Medizinrecht

Gebührenfestsetzung für Neuerteilung der Fahrerlaubnis, rechtmäßige Begutachtensaufforderung, bipolare Störung, externer Gutachter

Aktenzeichen  B 1 K 20.1385

Datum:
18.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49542
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin begehrt die Aufhebung der Kostenfestsetzung vom 3. November 2020. Diese ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. a) Gemäß § 1 Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) werden für Amtshandlungen, einschließlich der Prüfungen und Untersuchungen im Sinne des § 6a des Straßenverkehrsgesetzes Gebühren nach dieser Verordnung erhoben. Die gebührenpflichtigen Tatbestände und die Gebührensätze ergeben sich aus dem Gebührentarif für Maßnahmen im Straßenverkehr (Anlage). Gemäß Nr. 202.3 der Anlage (in der Fassung vom 20. April 2020) wird für die Erteilung der Fahrerlaubnis nach Entzug eine Gebühr von 33,20 bis 256 EUR erhoben. Die Beklagte hat für die einheitliche Anwendung des Gebührenrahmens bestimmt, dass für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis mit Begutachtung 150 EUR, bei Neuerteilung nach 1. Entzug 130 EUR und bei einer Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach 2. Entzug oder mehr 170 EUR zu erheben sind. Die Erhebung von Auslagen beruht auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt. Kostenschuldner ist gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt, wer die Amtshandlung veranlasst hat oder zu wessen Gunsten sie vorgenommen wird.
Gegen die Höhe der festgesetzten Gebühren hat die Klägerin ausdrücklich keine Einwendungen erhoben und dies in der mündlichen Verhandlung nochmals betont. Dennoch kann ausgeführt werden, dass sich die Antragsgebühr in Höhe von 160,60 EUR innerhalb des in Nr. 202.3 GebTSt festgelegten Rahmens hält. Auch gegen die ansonsten festgesetzten Gebühren [Prüfung des Fahrerlaubnisantrags 5,10 EUR, Anfrage des Punktestands 3,30 EUR und Registrierung der Führerscheindaten 1,00 EUR (GebTSt. 201, 145 und 126.2) ] bestehen keine Bedenken. Insgesamt hält die Gebühr den Rahmen ein, den die Beklagte sich selbst für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach 2. Entzug gesetzt hat (hier anwendbar, da ein noch verwertbarer Verzicht auf die Fahrerlaubnis am 5. Juni 2008 und ein Entzug am 14. September 2016 vorlagen). Dass die Beklagte in der Kostenfestsetzung vom 3. November 2020 noch von einem anderen (innerdienstlichen) Gebührenrahmen ausging und zudem die falschen Gebührennummern zitierte (GebTSt 202.1 statt 202.3 und 126.1 statt 126.2) ist insoweit unschädlich, da sie diesen Mangel durch Nachholung im gerichtlichen Verfahren (Schreiben vom 9. März 2021) geheilt hat (Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG). Die Beklagte hat ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Die in der Kostenfestsetzung vom 3. November 2020 zu erkennende Ermessensausübung hat sie durch den nachgeholten Verweis auf die ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift, die sie sich selbst gegeben hat, ergänzt. In der Differenzierung zwischen Neuerteilung nach 1. Entzug, Neuerteilung mit Begutachtung und Neuerteilung nach 2. Entzug kann auch eine Differenzierung nach dem Aufwand der Verwaltungstätigkeit in einfach, durchschnittlich oder aufwändig gesehen werden. Dies hat die Leiterin der Führerscheinstelle in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt.
b) Der Klägerin geht es allein um die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, von ihr zur Vorbereitung der Neuerteilung der Fahrerlaubnis ein externes Gutachten zu fordern.
Die Aufforderung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens ist als vorbereitende Maßnahme zur Sachverhaltsaufklärung unanfechtbar (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 17). Gegen die damit verbundene Kostenentscheidung ist jedoch Rechtsschutz zu gewähren, wobei es der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bisher offengelassen hat, inwieweit die Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die damit einhergehende Kostenentscheidung inzident zu prüfen ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2020 – 11 CS 20.1518 – juris Rn. 11 m.w.N. und B.v. 14.12.2020 – 11 ZB 20.2025 – juris Rn. 15). Hier ist der Fall insoweit anders gelagert, als mit der Gutachtensaufforderung selbst keine Kostenentscheidung verbunden war, sondern die Kosten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis in Höhe von 170 EUR auch ohne die Begutachtensaufforderung angefallen wären (vgl. obige Ausführungen – Neuerteilung nach 2. Entzug). Die Frage, ob eine Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung erfolgen muss oder nicht, kann aber dahingestellt bleiben, da die Beibringungsanordnung bezogen auf das Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie/Psychotherapie oder Nervenheilkunde mit verkehrsmedizinischer Qualifikation vom 4. Dezember 2020 ohnehin rechtmäßig war.
