Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens

Aktenzeichen  B 1 K 18.1245

Datum:
6.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20626
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 2, § 46 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B, BE, CE 79, C1, C1E und L.
Mit Schreiben vom 16. Mai 2018 teilte der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Herr L. dem Beklagten mit, dass beim Kläger Bedenken hinsichtlich der Fahrtauglichkeit bestünden. Er habe den Kläger im Auftrag des Amtsgerichts im Rahmen eines Betreuungsverfahrens untersucht. Hierbei hätten sich Hinweise für Komplikationen bei einem unzureichend eingestellten, seit 2005 bekannten und primär insulinpflichtigen Diabetes mellitus ergeben, welche Bedenken bezüglich der Fahrtauglichkeit des Klägers begründen würden. Daraufhin forderte der Beklagte den Kläger unter dem 22. Mai 2018 und dem 8. Juni 2018 zur Vorlage entsprechender Atteste eines Diabetologen sowie eines Augenarztes auf.
Im Folgenden wurde dem Beklagten das psychiatrische Fachgutachten vom 19. März 2018 des Herrn L. übermittelt (vgl. Behördenakte S. 19). Zudem legte der Kläger ein Attest des Facharztes für Innere Medizin und Diabetologen Dr. W. vom 2. Juli 2018 vor, worin attestiert wird, dass der Kläger seit 2005 an Diabetes Typ 2 leidet und seitdem mit Berlinsulin Normal behandelt wird.
Aus einem Aktenvermerk der Beklagten vom 25. Juli 2018 (Behördenakte S. 30) geht hervor, dass weder der Hausarzt des Klägers noch der Diabetologe Dr. W. Angaben hinsichtlich der Fahreignung des Klägers machen könnten, da sich der Kläger im Jahr 2018 zum ersten Mal bei ihnen in Behandlung begeben habe und derzeit noch keine diesbezügliche aussagefähigen Unterlagen zur Verfügung stünden.
Mit Beibringungsaufforderung vom 31. Juli 2018 forderte der Beklagte den Kläger zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 2 Nr. 5 FeV) bis zum 10. Oktober 2018 auf. Da weder der Hausarzt des Klägers noch dessen Diabetologe eine Aussage über die Fahreignung des Klägers machen könnten, sei ein ärztliches Gutachten notwendig um abzuklären, ob die Diabetes mellitus Erkrankung des Klägers dessen Fahreignung im Sinne der Nummer 5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung beeinträchtige. Die Fragestellung an den Gutachter lautet wie folgt:
„1a. Liegen bei dem Untersuchten Erkrankungen vor, die nach den Nummern 5 der Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellen?
1b. Wenn ja: ist der Untersuchte in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppen 1 und 2 vollständig gerecht zu werden?
2. Liegt eine ausreichende Adhärenz (Compliance; z. B. Krankheitseinsichtigkeit, regelmäßige/überwachte Medikamenteneinnahme [Hinweise auf – ggf. selbstinduzierte – Unter- oder Überdosierung] usw.) vor?
3. Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeuges (je Fahrerlaubnisklassengruppe) weiterhin gerecht zu werden? Ist bzw. sind insbesondere (eine) fachlich einzelfallbegründete Auflage(n) nach Anlage 4 (z. B. ärztliche Kontrollen, Nachuntersuchung) erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen; wenn ja, warum?
4. Ist eine fachlich einzelfallbegründete (je Erkrankung, je Fahrerlaubnisklassengruppe) Nachuntersuchung i. S. einer erneuten [Nach-] Begutachtung erforderlich? Wenn ja, in welchem zeitlichen Abstand?“
Ein Hinweis auf die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 FeV wurde erteilt.
Nach erfolgter Anhörung des Klägers (vgl. Behördenakte S. 47), entzog der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 8. November 2018 die Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B, BE, CE 79, C1, C1E und L (Ziffer 1). Der Kläger werde verpflichtet, seinen Führerschein bis spätestens fünf Tage nach Zustellung dieses Bescheides beim Beklagten abzugeben oder eine Versicherung an Eides statt über den Verbleib des Führerscheins zu erklären (Ziffer 2). Der Sofortvollzug der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Ziffer 3). Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Ziffer 2 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht (Ziffer 4). Dem Kläger wurden die Kosten des Verfahrens in Form einer Gebühr in Höhe von 200,00 EUR und einer Auslage in Höhe von 4,11 EUR auferlegt (Ziffer 6).
Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 46 Abs. 3, § 11 Abs. 1 FeV beruhe, nachdem der Kläger das geforderte ärztliche Gutachten nicht fristgerecht bzw. gar nicht beigebracht habe und der Beklagte daher nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Klägers zum Führen eines Kraftfahrzeuges schließen durfte. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids verwiesen.
Mit Schreiben vom 26. November 2018 – Eingang beim Beklagten am 27. November 2018 – legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid ein.
Unter dem 10. Dezember 2018 erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage und beantragte,
I. Der Bescheid des Zweckverbandes Zulassungsstelle … Az. ZV-FS Entzug … vom 8. November 2018 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, den vom Kläger abgelieferten Führerschein unverzüglich wieder an den Kläger zurückzugeben.
Der Bescheid sei rechtswidrig, da der behandelnde Arzt Dr. W. beim Kläger eine gut eingestellte Diabetes mellitus Typ 2 Erkrankung ohne diabetische Folgeerkrankung diagnostiziert habe. Die Krankheit allein rechtfertige nicht den Schluss auf eine fehlende Fahreignung.
Gleichzeitig stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten.
Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2019 beantragte der Beklagte die Klage abzuweisen.
Er erwiderte, dass die erhobene Anfechtungsklage bereits durch die Einlegung des fakultativen Widerspruches nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 15 Abs. 1 AGVwGO unzulässig sei.
Der Bevollmächtigte des Klägers erklärte mit Schriftsatz vom 7. Februar 2019, dass die erhobene Klage als Untätigkeitsklage zu bewerten sei. Zwar sei die Klage zunächst unzulässig gewesen, da die dreimonatige Frist, die § 75 Satz 2 VwGO vorsehe, noch nicht abgelaufen gewesen sei. Jedoch erwachse die Klage nach Ablauf der dreimonatigen Frist in Zulässigkeit.
Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2019 führte der Beklagte aus, dass über den Widerspruch nicht rechtszeitig habe entschieden werden können, da der Kläger trotz zweimaliger Aufforderung einer Begründung seines Widerspruchs nicht nachgekommen sei. Die Verzögerung im Widerspruchsverfahren sei daher dem Kläger, nicht dem Beklagten zuzurechnen.
Zudem legte der Beklagte ein Schreiben des Klägers vom 22. Januar 2019 samt Anlagen (Führungszeugnis und ärztliche Bescheinigung des Internisten Dr. W vom 19. November 2018, wonach gegen die Tätigkeit des Klägers als LKW-Fahrer keine Einwände trotz seines Diabetes bestünden) vor.
Unter dem 12. März 2019 führte der Kläger aus, dass eine Verzögerung durch ihn gerade nicht stattgefunden habe, da er bereits ärztliche Atteste zum Nachweis seiner Fahreignung bei der Behörde vorgelegt habe. Der Beklagte hätte bereits allein aufgrund dieser ärztlichen Unterlagen eine Entscheidung treffen können.
Hierauf erwiderte der Beklagte am 26. März 2019, dass der Freistaat Bayern, vertreten durch die Regierung von … richtiger Beklagter im Falle der Untätigkeitsklage sei, da der Erlass eines Widerspruchsbescheids gewollt sei.
Mit Schriftsatz vom 1. April 2019 erklärte der Kläger, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung:kein Hinweis darauf zu finden sei, dass im Falle der Untätigkeitsklage der Freistaat Bayern richtiger Beklagter sei, sodass dies nicht zu Lasten des Klägers gehen dürfe.
Auf Nachfrage des Gerichts über den Sachstand des Widerspruchsverfahrens äußerte sich der Beklagte unter dem 19. Juli 2019 dahingehend, dass die Widerspruchsbehörde den Beklagten darauf hingewiesen habe, dass die am 22. Januar 2019 vorgelegten Unterlagen durchaus den Charakter einer Widerspruchsbegründung gezeigt hätten. Es werde dem Kläger daher die Möglichkeit gegeben, nachzuweisen, dass er seine Fahreignung wiedererlangt habe.
