Medizinrecht

Entscheidung des Gerichts trotz Abwesenheit eines Beteiligten

Aktenzeichen  6 ZB 20.31751

Datum:
14.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24806
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3, § 173 S. 1
ZPO § 227

 

Leitsatz

1. Wird die mit einer Erkrankung begründete Terminverlegung erst einen Werktag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt, muss der Verhinderungsgrund wegen der damit verbundenen Missbrauchsgefahr so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw. Reisefähigkeit besteht (Anschluss an OVG Münster BeckRS 2016, 50356). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Falle eines kurz vor dem Termin gestellten Verlegungsantrags ist das Gericht weder verpflichtet, dem Betroffenen einen Hinweis zu geben und ihn zur Ergänzung seines Vortrags aufzufordern noch muss es selbst Nachforschungen anstellen, z.B. durch Nachfrage bei dem Betroffenen selbst und/oder bei dem Arzt, der die Bescheinigung ausgestellt hat (Bestätigung von VGH München BeckRS 2018, 7797). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 7 K 19.30370 2020-07-20 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 20. Juli 2020 – W 7 K 19.30370 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der darin allein geltend gemachte Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung eines Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen. Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt, die Beteiligten ordnungsgemäß geladen hat und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird.
Eine Gehörsverletzung liegt hier nicht in dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf Terminverlegung vom Freitag, 17. Juli 2020, nicht stattgegeben und trotz Ausbleibens der Beteiligten am Montag, 20. Juli 2020, mündlich verhandelt und entschieden hat.
§ 102 Abs. 2 VwGO gestattet die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Entscheidung des Gerichts trotz Abwesenheit eines Beteiligten, wenn in der Ladung – wie hier geschehen – auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Gleichwohl kann die Ablehnung eines Vertagungsantrags den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen, wenn die Terminverlegung aus erheblichen Gründen geboten ist (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO). Eine unvorhergesehene Erkrankung kann einen solchen erheblichen Grund für eine Aufhebung des Verhandlungstermins im Sinn der genannten Vorschriften darstellen, jedoch ist nicht jegliche Erkrankung ein ausreichender Grund für eine Terminverlegung. Eine solche ist nur dann geboten, wenn diese so schwer ist, dass die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann (vgl. OVG NW, B.v. 11.3.2011 – 12 A 1436/10 – juris Rn. 9.; BFH, B.v. 26.11.2009 – VIII B 162/09 – juris Rn. 3).
Ob eine unvorhergesehene Erkrankung im Einzelfall eine Terminverlegung rechtfertigt, muss das Verwaltungsgericht anhand der ihm bekannten Umstände beurteilen. Dazu muss es in der Lage sein, sich über das Vorliegen eines Verlegungsgrundes ein eigenes Urteil zu bilden. Die Voraussetzungen hierfür zu schaffen, ist Aufgabe desjenigen, der die Verlegung beantragt (vgl. OVG NW, B.v. 11.8.2016 – 13 A 98/16 – juris Rn. 18). Das gilt in besonderem Maße dann, wenn der Antrag erst kurz vor der mündlichen Verhandlung gestellt wird. In einem solchen Fall sind an das vorzulegende ärztliche Attest besondere Anforderungen zu stellen. Wird die mit einer Erkrankung begründete Terminverlegung – wie hier – erst einen Werktag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt, muss der Verhinderungsgrund wegen der damit verbundenen Missbrauchsgefahr so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw. Reisefähigkeit besteht (vgl. OVG NW, B.v. 11.8.2016 – 13 A 98/16 – juris Rn. 20; BSG, B.v. 16.4.2018 – B 9 V 66/17 B – juris Rn. 5 m.w.N.). Das erfordert, dass das Gericht aus der Bescheinigung Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage der Verhandlungsfähigkeit selbst beurteilen kann. Nur die Vorlage eines ärztlichen Attestes, welches dem Beteiligten nicht nur eine Erkrankung überhaupt, sondern eine nachvollziehbar dargelegte krankheitsbedingte Verhinderung (im Sinne einer Verhandlungs- und/oder ggf. Reiseunfähigkeit) bescheinigt, ist daher grundsätzlich als ausreichende Entschuldigung anzusehen (ständige Rechtsprechung, z.B. BVerwG, B.v. 9.8.2007 – 5 B 10.07 – juris; BayVGH, B.v. 25.4.2018 – 12 ZB 17.1072 – juris Rn. 3; BSG, B.v. 13.10.2010 – B 6 KA 2/10 – juris Rn. 12 m.w.N.). Gerade bei kurzfristig gestellten Anträgen auf Terminverlegung bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit (vgl. LSG MV, B.v. 13.2.2019 – L 8 AS 450/NZB – juris Rn. 38).
