Medizinrecht

Keine Anerkennung einer Atemwegserkrankung als Berufskrankheit Nr. 4103

Aktenzeichen  S 16 U 213/13

Datum:
28.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 158808
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
FRG § 4 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1, § 5
SGB VII § 9
BKV Anlage 1 Nr. 4103

 

Leitsatz

1. Liegt nach wissenschaftlichem Stand eine Latenzzeit zwischen dem Beginn der Asbestexploration und der klassischen Manifestation und ist bereits von einem zeitlich deutlich früheren Asbestkontakt auszugehen, kann das Vorliegen einer Berufskrankheit nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Liegen erhebliche Beschwerden bereits vor dem Tätigkeitsbeginn der gefährdenden beruflichen Exposition vor, kann eine Erkrankung nicht auf diese Tätigkeit zurückgeführt werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Verneint der Kläger jeglichen beruflichen Kontakt zu Asbest im Ausland, fehlt es an einer Glaubhaftmachung der arbeitstechnischen Voraussetzungen bzw. des Ursachenzusammenhangs für eine Berufskrankheit nach § 4 Abs. 2 FRG. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die reine Möglichkeit eines Asbestkontaktes im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 16.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2013 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 4103 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) gegenüber der Beklagten. Ein Anspruch ergibt sich auch nicht gegenüber der Beigeladenen.
Nr. 4103 der Anlage zur BKV bestimmt als Berufskrankheit: Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura.
Die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“ müssen grundsätzlich im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 02.04.2012, Az.: L 1 U 517/12 und K., Urteil vom 02.04.2009, Az.: B 2 U 9/08 R – jeweils zitiert nach Juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 02.04.2012, Az.: L 1 U 517/12, K., Urteil vom 02.04.2009, Az.: B 2 U 9/08 R m.w.N. – jeweils zitiert nach Juris).
Nach § 4 Absatz 1 des Fremdrentengesetzes (FRG) genügt es für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Nach § 4 Absatz 2 FRG gilt Absatz 1 auch für außerhalb der Bundesrepublik Deutschland eingetretene Tatsachen, die nach den allgemeinen Vorschriften erheblich sind. Nach § 4 Absatz 3 Satz 1 FRG können als Mittel der Glaubhaftmachung auch eidesstattliche Versicherungen zugelassen werden.
Gemäß § 5 FRG gilt:
(Absatz 1) Nach den für die gesetzliche Unfallversicherung maßgebenden bundesrechtlichen Vorschriften wird auch entschädigt
1. ein außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland eingetretener Arbeitsunfall, wenn der Verletzte im Zeitpunkt des Unfalls bei einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war;
2. ein Arbeitsunfall, wenn
a. der Verletzte im Zeitpunkt des Unfalls bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war oder
b. sich der Unfall nach dem 30. Juni 1944 in einem Gebiet ereignet hat, aus dem der Berechtigte vertrieben ist, und der Verletzte, weil eine ordnungsmäßig geregelte Unfallversicherung nicht durchgeführt worden ist, nicht versichert war.
(Absatz 2) Unfälle, gegen die der Verletzte an dem für das anzuwendende Recht maßgeblichen Ort (§ 7) nicht versichert gewesen wäre, gelten nicht als Arbeitsunfälle im Sinne des Absatzes 1, es sei denn, der Verletzte hätte sich an diesem Ort gegen Unfälle dieser Art freiwillig versichern können.
(Absatz 3) Auf Berufskrankheiten sind Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden. Als Zeitpunkt des Unfalls gilt der letzte Tag, an dem der Versicherte in einem Unternehmen Arbeiten verrichtet hat, die ihrer Art nach geeignet sind, die Berufskrankheit zu verursachen.
(Absatz 4) Die Leistungen für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, auf die Absatz 1 Nr. 1 anzuwenden ist, sind auch Personen zu gewähren, die nicht zu dem Personenkreis des § 1 Buchstaben a bis d gehören. Dies gilt auch für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, auf die Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe a anzuwenden ist, wenn die durch den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit entstandenen Verpflichtungen nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze auf einen deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung übergegangen sind.
Die Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Das Vorliegen einer Berufskrankheit ist weder nachgewiesen, noch hinreichend wahrscheinlich und auch nicht glaubhaft gemacht. Dabei kann auch dahinstehen, inwiefern eine Einwirkung von Asbest im Rahmen der Tätigkeit des Klägers bei der Firma G. erfolgte. Nach den übereinstimmenden gutachterlichen Aussagen von Prof. Dr. F. und PD Dr. H., die entgegen der Ausführungen des Prof. Dr. Dr. R. das Vorliegen einer Erkrankung im Sinne der BK Nr. 4103 der Anlage 1 zur BKV bejahen, liegt jedenfalls nach derzeitigem wissenschaftlichem Stand eine Latenzzeit zwischen dem Beginn der Asbestexploration und der klassischen Manifestation. Unter Zugrundelegung der medizinischen Berichte, die bis in das Jahr 1995 zurückreichen, ist jedenfalls bereits zum Zeitpunkt um das