Medizinrecht

Erfolgloser vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz gegen den Erlass polizeilicher Platzverweise

Aktenzeichen  10 CE 21.1343

Datum:
11.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16386
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 8 Abs. 1
BayVersG Art. 2 Abs. 1
BayPAG Art. 16 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG § 35 S. 1

 

Leitsatz

1. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist wegen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des der Exekutive zugewiesenen Handlungsfeldes grundsätzlich nicht vorbeugend konzipiert, sondern reaktiv ausgestaltet. Die den Verwaltungsgerichten übertragene Kontrollfunktion gegen staatliche Maßnahmen setzt grundsätzlich erst nachgelagert ein. Die Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes erfordert daher regelmäßig den Erlass einer Maßnahme, der dann Gegenstand gerichtlicher Überprüfung ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Vorbeugender Rechtsschutz gegen erwartete oder befürchtete staatliche Maßnahmen ist grundsätzlich unzulässig und nur ausnahmsweise möglich. Voraussetzung hierfür ist auf Zulässigkeitsebene insbesondere, dass der Antragsteller über ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis verfügt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 9 E 21.524 2021-04-16 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, dem Antragsgegner im Wege vorbeugender einstweiliger Anordnung aufzugeben, ihm gegenüber den Erlass polizeirechtlicher Platzverweise anlässlich von Protesten gegen Versammlungen der Initiative „Eltern stehen auf − Würzburg“ zu unterlassen.
Mit Schreiben vom 12. Februar 2021 erhob der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht Klage gerichtet auf Feststellung, dass der am 15. Dezember 2020 ihm gegenüber verhängte Platzverweis in der Sanderstraße in Würzburg rechtswidrig gewesen ist, hilfsweise, dass ihm gegenüber kein derartiger Platzverweis erteilt wurde und ferner kein Ausschluss von einer Versammlung durch die Polizei erfolgt beziehungsweise dass dieser rechtswidrig erfolgt ist (W 9 K 21.224). Zur Begründung führte er an, dass er von der Stadt Würzburg ein Schreiben mit Datum vom 12. Januar 2021 erhalten habe. Darin stehe unter anderem, dass der Antragsteller am 15. Dezember 2020 um 18.29 Uhr in der Sanderstraße auf der Höhe der Hausnummer 18 mit weiteren Personen versucht habe, durch die Polizeiabsperrung für die Versammlung der Initiative „Eltern-stehen-auf Würzburg“ (im Folgenden: ESA) zu gelangen. Das Stören einer Versammlung stelle keinen triftigen Grund dar, die Wohnung zu verlassen. Dadurch habe der Antragsteller § 32 Satz 1 IfSG und § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 und § 29 Nr. 1 der 10. BayIfSMV verletzt, weswegen ein Bußgeldverfahren gegen ihn anhängig sei. Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Mit Schreiben vom 15. April 2021 erhob der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht des Weiteren Klage gerichtet auf Feststellung, dass der ihm gegenüber am 14. April 2021 verhängte Platzverweis in der Eichhornstraße in Würzburg und folglich auch die verhängte Ingewahrsamnahme rechtswidrig gewesen sind, sowie gerichtet auf Untersagung von Platzverweisen im Rahmen von Demonstrationen der Initiative der ESA gegen ihn als Teilnehmer von Gegendemonstrationen (W 9 K 21.523). Über die Klage ist ebenfalls noch nicht entschieden.
Gleichzeitig beantragte der Antragsteller daneben bei dem Verwaltungsgericht, ihm einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, indem § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO im Zuge der gegen ihn verhängten Platzverweise aufgrund von Teilnahmen an Protesten gegen die Initiative ESA außer Kraft gesetzt wird (W 9 E 21.524). Zur Begründung führte er in tatsächlicher Hinsicht an, am 14. April 2021 nach 18.00 Uhr habe erneut ein Aufzug der ESA stattgefunden. Es habe sich eine Gegendemonstration gebildet, die den Aufzug begleitet habe. Die den Aufzug begleitenden Polizeibeamten hätten ihm in der Eichhornstraße einen Platzverweis für die Route der ESA erteilt.