Vor diesem Hintergrund genügt das hier vorgelegte ärztliche Attest zur Darlegung eines Verlegungsanspruchs nicht: Es lässt weder die Schwere der Erkrankung noch das Maß etwaiger Beeinträchtigungen der Reise- und Verhandlungsfähigkeit erkennen (vgl. BGH, B.v. 12.3.2015 – AnwZ (Brfg) 43714 – juris Rn. 5). Die bloße Nennung einer Erkrankung (hier: grippaler Infekt und Bronchitis) mit dem Zusatz, der Kläger könne deswegen „nicht die Reise antreten“, erfüllt die genannten hohen Anforderungen an ein substantiiertes ärztliches Attest nicht. Zwar mag der Arzt für die Beurteilung der Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit sachkompetenter sein, als ein entsprechend informierter Richter. Notwendig ist aber trotzdem die Vorlage eines substantiierten ärztlichen Attestes, d.h. eines solchen, in dem nicht nur das Ergebnis – eine bestehende Reiseunfähigkeit – aufgeführt wird, sondern diese auch plausibel erscheinen lässt. Dazu sind zur Erkrankung zumindest solche Angaben zu machen, aus denen das Gericht nachvollziehbar auf eine die Sitzungsteilnahme ausschließende Reise-/Verhandlungsunfähigkeit schließen kann (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2018 – 12 ZB 17.1072 – juris Rn. 5).
Der im Attest vom 17. Juli 2020 diagnostizierte grippale Infekt mit Bronchitis sagt für sich genommen nichts dazu aus, ob der Kläger in der Lage wäre, einen Gerichtstermin wahrzunehmen. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen eines solchen Infekts; er kann von einer leichten Atemwegserkrankung mit nur gering erhöhter Temperatur bis hin zu schweren Atemproblemen, starken Gliederschmerzen und hohem Fieber reichen. Hierzu enthält das Attest jedoch keinerlei Angaben, vor allem auch nicht dazu, weshalb trotz ärztlicher Behandlung auch nach dem zwischen dem Arztbesuch und der Verhandlung liegenden Wochenende weiterhin Reiseunfähigkeit vorliegen sollte. Sind – wie hier – entsprechende Angaben zur vorliegenden Erkrankung, aus denen das Gericht nachvollziehbar auf eine die Sitzungsteilnahme ausschließende Reiseunfähigkeit schließen kann, weder im ärztlichen Attest noch im Verlegungsantrag selbst enthalten, fehlt es bereits an einer ausreichenden Darlegung eines erheblichen Grundes (vgl. OVG NW, B.v. 11.3.2011 – 12 A 1436/10 – juris Rn. 15).
Ausgehend davon ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht das eingereichte Attest zur Glaubhaftmachung eines erheblichen Grundes für das Nichterscheinen des Klägers zum Termin als nicht ausreichend angesehen und den Terminverlegungsantrag des Klägers abgelehnt hat.
Die Rüge des Klägers, das Gericht habe sich selbsttätig bei der Arztpraxis erkundigen müssen, ob sich der Inhalt des Attests auch noch – ausdrücklich – auf den Verhandlungstag erstrecke, geht fehl. Im Falle eines kurz vor dem Termin gestellten Verlegungsantrags ist das Gericht weder verpflichtet, dem Betroffenen einen Hinweis zu geben und ihn zur Ergänzung seines Vortrags aufzufordern – wie es das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall ungeachtet dessen getan hat – noch muss es selbst Nachforschungen anstellen, z.B. durch Nachfrage bei dem Betroffenen selbst und/oder bei dem Arzt, der die Bescheinigung ausgestellt hat (ständige Rechtsprechung, z.B. BayVGH, B.v. 25.4.2018 – 12 ZB 17.1072 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 27.7.2016 – 11 ZB 16.30121 – juris Rn. 8; BSG, B.v. 3.7.2013 – B 12 R 38.12b – juris).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung nach § 30 Abs. 2 AsylG liegen nicht vor.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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