Medizinrecht

Keine Beihilfe zu Nahrungsergänzungsmittel – Diätische Lebensmittel

Aktenzeichen  AN 1 K 17.00831

Datum:
12.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26041
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBhV § 22 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5, § 49, § 50
GG Art. 33 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Die Sachentscheidung über einen Widerspruch heilt eine Versäumung der Widerspruchsfrist und eröffnet den Klageweg. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine auf zukünftige Beihilfeleistungen gerichtete Verpflichtungsklage ist unzulässig. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Erstattungsfähigkeit geltend gemachter Aufwendungen richtet sich in beihilferechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfe beantragt wird. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Fürsorgepflicht in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen wird grundsätzlich abschließend durch die Beihilfevorschriften konkretisiert. Aus der Fürsorgepflicht erwachsen nur dann Leistungsansprüche, wenn diese Pflicht anderenfalls in ihrem Wesenskern verletzt würde. (Rn. 34) (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligen hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
1. Die Klage ist bereits nur zum Teil zulässig.
Dahinstehen kann insoweit, ob die Klägerin mit Schreiben vom 28. November 2016 rechtzeitig Widerspruch eingelegt hat bzw. Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren war, da die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheids vom 23. März 2017 nicht wegen Fristversäumnis als unzulässig, sondern durch Sachentscheidung bzgl. des Präparats „Multibionta Nutrition Forte Kapseln“ zurückgewiesen hat. Nach ständiger Rechtsprechung heilt die Sachentscheidung eine Versäumung der Widerspruchsfrist und eröffnet den Klageweg (Schoch/Schneider/Bier/Dolde/Porsch, Kommentar zur VwGO, 33. EL Juni 2017, § 70 Rn. 37-39 m.w.N.).
Soweit der Vertreter der Klägerin jedoch begehrt, die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin für die Zukunft Beihilfeleistungen für das Präparat „Multibionta Nutrition Forte Kapseln“ zu zahlen (Klageantrag zu 2.), ist diese Verpflichtungsklage bereits unzulässig, da ausgehend vom materiellen Beihilferecht eine Verpflichtung für die Zukunft nicht möglich ist. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass sich die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen nach der Sach- und Rechtslage richtet, die zum Zeitpunkt der Entstehung der Aufwendungen besteht. Diese Rechtslage kann sich zukünftige Aufwendungen betreffend jederzeit ändern, wobei zum jetzigen Zeitpunkt weder der Zeitpunkt einer Änderung noch deren Richtung absehbar ist. Zum anderen widerspricht das im Beihilferecht festgelegte Antrags- und Bewilligungsverfahren einer – pauschalen – Anerkennung der Erstattungsfähigkeit zukünftiger Aufwendungen (BayVGH, B.v. 18.2.2014 – 14 C 13.900 – juris).
2. Die im Übrigen zulässige Klage, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 30. September 2016 in Gestalt der Ziffer. 2 des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2017 zu verpflichten, die beantragte Beihilfeleistung für das Präparat „Multibionta Nutrition Forte Kapseln“ zu zahlen, ist unbegründet.
Der Beihilfebescheid der Beklagten vom 30. September 2016 in Gestalt der Ziffer. 2 des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe für die Aufwendungen zum Erwerb des Präparates „Multibionta Nutrition forte Kapseln“ (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Die Erstattungsfähigkeit geltend gemachter Aufwendungen richtet sich in beihilferechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfe beantragt wird (BVerwG, U. v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – juris) und damit nach § 22 BBhV in der Fassung vom 18. Juli 2014.
b) Nach § 22 Abs. 1 BBhV sind Aufwendungen für ärztlich oder zahnärztlich nach Art und Umfang verordnete oder während einer Behandlung verbrauchte Arzneimittel nach § 2 des Arzneimittelgesetzes, die apothekenpflichtig sind (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 BBhV), für Verbandsmittel (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 BBhV), für Harn- und Blutteststreifen (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 BBhV) und für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nummer 1 und 2 des Medizinproduktegesetzes zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind, in Anlage 4 aufgeführt sind und die dort genannten Maßgaben erfüllen(§ 22 Abs. 1 Nr. 4 BBhV), beihilfefähig.
Nicht beihilfefähig sind u.a. nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, § 22 Abs. 2 Nr. 3 BBhV, es sei denn, sie sind bestimmt für Personen, die das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, oder für Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und an Entwicklungsstörungen leiden (Buchst. a)), wurden für diagnostische Zwecke, Untersuchungen und ambulante Behandlungen benötigt und in der Rechnung als Auslagen abgerechnet (Buchst. b)) oder gelten bei der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung als Therapiestandard und werden mit dieser Begründung ausnahmsweise verordnet, wobei sich die beihilfefähigen Ausnahmen aus Anlage 6 ergeben (Buchst. c)).
