Medizinrecht

Keine Beihilfe für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlung

Aktenzeichen  M 17 K 15.2600

Datum:
16.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBhV BayBhV § 7

 

Leitsatz

1. Die Heilmethode der Photodynamischen Therapie (PDT) mit den intravenös verabreichten Substanzen Hypericin, Chlorin E6 und Curcumin zur Behandlung eines Prostatakarzinoms ist nicht wissenschaftlich allgemein anerkannt und damit nicht medizinisch notwendig und beihilfefähig. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlung ist ausnahmsweise beihilfefähig, wenn sich eine allgemein anerkannte Methode für die Behandlung einer bestimmten Krankheit noch nicht herausgebildet hat, im Einzelfall das anerkannte Heilverfahren nicht angewendet werden darf oder ein solches bereits ohne Erfolg eingesetzt wurde, der Betroffene sozusagen schulmedizinisch “austherapiert” ist. Erforderlich ist zudem, dass bereits wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse vorliegen, wonach die Behandlungsmethode zur Heilung oder Linderung geeignet ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg, weil sie teilweise schon unzulässig und im Übrigen unbegründet ist.
1. Eine Auslegung seines Klagebegehrens gemäß § 88 VwGO i. V. m. den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) ergibt, dass der Kläger vorliegend gegen den Bescheid vom 26. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 22. Mai 2015 vorgehen und den Beihilfebescheid vom …. Mai 2015 ohne vorheriges Widerspruchsverfahren in das Klageverfahren miteinbeziehen will (Klageerweiterung).
2. Bzgl. des Anfechtungsantrags gegen den Beihilfebescheid vom …. Mai 2015 ist die Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO bereits abgelaufen, so dass die Klage bzw. eine dahingehende Klageerweiterung unzulässig sind, § 91 Abs. 1 VwGO. Die Klagefrist beträgt nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Da der Bescheid mit Postzustellungsurkunde am 28. Mai 2015 (Bl. 45 BA) zugestellt wurde, begann die Monatsfrist am Freitag, den 29. Mai 2015 um 0.00 Uhr zu laufen, (§ 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO -, § 187 Abs. 1 BGB) und endete am Montag, 29. Juni 2015 um 24.00 Uhr (§ 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 188 Abs. 2, 193 BGB). Der Klägerbevollmächtigte beantragte aber erst mit Schriftsatz vom 31. Juli 2015, dem Verwaltungsgericht München am 3. August 2016 zugegangen, die Aufhebung des Beihilfebescheides vom …. Mai 2015; in seiner Klageschrift vom 22. Juni 2016 wandte er sich nur gegen den Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2015 und den „zugrundeliegenden Bescheid“. Dem Widerspruchsbescheid lag aber einzig der Beihilfebescheid vom …. Januar 2015 zugrunde. Dies ergibt sich aus dem Einleitungssatz, dem Tenor, dem Inhalt und dem expliziten Hinweis am Ende des Widerspruchsbescheides: „Mit beiliegendem Bescheid vom 21. Mai 2015 wurde nun auch die zustehende Beihilfe für die bisher zurückgestellte Arztrechnung vom …. Dezember 2014 entsprechend festgesetzt“. Damit wurde im Rahmen eines selbstständigen Bescheides vom …. Mai 2015 über die Rechnung des Herrn … vom …. Dezember 2014 entschieden.
3. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Der Beihilfebescheid vom …. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 22. Mai 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beihilfeleistungen für die im Rahmen der PDT intravenös verabreichten Substanzen Hypericin, Chlorin E 6 und Curcumin (§ 113 Abs. 5 VwGO).
3.1. Da beihilferechtliche Streitigkeiten grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfe beantragt wird, zu beurteilen sind (vgl. BVerwG, U.v. 08.11.2012 – 5 C 4.12 – juris Rn. 12), richtet sich die Beihilfefähigkeit hier nach der Verordnung über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und sonstigen Fällen (Bayerische Beihilfeverordnung – BayBhV) vom 2. Januar 2007 (GVBl S. 15) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 29. Juli 2014 (GVBl S. 352, Ber. S. 447), weil die streitgegenständlichen Rechnungen auf den 10. November 2014 datiert sind.
