Medizinrecht

Kein Anspruch auf Beihilfe für ein Hyaluronsäurepräparat

Aktenzeichen  M 17 K 16.1938

Datum:
27.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBhV BBhV § 22
MPG MPG § 3 Nr. 1
VwGO VwGO § 113 Abs. 5

 

Leitsatz

Das Präparat „Durolane 3 ml Hyaluronsäure Fertigspritzen“ ist nicht als Arzneimittel anzusehen, weil es sich um ein Medizinprodukt nach § 3 Nr. 1 Buchst. a MPG handelt. Die Hauptwirkung der Hyaluronsäurepräparate im menschlichen Körper ist weder pharmakologisch noch immunologisch. Vielmehr handelt es sich um eine mechanische (physikalische) Wirkungsweise, die charakteristisch für Medizinprodukte ist (BVerwG BeckRS 2015, 47871). Die Beihilfefähigkeit von Medizinprodukten richtet sich nach § 22 Abs. 1 Nr. 4 BBhV iVm Anlage 4. Da das Präparat dort nicht aufgeführt ist, scheidet eine Beihilfefähigkeit aus. (redaktioneller Leitsatz)
Mögliche Einsparungen anderweitiger Kosten (zB für Operationen) können nicht dazu führen, dass nicht beihilfefähige Aufwendungen im Wege der Kompensation als beihilfefähig anzuerkennen sind. (redaktioneller Leitsatz)
Aus der fehlerhaften Anerkennung von Aufwendungen für ein Präparat in der Vergangenheit kann kein Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe abgeleitet werden. Denn die vorschriftskonforme Handhabung einer Norm für die Zukunft verletzt keine schützenswerte, das Vertrauen auf ihren Bestand rechtfertigende Rechtsposition des Betroffenen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten mit Schreiben vom 30. Juni 2016 bzw. 12. Oktober 2016 einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf die Gewährung weiterer Beihilfe hat (§ 113 Abs. 5 VwGO); der streitgegenständliche Bescheid vom 10. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Da die beihilferechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfe beantragt wird, zu beurteilen sind (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 8.11.2012 – 5 C 4.12 – juris Rn. 12), richtet sich die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen des streitgegenständlichen Mittels nach der Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) vom 13. Februar 2009 (BGBl I S. 326) in der ab 17. Juli 2015 geltenden Fassung (BGBl I S. 1368), da die streitgegenständliche Rechnung des Herrn … auf den … August 2015 datiert.
Nach § 22 Abs. 1 Nr. 4 BBhV sind Aufwendungen für ärztlich oder zahnärztlich nach Art und Umfang schriftlich verordnete oder während einer Behandlung verbrauchte Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nr. 1 und 2 des Medizinproduktegesetzes (MPG) zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt, in Anlage 4 aufgeführt sind und die dort genannten Maßgaben erfüllen, beihilfefähig.
Das Präparat „Durolane 3 ml Hyaluronsäure Fertigspritzen“ ist nicht als Arzneimittel anzusehen, weil es sich um ein Medizinprodukt nach § 3 Nr. 1 Buchst. a MPG handelt. Die Hauptwirkung der Hyaluronsäurepräparate im menschlichen Körper ist weder pharmakologisch noch immunologisch. Vielmehr handelt es sich um eine mechanische (physikalische) Wirkungsweise, die charakteristisch für Medizinprodukte ist (BVerwG, U. v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – juris; BGH, U. v. 9.7.2009 – 1 ZR 193/06 – juris; BVerwG, U. v. 12.9.2013 – 5 C 33.12 – juris; VG Sigmaringen, U. v. 8.3.2016 – 3 K 4243/14 – juris Rn. 21). Die Beihilfefähigkeit von Medizinprodukten nach § 3 Nr. 1 MPG richtet sich nach § 22 Abs. 1 Nr. 4 BBhV i. V. m. Anlage 4. Dort ist das Präparat „Durolane 3 ml Hyaluronsäure Fertigspritzen“ allerdings nicht aufgeführt, so dass eine Beihilfefähigkeit ausscheidet (vgl. a. OVG Lüneburg, B. v. 24.7.2013 – 5 LA 288/12 – juris Rn. 6 zu Fertigspritzen „GO-ON“; VG Köln, U. v. 1.2.2013 – 9 K 3336/12 – juris Rn. 14; VG Stuttgart, U. v. 16.5.2011 – 12 K 4536/10 – juris Rn. 22; VG Wiesbaden, U. v. 4.11.2010 – 8 K 620/10.WI – juris Rn. 20; VG München, U. v. 26.10.2010 – M 17 K 10.1622 und M 17 K 10.1623 – juris Rn. 19; vgl. a. BayVGH, B. v. 12.1.2011 – 14 B 10.1975 – juris Rn. 22; BayVGH, U. v. 5.3.2010 – 14 BV 08.1013 und 14 BV 08.1014 – juris Rn. 22). Dass der Ausschluss des hier streitgegenständlichen Produkts willkürlich ist, ist nicht erkennbar (vgl. VG Stuttgart, U. v. 16.5.2011 – 12 K 4536/10 – juris Rn. 25). Der Ausschluss dieses Medizinprodukts von der Beihilfefähigkeit verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) noch gegen die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl. im einzelnen VG Sigmaringen, U. v. 8.3.2016 – 3 K 4243/14 – juris Rn. 23; BVerwG, U. v. 26.3.2015 – 5 C 9/14 – Rn. 32 ff.).
Auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 23. Juni 2008 (19 K 4786/06) vermag sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen, da dieser Entscheidung eine andere Rechtslage zugrunde lag. Das Verwaltungsgericht Köln stützte den Beihilfeanspruch auf §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 Nr. 7 der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung – BVO) vom 27. März 1975 (GV NRW S. 332) in der im Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen (hier: Mai/Juni 2006) geltenden Fassung des Art. 1 Zweiter Teil des Gesetzes vom 3. Mai 2005 (GV NRW S. 498). Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO waren demnach beihilfefähig die „notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfange in Krankheitsfällen zur Wiedererlangung der Gesundheit, zur Besserung oder Linderung von Leiden…“. § 4 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 BVO konkretisierte dies dahingehend, dass die beihilfefähigen Aufwendungen die Kosten für die bei ärztlichen Verrichtungen verbrauchten und die aufgrund einer schriftlichen ärztlichen Verordnung beschafften Arzneimittel, Verbandmittel und dergleichen umfassten. Von weiteren Voraussetzungen war die Beihilfefähigkeit nicht abhängig. Im vorliegenden Fall muss sich die Beihilfefähigkeit hingegen an § 22 Abs. 1 Nr. 4 BBhV messen lassen, dessen Voraussetzungen allerdings – wie aufgezeigt – nicht vorliegen.
Der Kläger kann auch nicht mit seinem Argument durchdringen, dass durch die Anwendung von Hyaluronsäure der Beihilfestelle weit höhere Kosten für eine Knieoperation erspart blieben. Denn es ist von der Rechtsprechung anerkannt, dass auch eine mögliche Einsparung anderweitiger Kosten durch ambulante Operationen nicht dazu führt, dass nicht beihilfefähige Aufwendungen im Wege der Kompensation als beihilfefähig anzuerkennen sind (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Kommentar, 164. Aktualisierung, 1.7.2016, § 6 BBhV, Anm. 12 zu Abs. 3 (3); OVG NW, U. v. 16.7.1987 – 6 A 481/85; BayVGH, B. v. 29.1.1989 – 3 CZ 89.01269). Aus der Bundesbeihilfeverordnung ergibt sich ohne weiteres, dass eine Berücksichtigung von der Beklagten eventuell erspart gebliebenen Aufwendungen zugunsten des Klägers im Rahmen des Beihilfeverfahrens nicht möglich ist, sondern dass nur auf die dem Kläger tatsächlich entstandenen Aufwendungen abzustellen ist. Im Übrigen trägt § 6 BBhV unter zulässiger Berücksichtigung von Praktikabilitätsgründen und zulässig typisierend der Schwierigkeit Rechnung, die andernfalls – zur Bildung des Faktors „ersparte Aufwendungen“ – mit der Überprüfung nicht belegbar entstandener Aufwendungen verbunden wäre.
Soweit dem Kläger in der Vergangenheit die Aufwendungen für das streitgegenständliche Präparat als beihilfefähig anerkannt worden sein sollten, kann er daraus keinen Anspruch dahingehend ableiten, dass ein rechtswidriger Bescheid in gleicher Form erlassen wird. Die vorschriftskonforme Handhabung einer Norm für die Zukunft verletzt keine schützenswerte, das Vertrauen auf ihren Bestand rechtfertigende Rechtsposition des Betroffenen (BVerwG, U. v. 29.9.2011 – 2 C 80/10 – juris m. w. N.). Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet lediglich, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Art. 3 Abs. 1 GG gewährt aber keinen Anspruch auf eine Gleichbehandlung im Unrecht (vgl. BayVGH, B. v. 30.9.2014 – 9 ZB 11.1119 – juris Rn. 6; BVerwG, B. v. 22.4.1995 – 4 B 55/95 – juris Rn. 4 m. w. N.).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 207,06 festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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