Am 4. September 2019 übersandte der Beklagte dem Gericht eine Stellungnahme des behandelnden Diabetologen vom 22. Juli 2019. Aufgrund dieser Stellungnahme bestünden keine Zweifel mehr an der Fahreignung des Klägers, sodass die Beklagte die Ziffern 1 bis 4 des streitgegenständlichen Bescheids mit Wirkung für die Zukunft am 7. August 2019 aufgehoben habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die Behördenakte sowie die unter gleichem Aktenzeichen geführte Beiakte Prozesskostenhilfe Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung ist mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Klage abzulehnen.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO voraus, dass die betreffende Partei außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses zu bestreiten, die beabsichtigte Rechtsverfolgung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 ZPO bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe versagt werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsschutzbegehrens darf dabei nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Schwierige, bislang nicht ausreichend geklärte Rechts- und Tatsachenfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren geklärt werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.7.2005 – 1 BvR 175/05 – NJW 2005, 3489.
Legt man diese Maßstäbe an, kann dem Kläger die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden. Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid wird bei summarischer Prüfung voraussichtlich ohne Erfolg bleiben.
Es kann dahinstehen, ob es für die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Prozesskostenhilfeantrags auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts oder auf den früheren Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (vgl. hierzu BVerwG, B. v. 12.9.2007 – 10 C 39/07 – juris Rn. 1 m.w.N.) ankommt. Zu beiden Zeitpunkten hatte die erhobene Klage nach summarischer Überprüfung keine Aussicht auf Erfolg.
a. Im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags war die erhobene Klage unzulässig.
Die Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags tritt regelmäßig erst nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach der Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme ein (vg. BVerwG, B.v. 12.9.2007 a.a.O. – juris Rn. 1 m.w.N.). Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde mit der Klageerhebung am 10. Dezember 2018 gestellt. Gleichzeitig wurde auch die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers bei Gericht eingereicht. Spätestens im Zeitpunkt der Klageerwiderung am 3. Januar 2019 trat daher Entscheidungsreife über den Prozesskostenhilfeantrag ein.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 26. November 2018 (Eingang beim Beklagten am 27. November 2018) Widerspruch gegen den streitgegenständlichen Bescheid ein. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des 3. Januar 2019 war die in § 75 VwGO vorgesehene dreimonatige Frist noch nicht abgelaufen, sodass keine Untätigkeitssituation vorlag. Daher schloss das Widerspruchsverfahren zu diesem Zeitpunkt die erhobene Klage aus. Die Klage war unzulässig.
b. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den Prozesskostenhilfeantrag ist die erhobene Anfechtungsklage nach summarischer Überprüfung bezüglich der angegriffenen Ziffern 1 bis 4 bereits unzulässig (vgl. aa.) und im Übrigen (Ziffer 5) unbegründet (siehe bb.). Der Annexantrag nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf Herausgabe des Führerscheins ist ebenfalls unzulässig (vgl. cc.)
aa. Die Anfechtungsklage gegen die Ziffern 1 bis 4 des streitgegenständlichen Bescheids ist nach summarischer Überprüfung unstatthaft.
Der Beklagte hat mit Bescheid vom 7. August 2019 die Ziffern 1 bis 4 des streitgegenständlichen Bescheids vom 8. November 2018 mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO (hier i. V. m. § 75 VwGO) ist nur dann statthaft, wenn der zugrundeliegende Verwaltungsakt noch wirksam ist (vgl. Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 42 Rn. 14). Nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG bleibt ein Verwaltungsakt solange wirksam, bis er sich erledigt hat. Eine Erledigung ist dann anzunehmen, wenn ein Verwaltungsakt aufgrund nachträglicher Entwicklung seinen Regelungszweck nicht mehr erreichen kann (vgl. VG Würzburg, U.v. 6.5.2019 – W 8 K 18.1027 – juris Rn. 18, m.w.N.), d.h., wenn er seine tatsächliche oder rechtliche Grundlage verliert (vgl. Leisner-Egensperger in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsgesetz, 2. Auflage 2019, § 43 Rn. 67 m.w.N.). Durch den Widerruf vom 7. August 2019 entfalten die Ziffern 1 bis 4 des streitgegenständlichen Bescheids keine Wirkung mehr, sodass sich diese Anordnungen erledigt haben. Die erhobene Anfechtungsklage ist daher bereits aufgrund der Erledigungssituation nach summarischer Prüfung unstatthaft. Eine Umstellung der Klage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage wurde nicht beantragt. Auch ein hierfür notwendiges Fortsetzungsfeststellungsinteresse wurde bisher nicht substantiiert dargelegt.
bb. Die Klage gegen die Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides hat bei summarischer Prüfung in der Sache keinen Erfolg.