3.2. Bei der hier durchgeführten Behandlung mit dem Substanzen Hypericin, Chlorin E 6 und Curcumin handelt es sich um keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode. Im Ergebnis fehlt es daher an der medizinischen Notwendigkeit der entsprechenden Aufwendungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBhV.
3.2.1 Bei der Prüfung der Notwendigkeit ist zwar regelmäßig der Beurteilung des behandelnden Arztes zu folgen, dies gilt jedoch nicht für wissenschaftlich nicht anerkannte Methoden (BVerwG, U.v. 29.06.1995 – 2 C 15/94 – NJW 1996, 801 f. m. w. N.; BayVGH, U.v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 53 f.). Die Gewährung von Beihilfen, die aus allgemeinen Steuergeldern finanziert werden, gründet auf der Erwartung, dass die Heilbehandlung zweckmäßig ist und hinreichende Gewähr für eine möglichst rasche und sichere Therapie bietet. Aus Sicht des Dienstherrn ist es deshalb nicht ohne Belang, ob die von ihm (mit-)finanzierte Behandlung Erfolg verspricht oder nicht. Die Rechtsprechung hat bereits früh erkannt, dass das öffentliche Interesse an einer effektiven und sparsamen Verwendung von Steuergeldern eine Begrenzung der Beihilfe auf erfolgversprechende Heilbehandlungen zulässt (BVerwG, U.v. 29.06.1995 – 2 C 15/94 – NJW 1996, 801 f. mit Verweis auf: BAG, U.v. 24.11.1960 – 5 AZR 438/59; BVerwG, U.v. 28.11.1963 – 8 C 72.63). Insbesondere kann aus dem Umstand, dass eine nicht anerkannte Heilmethode nicht explizit in der Anlage zu § 7 Abs. 5 BayBhV aufgeführt ist, nicht geschlossen werden, dass diese sozusagen automatisch medizinisch notwendig ist (vgl. BayVGH, U.v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 57 f.; U.v. 30.01.2007 – 14 B 03.125 – juris Rn. 20; VGH BW, B.v. 14.01.1999 – 4 S 1086/96 – juris Rn. 7; U.v. 26.07.2010 – 10 S 3384/08 – juris Rn. 29 ff. zu § 6 BhV). Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (zuletzt B.v. 24.07.2015 – 14 ZB 15.372) reicht es für eine allgemeine wissenschaftlich anerkannte Heilmethode nicht aus, dass einzelne Ärzte – selbst wenn sie in dem entsprechenden Fachbereich (hier: Urologie) tätig sind – die Wirksamkeit der Krankheitsbehandlung bejahen. Eine Behandlungsmethode ist dann wissenschaftlich anerkannt, wenn sie von der herrschenden oder doch überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft für eine Behandlung der Krankheit als wirksam und geeignet angesehen wird. Um „anerkannt“ zu sein, muss eine Behandlungsmethode von dritter Seite – also von anderen als dem oder den Urheber(n) – attestiert werden, zur Heilung einer Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet zu sein, um wirksam eingesetzt werden zu können. Um „wissenschaftlich“ anerkannt zu sein, müssen Beurteilungen von solchen Personen vorliegen, die an Hochschulen oder anderen Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätig sind. Um „allgemein“ anerkannt zu sein, muss die Therapieform zwar nicht ausnahmslos, aber doch überwiegend in den fachlichen Beurteilungen als geeignet und wirksam eingeschätzt werden.
Bei der Anwendung dieser Grundsätze kommt das erkennende Gericht zu dem Ergebnis, dass die bei dem Kläger angewandte Heilmethode einer PDT mit den intravenös verabreichten Substanzen Hypericin, Chlorin E6 und Curcumin zur Behandlung des Prostatakarzinoms nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt ist.
Das Gericht folgt dabei den überzeugenden und in sich schlüssigen Ausführungen des eingeholten Sachverständigengutachtens des Chefarztes der Urologischen Klinik …, vom …. Mai 2016.
