Medizinrecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Betriebsschließung eines Theaters wegen Corona

Aktenzeichen  20 NE 20.2601

Datum:
16.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32245
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
8. BayIfSMV § 22, § 23 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Es bleibt offen, ob § 23 Nr. 2 8. BayIfSMV, geändert mit Verordnung vom 12. November 2020 (BayMBl. Nr. 639) (Schließung von Kulturstätten) auf einer hinreichende Ermächtigungsgrundlage beruht, verhältnismäßig ist und mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang steht. (Rn. 17) (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Folgenabwägung zwischen den betroffenen Schutzgütern der Betreiber von Theatern mit dem Schutzgut Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergibt, dass die für die Betreiber nachteiligen Folgen – vor allem im Hinblick auf die enorm gestiegenen Infektionszahlen – hinter den Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen. Dabei ist auch der seitens der Bundesregierung in Aussicht gestellte teilweise Ausgleich für wirtschaftliche Verluste der betroffenen Einrichtungen zu berücksichtigen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1. Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO begehrt der Antragsteller, den Vollzug von § 23 Nr. 2 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. Oktober 2020 (2126-1-12-G, BayMBl. Nr. 616, im Folgenden: 8. BayIfSMV), geändert mit Verordnung vom 12. November 2020 (BayMBl. Nr. 639), einstweilen auszusetzen.
2. Der Antragsgegner hat am 30. Oktober 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
§ 23
Kulturstätten
Geschlossen sind:
1. Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten, Objekte der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen und vergleichbare Kulturstätten,
2. Theater, Opern, Konzerthäuser, Bühnen, Kinos und ähnliche Einrichtungen,
3. zoologische und botanische Gärten.
Die 8. BayIfSMV ist seit 2. November 2020 in Kraft und tritt mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft (§ 28 Satz 1 8. BayIfSMV).
3. Der Antragsteller ist ein gemeinnütziger Verein, der das Theater „rote Bühne“ mit einem Theater-, Comedy-, Kabarett- und Tanzprogramm mit Live-Musik betreibt. Das aufgestellte Schutz- und Hygienekonzept werde strikt umgesetzt. Die Betriebsschließung gefährde durch den Wegfall sämtlicher Einnahmen die Existenz des Antragstellers, lasse die künstlerische Praxis der Schauspieler u.a. entfallen und verursache großen organisatorischen Aufwand. Die 8. BayIfSMV sei im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt nicht (mehr) von der Ermächtigungsgrundlage in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt. Die Regelung des § 23 Nr. 2 8. BayIfSMV greife unverhältnismäßig in die Kunst-, Berufs- und Eigentumsfreiheit ein (Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG). Die Betriebsschließung sei nicht geeignet, die Ausbreitungsgeschwindigkeit von SARS-CoV-2 zu verringern, weil das Infektionsrisiko in Kunst- und Kultureinrichtungen jeder Art als besonders gering einzustufen sei. Sie sei auch nicht erforderlich, da der Betrieb unter Schutz- und Hygieneauflagen eine weniger einschneidende, gleich effektive Schutzmaßnahme darstelle. Die Ungleichbehandlung von Theatern und Bibliotheken verstoße gegen den Gleichheitssatz. Die Zusage der Bundesregierung, einen Teil der Umsatzeinbußen zu kompensieren, ändere nichts an der Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme. Bei einer Folgenabwägung überwögen die Interessen des Antragstellers; eine erhebliche Zunahme der Infektionen sei bei einem Betrieb unter Beachtung von Hygieneauflagen nicht zu erwarten.
4. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen und beantragt die Antragsablehnung. Die angegriffene Norm sei von Ermächtigungsgrundlage in § 28 IfSG umfasst. Der Gesetzgeber habe diese im gesamten, mittlerweile acht Monate umfassenden Verlauf der Pandemie nur einmal verändert und deren weiten Anwendungsbereich nicht beschränkt. Damit habe er klargestellt, dass er die entsprechenden Maßnahmen auf jeden Fall als hiervon umfasst verstanden wissen wolle. Die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG sei nicht schrankenlos gewährleistet. Da nur die Live-Bühnenaufführung vor Publikum untersagt sei, verblieben schauspielerisch-künstlerische Betätigungsmöglichkeiten. Auch im Hinblick auf die kurz angelegte Geltungsdauer und den begrenzten Eingriff in die Kunstfreiheit sei die Maßnahme verhältnismäßig.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrags in der Hauptsache gegen § 23 Nr. 2 8. BayIfSMV sind unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei der nur möglichen summarischen Prüfung als offen anzusehen (2.). Eine Folgenabwägung geht zulasten des Antragstellers aus (3.).
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn – wie hier – die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.
Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12).
2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 14) davon aus, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsache offen sind.
a) Das gilt insbesondere für die Rechtsfrage, ob die angegriffene Norm auf einer ausreichenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung beruht, insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt und an das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG genügt (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2020 – 20 NE 20.2468 – BeckRS 2020, 29302; B.v. 29.10.2020 – 20 NE 20.2360 – juris Rn. 28 ff. zur 7. BayIfSMV, jeweils m.w.N.). Die endgültige Klärung dieser Frage (vgl. auch BayVerfGH, E.v. 21.10.2020 – Vf. 26-VII-20 – juris Rn. 16 ff.; NdsOVG, B.v. 6.11.2020 – 13 MN 433/20 – juris Rn. 13 ff.) bedarf einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren, so dass der Senat von offenen Erfolgsaussichten ausgeht.
b) Der Annahme offener Erfolgsaussichten liegt auch zugrunde, dass die angegriffene Maßnahme, der eine auf die jeweilige Situation abstellende Gefährdungsprognose des Verordnungsgebers zugrunde liegt (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 20 NE 20.2360 – juris Rn. 31; OVG NW, B.v. 27.8.2020 – 13 B 1220/20.NE – juris Rn. 37), bei einer ex-ante-Betrachtung nicht offensichtlich unverhältnismäßig oder gleichheitswidrig erscheint. Ob sie sich bei nachträglicher Betrachtung als verhältnismäßig und mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar erweist, kann der Senat nicht beurteilen.
aa) Ziel des mit der 8. BayIfSMV seit dem 2. November 2020 geltenden Gesamtkonzepts bzw. Maßnahmenbündels ist es, durch eine „erhebliche“ Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung insgesamt das Infektionsgeschehen aufzuhalten und die Zahl der Neuinfektionen wieder in eine „nachverfolgbare Größenordnung“ von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in einer Woche zu senken (vgl. Beschluss der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 28.10.2020, abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/videokonferenz-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-28-oktober-2020-1805248, den der Antragsgegner der 8. BayIfSMV zugrunde gelegt hat, vgl. https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2020/10/201029-ministerrat.pdf). Es geht somit nicht um eine Verhinderung aller bzw. aller nicht schlechthin (lebens-) notwendigen Kontakte, sondern um eine nur auf bestimmte Lebensbereiche und Wirtschaftszweige begrenzte Kontaktreduzierung unter ausdrücklicher Tolerierung von Kontakten in anderen Situationen. Während insbesondere der Freizeitgestaltung, Kultur und Unterhaltung dienende sowie touristische und gastronomische Einrichtungen geschlossen sind, werden Kontakte etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln, Schulen, Kindergärten und Kirchen hingenommen.
bb) Ausgehend von diesem Gesamtkonzept erscheint die befristete Schließung von Theatern (§ 23 Nr. 2 8. BayIfSMV) nicht offensichtlich unverhältnismäßig. Die Schutzmaßnahme hält bei summarischer ex-ante-Prüfung die Grenzen des § 28 Abs. 1 Satz 1 HS 1 IfSG in inhaltlicher („soweit“) wie in zeitlicher Hinsicht („solange“) ein.