Unabhängig von der Ausschlussregelung des § 22 Abs. 2 BbhV sind bereits Präparate, die nicht in den Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1BBhV fallen, von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Dies trifft für das Präparat „Multibionta Nutrition Forte Kapseln“ zu. Bei dem Präparat „Multibionta Nutrition forte Kapseln“ handelt es sich weder um ein beihilfefähiges Arzneimittel im Sinne des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BBhV, noch um ein beihilfefähiges Medizinprodukt im Sinne von § 22 Abs. 1 Nr. 4 BBhV, sondern ausweislich der Produktbeschreibung um ein diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diät) zur diätetischen Behandlung von erhöhtem Vitaminbedarf an Vitamin-B-Komplex, Vitamin E und Vitamin C als Folge von Maldigestion oder Malabsorption (vgl. z.B. https://www.shop-apotheke.com/arznei-mittel/1624903/multibionta-nutrition-forte-kapseln.htm).
Aufwendungen für Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, Krankenkost und diätische Lebensmittel sind gemäß § 22 Abs. 5 S. 3 BbhV ausdrücklich ausgeschlossen. Ein Ausnahmefall nach § 22 Abs. 5 S. 1 und S. 2 BBhV liegt offensichtlich nicht vor.
Mangels Vorliegen eines Arzneimittels kann aber auch die Bescheinigung des behandelnden Arztes über das Vorliegen eines Ausnahmefalles nach § 22 Abs. 2 Nr. 3c BBhV nicht zu einer ausnahmsweisen Beihilfefähigkeit des streitgegenständlichen Präparats führen.
c) Die Klägerin hat auch keinen sich aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach Art. 33 Abs. 5 GG, § 78 BBG ergebenden Beihilfeanspruch, der über die vorgenannten Beihilfevorschriften hinausginge. Die Fürsorgepflicht in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen wird grundsätzlich abschließend durch die Beihilfevorschriften konkretisiert. Die Beihilfe ist als eine die Eigenvorsorge des Beamten ergänzende Leistung konzipiert; sie soll den Beamten von den durch die Besoldung nicht gedeckten notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfang freistellen (VG Sigmaringen, U. v. 22.11.2016 – 3 K 2905/14 -, juris, unter Verweis auf BVerfG, B. v. 7.11.2002 – 2 BvR 1053/98 -, juris). Eine lückenlose Erstattung jeglicher Aufwendungen in Ergänzung der zumutbaren Eigenvorsorge verlangt die Fürsorgepflicht jedoch nicht (VG Sigmaringen, a.a.O., unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 13.11.1990 – 2 BvF 3/88 -, juris).
Aus der Fürsorgepflicht ergeben sich nur dann Leistungsansprüche, wenn diese andernfalls in ihrem Wesenskern verletzt wäre. Den Wesenskern der Fürsorgepflicht können allenfalls unzumutbare Belastungen des Beamten berühren (BVerwG, U. v. 10.10.2013 – 5 C 32/12 -, juris Rn. 25, m.w.N.).
Der Wesenskern der Fürsorgepflicht ist dabei nicht bereits allein wegen des Vorliegens der schweren, extrem seltenen Stoffwechselstörung, aufgrund derer zwingend lebensnotwendige Vitamine dem Körper zugeführt werden müssen, betroffen. Hinzukommen müssen zusätzliche Belastungen, durch die die amtsangemessene Lebensführung durch die Vorenthaltung der begehrten Beihilfe unzumutbar beeinträchtigt würde.
Eine derartige unzumutbare Beeinträchtigung ist vorliegend nicht erkennbar. Für das streitgegenständlichen Präparat „Multibionta Nutrition forte Kapseln“ sind für 90 Kapseln Aufwendungen in Höhe von 36,99 EUR entstanden. Diese Aufwendungen übersteigen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht. Selbst unter Berücksichtigung der nicht heilbaren Erkrankung der Klägerin, aufgrund derer eine voraussichtlich lebenslange, tägliche Einnahme des Präparats erforderlich sein dürfte, würden sich die jährlichen Kosten auf etwa 150 EUR, belaufen. Dies ist für die Klägerin in der Besoldungsgruppe A9 grundsätzlich zumutbar. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Klägerin zusätzlich zu diesen Aufwendungen gemäß §§ 49, 50 BBhV noch Eigenbehalte bis zu der für sie einschlägigen Belastungsgrenze tragen muss, auf die die Aufwendungen für das Präparat „Multibionta Nutrition Forte Kapseln“ gerade nicht angerechnet werden, da es sich dabei nicht um beihilfefähige Aufwendungen handelt.
Im Übrigen geht aus der durch den Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegten Stellungnahme des behandelnden Arztes eindeutig hervor, dass die Möglichkeit der Behandlung mit einem zugelassenen Arzneimittel, dass dann nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BBhV beihilfefähig wäre, besteht.
Demnach liegen nach Überzeugung der Kammer die Voraussetzungen für einen atypisch gelagerten Ausnahmefall, wie er z.B. durch das VG Oldenburg (U.v. 22.11.2006 – Az. 6 A 2089/06 – juris) oder das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (U. v. 24.5.2006 – 1 A 3706/04 -, juris), angenommen worden ist, gerade nicht vor, dies insbesondere, da aus Gründen der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung aller einem bestimmten Dienstherrn zugehörigen Beihilfeberechtigten die Abweichung von im Rahmen der Beihilfevorschriften typisierend vorgenommenen Leistungsausschlüssen bzw. -begrenzungen zugunsten einzelner Beihilfeberechtigter unter unmittelbarer Anknüpfung an den Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht höchstens in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen kann, in denen sich – atypischerweise – die Verweigerung der Beihilfeleistung aufgrund ganz besonderer Fallumstände schlechterdings als grob fürsorgepflichtwidrig darstellen würde.
Daher hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung der beantragten Beihilfe, so dass die Klage abzuweisen war.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 1 VwGO nicht vorliegen.


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