Laut dem vorliegenden Therapiebericht kam es bei dem Kläger zu folgendem Behandlungsablauf: Zunächst erfolgte die intravenöse Applikation von Chlorin E6 80 mg, Curcumin 150 mg sowie Hypericin 10 mg mit anschließender 10-minütiger transrektaler Beschallung der Prostata mittels endorektaler Sonographiesonde. Im Anschluss wurde ein Harnröhrenkatheter mit innenliegender Fiberglassonde (Firma MEDlight) über die Harnröhre in die Harnblase eingeführt. Hiernach wurde die innenliegende Fieberglassonde mit einem Therapiegerät verbunden. Gleichzeitig wurde ein Laserkatheter in eine Armvene gelegt. Nun wurden verschiedene Wellenlängen (zunächst 658nM 250mW, danach 405nM 60mW und anschließend 589nM 50mW) appliziert. Parallel dazu wurden dieselben Wellenlängen intravenös mit je 5mW jeweils über 20 Minuten appliziert. Die gesamte Therapiedauer betrug 60 Minuten. Es wurden mehrere sonographische Kontrollen zur Lage des Katheters in der Prostataloge und der Harnblase durchgeführt.
Nach dem Ergebnis des fachurologischen Gutachtens vom …. Mai 2016 müsse die PTD und insbesondere diese beim Kläger angewandte Therapieform mit Hypericin, Chlorin E6 und Curcumin unter Einbringung einer Lichtfaser über die Harnröhre in die Harnblase als experimentelle Alternativbehandlung im Sinne eines individuellen therapeutischen Heilversuchs gelten.
Das Grundprinzip der photodynamischen Wirkung beruhe auf der tumorselektiven Anreicherung von lichtempfindlichen Substanzen, sogenannten Photosensibilisatoren, nach üblicherweise intravenöser Verabreichung. Auf zellulärer Ebene entfalte sich die photodynamische Wirkung durch Absorption von Licht. Sie führe zu angeregten Energiezuständen des Sensibilisators. Hierbei entstünden Radikale, die in der Lage seien, lebenswichtige Strukturen wie Zellmembranen durch Photooxidation zu zerstören. Neben den zellulären Schäden trete ein Zusammenbruch der Tumordurchblutung auf. Das Zusammenwirken beider Effekte solle zu einem Gewebs- bzw. Tumoruntergang führen.
In dem 352 Seiten umfassenden Leitlinienprogramm Onkologie (S3-Leitlinie Prostatakarzinom) zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms finde die PDT keine Erwähnung. Die Basis dieser umfassenden Leitlinie beruhe auf den medizinischwissenschaftlichen Erkenntnissen der Fachgesellschaften und Deutschen Krebsgesellschaft, dem Konsens der medizinischen Fachexperten, Anwender und Patienten sowie auf dem Regelwerk für die Leitlinienerstellung der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) und der fachlichen Unterstützung durch die Deutsche Krebshilfe. In dieser Leitlinie würden auch diejenigen Therapieformen erwähnt und ausführlich diskutiert, die nicht die Voraussetzung für eine Empfehlung zur Therapie des Prostatakarzinoms erfüllen. Hierunter fielen auch Formen der fokalen Therapie. Zu den fokalen Therapien gehörten unter anderem die Kryotherapie (Zerstörung von Gewebe mittels starker Kälte) und die HIFU (High Intensity Focused Ultrasound; hoch intensiver, gebündelter Ultraschall mit Zerstörung des Gewebes durch Erwärmung) – Therapie. Beide Behandlungsmethoden würden nach der deutschen Leitlinie jedoch keine angemessene Alternative zu den Standardverfahren darstellen. Selbst die wesentlich verbreitetere HIFU-Therapie werde in der S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom als ein experimentelles Verfahren im Rahmen der Therapie des lokal begrenzten Prostatakarzinoms bezeichnet. Bei der PDT handele es sich ebenfalls um eine Form der fokalen Therapie des Prostatakarzinoms. Gleichwohl werde sie in der S3-Leitlinie Prostatakarzinom nicht erwähnt. Auch in der europäischen EAU-Leitlinie (European Association of Urology) zum Prostatakrebs finde die PDT der Prostata keine Erwähnung.