Der Widerruf des streitgegenständlichen Bescheids umfasste nicht die Kostenentscheidung in Ziffer 5. Eine Erledigung ist demnach nicht eingetreten, sodass die erhobene Anfechtungsklage weiterhin statthaft ist.
Die Voraussetzungen der Untätigkeit nach § 75 VwGO liegen zudem vor. Die dreimonatige Frist, die § 75 VwGO als angemessene Entscheidungsfrist vorsieht, war zum Zeitpunkt des Widerrufs des Bescheids (7. August 2019) bereits abgelaufen. Ein zureichender Grund dafür, dass über den Widerspruch des Klägers nicht innerhalb von drei Monaten entschieden wurde, liegt nicht vor. Mit Schreiben vom 12. Juli 2019 führte der Beklagte selbst aus, dass die am 22. Januar 2019 vorgelegten Unterlagen nach Ansicht der Regierung von … den Charakter einer Widerspruchsbegründung aufweisen würden. Hierdurch sind die Voraussetzungen des § 75 VwGO erfüllt. Die „Untätigkeitsklage“ nach § 75 VwGO ist keine besondere Klageart, sondern ein Fall der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage mit besonderen Sachurteilsvoraussetzungen. Im Fall des Vorliegens der Voraussetzungen des § 75 VwGO ändert sich daher nichts an der Klageart und dem Klageziel, es entfällt lediglich das Vorverfahren. Der erhobenen Anfechtungsklage steht daher das primär eingelegte und die Klage ausschließende Widerspruchsverfahren nicht mehr entgegen.
Die Klage richtet sich auch gegen den richten Beklagten. Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO richtete sich die auf Aufhebung des erlassenen Verwaltungsaktes gerichtete Anfechtungsklage auch im Falle der Untätigkeit gegen die Ausgangsbehörde oder deren Rechtsträger (vgl. Porsch in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Werkstand: 37. EL Juli 2019, § 75 Rn. 2 m.w.N.). Der Zweckverband Zulassungsstelle … ist daher richtiger Beklagter.
Die Kostenentscheidung in Ziffer 5 des Bescheids erfolgte rechtmäßig und hat den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Gebühr in Höhe von 200,00 EUR ist nicht zu beanstanden, da § 1 und 4 Abs. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) i. V. m. Nr. 206 des Gebührentarifs für Maßnahmen im Straßenverkehr (Anlage 1 zu § 1 GebOSt) einen Gebührenrahmen von 33,20 EUR bis 256,00 EUR vorsieht, in dem sich die festgesetzte Gebühr bewegt. Die Auslagen in Höhe von 4,11 EUR für die Postzustellung durften richtigerweise nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt erhoben werden.
Die Kostenerhebung beruht auch auf einer richtigen Sachbehandlung im Sinne des Art. 16 Abs. 5 KG.
Bei der gerichtlichen Prüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde abzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.2015 – 11 CS 15.2036 – juris Rn. 17 m.w.N.). Da der streitgegenständliche Bescheid mit Wirkung für die Zukunft aufgrund der Wiedererlangung der Fahreignung des Klägers aufgehoben wurde und hierdurch deutlich wird, dass gerade keine Entscheidung im Rahmen des primär erhobenen Widerspruchsverfahrens stattgefunden hat, ist auf den Zeitpunkt des Erlasses der Entziehungsanordnung abzustellen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen (Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheids), wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Nach Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV stellt Diabetes mellitus eine Erkrankung dar, die die Fahreignung beeinträchtigen kann. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 und Satz 3 Nr. 5 FeV kann die Behörde, sobald Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche und geistige Eignung des Betroffenen begründen, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen.