Zunächst ist auszuführen, dass der Klägerin mit bestandkräftigem Bescheid vom 14. September 2016 die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Die Frage, ob der Klägerin die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen wurde, kann damit nicht mehr Gegenstand der Prüfung sein. Die Klägerin musste die Neuerteilung der Fahrerlaubnis beantragen.
Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die solche Bedenken begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den §§ 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV).
§ 11 Abs. 2 FeV regelt allgemein, in welcher Weise Bedenken gegen die Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers nachzugehen ist. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV hinweisen. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift muss eine solche Erkrankung also nicht etwa feststehen, um eine Begutachtung als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Eine Begutachtung darf bereits immer dann angeordnet werden, wenn Tatsachen auf eine solche Erkrankung hinweisen.
Nach dem der Fahrerlaubnisbehörde vorliegenden Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie … (vom 17. Dezember 2014), welches von der Beklagten auch verwertet werden konnte, war bekannt, dass die Klägerin (im Jahr 2014) seit 25 Jahren unter einer bipolaren affektiven Erkrankung litt. Zwar war zum damaligen Zeitpunkt die Fahreignung gegeben. Der Gutachter führte aber aus, dass wegen der unsicheren längerfristigen weiteren Entwicklung Nachuntersuchungen, zunächst in halbjährlichen Abständen, erforderlich seien. Außerdem war bekannt, dass für die Stabilisierung des Gesundheitszustands im Jahr 2014 eine Dauermedikation vorlag (Zeldox 2 x 40 mg). Da die Klägerin keine Belege mehr über die halbjährlichen Nachuntersuchungen vorlegte, wurde ihr die Fahrerlaubnis entzogen. Auf Grund der weiteren Entwicklung (Einweisungen der Klägerin in das Bezirkskrankenhaus im Jahr 2019, die der Beklagten bekannt waren, und der Tatsache, dass die Klägerin seit dem Entzug der Fahrerlaubnis keine weiteren ärztlichen Atteste vorlegte), bestanden Bedenken an der Fahreignung der Klägerin, die nur durch ein ärztliches Gutachten zu klären waren. Im Erstgutachten vom 7. Dezember 2014 wurde als Voraussetzung für die Fahreignung (unter der Bedingung, dass fortlaufend Nachuntersuchungen in zunächst halbjährlichen Abständen erfolgen) angenommen, dass eine psychische Stabilisierung bei der Klägerin (seit 9 Monaten) eingetreten war. Vom Vorliegen einer psychischen Stabilisierung konnte die Beklagte zum Zeitpunkt des Antrags auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht mehr ausgehen, da die Klägerin diese in keiner Weise nachgewiesen hatte und eine solche auch wegen der vorangegangenen Einweisungen der Klägerin in das Bezirkskrankenhaus auch nicht ohne weiteres anzunehmen war. Nicht klar war zudem, ob die Klägerin noch Medikamente zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes einnimmt und wenn ja, welche Auswirkungen sich hieraus ergeben.
Die Kammer schließt sich folgenden Ausführungen des VG München im Beschluss vom 20. Januar 2010 – M 1 S 09.5873 – (juris Rn. 23 ff.) an:
„Nach der Aufzählung unter Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV ist bei affektiven Psychosen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen weitgehend ausgeschlossen. Unter Psychose versteht man dabei eine psychische Störung mit strukturellem Wandel des Erlebens (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Auflage 1994, Stichwort Psychose, S. 1264). Als affektive Psychosen bezeichnet man eine Gruppe von seelischen Erkrankungen, bei denen die Betroffenen unter willentlich nicht kontrollierbaren Schwankungen oder einseitigen Auslenkungen ihrer Stimmungen leiden. Die Fahreignung hängt von der Schwere der Erkrankung und dem Erfolg der medikamentösen Behandlung ab. Bei allen Manien und sehr schweren Depressionen ist die Fahreignung nach Nr. 7.5.1 der Anlage 4 zur FeV ausgeschlossen, weil bei ihnen die für das Kraftfahren notwendigen psychischen Fähigkeiten so erheblich herabgesetzt sind, dass ein deutliches Risiko des verkehrswidrigen Verhaltens besteht. Viele Manien sind gerade durch ein riskantes Verhalten in verschiedenen Lebensbereichen, einschließlich Verkehr, sowie durch eine übersteigerte Selbsteinschätzung gekennzeichnet. Nach Abklingen der manischen Phase bzw. wenn relevante Symptome einer sehr schweren Depression nicht mehr vorhanden sind (keine Vollremission) und wenn (ggf. unter psychopharmakologischer Prävention) mit ihrem Wiederauftreten nicht mehr gerechnet werden muss, ist in der Regel von einem angepassten Verhalten bei Teilnahme im Straßenverkehr und beim Führen eines Kraftfahrzeugs auszugehen, wobei Auswirkungen der antidepressiven Therapie zu berücksichtigen sind. Für Inhaber einer Fahrerlaubnis der Gruppe 1, zu der die Fahrerlaubnis der Klasse 3 gehört, sagen die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, dass bei mehreren manischen oder sehr schweren depressiven Phasen und bei unklarem weiteren Verlauf von einem angepassten Verhalten bei Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug nicht auszugehen ist, auch wenn aktuell keine Störungen nachweisbar sind. Ein angepasstes Verhalten kann nur dann wieder angenommen werden, wenn eine gegebenenfalls psychopharmakologische (Rückfall-) Prävention erfolgt ist, die Krankheitsaktivität geringer geworden und mit einer Verlaufsform in der vorangegangenen Schwere nicht mehr gerechnet werden muss. Dies muss durch regelmäßige psychiatrische Kontrollen im Gutachten belegbar sein (vgl. zum ganzen Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Auflage 2005, Kapitel 3.10.3). … Auf die Vorlage des Gutachtens konnte auch nicht deshalb verzichtet werden, weil die Antragstellerin vorträgt, sich in ärztlicher Behandlung zu befinden und regelmäßig ihre Medikamente einzunehmen. Zwar ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass sich die psychophysische Leistungsfähigkeit bei Patienten mit affektiven Erkrankungen bei adäquater Behandlung, zum Beispiel mit Antidepressiva, bessert. Die Wirkungen, vor allem die Nebenwirkungen, entsprechender Medikamente müssen aber berücksichtigt werden und sind daher gegebenenfalls in einem Gutachten festzustellen (vgl. Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, a.a.O.). Zum anderen ist die Behauptung der Antragstellerin durch nichts belegt, so dass in dem ärztlichen Gutachten aufzuklären gewesen wäre, ob und durch welche Medikamente eine Behandlung erfolgt und ob aufgrund einer regelmäßig kontrollierten medikamentösen Prävention mit einem Wiederauftreten der Erkrankung nicht mehr gerechnet werden muss.“
Dass ein solches Gutachten nicht vom behandelnden Arzt, sondern von einem externen Gutachter gefordert wird, verstößt nicht gegen das Übermaßverbot. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV soll der Facharzt nach Satz 3 Nr. 1 nicht zugleich der den Betroffenen behandelnde Arzt sein. Die als „Soll-Vorschrift“ ausgestaltete Verpflichtung des Satzes 5 hat ihren Grund in der nicht auszuschließenden Befürchtung, dass der behandelnde Arzt zuvörderst die Interessen seines Patienten und weniger die Verkehrssicherheit im Blick hat. Gleichwohl erlaubt es die Bestimmung, in begründeten Fällen auch den behandelnden Facharzt mit der Begutachtung zu beauftragen. Dass bei der Klägerin eine solche atypische Gegebenheit vorlag, ist auf Grund der langen Zeit, die seit dem Entzug der Fahrerlaubnis verstrichen war und des Rückfalls, der die Einweisungen in das Bezirkskrankenhaus zur Folge hatte, nicht anzunehmen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht zudem davon aus, dass der behandelnde Arzt wegen des bei ihm anzunehmenden Interessenkonflikts nach § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV in aller Regel nicht dazu berufen ist, sich zur Frage der Fahreignung einer Person zu äußern (Siegmund in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. Stand: 19.04.2021, § 11 FeV Rn. 47, unter Berufung auf BayVGH, B.v. 5.7.2012 – 11 CS 12.1321 – juris Rn. 26). Eine Vorabklärung der behandelnden Ärzte stellt keine gutachterliche Beurteilung dar, sondern ist nur Grundlage für die Entscheidung, ob die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer in § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV genannten Stelle notwendig ist (BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 21).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegende Beteiligte hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen der Beklagten nicht, zumal diese auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.


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