Bei der Recherche in der Datenbank PubMed fänden sich bei der Suche nach Veröffentlichungen zur PDT im Bereich des Prostatakarzinoms aktuell 274 Publikationen. Diese Publikationen entbehrten laut Sachverständigengutachten jeden Bezug zu der beim Kläger durchgeführten Therapie. Sie könnten damit nicht als Grundlage für die Anwendung der PDT beim Prostatakarzinom dienen. Tatsächlich fände sich in keiner der recherchierten Publikationen die kombinierte Anwendung der beim Kläger verwendeten Substanzen.
Soweit der Klägerbevollmächtigte anführt, dass für die Anwendung der Substanzen Chlorin E6 und Hypericin wissenschaftliche Arbeiten vorlägen, die die Wirksamkeit dieser Substanzen als Photosensitizer aufzeigen würden, könne bei den angeführten Studien von Ohmori et al., Galanou et al. und Xie et al. ein kausaler Zusammenhang mit der beim Kläger durchgeführten PDT mit Chlorin E6, Curcumin und Hypericin nicht gesehen werden. Die Studie von Xie et al. liefere einerseits lediglich vorläufige Ergebnisse und sei andererseits nicht auf den Menschen übertragbar.
Zusammenfassend könne gesagt werden, dass keine Studien vorlägen, die die Wirksamkeit der PDT mit einer anderen etablierten Therapieoption bei Prostatakarzinom anhand einer bestimmten Patientenpopulation vergleichen würde. Bei den vorliegenden Publikationen und Studien handele es sich oftmals um hochexperimentelle invitro-Untersuchungen mit den unterschiedlichsten photosensitiven Substanzen. In keiner Studie finde sich die Kombination aus der beim Kläger durchgeführten Therapie mit Chlorin E6, Curcumin und Hypericin. Auch eine kombinierte Therapie mit Hypericin und Chlorin E6 lasse sich nicht finden. Es bestünden keine Nachbeobachtungszeiträume. Zuverlässige Aussagen zu den langfristigen Folgen oder Therapieergebnissen mit der PDT seien nicht möglich. Die abgeschlossene Phase-3-Studie benutze als photoaktive Substanz TOOKAD-Soluble. Dies entspreche nicht dem Protokoll der beim Kläger verwendeten Therapie mit Chlorin E6, Curcumin und Hypericin. Langzeitergebnisse zu funktionellen und onkologischen Daten der TOOKAD-Studie lägen nicht vor. Die im Rahmen der TOOKAD-Studie durchgeführte PDT des Prostatakarzinoms mit transperinealer Einführung der Lichtleitfasern in den zu behandelnden Prostatalappen unter Vollnarkose sei nicht mit der sogenannten PDT mit Einlegen eines Blasenkatheters über die Harnröhre mit innenliegender Fieberglassonde, wie sie beim Kläger durchgeführt wurde, vergleichbar. In der Dissertation mit dem Titel „Untersuchung zur photodynamischen Therapie des humanen Prostatakarzinoms mit 5-Amino-Laevulinsäureinduzierten Protoporphyrin IX“ aus der LMU … aus dem Jahr 2005 erhielten fünf Patienten eine PDT des Prostatakarzinoms. Abgesehen von fehlenden Langzeitergebnissen und der sehr kleinen Patientenzahl sei hier sowohl eine andere wirksame Substanz (Protoporphyrin IX) als auch eine gänzlich andere Methode zur Applikation der Lichtfasern in die Prostata selbst verwendet worden. Diese Methode sei nicht mit dem beim Kläger angewandten Verfahren vergleichbar. Nach Durchsicht der aktuell maßgeblichen wissenschaftlichen Publikationen bezüglich der PDT beim Prostatakarzinom gebe es bislang keine relevanten Aussagen zum klinischen Behandlungsergebnis. Nutzen und Schaden der PDT seien bisher nicht ausreichend in kontrollierten Studien im Vergleich zu anderen etablierten Therapieoptionen untersucht worden. Um die Effektivität, die Sicherheit des Verfahrens sowie die klinischen Langzeitergebnisse dieser Behandlungsmethode sicher beurteilen zu können, bedürfe es weiterer prospektiver und vergleichender Daten. Darüber hinaus unterscheide sich das von Herrn … … … verwendete Therapieverfahren in entscheidenden Punkten von den Behandlungsmethoden der vorliegenden Studien: erstens in der verwendeten wirksamen Substanz und zweitens in der Applikationsart der Lichtquellen selbst. Sowohl in der angeführten Dissertation als auch in der TOOKAD-Studie seien die Lichtfasern im Rahmen eines operativen Eingriffes in die Prostata selbst eingelegt worden. Bei der sogenannten PDT des Herrn … … … sei dagegen ein Katheter mit innenliegender Fieberglassonde über die Harnröhre in die Harnblase gelegt worden. Auch angesichts der grundliegenden Unterschiede der angewandten Methoden könnten daher die vorliegenden Arbeiten nicht als Grundlage für die bei dem Kläger durchgeführten Therapieformen gelten.
