Medizinrecht

Erfolgloser Eilantrag des Betreibers eines Möbelhauses auf vorläufige Außervollzugsetzung der pandemiebedingte Schließung

Aktenzeichen  20 NE 21.367

Datum:
23.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2697
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 abs. 6
11. BayIfSMV § 12 Abs. 1
IfSG § 28a
GG Art. 14

 

Leitsatz

1. Betriebsschließungen nach § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG führen im Regelfall noch nicht zu einem Eingriff in die Substanz der geschlossenen Betriebe und damit auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Eigentumsgrundrechts oder des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Hinblick darauf auf die Gefahr durch neue besorgniserregenden Virusvarianten („Variants of concern“, VOC) kann derzeit noch nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber mit Betriebsschließungen den ihm bei der Bewertung der Gefahrenlage zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten hat. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Schließung von Einzelhandelsbetrieben erweist sich derzeit zur Erreichung der Ziele des Schutzkonzepts der 11. BayIfSMV als verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und angemessen. (Rn. 18 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin betreibt ein Möbelhaus mit angeschlossenen Küchenstudio in M. Mit ihrem Eilantrag begehrt sie die vorläufige Außervollzugsetzung des § 12 Abs. 1 Satz 1 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020 (11. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 737), zuletzt geändert am 12. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 112).
Zur Begründung ihres Eilantrags vom 4. Februar 2021 führte sie zunächst an, zumindest ihr Küchenstudio sei ein Dienstleistungsbetrieb und nicht von der Schließung nach § 12 11. BayIfSMV betroffen. Sie verfüge über ein Hygienekonzept, welches die Öffnung des Geschäftes ermögliche. Die Schließung sei aufgrund ihrer Dauer und Intensität nicht mehr verhältnismäßig. Ein stures Festhalten an der 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner von über 50 entspreche nicht den rechtlichen Vorgaben des § 28a IfSG.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
A.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV hat unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg (2.). Auch eine Folgenabwägung fällt zulasten der Antragstellerin aus (3.).
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.
Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ juris Rn. 12).
Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
2. Nach diesen Maßstäben ist der Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelungen abzulehnen, weil ein in der Hauptsache noch zu erhebender Normenkontrollantrag bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg hat.
a) Im Hinblick auf die Frage, ob die angegriffene Schließung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handels-, Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe durch § 12 Abs. 1 Satz 1 und § 13 Abs. 1 11. BayIfSMV auf einer ausreichenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung beruht, insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt und an das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG genügt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen umfassend Bezug genommen auf den Beschluss des Senats vom 8. Dezember 2020 (Az. 20 NE 20.2461, BeckRS 2020, 34549, Rn. 22 ff.), wonach gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 28a IfSG jedenfalls im Rahmen des Eilrechtsschutzes keine durchgreifenden Bedenken bestehen.
b) Die Ermächtigung zur Untersagung von Betrieben nach § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG verstößt voraussichtlich auch nicht wegen des Fehlens einer Ausgleichsregelung gegen die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG. Begrenzungen der Eigentümerbefugnisse sind als Ausfluss der Sozialgebundenheit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen. Überschreitet der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit, indem er den Kernbereich der Eigentümerbefugnisse aushöhlt, so ist die gesetzliche Regelung unwirksam. Es ist dem Gesetzgeber aber nicht grundsätzlich verwehrt, eigentumsbeschränkende Maßnahmen, die er im öffentlichen Interesse für geboten hält, auch in Härtefällen durchzusetzen, wenn er durch kompensatorische Maßnahmen unverhältnismäßige oder gleichheitswidrige Belastungen des Eigentümers vermeidet und schutzwürdigem Vertrauen angemessen Rechnung trägt (vgl. BVerfG, U.v. 6.12.22016 – 1 BvR 2821/11 u.a. – BVerfGE 143, 246 – juris Rn. 258 ff.; B.v. 2.3.1999 – 1 BvL 7/91 – BVerfGE 100, 226 – juris Rn. 76 ff.).
