Medizinrecht

Erfolgloser, kurz vor der mündlichen Verhandlung gestellter, krankheitsbedingter Terminverlegungsantrag eines Rechtsanwalts

Aktenzeichen  M 15 K 15.1083

Datum:
16.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146944
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 36 Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 173
ZPO § 227 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Bei einem kurzfristig vor der mündlichen Verhandlung gestellten und mit einer Erkrankung begründeten Terminverlegungsantrag muss wegen der damit verbundenen Missbrauchsgefahr der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert werden, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungsunfähigkeit oder eine die Teilnahme an der Verhandlung ausschließende Reiseunfähigkeit besteht (vgl. OVG NRW BeckRS 2016, 50356). Die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne Ausführungen zu Art und Schwere de Erkrankung reicht hierzu nicht aus. (Rn. 11) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Im Falle eines kurz vor dem Termin gestellten Verlegungsantrags ist das Gericht – jedenfalls bei einem anwaltlich vertretenen Kläger – grundsätzlich weder verpflichtet, dem Betroffenen einen Hinweis zu geben noch ihn zur Ergänzung seines Vortrags aufzufordern (wie BayVGH BeckRS 2016, 50112). (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Indem der Gesetzgeber in § 36 Abs. 2 BAföG den § 36 Abs. 1 BAföG für entsprechend anwendbar erklärt, bedeutet dies, dass Vorausleistungen im Fall des § 36 Abs. 2 BAföG nur bewilligt werden können, wenn eine Gefährdung der Ausbildung glaubhaft gemacht wird. (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Das Gericht konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. März 2017 über die Klage entscheiden, obwohl für die Klägerin niemand zur Verhandlung erschienen ist und Rechtsanwalt Prof. Dr. … als neuer Bevollmächtigter der Klägerin in der Nacht vor der mündlichen Verhandlung einen Verlegungsantrag gestellt und hierzu eine ärztliche Bescheinigung der Verhandlungunfähigkeit wegen „akuter Lumbago“ vorgelegt hat.
Gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt werden. Ein solcher erheblicher Grund für eine Terminsverlegung war hier nicht gegeben.
Zwar kann ein erheblicher Grund i.S. von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorliegen, wenn der Prozessbevollmächtigte unvorhergesehen so schwer erkrankt ist, dass von ihm die Wahrnehmung des Termins deshalb nicht erwartet werden kann. Ob eine unvorhergesehene Erkrankung im Einzelfall eine Terminsverlegung rechtfertigt, muss das Gericht anhand der ihm bekannten Umstände beurteilen. Die Voraussetzungen hierfür zu schaffen, ist Aufgabe desjenigen, der die Verlegung beantragt, jedenfalls dann, wenn der Antrag erst kurz vor der Verhandlung gestellt wird. Bei einem kurzfristig vor der Verhandlung gestellten und mit einer Erkrankung begründeten Terminsverlegungsantrag muss wegen der damit verbundenen Missbrauchsgefahr der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungsunfähigkeit oder eine die Teilnahme an der Verhandlung ausschließende Reiseunfähigkeit vorliegt (OVG NRW, B.v. 11.8.2016 – 13 A 98/16 -juris m.w.N.). An die Glaubhaftmachung sind in einem solchen Fall hohe Anforderungen zu stellen (OVG NRW, a.a.O.). Die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ohne dass im Attest oder im Verlegungsantrag Ausführungen zu Art und Schwere der Erkrankung enthalten sind, genügt hierzu nicht. Wird eine Terminsverlegung erst einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit besteht. Im Falle eines kurz vor dem Termin gestellten Verlegungsantrags ist das Gericht – jedenfalls bei einem anwaltlich vertretenen Kläger wie hier -grundsätzlich weder verpflichtet, dem Betroffenen einen Hinweis zu geben noch ihn zur Ergänzung seines Vortrags aufzufordern (BayVGH, B.v. 27.7.2016 – 11 ZB 16.30121).