Mit angegriffenem Beschluss vom 16. April 2021 hat das Verwaltungsgericht das Begehren des Antragstellers im Eilverfahren dahin ausgelegt, dass er beantragt, dem Antragsgegner im Wege vorbeugender einstweiliger Anordnung aufzugeben, ihm gegenüber den Erlass von Platzverweisen anlässlich von Protesten gegen Versammlungen der Initiative der ESA zu unterlassen, und den Eilantrag abgelehnt. Dabei ließ es offen, ob dem Antragsteller das notwendige qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis für den einstweiligen vorbeugenden Rechtsschutz zustehe. Jedenfalls sei der Eilantrag unbegründet. Zum einen fehle es an einem Anordnungsanspruch. Ein genereller Anspruch gerichtet auf die unbedingte Unterlassung einzelner polizeilicher Maßnahmen sei bereits grundsätzlich nicht denkbar, weil die Gerichte andernfalls unzulässigerweise in den der Polizei zugewiesenen Ermessensspielraum eingreifen würden. Zum andere fehle es auch an einem Anordnungsgrund. Der Antragsteller habe eine besondere Eilbedürftigkeit weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Der pauschale Verweis darauf, dass bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache weitere Demonstrationen der ESA stattfinden würden, in deren Zuge dem Antragsteller gegenüber Platzverweise erteilt werden könnten, sei dafür zu vage.
Hiergegen hat der Antragsteller Beschwerde erhoben − der Sache nach − mit dem Antrag,
dem Antragsgegner im Wege vorbeugender einstweiliger Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO aufzugeben, dem Antragsteller gegenüber den Erlass von Platzverweisen anlässlich von Protesten gegen Versammlungen der Initiative der ESA zu unterlassen
Zur Begründung führt er im Wesentlichen Folgendes an: Er habe einen Anordnungsanspruch. Ein Platzverweis könne nicht ausgesprochen werden, wenn eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG und des Versammlungsgesetzes vorliege. Eine solche sei nicht erst dann gegeben, wenn argumentativ gestritten werde, sondern es sei ausreichend, dass eine Gruppe überhaupt öffentlichkeitswirksam auftrete. Dies sei bei Gegendemonstrationen typischerweise der Fall, da Zweck der Versammlung der Protest gegen die politische Meinung einer anderen Versammlung sei. Ein Platzverweis komme erst nach einer Auflösung nach § 15 Abs. 2 VersG oder nach versammlungsrechtlich begründetem Ausschluss eines Teilnehmers aus der Versammlung in Betracht. Entgegen dem Verwaltungsgericht greife dies (gemeint wohl: „der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung“ – Anm. d. Senats) nicht in die Ermessensentscheidung der Polizei ein. Ein Ermessen bezüglich des Platzverweises stehe der Polizei nicht zu. Das Versammlungsgesetz gehe als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeiaufgabenrecht vor. Aus der eingereichten Klageschrift des Antragstellers gehe hervor, dass auch ein Anordnungsgrund gegeben sei. Die besondere Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die Initiative ESA regelmäßig Aufzüge im Stadtgebiet in Würzburg veranstalte. Dies habe der Antragsteller als offensichtlich gerichtsbekannt vorausgesetzt. Aus der Homepage der ESA sei ersichtlich, dass diese am Montag und am Mittwoch jeweils um 18.00 Uhr und am Freitag um 17.00 Uhr Demo-Spaziergänge plane. Diese seien nicht mit einem Datum versehen, so dass damit zu rechnen sei, dass diese Veranstaltungen jede Woche stattfänden. Da der Antragsteller bereits im Vorfeld an mehreren Gegendemonstrationen beteiligt gewesen sei, sei auch damit zu rechnen, dass weitere Platzverweise gegen ihn ausgesprochen würden.