Die Betriebsschließungen nach § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG führen im Regelfall noch nicht zu einem Eingriff in die Substanz der geschlossenen Betriebe und damit auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 Abs. 1 GG) oder des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Auch Letzteres schützt nur den konkreten Bestand an Rechten und Gütern und keine bloßen Umsatz- und Gewinnchancen; es geht nicht über die Gewährleistung des Art. 12 Abs. 1 GG hinaus (vgl. BVerfG, U.v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11 u.a. – BVerfGE 143, 246 – juris Rn. 240). Bei der Beurteilung der Eingriffsintensität und der Frage, ob im jeweiligen Einzelfall ein eigentumsrelevanter Eingriff in die Substanz eines Gewerbebetriebs i.S.d. Art. 14 Abs. 1 GG vorliegt (vgl. auch Winter/Thürk in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 18 Rn. 48), sind insbesondere die Dauer der Maßnahme und die Auswirkungen auf den konkreten Betrieb zu beurteilen. Aufgrund des Vorbringens der Antragstellerin vermag der Senat gegenwärtig noch keinen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG von solchem Ausmaß erkennen, der nur durch einen durch den Gesetzgeber vorab normierten finanziellen Ausgleich verhältnismäßig sein könnte.
c) Die von der Antragstellerin angegriffenen Bestimmung des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV steht mit der Ermächtigungsgrundlage der §§ 32 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in Einklang und erweist sich im Rahmen einer summarischen Prüfung nicht offensichtlich als rechtswidrig. Hierzu kann im Grundsatz auf die Ausführungen des Senats in den Beschlüssen vom 5. November 2020 (Az. 20 NE 20.2468 – juris Rn. 14 ff.) und 12. November 2020 (Az. 20 NE 20.2463 – juris Rn. 33 ff.) Bezug genommen werden.
aa) Sowohl zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verordnungsgebers, die Geltungsdauer der 11. BayIfSMV bis zum 7. März 2021 (vgl. § 1 Nr. 9 der Verordnung zur Änderung der 11. BayIfSMV vom 12.2.2021, BayMBl. 2021 Nr. 112) nochmals zu verlängern, als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats liegen die Voraussetzungen des § 28a Abs. 3 Satz 4, 5 und 10 IfSG vor. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 22. Februar 2021 (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-22-de.pdf? blob=publicationFile) ist nach wie vor eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Nach der aktuellen Risikobewertung des RKI (Stand 12.2.2021, vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) ist die Dynamik der Verbreitung einiger neuer Varianten (VOC) von SARS-CoV-2 besorgniserregend. Es ist noch unklar, wie sich deren Zirkulation auf die Situation in Deutschland auswirken wird. Aufgrund der vorliegenden Daten zu einer erhöhten Übertragbarkeit der VOC besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer Verschlimmerung der Lage. Ob und in welchem Maße die VOC die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe beeinträchtigen, ist derzeit noch nicht sicher abzuschätzen. Das individuelle Risiko, schwer zu erkranken, kann anhand der epidemiologischen bzw. statistischen Daten nicht abgeleitet werden. Auch ohne bekannte Vorerkrankungen und bei jungen Menschen kann es zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen können auch nach leichten Verläufen auftreten. Die 7-Tages-Inzidenz beträgt in Bayern aktuell 58.
Abgesehen davon hat der Verordnungsgeber ungeachtet der rückläufigen Tendenz der Neuinfektionen auf die Gefahr durch neue besorgniserregenden Virusvarianten („Variants of concern“, VOC) abgestellt. Insbesondere die zunächst in Großbritannien beschriebene Variante B1.1.7 scheine eine deutlich höhere Übertragbarkeit zu besitzen, erste wissenschaftliche Daten deuteten zudem auf eine erhöhte Fallsterblichkeit hin. Für die südafrikanische VOC B.1.351 und die brasilianische VOC P.1 werde eine verringerte Wirkung neutralisierender Antikörper diskutiert, wodurch die Immunität gegenüber diesen Varianten schwächer ausgeprägt sein könnte bei Personen, die an der ursprünglichen SARS-CoV-2-Variante erkrankt waren oder den Impfstoff erhalten haben. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (European Centre for Disease Prevention and Control – ECDC) habe die Risikoeinstufung für die Einschleppung und gemeinschaftliche Ausbreitung der VOC am 21. Januar 2021 von „hoch“ auf „sehr hoch“ geändert und warne vor einer mit einer verstärkten Ausbreitung einhergehenden Erhöhung der Hospitalisierungs- und Sterberaten in allen Altersgruppen, insbesondere aber bei älteren Menschen und Personen mit Vorerkrankungen. Es sei daher von entscheidender Bedeutung, die Übertragung und Ausbreitung von SARS-CoV-2 so gering wie möglich zu halten und Ausbrüche zu verhindern, um Belastungsspitzen im Gesundheitswesen zu vermeiden (vgl. Begründung der Änderungsverordnung vom 12.2.2021, BayMBl. 2021, 113 S. 2).