In der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2016 bekräftigte der Sachverständige das Ergebnis seines fachurologischen Gutachtens. Nach seiner Aussage befinde sich die beim Kläger angewandte Therapie nicht unter den in den Leitlinien befindlichen „experimentellen Therapien“. Sie sei als rein experimenteller Heilversuch zu werten. Auch wenn die PDT bei anderen Tumorarten womöglich im Einzelfall erfolgreich angewandt worden wäre, könne man eine Behandlungsmethode nicht von einer Tumorart auf die andere Tumorart übertragen. Das beim Kläger gewählte Verfahren habe lediglich Ähnlichkeit mit wissenschaftlich geprüften Verfahren, die auch publiziert seien. Jedoch gebe es auch für diese Verfahren gegenwärtig keine Evidenz für eine ausreichende Wirksamkeit beim Prostatakarzinom. Das angewandte Verfahren verwende drei intravenös gegebene Substanzen, die aus Sicht des Sachverständigen „recht willkürlich und ohne Prüfung“ zusammengestellt worden seien. Vergleiche zu anderen Studien seien daher weder hinsichtlich der gewählten Substanzen noch hinsichtlich der Art der Lichteinbringung in die Prostata vergleichbar. Bei dem Kläger wurde ein transuritraler Blasenkatheter mit innenliegender Fieberglassonde über die Harnröhre in die Harnblase eingeführt. Dieses Verfahren sei mit den in den publizierten Veröffentlichungen praktizierte Behandlungsmethode schon deshalb nicht vergleichbar, da bezweifelt werde, dass durch die Verdichtung des Gewebes zwischen der in die Harnblase eingeführten Fieberglassonde und dem Prostatakarzinom die Lichtbestrahlung gleichmäßig auf das Prostatakarzinom abgegeben werden könne.
Das Gericht folgt den überzeugenden und in sich schlüssigen Ausführungen des Gutachtens. Das Gutachten überzeugt nach Methodik und Durchführung der Erhebungen. Der Gutachter hat die relevanten Gutachten und Befunde der Akten umfassend ausgewertet und ausführlich eruiert. Seine Folgerungen beruhen sowohl auf eigenen medizinischen Erkenntnissen als auch auf Befunden, die in nachprüfbarer Weise in dem Gutachten selbst angegeben sind.
Überzeugend weist der Sachverständige auf die derzeit bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse hin und stellt nachvollziehbar dar, dass es sich bei der beim Kläger angewandten Behandlungsmethode um einen rein experimentellen Heilversuch gehandelt hat. Das Gutachten ist nachvollziehbar und weist keine offen erkennbaren Mängel auf. Die vom Klägerbevollmächtigten im Schreiben vom 1. Juli 2016 angekündigten und teilweise in der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen konnte der Sachverständige nachvollziehbar beantworten.
Nach alledem ist nicht erkennbar, dass Bewertungen der einschlägigen Fachkreise vorliegen, die darauf schließen ließen, dass die überwiegende Mehrheit der in dem betreffenden Fachbereich tätigen Wissenschaftler zwischenzeitlich von der Wirksamkeit dieser Mittel ausgeht.
Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der vorgelegten Stellungnahme des Herrn … … vom …. Juli 2016. Dieser führt selbst aus, dass die Applikationsart per Organpunktion nicht mit der beim Kläger angewandten transurethralen Katheterapplikation zur Laserlichtabgabe vergleichbar sei. Diese beruhten nur „auf demselben Prinzip“. Die Unterschiede vermochte der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2016 eindeutig darzustellen.