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er bezüglich des Anordnungsanspruchs auf die Begründung des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts, seinen erstinstanzlichen Vortrag sowie das beigefügte Schreiben des Polizeipräsidiums Unterfranken vom 26. Mai 2021, in dem darüber hinaus auf die Klageerwiderung in dem Verfahren W 9 K 21.224 Bezug genommen wird. Hinsichtlich der Anordnungsgrundes weist er darauf hin, dass die Homepage der Initiative ESA keinen Aufschluss darüber gebe, ob die dort unter „Aktuelle Veranstaltungen“ erwähnten Demo-Spaziergänge tatsächlich stattfinden würden. Im Übrigen habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass er zu den dort angegebenen Zeiten an Gegendemonstrationen teilnehmen würde.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die von dem Antragsteller in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Auf Antrag kann das Gericht nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Voraussetzung für einen in der Sache erfolgreichen Eilantrag ist, dass der Antragsteller den Anordnungsanspruch, das von ihm geltend gemachte Recht, sowie den Anordnungsgrund, die besondere Dringlichkeit, darlegt und die Tatsachen dafür im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO und § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft macht.
a) Gemessen an den vorgenannten Anforderungen hat der Antragsteller die Voraussetzungen für den Anordnungsanspruch der hier begehrten Regelungsanordnung nicht dargelegt und glaubhaft gemacht.
aa) Der Antragsteller macht der Sache nach geltend, er habe gemäß Art. 2 Abs. 1 BayVersG und Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG Anspruch darauf, dass der Antragsgegner im Wege vorbeugender einstweiliger Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO verpflichtet wird, ihm gegenüber den Erlass von Platzverweisen gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BayPAG anlässlich von Protesten gegen Versammlungen der Initiative ESA in Würzburg zu unterlassen.
Der Antragsteller wehrt sich damit gegen künftige Anordnungen und damit Verwaltungsakte (Art. 35 Satz 1 BayVwVfG) des Antragsgegners, die dieser noch nicht erlassen hat und die den Antragsteller dementsprechend aktuell nicht beschweren. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist wegen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des der Exekutive zugewiesenen Handlungsfeldes grundsätzlich nicht vorbeugend konzipiert, sondern reaktiv ausgestaltet. Die den Verwaltungsgerichten übertragene Kontrollfunktion gegen staatliche Maßnahmen setzt grundsätzlich erst nachgelagert ein. Die Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes erfordert daher regelmäßig den Erlass einer Maßnahme, der dann Gegenstand gerichtlicher Überprüfung ist. Vorbeugender Rechtsschutz gegen erwartete oder befürchtete staatliche Maßnahmen ist grundsätzlich unzulässig und nur ausnahmsweise möglich (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2014 – 6 C 7.13 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 10 CE 19.2234 – juris Rn. 5 m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist auf Zulässigkeitsebene insbesondere, dass der Antragsteller über ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis verfügt. Dessen Vorliegen hat das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall offengelassen und eine Begründetheitsprüfung vorgenommen (vgl. BA S. 3). Auf der Begründetheitsebene ist Voraussetzung, dass der Antragsteller, der sich auf ihm widerfahrene Bezugsfälle beruft, darzulegen und glaubhaft zu machen hat, dass die von ihm angeführten staatlichen Maßnahmen in der Vergangenheit in rechtswidriger Weise in seine Rechte eingegriffen haben und dass die Gefahr besteht, dass sich diese bestimmten rechtswidrigen Maßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wiederholen werden.
bb) Dieser Voraussetzung genügt das Beschwerdevorbringen nicht.
(1) Das vom Antragsteller angeführte Geschehen am 15. Dezember 2020 kann insofern nicht als hinreichender Anknüpfungspunkt und entsprechender Bezugsfall dienen.