Jahr 1980 von einem Asbestkontakt des Klägers auszugehen. Prof. Dr. F. führt aus, dass die pleuralen Veränderungen, die er auf eine Asbestexposition zurückführt, nicht erst mit der Anfertigung der HR-CT 2012 aufgefallen seien. Im Röntgenthorax während des stationären Aufenthalts vom 16.01.1999 bis 29.01.1999 im Klinikum A-Stadt seien im rechten Unterfeld teils verkalkte Pleuraschwarten, identisch zum Vorbefund, vorhanden. Bei der seitlichen Aufnahme sei auch links dorsal eine langgestreckte pleurale Verschwartung von ca. 1,5 cm Dicke erkennbar. Der Vergleich mit den Röntgenbildern von 4/98 durch Dr. W. ergebe einen unveränderten Befund. Es sei daher, so Prof. Dr. F. und übereinstimmend PD Dr. H., beim Vergleich mit den schriftlichen Vorbefunden bis 1995 nicht von einer wesentlichen Änderung der Befunde auszugehen. Im Bericht des Dr. W. vom 16.04.1998 wird beschrieben, dass keine signifikante Veränderung im Vergleich zu 1995 eingetreten sei. Er erhebt folgenden Befund: Pleuraverschwartung rechts und schwere obstruktive Atemwegserkrankung. Der Thoraxbefund sei unverändert geblieben. Bei der Lungenfunktionsprüfung bestehe eine Einschränkung der Vitalkapazität auf 2,2 Liter (44%) und eine Einschränkung der Sekundenkapazität auf 1,4 Liter. Erhebliche Beschwerden des Klägers sind daher bereits zu diesem Zeitpunkt und deutlich vor Beginn der Tätigkeit bei G. dokumentiert. Die angenommene für eine BK Nr. 4103 der Anlage 1 zur BKV taugliche Erkrankung, kann daher nicht mit der gebotenen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf die Tätigkeit bei G. zurückgeführt werden. Vielmehr kommt ein Kontakt in früherer Zeit in R. in Betracht (ca. 1980). Auch weitere Tätigkeiten in Deutschland sind bereits zeitbedingt nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ursächlich für die derzeitigen BK Nr. 4103 der Anlage 1 zur BKV relevanten Beschwerden. Es kann daher auch dahinstehen, dass entgegen des klägerischen Vortrags zu einer Asbestbelastung bei der Firma G. im Jahr 1997 im Bericht des Klinikums A-Stadt vom 25.05.2000 über die stationäre Behandlung vom 20.03.2000 bis 30.03.2000 über eine etwaige Asbestexposition in der Anamnese vermerkt ist: Eine Asbestexposition ist nicht bekannt.
Auch die Voraussetzungen nach dem FRG für die Anerkennung einer BK Nr. 4103 der Anlage 1 zur BKV liegen nicht vor. Es ist bereits -unabhängig von weiteren Voraussetzungen des FRGkeine Glaubhaftmachung der arbeitstechnischen Voraussetzungen bzw. des Ursachenzusammenhangs für eine Berufskrankheit nach § 4 Absatz 2 FRG erfolgt. Der Kläger verneint jeglichen beruflichen Kontakt zu Asbest in R.. Zwar ist es grundsätzlich möglich, dass auch als Schreiner ein Kontakt zu asbesthaltigen Baustoffen erfolgte. Die Angaben des Klägers lassen hierauf jedoch vordergründig nicht schließen. Die Angaben über die Tätigkeiten vom 05.03.1968 bis 13.07.1968 und vom 01.02.1969 bis zum 31.08.1976, als der Kläger als Schreiner eingesetzt gewesen sei, lassen keine Rückschlüsse auf eine konkrete Asbestbelastung zu. Der Kläger habe im Rahmen seiner Tätigkeit als Möbelschreiner alle Tätigkeiten verrichtet, die im Rahmen der Herstellung von Möbeln anfielen. In der Zeit vom 01.10.1987 bis 10.07.1990 sei der Kläger in R. weiterhin als Schreiner eingesetzt gewesen. Während dieser Zeit sei er ausschließlich im Fenster- und Türenbau tätig gewesen. Diese Tätigkeit liegt jedoch bereits nach der seitens Prof. Dr. F. angegebenen Latenzzeit. Auch im Rahmen der Ausbildung vom 20.09.1960 bis 10.11.1963 in einer kleinen Schreinerei/Tischlerei in R. in M. habe es keinen Kontakt zu Asbest oder asbesthaltigem Material gegeben, so der Kläger. Die reine Möglichkeit eines Asbestkontakts im Rahmen seiner Tätigkeit in R. reicht für die Glaubhaftmachung nicht aus. Dies gilt auch für den Ursachenzusammenhang, da ebenso möglich ist, dass im privaten Bereich im Rahmen eines Umbaus eines Hauses oder einer Wohnung oder eines Hausbaus (ggf. auch im Wege der Hilfe für Familie oder Bekannte) oder bei anderer Gelegenheit (z.B. Wohnen in asbestkontaminiertem Haus) ein Kontakt mit (flüchtigem) Asbest bestand, zumal Asbest in mannigfachen (Bau-)Stoffen enthalten war. Nachdem der Kläger lediglich Asbestkontakt kategorisch ausschließt -privat oder beruflichist eine weitere konkrete Aufklärung nicht möglich. Angesichts dessen, dass nach den Ausführungen des Prof. Dr. F. weder Rückschlüsse auf die Dauer, noch auf die Intensität des Asbestkontaktes möglich sind und somit ggf. auch kurzfristiger Kontakt ausreichend sein kann, ist auch eine glaubhaft gemachte berufliche Verursachung nicht anzunehmen. Angaben zu etwaigen konkreten asbestgefährdeten Tätigkeiten erfolgen durch den Kläger nicht. Angesichts der Zeit, die Menschen in der Arbeit verbringen im Vergleich zur privaten Zeit ist auch insoweit keine glaubhaft gemachte berufliche Exposition gegeben.
Ein Anspruch auf Anerkennung einer BK Nr. 4103 der Anlage 1 zur BKV besteht daher weder gegenüber der Beklagten, noch gegenüber der Beigeladenen. Die Klage ist daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Auch die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.


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