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist hier schon fraglich, ob ein erheblicher Grund in der Erkrankung von Rechtsanwalt Prof. Dr. … zu sehen ist. Zwar wurde durch ärztliches Attest dessen Arbeitsunfähigkeit für den 15. und 16. März 2016 wegen „akuter Lumbago mit Verhandlungsunfähigkeit“ bescheinigt. Das Gericht konnte sich aber selbst kein Bild darüber machen, ob der sogenannte „Hexenschuss“ so schwerwiegend war, dass auch am Tag nach der ärztlichen Behandlung noch eine Verhandlungsunfähigkeit vorlag, zumal nur Arbeitsunfähigkeit für den 15. und 16. März 2016 bescheinigt worden ist, während der Zeitraum der Verhandlungsunfähigkeit nicht genau bezeichnet worden ist. Zweifel hieran hat das Gericht insbesondere deshalb, weil Rechtsanwalt Prof. Dr. … beim letzten für ihn von der Kammer anberaumten Verhandlungstermin – es ging damals um seine eigenen Angaben im BAföG-Verfahren der Klägerin, Az. M 15 K 15.788 – am Sitzungstag ebenfalls ein ärztliches Attest von
Dr. med. … vorgelegt hat, durch das ihm für den Sitzungstag Verhandlungsunfähigkeit attestiert worden ist. Damals ist der Termin verlegt worden, zum verlegten Termin ist Rechtsanwalt Prof. Dr. … dann nicht erschienen. Unter diesen Umständen sind nach Ansicht der Kammer erhöhte Anforderungen an den Nachweis der Verhandlungsunfähigkeit zu stellen. Beispielsweise wäre eine Aussage dazu zu erwarten gewesen, weshalb trotz Behandlung am 15. März auch am 16. März noch Verhandlungsunfähigkeit vorliegen sollte. Diesen erhöhten Anforderungen genügt das nunmehr von Prof. Dr. … vorgelegte Attest nicht.
Die Einholung eines detaillierteren ärztlichen Attests durch das Gericht wäre in Anbetracht der Kürze der Zeit nicht zielführend gewesen, denn die Verhandlung war auf 10 Uhr 30 angesetzt und dem Gericht wurde der Terminsverlegungsantrag erst kurz vor Beginn der Kammersitzung übergeben. In einem solch kurzfristigen Fall kann vom Bevollmächtigten erwartet werden, dass er von vorneherein ein Attest vorlegt, das jeglichen Zweifel des Gerichts über seine Verhandlungsunfähigkeit am Sitzungstag ausschließt. Im Falle eines kurz vor dem Termin gestellten Verlegungsantrags ist das Gericht – jedenfalls bei einem anwaltlich vertretenen Kläger wie hier – grundsätzlich weder verpflichtet, dem Betroffenen einen Hinweis zu geben noch ihn zur Ergänzung seines Vortrags aufzufordern (BayVGH, B.v. 27.7.2016 – 11 ZB 16.30121).
Jedenfalls aber liegt ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung hier auch deshalb nicht vor, weil nicht dargelegt wurde, weshalb Rechtsanwalt … die Klägerin nicht in der mündlichen Verhandlung vertreten konnte. Dieser hat die Klägerin bislang vertreten. Zwar hat Rechtsanwalt Prof. Dr. … weniger als zwei Tage vor der Verhandlung mitgeteilt, Rechtsanwalt … vertrete die Klägerin nicht mehr. Daraus ergibt sich aber nicht, dass das Mandatsverhältnis der Klägerin zu Rechtsanwalt … wirksam gekündigt wurde. Entscheidend für die Frage, ob eine Bevollmächtigung fortbesteht, ist das Innenverhältnis zwischen der Klägerin und Rechtsanwalt … (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.1983 -9 B 10275/83 – juris). Wenn dieses noch nicht rechtswirksam gekündigt worden sein sollte, so bestünde die Vollmacht von Rechtsanwalt … für die Klägerin weiter. Ob dies hier der Fall ist, kann vom Gericht nicht abschließend beurteilt werden. Dies kann aber auch dahin gestellt bleiben.