(a) Ob der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller überhaupt am 15. Dezember 2020 einen Platzverweis erlassen hat, ist unter den Beteiligten streitig. Der Antragsteller stellt sich in seinem Hilfsantrag – wobei dieser denklogisch vor dem Hauptantrag Vorrang haben dürfte, da es auf die Frage der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nicht ankommt, wenn dieser gegenüber dem Antragsteller nicht erlassen wurde − auf den Standpunkt, ihm gegenüber sei kein Platzverweis erteilt worden (vgl. VG Würzburg, Gerichtsakte W 9 K 21.224, Bl. 1: „Sollte kein Platzverweis protokolliert worden sein, wendet sich das Eventualklagebegehren an die Feststellung der Nichtexistenz dieses … Verwaltungsakts“ u. Bl. 3: „Die behauptete Aufforderung durch die Polizei“). Der Antragsgegner wiederum ist sich nicht sicher, ob der Antragsteller tatsächlich der Adressat der beschriebenen polizeilichen Maßnahme geworden ist (vgl. VG Würzburg, Gerichtsakte W 9 K 21.224, Bl. 12 Rückseite: „… ein Störer wurde … nach weiterer, mehrmaliger Ansprache an die Begleitkräfte der Bereitschaftspolizei mit dem Hinweis übergeben, die Personalien zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit aufzunehmen“ u. „Ob es sich dabei um den Kläger handelte, kann LPD … aufgrund der o.g. Bekleidung der Personen nicht abschließend sagen“), was der Antragsteller aufgegriffen hat (vgl. VG Würzburg, Gerichtsakte W 9 K 21.224, Bl. 16: „Beklagte gibt … an, nicht nachvollziehen zu können, ob mir gegenüber ein Platzverweis erteilt wurde oder nicht“). Bei den rechtlichen Ausführungen stellt der Antragsgegner gleichwohl auf die Person des Antragstellers ab (vgl. VG Würzburg, Gerichtsakte W 9 K 21.224, Bl. 14: „Indem der Kläger die … Gruppierung störte und versuchte, durch die Polizeiabsperrung in die Kundgebung zu gelangen“).
(b) Abgesehen davon genügt das Beschwerdevorbringen des Antragstellers diesbezüglich für sich auch nicht den genannten Anforderungen, zu der Wahrnehmung des Grundrechts der Versammlungsrechtsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG vorzutragen und diese glaubhaft zu machen. Dies ist insbesondere nicht mit dem Einwand geschehen, für eine Versammlung sei ausreichend, dass eine Gruppe überhaupt öffentlichkeitswirksam auftrete, wie dies bei Gegendemonstrationen typischerweise der Fall sei, da deren Zweck der Protest gegen die politische Meinung einer anderen Versammlung sei.
Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (vgl. BVerfG, B.v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 = juris Rn. 63 m.w.N.). Der Zweck, die innere Verbindung, kann sich durchaus auch nachträglich einstellen (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 8 Rn. 3 m.w.N.). Durch den gemeinsamen Zweck unterscheidet sich die Versammlung gerade von der bloßen Ansammlung, in der jede Person einen individuellen Zweck verfolgt.
Der Schutz des Art. 8 GG endet dort, wo es um die Verhinderung einer Versammlung geht. Geschützt sind zwar Widerspruch und Protest. Die Versammlungsfreiheit verlangt jedoch die Bereitschaft, die Versammlung in ihrem Bestand hinzunehmen und abweichende Ziele allein mit kommunikativen Mitteln zu verfolgen. Wer eine Versammlung in der Absicht aufsucht, sie durch seine Einwirkung zu verhindern, kann sich gerade nicht mehr auf das Grundrecht aus Art. 8 GG berufen. Das gilt auch, wenn er dabei seinerseits im Verein mit anderen auftritt. Der Umstand, dass mehrere Personen zusammenwirken, bringt diese nicht in den Genuss der Versammlungsfreiheit, wenn der Zweck ihres Zusammenwirkens nur in der Unterbindung einer Versammlung besteht (vgl. BVerfG, B.v. 11.6.1991 − 1 BvR 772/90 – BVerfGE 84, 203 = juris Rn. 17 a.E.).