Der Beklagte hat zu Recht auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen, da er das geforderte ärztliche Gutachten nach § 11 Abs. 2 FeV nicht zum angeordneten Termin vorgelegt hat. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Behörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 FeV). Nach ständiger Rechtsprechung ist die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nicht selbstständig rechtlich anfechtbar, da es sich hierbei um keinen Verwaltungsakt, sondern lediglich um eine, der eigentlichen Entscheidung vorausgehende und diese vorbereitende Maßnahme zur Sachverhaltsaufklärung handelt. Die Rechtmäßigkeit der Aufforderung wird deshalb inzident gerichtlich geprüft (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/15 – juris Rn. 17 f.). Daher ist der Schluss auf die Nichteignung nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 25.6.2008 – 11 ZB 08.1123 – juris; B.v. 17.4.2019 – 11 CS 19.24 – juris Rn. 17; B.v. 5.6.2009 – 11 CS 09.69 – juris Rn. 13; VG Bayreuth, B.v. 15.8.2018 – B 1 S 18.724 – juris Rn. 30; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 11 FeV Rn. 51 f.).
Die Beibringungsaufforderung vom 31. Juli 2018 entspricht den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV. Insbesondere die Frist von über zwei Monaten zur Beibringung ist angemessen im Sinne des § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Auch Hinweise darauf, dass der Kläger die Kosten der Begutachtung zu tragen hat und das Recht hat, die zu übersendenden Unterlagen einzusehen (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV) sowie ein Hinweis über die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV) sind in der Beibringungsanordnung enthalten.
Die Beibringungsanordnung erfolgte auch anlassbezogen und verhältnismäßig. Ein Anlass liegt dann vor, wenn hinreichende konkrete Tatsachen und nicht nur ein vager Verdacht, bestehen, die die im Gutachten gestellte Fragestellung rechtfertigen. Ausreichend sind insoweit alle Tatsachen, die den nachvollziehbaren Verdacht rechtfertigen, es könne eine Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2013 – 11 CS 13.1064 – juris Rn. 15; B.v. 5.6.2009 – 11 CS 09.69 – juris Rn. 16). Aufgrund der Mitteilung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Herrn L. vom 16. Mai 2018 und dem Psychiatrischen Fachgutachten vom 19. März 2018 erhielt der Beklagte erstmals Kenntnis über eine unzureichend eingestellte Diabeteserkrankung des Klägers. Ein später vorgelegter Arztbericht des Dr. W vom 2. Juli 2018 bestätigte diese Diabeteserkrankung. Aufgrund der Tatsache, dass der Kläger erstmalig beim Internisten Dr. W vorstellig geworden ist und der Arzt daher keine Auskunft über die Folgen der Diabeteserkrankung auf die Fahreignung des Klägers treffen konnte, bestand ein auf Tatsachen beruhender Verdacht, dass der Kläger nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Durch das geforderte Gutachten sollte die Fahreignung des Klägers ermittelt werden. Das geforderte Gutachten war daher anlassbezogen. Da im Vorfeld einer möglichen Entziehung zunächst die Fahreignung des Klägers geklärt werden sollte, war die Anordnung auch verhältnismäßig.
Das rechtmäßig geforderte Gutachten wurde bis zum Ablauf der hierfür gesetzten angemessenen Frist durch den Kläger nicht vorgelegt, sodass der Beklagte nach § 11 Abs. 8 FeV von einer Ungeeignetheit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen durfte. Die Fahrerlaubnis musste dem Kläger daher entzogen werden.
Die Abgabeverpflichtung (Ziffer 2) ist als begleitende Anordnung zur Fahrerlaubnisentziehung geboten, um die Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV durchzusetzen.
Gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids, die auf der Grundlage der Art. 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 Nr. 3, 29, 30, 31, 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) beruht, bestehen keine rechtlichen Bedenken. Insbesondere die Höhe des angedrohten Zwangsgelds bewegt sich im unteren Bereich des Rahmens, den Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG vorgibt.
cc. Der Annexantrag des Klägers auf Herausgabe seines Führerscheins nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Herausgabe des Führerscheins an den Kläger unstatthaft und hat daher nach summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg.
2. Nach alledem ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen, ohne dass es auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ankommt.


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