Im Hinblick darauf kann derzeit noch nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber den ihm bei der Bewertung der Gefahrenlage zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten hat. Der Normgeber darf insbesondere nicht erst dann tätig werden, wenn die Tatsachengrundlage für eine beabsichtigte Regelung in der Wissenschaft übereinstimmend als gesichert bewertet wird (vgl. BayVerfGH, E.v. vom 29.1.2021 – Vf. 96-VII-20 – juris Rn. 46; E.v. 30.12.2020 – Vf. 96-VII-20 – juris Rn. 28 ff.; vgl. auch BVerfG, E.v. 16.4.2020 – 1 BvQ 33/20 – juris Rn. 7).
bb) Die Schließung von Einzelhandelsbetrieben erweist sich zur Erreichung der Ziele des Schutzkonzepts der 11. BayIfSMV voraussichtlich auch als verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und angemessen.
(1) Der Senat geht nach wie vor davon aus, dass Betriebsschließungen mit der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag kraft Gesetzes eine grundsätzlich zur Bekämpfung der Coronavirus-Krankheit-2019 geeignete und erforderliche Infektionsschutzmaßnahme sind. Davon ist der Gesetzgeber durch den Erlass des mit Artikel 1 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) eingefügten § 28a IfSG ausgegangen. Zwar sind die dadurch eingeräumten Befugnisse der Infektionsschutzbehörden und damit vor allem des Verordnungsgebers nach § 32 IfSG, Untersagungs- und Beschränkungsmaßnahmen für ganze Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie allgemeine Verhaltenspflichten für jedermann zur Bekämpfung von COVID-19 zu erlassen, zum Teil sehr weitgehend und in die Grundrechte der Betroffenen tief eingreifend. Auf der anderen Seite muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese Befugnisse allein auf das Ereignis der Corona-Pandemie zugeschnitten sind und jedenfalls flächendeckend nur für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag erlassen werden können. Dadurch hat der Bundestag eine Gefährdungseinschätzung durch die Corona-Pandemie, welche sowohl Gefahrenabwehrelemente als auch Gefahrenprognoseelemente (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 28.6.2004 – 6 C 21.02 – BeckRS 2004,25030) enthält, zum Ausdruck gebracht, welche grundsätzlich solch einschneidende Maßnahmen voraussichtlich rechtfertigen kann. Dass der Bundestag hier seinen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 12.5.2020 – 1 BvR 1027/20 – NVwZ 2020, 1823 – juris Rn. 6) überschritten hätte, ist nicht ersichtlich. Bei der Entscheidung über die weitere Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite muss gegebenenfalls die Sach- und Interessenlage neu abgewogen werden. Deswegen greifen die Einwendungen der Antragstellerin, die Schließung von Einzelhandels- und Gastronomiebetrieben sei nicht geeignet und erforderlich, um das Infektionsgeschehen einzudämmen, nicht durch.
Abgesehen davon zeigt sich vorliegend bei summarischer Beurteilung kein gleich wirksames, die Normbetroffenen weniger belastendes (milderes) Mittel. Zwar können auch Hygienekonzepte zu einer Reduzierung von Ansteckungen mit SARS-CoV-2 beitragen. In der derzeitigen Phase der Pandemie, die weiterhin von einem starken diffusen Ausbruchsgeschehen geprägt ist und in der in vielen Fällen das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden kann (vgl. auch Begründung vom 12.2.2021, BayMBl. 2021 Nr. 113, S. 2), ist die Prognose des Verordnungsgebers, dass vordringlich auf Einhaltung von Abstand und Hygiene ausgerichtete Maßnahmen weiterhin nicht genügen, sondern die Kontakte der Bevölkerung insgesamt stärker unterbunden werden müssten, um das Infektionsgeschehen weiter einzudämmen, voraussichtlich nicht fehlerhaft. Die von der Antragstellerin angeführten Studien zu den Infektionsrisiken in Einzelhandelsgeschäften bzw. sonstigen Betrieben rechtfertigen deshalb kein anderes Ergebnis.