Dies ist anzunehmen, wenn nach dem Gesamtgepräge der Zusammenkunft, mithin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, die bloße Verhinderungsabsicht im Vordergrund steht. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn die Behinderung beziehungsweise Blockade nicht rein symbolisch und zudem nach kürzester Zeit beendet ist (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 8 Rn. 5a; Hettich, Versammlungsrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2018, S. 39; vgl. auch BT, Wissenschaftliche Dienste, Zur Beschränkung einer Gegendemonstration, WD 3 − 3000 – 082/19 v. 16.4.2019, S. 4). Die Polizei kann zur Abwehr externer Störer, also von Personen, die weder Teilnehmer der Anlassversammlung noch einer Gegenversammlung sind, auf die einschlägigen Normen des jeweiligen Polizeirechts zurückgreifen (vgl. NdsOVG, B.v. 29.11.2019 – 11 ME 385/19 − juris Rn. 9; VGH BW, U.v. 12.2.1990 – 1 S 1646/89 – juris Rn. 25 ff.)
Gemessen daran muss der Antragsteller für den geltend gemachten, auf die Versammlungsfreiheit gestützten Anordnungsanspruch konkrete Tatsachen hinsichtlich des eigenen Verhaltens und der eigenen Absichten sowie im Hinblick auf das Gesamtgepräge des gegen die Anlassversammlung gerichteten Protestes darlegen und glaubhaft machen. Dies ist indes nicht geschehen. Der Antragsteller selbst hat hierzu auch im Beschwerdeverfahren nichts Substantielles vorgetragen. Im zugrundeliegenden Klageverfahren hat er Blockadeaspekte ausgespart (vgl. VG Würzburg, Gerichtsakte W 9 K 21.224, Bl. 12: „bildeten sich immer wieder Kleingruppen, die versuchten, den Aufzug … zu blockieren.“ u. Bl. 12 Rückseite: „einer Gruppe von Störern gelang, den Aufzug … zu blockieren“).
(2) Auch der dem Antragsteller gegenüber unstreitig am 14. April 2021 gestützt auf Art. 16 Abs. 1 BayPAG erlassene Platzverweis kann insofern nicht als hinreichender Anknüpfungspunkt dienen. Der Beschwerdeschrift lassen sich insofern ebenfalls keinerlei konkrete Angaben zu dem Verhalten und den Absichten des Antragstellers sowie zu dem Gesamtgepräge des gegen die Anlassversammlung gerichteten Protestes entnehmen. Der Vortrag des Antragstellers im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht besteht hierzu im Wesentlichen lediglich aus zwei – gleichsam unverbunden erscheinenden − Sätzen (vgl. VG Würzburg, Gerichtsakte, Bl. 2: „Es bildete sich eine Gegendemonstration, die diesen Demonstrationszug begleitete. In der Eichhornstraße wurde mir von den die Demonstration begleitenden Polizeibeamten ein Platzverweis für die Route der ESA-Demonstration erteilt“).
(3) Nicht zielführend beziehungsweise durchgreifend ist deshalb auch der Einwand, das Verwaltungsgericht habe nicht mit dem Ermessensspielraum der Polizei argumentieren dürfen, da ein solcher erst nach Auflösung der Versammlung durch das Polizeirecht eröffnet sei.
Zum einen beinhalten auch die versammlungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen des Art. 15 Abs. 1, 2, 4 und 5 BayVersG („kann“) in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 Satz 2 BayVersG für verschiedene polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Versammlungsgeschehen unter freiem Himmel die Ausübung ordnungsgemäßen Entschließungs- und Auswahlermessens, darunter beispielsweise die Ermächtigungsgrundlage für die Auflösungsentscheidung selbst, die dem Erlass eines Platzverweises nach Polizeirecht vorauszugehen hat.
