stunden pro Woche in der WG anwesend sein muss – mit der Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege für 12 Personen, hat diese nach der gesetzlichen Aufgabenzuteilung keine der einer Sozialarbeiterin in einer Einrichtung nach dem SGB XII vergleichbare Pflichtenstellung.
(5) Aus der Konstruktion einer ambulanten Wohngruppe nach dem Baukastensystem unter (Aus-)Nutzung der gespaltenen Finanzierungsverantwortung und der unterschiedlichen Finanzierungslogiken der Beklagten und der Beigeladenen kann kein Anspruch der Bewohner auf Übernahme der HKP aus einer „Gesamtverantwortung“ der Wohngemeinschaft abgeleitet werden. Die Klägerin hat sich – basierend auf den Notwendigkeiten der Pflegebedürftigkeit und im Ergebnis tatsächlich ähnlich einem stationären Setting – Einzelleistungen durch privatrechtliche Verträge eingekauft, die teilweise durch die Sozialversicherungsträger finanziert werden. Dies mag dazu führen, dass aufgrund des Bedarfsdeckungsprinzips des SGB V durch die Beklagte und die Beigeladene höhere Leistungen zu gewähren sind als bei der Wahl einer vollstationären Einrichtung nach § 43 SGB XI. Die Wohnform der selbst organisierten pflegerischen Versorgung auf der Grundlage eines Baukastensystems ist jedoch nicht nur erlaubt, sondern gewünscht und durch den Gesetzgeber mit Zuschlägen nach dem SGB XI gefördert. Daher gibt es keine gesetzliche Grundlage, um – zur Vermeidung der Kostenverschiebung auf die Krankenkassen oder im Rahmen eines Gleichbehandlungsgebots, vgl. dazu Opolony, medizinische Behandlungspflege und Pflegebedürftigkeit, NZS 2017, 409 ff. – eine faktische Pflegeeinrichtung anzunehmen (so auch BSG, Urt. v. 30.11.2017 – B 3 KR 11/16 R, Rz. 30f. zitiert nach juris) und dadurch eine über Leistungspflichten aus den Einzelverträgen hinausgehende Gesamtverantwortung der ambulanten Wohngruppe zu fingieren. Diese ergibt sich auch dann nicht, wenn eine familiäre Verknüpfung der gesellschaftsrechtlich unabhängigen Vertragspartner der Klägerin besteht.
Damit bleibt die Berufung der Beklagten vollumfänglich ohne Erfolg.
Die Kostenerfolge ergibt sich aus §§ 193, 183 SGG.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).


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