(1) Die Maßnahme erweist sich voraussichtlich als geeignet und erforderlich, weil sie die Verlangsamung des Infektionsgeschehens fördern kann und sich kein gleich wirksames, die Normbetroffenen weniger belastendes milderes Mittel zeigt. Zwar können auch Hygienekonzepte zu einer Reduzierung von Ansteckungen beitragen. In der gegenwärtigen Phase der Pandemie, in der sich Infektionen in der Bevölkerung zunehmend diffus ausbreiten und nicht (mehr) eindeutig nachvollziehbar sind (vgl. RKI, Lagebericht vom 15.11.2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Inf-AZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-15-de.pdf? bl-ob=publicationFile), ist die Prognose des Verordnungsgebers, dass die zwischenzeitlichen, vordringlich auf Einhaltung von Abstand und Hygiene ausgerichteten Maßnahmen nicht mehr genügen, sondern dass die Kontakte der Bevölkerung in bestimmten Bereichen insgesamt unterbunden werden müssten, nicht offensichtlich fehlerhaft (vgl. bereits BayVGH, B.v. 5.11.2020 – 20 NE 20.2468 – BeckRS 2020, 29302). Der Einfluss des jeweiligen Betriebes oder Angebots auf das derzeitige Infektionsgeschehen kann nach derzeitigem Wissen nicht verlässlich eingeschätzt werden, sodass auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass Theater zur Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 beitragen (vgl. BVerfG, B.v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20 – Rn. 15, abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/20-20/11/rk20…20.html).
(2) Die (befristete) Betriebsschließung erweist sich auch nicht als offensichtlich unangemessen. Der Senat verkennt nicht, dass die Maßnahme gravierend in die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Normbetroffenen eingreift. Bei der Beurteilung der Schwere des Grundrechtseingriffs ist zu berücksichtigen, dass Theater in diesem Jahr bereits von März bis Mitte Juni pandemiebedingt geschlossen waren. Hinzu kommt, dass Theaterbetriebe von der Schließung insoweit besonders betroffen sind, als ihre Aufführungen regelmäßig monatelang im Voraus zu planen sind. Die Betriebsschließung greift auch in die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein, auf die sich der Antragsteller als inländische juristische Person nach Art. 19 Abs. 3 GG berufen kann (BVerfG, B.v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05 – BVerfGE 119, 1 – juris Rn. 65; Starck/Paulus in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 438). Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus Art. 14 Abs. 1 GG, auf das sich der Antragsteller ebenfalls beruft, schützt nur den konkreten Bestand an Rechten und Gütern und keine bloßen Umsatz- und Gewinnchancen und geht nicht über die Gewährleistung des Art. 12 Abs. 1 GG hinaus (vgl. BVerfG, U.v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11 u.a. – BVerfGE 143, 246 – juris Rn. 240 m.w.N.).
Gleichwohl erscheint das mit der 8. BayIfSMV umgesetzte Gesamtkonzept des „Herunterfahrens“ von Teilbereichen des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens, hier von Theatern, bei summarischer Prüfung als nicht von vorneherein unangemessene Reaktion auf das derzeit verschärfte pandemische Geschehen (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2020 – 20 NE 20.2468 – BeckRS 2020, 29302; B.v. 11.11.2020 – 20 NE 20.2485). Die Maßnahmen stehen im Einklang mit der Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts (vgl. RKI, Risikobewertung zu COVID-19 Stand: 11.11.2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html; Täglicher Lagebericht vom 15.11.2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Con-tent/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-15-de.p-df? blob=publicationFile). Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG wird auch dadurch gemildert, dass erhebliche staatliche Entschädigungsleistungen für den Umsatzausfall angekündigt wurden (vgl. https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2020/10/201029-ministerrat.pdf; vgl. auch Richtlinien für die Unterstützung der von der Corona-Virus-Pandemie (SARS-CoV-2) beeinträchtigten kulturellen Spielstätten und Kulturveranstalter [„Spielstätten- und Veranstalterprogramm“], Bekanntmachung des Bayer. Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 11.11.2020, Az. K.6-M4635/29, BayMBl. 2020 Nr. 638).
cc) Der angegriffenen Bestimmung liegt auch kein offensichtlicher Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde.
(a) Das vom Normgeber zugrunde gelegte Konzept der Schließung von Teilbereichen des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens – darunter die Bereiche Freizeit und Kultur – erscheint bei summarischer Prüfung willkürfrei und wohl sachgerecht; auch das Vorgehen gegen Dritte („Nichtstörer“) ist sachlich zu rechtfertigen. Die Betriebsuntersagungen sind Teil dieses Gesamtkonzeptes bzw. Maßnahmenbündels, welches das Offenhalten von Schulen und Kindertagesstätten und eine weitgehende Aufrechterhaltung des Berufslebens verbunden mit der wirtschaftlichen Produktivität als Ausgangspunkt hat. Nach Vornahme dieser Priorisierung auf Erwerbsleben und Bildung ist es aus der hier maßgeblichen ex-ante-Sicht denkbar, in einer Phase der fehlenden Rückverfolgbarkeit von Infektionsketten und einer großen Zahl diffus auftretender Ansteckungen mit dem SARS-CoV-2-Virus die (von allgemeinen Kontaktverboten begleiteten, § 3 Abs. 1 8. BayIfSMV) Kontaktbeschränkungen im Bereich der Freizeitgestaltung der Bürger zu verorten, wo längerdauernde soziale und damit auch infektiöse Kontakte (während der bevorstehenden Wintermonate vor allem in geschlossenen Räumen) stattfinden, um das Pandemiegeschehen insgesamt zu verlangsamen und die Kontrolle über die Infektionswege wieder zu erlangen. Letztlich soll so eine Überlastung des Gesundheitswesens mit der Folge tödlicher Krankheitsverläufe verhindert werden (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2020 – 20 NE 20.2468 – BeckRS 2020, 29302 – Rn. 20 f.; vgl. auch NdsOVG, B.v. 6.11.2020 – 13 MN 433/20 – juris Rn. 62).
(b) Hinsichtlich der Anforderungen an den allgemeinen Gleichheitssatz sind die Erfolgsaussichten im Eilverfahren offen. Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Art. 3 Abs. 1 GG dem Normgeber nicht jede Differenzierung verwehrt. Für die Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sein müssen, gilt grundsätzlich ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BVerfG, B.v. 17.6.2020 – 1 BvR 1134/15 – juris Rn. 10; B.v. 18.7.2012 – 1 BvL 16/11 – BVerfGE 132, 179 – juris Rn. 30 f. m.w.N.). Der Umstand, dass ein Normgeber zur Bewältigung neuartiger Gefahrenlagen und Entwicklungen, die ein schnelles Eingreifen erfordern, für die es aber bisher an einem zuverlässigen Erfahrungswissen fehlt, Massenentscheidungen trifft, kann dabei Rückwirkungen auf die Maßstabsbildung entfalten (vgl. BayVerfGH, E.v. 21.10.2020 – Vf. 26-VII-20 – juris Rn. 24 m.w.N.).
Die sich stellenden Rechtsfragen können aber im Rahmen eines Eilverfahrens nicht verlässlich geklärt werden. Die Beurteilung, ob der Verordnungsgeber mit der getroffenen Auswahl von zu schließenden oder zu beschränkenden Betrieben und Einrichtungen unter Berücksichtigung aller relevanten Belange eine auf hinreichenden Sachgründen beruhende und angemessene Differenzierung tatsächlich erreicht hat, bedarf angesichts der Vielzahl und Vielgestaltigkeit von Fallkonstellationen der Klärung im Hauptsacheverfahren. Der Vorhalt des Antragstellers, die Ungleichbehandlung von Theatern und Bibliotheken (§ 22 8. BayIfSMV) sei gleichheitswidrig, überzeugt indessen nicht. Für den Senat ist nicht erkennbar, inwieweit es sich bei diesen Vergleichsgruppen um im Wesentlichen gleiche Sachverhalte handeln sollte.
dd) Auch in zeitlicher Hinsicht erweist sich die einmonatige Schließung von Theatern voraussichtlich nicht als unverhältnismäßig. Der Verordnungsgeber hat die 8. BayIfSMV in Umsetzung des Beschlusses der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 28. Oktober 2020 bis zum 30. November befristet. Dies erscheint in der gegenwärtigen Situation der Pandemie nicht als unangemessen, zumal vereinbart wurde, die Maßnahmen nach Ablauf von zwei Wochen zu evaluieren, um ggf. notwendige Anpassungen vornehmen zu können.