Zum anderen hat das Verwaltungsgericht damit im vorliegenden Kontext erkennbar auch die polizeiliche Beurteilung der Einsatzlage vor Ort anhand konkreter, nachprüfbarer und auf die jeweilige Versammlung bezogene Umstände gemeint. Die Rechtmäßigkeit eines Platzverweises nach Polizeirecht im Zusammenhang mit einem Versammlungsgeschehen und Gegenprotesten ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, darunter der Bedingung, dass die Sperrwirkung des Versammlungsrechts nicht greift, die wiederum von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist (s.o.). Dies gilt gerade auch für die „Demo-Spaziergänge“ der ESA und etwaige Gegenproteste, da es sich um Aufzüge und damit um besonders dynamische Geschehen handelt. Der Tenor einer verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung kann vor diesem Hintergrund nicht pauschal – gleichsam unbedingt, wie das Verwaltungsgericht formuliert − darin bestehen, dem Staat aufzuerlegen, in Zukunft von dem Erlass eines derartigen Verwaltungsaktes abzusehen, wenn dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Es bedarf insofern einer konkretisierenden Bezugnahme auf die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse in den herangezogenen Vergleichsfällen. Insofern dürfte sich hier auch die Situation von jener unterscheiden, in der das Unterlassen bestimmter im Vorhinein feststehender Aussagen oder das Unterlassen von angekündigten konkreten Beschränkungen diesbezüglich begehrt wird (vgl. OVG NW, B.v. 21.10.2019 – 15 B 1406/19 – juris Rn. 5). Möglich ist es in einer derartigen Situation unter Umständen allenfalls, die Feststellung zu tenorieren, dass die als Vergleichsfälle herangezogenen staatlichen Maßnahmen rechtswidrig waren, da zu erwarten ist, dass der Staat angesichts seiner Bindung an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG sein künftiges Verhalten danach ausrichten wird (vgl. zum Einkesseln einer Versammlung: OVG NW, B.v. 2.3.2001 – 5 B 273/01 – juris Rn. 24).
(4) Überdies Fall hat der Antragsteller auch nicht konkrete Tatsachen für die Annahme einer Wiederholungsgefahr dargelegt und glaubhaft gemacht.
Auch hier fehlt es an Ausführungen zu dem zukünftigen Verhalten und den Absichten des Antragstellers sowie zu zukünftigen Gegenprotesten. Dabei kann offenbleiben, ob der Antragsgegner hinreichend konkret einen Rechtsstandpunkt in Bezug auf den allein unstreitigen Platzverweis am 14. April 2021 zu erkennen gegeben und sich wiederum hinreichend konkret davon distanziert hat (vgl. Senatsakte, Bl. 21; VG Würzburg, Gerichtsakte W 9 E 21.524, Antragsgegner, Antragserwiderung, B. 3 u.).
b) Schließlich hat der Antragsteller auch nicht konkrete Tatsachen für die Annahme eines Anordnungsgrundes dargelegt und glaubhaft gemacht.
Der Anordnungsgrund bezeichnet die erforderliche besondere Dringlichkeit der begehrten Entscheidung, die gegeben ist, wenn dem Antragsteller ein Abwarten bis zu der Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar ist. Der Antragsteller hat keine konkreten Angaben zu einer etwaigen Unzumutbarkeit beziehungsweise generell zu seinem zukünftigen Verhalten und seinen Absichten sowie zu zukünftigen Gegenprotesten gemacht (s.o.). Der Antragsteller hatte dabei erkennbar Anlass, hierzu nähere Angaben zu machen, da bereits das Verwaltungsgericht das Vorbringen und die Glaubhaftmachung in Bezug auf den Anordnungsgrund als defizitär erachtet hat (vgl. BA S. 5).