Selbst wenn das Mandatsverhältnis der Klägerin zu Rechtsanwalt … wirksam gekündigt worden sein sollte, so hätte Rechtsanwalt Prof. Dr. … dennoch bei seinem Terminsverlegungsgesuch nachweisen müssen, dass auch Rechtsanwalt … am anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung verhindert ist. Rechtsanwalt … ist nämlich nicht nur am Kanzleisitz der Kanzlei von Prof. Dr. … (zumindest im selben Gebäude im selben Stockwerk) tätig, sondern Prof. Dr. … ist auch „Allgemein bestellter Vertreter nach § 53 BRAO“ für Rechtsanwalt … wie die Kammer jüngst aus Schriftsätzen im Verfahren M 15 K 16.2122 ersehen konnte; in diesem Verfahren wechseln sich die Unterschriften von Rechtsanwalt … und von Prof. … in Behörden- und Gerichtsakten ab. Nach telefonischer Auskunft der Rechtsanwaltskammer ist umgekehrt auch Rechtsanwalt … für das Jahr 2017 nach § 53 Abs. 2 BRAO allgemein bestellter Vertreter für Rechtsanwalt Prof. Dr. … Vor diesem Hintergrund hätte Rechtsanwalt Prof. Dr. … mit der Terminswahrnehmung Rechtsanwalt …, der die Klägerin jedenfalls bis kurz vor der mündlichen Verhandlung vertreten hat, mit der Sache vertraut und zur mündlichen Verhandlung geladen war, beauftragen können. Die Behauptung von Prof. Dr. … in seinem Terminsverlegungsantrag, dass aufgrund der Kürze der Zeit kein anderweitiger Vertreter habe beauftragt werden können, genügt unter diesen Umständen nicht. Vielmehr hätte dargelegt werden müssen, weshalb Rechtsanwalt …, der zu diesem Termin geladen war und sich darauf eingestellt haben müsste, an der Terminswahrnehmung am 16. März gehindert war. Da dies nicht dargelegt wurde, gab es keinen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung. Mithin konnte die Kammer aufgrund der mündlichen Verhandlung am 16. März 2017 entscheiden.
2. Die als Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch, dass die Beklagte verpflichtet wird, ihr für die Ausbildung am …institut der Landeshauptstadt München Ausbildungsförderung für das Schuljahr 2014/2015 zu bewilligen.
In Betracht kommen allenfalls, wie von der Klägerin auch beantragt, Vorausleistungen nach § 36 Abs. 2 BAföG, denn die Bewilligung anderer Ausbildungsförderung würde voraussetzen, dass feststeht, ob und in welcher Höhe Einkommen der Eltern der Klägerin auf deren Bedarf nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BAföG anzurechnen ist, da eine elternunabhängige Förderung hier nach § 11 Abs. 2a und 3 BAföG nicht in Betracht kommt (vgl. BayVGH, U.v. 5.12.1998 – 12 B 96.2061 -juris).
Nach § 36 Abs. 2 BAföG werden Vorausleistungen erbracht, wenn der Auszubildende glaubhaft macht, dass seine Eltern den Bedarf nach den §§ 12 bis 14a nicht leisten und die Eltern entgegen § 47 Abs. 4 die für die Anrechnung ihres Einkommens erforderlichen Auskünfte nicht erteilen oder Urkunden nicht vorlegen und darum ihr Einkommen nicht angerechnet werden kann und wenn Bußgeldfestsetzung oder Einleitung des Verwaltungszwangsverfahrens nicht innerhalb zweier Monate zur Erteilung der erforderlichen Auskünfte geführt haben oder rechtlich unzulässig sind. Indem der Gesetzgeber in solchen Fällen § 36 Abs. 1 BAföG für entsprechend anwendbar erklärt, bedeutet dies, dass auch Vorausleistungen nach § 36 Abs. 2 BAföG nur bewilligt werden können, wenn eine Gefährdung der Ausbildung glaubhaft gemacht wird (Rothe/Blanke, 5. Auflage, Stand September 2016, § 36 Rn. 14). Nach § 36 Abs. 3 BAföG wird Ausbildungsförderung nicht vorausgeleistet, soweit die Eltern bereit sind, Unterhalt entsprechend einer § 1612 Abs. 2 BGB getroffenen Bestimmung zu leisten.
Hier sind Vorausleistungen teilweise bereits gemäß § 36 Abs. 3 BAföG ausgeschlossen, so dass sich ein Anspruch auf maximal 249,- €/Monat errechnet. Dies wurde im Einzelnen im Beschluss des Gerichts vom 28. Mai 2015 i.d.F. vom 11. Juni 2015 (Az. M 15 E 15.1084) dargelegt und vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 8. September 2015 (Az. 12 CE 15.1650) bestätigt. Demgegenüber hat die Klägerin auch im Klageverfahren nichts vorgetragen, was zu einer geänderten Betrachtung führen könnte, so dass auf die Ausführungen im Beschluss des Gerichts vom 28. Mai 2015 i.d.F. vom 11. Juni 2015 sowie im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. September 2015 Bezug genommen wird.
Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ohne Vorausleistungen in Höhe von maximal 249,- €/Monat ihre Ausbildung gefährdet wäre. Insbesondere hat sie trotz mehrfacher Aufforderung des Gerichts (zuletzt Aufforderung vom 3.8.2016 gemäß § 87b VwGO) nicht nachgewiesen, dass sie tatsächlich Miete bezahlt hat. Ebenso wenig hat sie nachgewiesen, dass sie die Leistungen in Höhe von 305,-€/Monat, die ihr das Jobcenter als Zuschuss zu Unterkunft und Heizung für die Zeit von September 2014 bis Februar 2015 bewilligt und aufgrund des Beschlusses des Sozialgerichts München vom … April 2015 für April bis Juli 2015 weiterhin ausbezahlt hat, zurückzahlen musste, obwohl sie auch hierzu vom Gericht mit Schreiben vom 3. August 2016 gemäß § 87b VwGO aufgefordert wurde. Nicht reagiert hat die Klägerin auch auf die mehrfachen Aufforderungen des Gerichts (zuletzt wiederum durch Schreiben vom 3.8.2016 gemäß § 87b VwGO) sie möge nachweisen, wovon sie seit Beginn ihrer Ausbildung die Kosten für Lebensunterhalt, Ausbildung und Miete bestritten hat. Zudem dürfte die beim Antrag auf Vorausleistungen vom … November 2014 behauptete Entfremdung von den Eltern jedenfalls im Verhältnis zum Vater weggefallen sein, da sie ihn nunmehr mit der Wahrung ihrer rechtlichen Interessen in diesem Verfahren beauftragt hat. Abgesehen davon war diese behauptete Entfremdung, die die Klägerin trotz Aufforderung des Gerichts nicht näher dargelegt hat, für das Gericht auch vorher schon zweifelhaft, nachdem die Klägerin in einer von ihrem Vater angemieteten Wohnung wohnte und von einem Rechtsanwalt vertreten wurde, welcher dieselbe Kanzleiadresse wie ihr Vater hat.
Unter diesen Umständen ist die Klägerin ihrer Pflicht, die notwendigen Tatsachen darzulegen und alle erforderlichen Unterlagen vorzulegen, um im Sinne von § 36 Abs. 2 BAföG glaubhaft zu machen, dass ihre Eltern den Bedarf gemäß §§ 12 bis 14a BAföG nicht leisten (vgl. § 60 Abs. 1 SGB I), nicht nachgekommen. In einem solchen Fall ist es nicht Sache des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären (OVG NRW, B.v.23.2.2016 – 12 A 697/15 – juris).
Nach alledem kann nicht von einer Gefährdung der Ausbildung der Klägerin ausgegangen werden.
Nach alledem wird die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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