3. Bei der Annahme offener Erfolgsaussichten der Hauptsache ergibt die gebotene Folgenabwägung zwischen den betroffenen Schutzgütern des Antragstellers – insbesondere seinen Grundrechten auf freie wirtschaftliche Betätigung (Art. 12 Abs. 1 GG), Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und ggf. das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus Art. 14 Abs. 1 GG – mit dem Schutzgut Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dass die von dem Antragsteller dargelegten Folgen – vor allem im Hinblick auf die enorm gestiegenen Infektionszahlen – hinter den Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen. Dabei ist auch der seitens der Bundesregierung in Aussicht gestellte teilweise Ausgleich für wirtschaftliche Verluste der betroffenen Einrichtungen zu berücksichtigen.
Das pandemische Geschehen ist sehr angespannt. Nach dem Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 15. November 2020 (abrufbar unter https://www.rki.de/D-E/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-15-de.pdf? blob=publicationFile) ist weiterhin eine große Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Die Inzidenz der letzten sieben Tage beträgt deutschlandweit 143 Fälle pro 100.000 Einwohner. Der Anteil der COVID-19-Fälle in der älteren Bevölkerung nimmt wieder zu. Die 7-Tage-Inzidenz liegt u.a. in Bayern über der bundesweiten Gesamtinzidenz. In zahlreichen Landkreisen kommt es zu einer zunehmend diffusen Ausbreitung von SARS-CoV-2-Infektionen in der Bevölkerung, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar sind. Für einen großen Anteil der Fälle kann das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden. Seit Mitte Oktober steigt die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle stark an, von 655 Patienten am 15. Oktober 2020 auf 3.385 am 15. November 2020 (vgl. auch RKI-DIVI – Tagesreport des RKI mit den Daten des DIVI-Intensivregisters, Stand 15.11.2020, 12.15 Uhr, abrufbar unter https://www.divi.de/divi-intensivregister-tagesreport-archiv). Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch. Nach wie vor gibt es keine zugelassenen Impfstoffe und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und langwierig (vgl. Risikobewertung zu COVID-19, Stand: 11.11.2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risi-kobewertung.html). Aufgrund dieser äußerst besorgniserregenden Entwicklung des Infektionsgeschehens muss das Interesse des Antragstellers am Weiterbetrieb seines Theaters derzeit hinter dem Gesundheitsschutz der gesamten Bevölkerung zurücktreten.
In dieser Situation fallen die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm – insbesondere die mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten durch eine Öffnung von Kultureinrichtungen wie Theatern – schwerer ins Gewicht als die (wirtschaftlichen) Folgen ihres einstweilig weiteren Vollzugs (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2020 – 20 NE 20.2468 – BeckRS 2020, 29302 – Rn. 22). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Entscheidung des Verordnungsgebers, bestimmte Lebensbereiche zu schließen, auf einem Gesamtkonzept beruht, im Rahmen dessen insbesondere Schulen und Betreuungseinrichtungen für Kinder sowie eine große Zahl von Betrieben und Unternehmen geöffnet bleiben sollen. Würden Teile dieses Konzepts außer Vollzug gesetzt, bestünde die Gefahr, das Infektionsgeschehen nicht eindämmen zu können, mit gravierenden Folgen (vgl. BVerfG, B.v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20, a.a.O., Rn. 16 m.w.N.; BayVerfGH, E.v. 21.10.2020 – Vf. 26-VII-20 – juris Rn. 27).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von dem Antragsteller angegriffene Bestimmung bereits mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft tritt (§ 28 8. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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