Soweit der Klägerbevollmächtigte Bedenken hinsichtlich der Verwertbarkeit des Gutachtens wegen Verstoßes gegen § 98 VwGO, § 407a Abs. 2 ZPO äußerte, ist dem nicht zu folgen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2016 handelte es sich bei den Mitwirkungen des Funktionsoberarztes … … um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung (§ 407 a Abs. 2 Satz 2 ZPO). Das Ergebnis des Gutachtens hat der Sachverständige maßgeblich selbst erstellt. Im Übrigen hat er die Tätigkeit seines Mitarbeiters nachvollzogen und sich dessen Ergebnisse nach eigener Überzeugung und Überprüfung zu Eigen gemacht.
Im Übrigen bleibt festzustellen, dass allein eine tatsächlich eingetretene Heilung im Einzelfall oder eine subjektive Besserung einer bestehenden Symptomatik – sollte diese beim Kläger eingetreten sein – noch nicht eine wissenschaftliche Anerkennung rechtfertigt, da der Nachweis der Wirkung nicht praktikabel zu führen ist, d. h. es ist nicht feststellbar, ob die Heilung oder Besserung tatsächlich auf das angewandte Verfahren, einen gegebenfalls durch das Verfahren nur ausgelösten Placebo-Effekt oder auf sonstigen, für den Heilungs- bzw. Besserungsverlauf günstigen Rahmenbedingungen beruht (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Komm., 164. Aktualisierung, 1.7.2016, § 6 BBhV, Anm. 6 (6) hinsichtlich der Rücknahme eines Ausschlusses nach Anlage 1 BBhV mit Verweis auf BayVGH, U.v. 5.7.1995 – 3 B 94.2794).
3.2.2 Schließlich ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Beklagten als Dienstherrn keine Verpflichtung zur Anerkennung der Aufwendungen als beihilfefähig.
Aus dem Fürsorgeprinzip kann sich in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBhV ausnahmsweise eine Verpflichtung des Dienstherrn ergeben, Beihilfe zu „dem Grunde nach“ notwendigen Aufwendungen für eine Behandlung zu leisten, wenn die Wirksamkeit nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt ist (BayVGH, U.v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 56).
Voraussetzung für die ausnahmsweise Anerkennung der Beihilfefähigkeit ist jedoch, dass sich eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode für die Behandlung einer bestimmten Krankheit noch nicht herausgebildet hat, dass im Einzelfall (z. B. wegen einer Gegenindikation) das anerkannte Heilverfahren nicht angewendet werden darf oder dass ein solches bereits ohne Erfolg eingesetzt worden ist, der Betroffene sozusagen schulmedizinisch (erfolglos) austherapiert ist. Insofern ist jedoch weiter notwendig, dass die wissenschaftlich allgemein noch nicht anerkannte Behandlungsmethode nach einer medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch wissenschaftlich allgemein anerkannt werden kann. Hierfür ist zumindest erforderlich, dass bereits wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse vorliegen, die attestieren, dass die Behandlungsmethode zur Heilung der Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet ist und wirksam eingesetzt werden kann. Unter den genannten Voraussetzungen wird ein verantwortungsbewusster Arzt auch solche Behandlungsmethoden in Erwägung ziehen, die nicht dem allgemeinen Standard der medizinischen Wissenschaft entsprechen, aber nach ernst zu nehmender Auffassung noch Aussicht auf Erfolg bieten (vgl. BayVGH, U.v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 57 m. w. N.; BVerwG, U.v. 18.06.1998 – 2 C 24/97 – NJW 1998, 3436 Lts.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Vom Kläger wurde weder behauptet noch belegt, dass er schulmedizinisch austherapiert sei. Im Übrigen hat der Sachverständige sowohl in seinem fachurologischen Gutachten (S. 21) als auch in der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2016 dargelegt, dass es sich bei der beim Kläger durchgeführten Therapie nur um einen experimentellen Heilversuch gehandelt hat.
4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 2.242,41 festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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