(2) Auch gegen die Angemessenheit der Betriebsschließungen bestehen derzeit keine durchgreifenden Bedenken. Dabei verkennt der Senat nicht, dass diese nicht zuletzt wegen ihrer Dauer zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Einbußen der Betreiber führen und damit deren Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG schwer beeinträchtigen und ggf. im Einzelfall – mit zunehmender Dauer – auch in die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) eingreifen können.
Ob Betriebsschließungen in der konkreten Situation im entscheidungserheblichen Zeitpunkt eine angemessene Schutzmaßnahme darstellen, hat der Verordnungsgeber nach § 32 IfSG zu entscheiden. Dieser hat in einer dokumentierten Entscheidung die besonders gewichtigen infektiologischen Erfordernisse mit sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit nach § 28a Abs. 6 IfSG abzuwägen. Dabei dürfte es sich um eine prognostische Abwägungsentscheidung handeln, welche dem Verordnungsgeber einen Beurteilungsspielraum eröffnet, der gerichtlich nur begrenzt überprüfbar ist (BayVGH, B. v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris Rn. 25). Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt allerdings die Frage, ob der Verordnungsgeber von sachlichen Erwägungen ausgegangen ist. Hierbei kommt der Begründung der Verordnung nach § 28a Abs. 5 IfSG besondere Bedeutung zu. Insoweit enthält die Begründung der 11. BayIfSMV (BayMBl. 2020 Nr. 738 S. 5) lediglich Anhaltspunkte, dass der Verordnungsgeber angesichts der dramatischen Situation der Reduzierung der Kontakte einen unbedingten Vorrang einräumen wollte. Bei der Verlängerung der Maßnahmen, zuletzt mit Verordnung vom 12. Februar 2021, ging der Verordnungsgeber davon aus, dass Betriebsschließungen mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen fortgeführt werden müssen (vgl. BayMBl. 2021 Nr. 113 S. 1).
Diese Einschätzung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht rechtlich zu beanstanden (vgl. auch BayVerfGH, E.v. 1.2.2021 – Vf. 98-VII-20 – juris Rn. 20). Angesichts des weiterhin angespannten Infektionsgeschehens sowie der gravierenden Auswirkungen im Fall einer (konkret drohenden) Überlastung des Gesundheitssystems stehen die wirtschaftlichen Folgen für die Betreiber derzeit nicht außer Verhältnis zu Gewicht und Dringlichkeit der die Maßnahmen rechtfertigenden Gründe. Die verbesserte epidemische Lage seit dem Verordnungserlass der 11. BayIfSMV am 15. Dezember 2010 bietet gegenwärtig noch keinen Anlass zu einer anderen Einschätzung, zumal die Auswirkungen der sich rasch verbreitenden mutierten, wohl ansteckenderen Virusvarianten (VOC) auf die Gefährdungslage in Deutschland (vgl. oben Rn. 19) gegenwärtig noch nicht sicher abgeschätzt werden kann.
3. Aber auch wenn man von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausgeht, ergibt die im Rahmen des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Folgenabwägung, dass die Interessen der Gesamtbevölkerung am Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) die Interessen der Antragstellerin an einer Öffnung ihres Betriebes überwiegen.
In der sich aus dem aktuellen Situationsbericht des RKI ergebenden unsicheren Situation ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen – im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten – schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Grundrechte der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 und ggf. aus Art. 14 Abs. 1 GG. Gegenüber den bestehenden Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet ist, müssen die Interessen der Antragstellerin derzeit zurücktreten.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 7. März 2021 außer Kraft tritt (vgl. § 29 11. BayIfSMV), zielt der Eilantrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben