Medizinrecht

Glaubhaftmachung eines sanitären Sonderbedarfs

Aktenzeichen  4 CE 19.238

Datum:
18.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2269
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

Liegt eine ärztliche Bescheinigung vor, die dem Unterzubringenden einen krankheitsbedingten Zusatzbedarf bestätigt, so kann die Sicherheitsbehörde dies im Regelfall nur verweigern, wenn sie aufgrund besserer fachlicher Erkenntnis, zB unter Verweis auf eine von ihr veranlasste amtsärztliche Untersuchung, zum gegenteiligen Ergebnis gelangt ist. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 22 E 19.245 2019-01-18 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 18. Januar 2019 gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin, die sich nach den Ausführungen in der Beschwerdebegründung vom 25. Januar 2019 – entgegen dem Wortlaut des dort und im weiteren Schriftsatz vom 15. Februar 2019 gestellten Antrags – nicht gegen die erstinstanzliche Entscheidung insgesamt und damit auch gegen die Verpflichtung zu einer Einzelzimmerunterbringung, sondern ausschließlich gegen die Verpflichtung zur Bereitstellung einer eigenen Nasszelle richtet, ist zulässig, aber unbegründet.
Dem Antragsteller, der sich nach dem bei den Akten befindlichen ärztlichen Abschlussbericht vom 28. Dezember 2018 einer stationären orthopädischen Weiterbehandlung bis zum 25. Dezember 2018 hinsichtlich seiner Fußverletzungen unterzogen hat, steht nach der im gerichtlichen Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung ein Anspruch auf eine eigene Nasszelle im Rahmen der Obdachlosenunterbringung zu. Die aktuelle medizinische Notwendigkeit eines solchen sanitären Sonderbedarfs ergibt sich – infolge des Zeitablaufs – zwar nicht (mehr) aus dem im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten allgemeinärztlichen Attest vom 7. September 2018, in welchem im Anschluss an den damaligen Krankenhausaufenthalt auf die Gefährdung des Operationsergebnisses verwiesen wurde. Der Antragsteller hat aber im Rahmen seiner Anhörung im Beschwerdeverfahren ein aktuelles hausärztliches Attest vom 13. Februar 2019 vorgelegt, wonach er an einer sehr schweren Verbrennung II. Grades mit offener schlecht heilender Wunde leide, so dass zur Vermeidung weiterer Infektionen und einer Besserung der Wunde die Notwendigkeit einer eigenen Nasszelle besteht. Nach Aussage des Attests besteht ohne eigene Nasszelle die Gefahr, dass sich das Gesundheitsbild verschlechtert. Diese ärztliche Aussage wird untermauert durch den beigefügten Bericht einer radiologischen Praxis vom 18. Januar 2019, wonach an den betroffenen Körperpartien weiterhin chronisch entzündliche Prozesse festzustellen sind.
Die genannten ärztlichen Äußerungen reichen entgegen der Annahme der Antragsgegnerin aus, um das auf besonderen persönlichen Umständen beruhende hygienische Erfordernis einer eigenen Nasszelle in der für das Eilverfahren notwendigen Weise glaubhaft zu machen. Die in der ergänzenden Beschwerdebegründung vom 15. Februar 2019 getroffene gegenteilige Aussage, wonach eine hygienische Wundversorgung auch in einem Gemeinschaftsbad bzw. in einem mit anderen Personen geteilten Bad möglich sei, stützt sich ersichtlich nicht auf eine medizinische Untersuchung des Antragstellers und stellt daher nur ein pauschales und unsubstantiiertes Bestreiten der ihn betreffenden ärztlichen Feststellungen dar. Das Gleiche gilt für die in ihrer Allgemeinheit ersichtlich unzutreffende Behauptung, auch in einem Krankenhaus sei eine Unterbringung in einem Zimmer mit eigener Nasszelle „nicht gewährleistet“. Liegt eine ärztliche Bescheinigung vor, die dem Unterzubringenden einen krankheitsbedingten Zusatzbedarf bestätigt, so kann die Sicherheitsbehörde dies im Regelfall nur verweigern, wenn sie aufgrund besserer fachlicher Erkenntnis, z. B. unter Verweis auf eine von ihr veranlasste amtsärztliche Untersuchung, zum gegenteiligen Ergebnis gelangt ist (vgl. Ehmann, Obdachlosigkeit, 2. Aufl. 2006, S. 98). Solange dies nicht geschehen ist, muss dem Unterbringungsbegehren in der durch ein ärztliches Attest bestätigten Form jedenfalls vorläufig bis zu einer näheren Aufklärung des Sachverhalts stattgegeben werden (vgl. BVerfG, B.v. 7.4.1993 – 1 BvR 565/93 – NVwZ 1993, 1181).
In dem hier gefundenen Ergebnis liegt entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin kein Widerspruch zu dem allgemeinen Grundsatz, dass die Obdachlosenfürsorge nur zur Verschaffung einer Unterkunft „einfacher Art“ verpflichtet (BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5). Denn ungeachtet dessen müssen die unterzubringenden Personen, wie es in der zitierten Entscheidung heißt, Einschränkungen ihrer Wohnansprüche dort nicht mehr hinnehmen, „wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten sind“ (BayVGH, a.a.O., m.w.N.). Zur körperlichen Unversehrtheit kann es in besonders gelagerten Fällen auch gehören, sich nicht durch die Benutzung sanitärer Gemeinschaftseinrichtungen der konkreten Infektionsgefahr bei einer noch nicht ausgeheilten Wunde aussetzen zu müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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