Die besondere Eilbedürftigkeit hat der Antragsteller insbesondere nicht dadurch dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er vorträgt, bereits im Vorfeld an mehreren Gegendemonstrationen beteiligt gewesen zu sein, so dass mit dem Erlass weiterer Platzverweise gegen ihn zu rechnen sei. Aus der Aussage, eine Person habe an mehreren Gegendemonstrationen teilgenommen, ist nicht ohne Weiteres zu schlussfolgern, dass dieser Person gegenüber erneut die polizeiliche Maßnahme eines Platzverweises getroffen werden wird.
Die besondere Eilbedürftigkeit hat der Antragsteller des Weiteren nicht dadurch dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er auf die auf der Homepage der Initiative ESA in Würzburg unter der Rubrik „Aktuelle Veranstaltungen“ annoncierten „Demo-Spaziergänge“ hinweist. Zwar hat sich der Antragsgegner insofern lediglich auf den Standpunkt gestellt, dass diese Homepage keinen Aufschluss darüber gebe, ob die dort erwähnten Demo-Spaziergänge tatsächlich stattfinden würden. Es wäre allerdings nach dem Sachvortrag des Antragstellers und den weiterhin dort aufgeführten Informationen (vgl. ESA – Würzburg, Homepage: „Mo: Unterer Markt, 18:00 Uhr“ „Mi: Unterer Markt, 18:00 Uhr“ u. „Fr: Unterer Markt, 17:00 Uhr“, abrufbar unter: https://eltern-stehen-auf-wuerzburg.de/) an dem Antragsgegner gewesen, dies zu überprüfen und gegebenenfalls entgegenstehende Informationen vorzutragen sowie entsprechende Nachweise vorzulegen. Es fehlt allerdings schon an einem hinreichend konkreten Sachvortrag und einer entsprechenden Glaubhaftmachung des Antragstellers, dass er sich − gemessen an der Eilbedürftigkeit – innerhalb eines absehbaren Zeitraums wieder an einer gegen eine Versammlung der ESA in Würzburg gerichteten Gegendemonstration beteiligen wird, worauf der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat. Die Aussagen hierzu sind vage und pauschal (vgl. Senatsakte, Bl. 15 „wenn er an einer Gegendemonstration zur ESA in der Nähe zur Demonstration der ESA teilnimmt“ u. VG Würzburg, Gerichtsakte, W 9 E 21.524, Antragsschrift, S. 2: „Durch die anhaltende Präsenz der ESA im öffentlichen Raum könnte in näherer Zukunft eine Situation eintreten, in der erneut Platzverweise gegen Gegendemonstranten ausgesprochen werden könnten“ – Unterstreichungen d. Senats). Gegen die Annahme eines in dem vorgenannten Sinne bevorstehenden Protestes des Antragstellers spricht im Übrigen auch der zeitliche Abstand zwischen den von dem Antragsteller geltend gemachten Vergleichsfällen am 15. Dezember 2020 und am 14. April 2021 von immerhin circa vier Monaten.
Selbst wenn man annehmen würde, der Antragsteller wolle bei nächster sich bietender Gelegenheit wieder gegen eine Versammlung der ESA in Würzburg protestieren, ergäbe sich nichts anderes. Nach Art. 2 Abs. 1 BayVersG („Zusammenkunft von mindestens zwei Personen“) bedarf es jedenfalls einer weiteren Person, um eine (Gegen) Versammlung zu bilden. Auch hierzu hat der Antragsteller nichts vorgetragen, wobei im Übrigen auch zu berücksichtigen ist, dass die gegenwärtige Situation mit Blick auf die staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen eine andere ist als diejenige zum Zeitpunkt der Vergleichsfälle.
Nach alledem ist auch ein Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht dargelegt und glaubhaft gemacht.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben