Medizinrecht

keine Zweifel an der Diagnose, Alkoholabhängigkeit, die im Rahmen eines Aufenthalts in einer Klinik mit dem Schwerpunkt, Abhängigkeitserkrankungen gestellt wurde, Entziehung der Fahrerlaubnis ohne weiteres Fahreignungsgutachten

Aktenzeichen  B 1 S 21.356

Datum:
14.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16262
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 7
FeV Nr. 8.3 Anlage 4 zur

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nummer 2 des Bescheids des Landratsamts … vom 1. März 2021 in Nummer 4 des Bescheids wird aufgehoben.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 6.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, C1, C1E, L und M.
Laut Mitteilung der Polizeiinspektion … wurde die Antragstellerin am 17. Oktober 2020 in das Klinikum … in … eingewiesen. Grund hierfür war, dass der Arbeitgeber der Antragstellerin gemeldet habe, dass diese ihren Dienst stark alkoholisiert beendet habe und nun mit dem Auto nach Hause fahren wolle. Ein Atemalkoholtest, der im Büro der Filialleiterin durchgeführt wurde, ergab: 1,08 mg/l. Die Antragstellerin habe angedroht, sich umzubringen, sollte ihr der Autoschlüssel abgenommen werden. Zudem habe sie angegeben, 2 Flaschen Jägermeister (0,7 l) getrunken zu haben.
Die Antragstellerin befand sich laut Schreiben der behandelnden Ärzte des Klinikums … (Sozialstiftung … – vom 29. Oktober 2020) vom 17. Oktober bis zum 30. Oktober 2020 in stationärer Behandlung. Es wurden unter anderem folgende Diagnosen gestellt: psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom (F10.2), Anpassungsstörung (F43.2), akute Alkoholintoxikation im Sinne eines Rausches (F10.0), psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Entzugssyndrom (F10.3). Eine weitere ambulante psychiatrische Anbindung mit suchtspezifischem Schwerpunkt werde empfohlen.
Mit Schreiben vom 25. Januar 2021 hörte das Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) die Antragstellerin zu einem Entzug der Fahrerlaubnis an.
Hierauf äußerte der Bevollmächtigte der Antragstellerin, dass ein Suizidversuch nicht vorgelegen habe und die Antragstellerin von der Polizei entweder in eine Übernachtungszelle oder in die Obhut ihres Ehemanns hätte verbracht werden müssen. Ein Anlass für die Verhinderung einer Trunkenheitsfahrt habe nicht vorgelegen. Die Antragstellerin habe weder gedroht zu fahren, noch den Versuch gemacht zu ihrem Fahrzeug zu gelangen, um wegzufahren. In der Vergangenheit habe sich die Antragstellerin kein verkehrsrechtliches Versagen zuschulden kommen lassen. Die Antragstellerin sei abstinent. Seit dem Klinikaufenthalt sinke der Gamma-GT-Wert regelmäßig.
Das Landratsamt entzog die Fahrerlaubnis der Antragstellerin mit Bescheid vom 1. März 2021 (Nr. 1). Der Führerschein sei innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben (Nr. 2). Im Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung unter Nr. 2 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 300 EUR angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 4). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bei Alkoholabhängigkeit Fahrungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen angenommen werde (§ 11 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Anlage 4 Nr. 8.3 zur FeV). Bestehe die Alkoholabhängigkeit nicht mehr, so müsse zumindest eine Abstinenz von einem Jahr nachgewiesen werden (Anlage 4 Nr. 8.4 zur FeV). Die Alkoholabhängigkeit sei von der Klinik diagnostiziert worden; ein Jahr Abstinenz können noch nicht nachgewiesen werden. Keine Rolle spiele die Suizidabhängigkeit und die verkehrsrechtlich nicht zu beanstandende Vergangenheit der Antragstellerin. Private Interessen müssten hinter dem Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs zurückstehen. Der Sofortvollzug wurde mit dem Interesse der übrigen Verkehrsteilnehmer begründet.
Die Antragstellerin ließ mit Schreiben vom 25. März 2021 Widerspruch gegen den Bescheid des Landratsamts erheben. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht den formellen Voraussetzungen entspreche, da der Sofortvollzug nicht ausreichend begründet gewesen sei. Eine Prüfung des Einzelfalls sei nicht erfolgt. Rechtsfehlerhaft sei keine Begutachtung erfolgt. Die Diagnose der Sozialstiftung Bamberg sei nicht ausschlaggebend. Der Verlauf der Blutwerte verdeutliche, dass die hohen Blutwerte einen anderen Hintergrund haben könnten. Es sei nicht sicher, dass die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung beachtet worden seien. Die Messung des Alkoholwertes sei ohne jeglichen Rechtsgrund erfolgt, sodass ein Beweisverwertungsverbot bestehe. Es bleibe damit offen, ob die maßgeblichen Fristen eingehalten worden seien. Es sei nicht erkennbar, wieso eine Blutalkoholmessung in den privaten Räumlichkeiten notwendig gewesen sei. Die Antragstellerin sei nicht in der Nähe ihres Fahrzeugs angetroffen worden. Es seien keine nachvollziehbaren Gründe ersichtlich, dass eine Alkoholfahrt kurz bevorgestanden habe. Ein längerer Alkoholabusus sei nicht ersichtlich. Ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung bestehe nicht. Die Antragstellerin sei aus beruflichen Gründen auf die Fahrerlaubnis angewiesen, da sie in einer anderen Gemeinde tätig sei. Sie arbeite in zwei Schichten, wobei eine bis 20.00 Uhr dauere. Der letzte Bus nach … fahre um 20.15 Uhr. Der Lebensgefährte habe demnächst eine Knie-OP und könne deshalb vier Wochen lang kein Auto fahren. Auf Grund der Corona-Pandemie sei man angehalten, Ansammlungen von Personen zu vermeiden, dies könne nur durch Individualverkehr erfolgen.
Mit Schreiben vom 25. März 2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beantragen,
1.die sofortige Vollziehung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 1. März 2021 auszusetzen und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 25. März 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. März 2021 wiederherzustellen,
2.hilfsweise: Die sofortige Vollziehung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 1. März 2021 auszusetzen und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 25. März 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. März 2021 wiederherzustellen, soweit es die Fahrzeugklasse B betrifft.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Anordnung des Sofortvollzugs formell rechtswidrig sei, da sie nicht ausreichend begründet worden sei. Es sei nicht klar, dass die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem besonderen Risiko verbunden wäre. Der Sachverhalt sei fehlerhaft ermittelt worden. Die Alkoholabhängigkeit sei nicht rechtssicher festgestellt worden. Im Übrigen wird der Vortrag, der schon im behördlichen Verfahren erfolgte, wiederholt. Vorgelegt wurden unter anderem Blutwerte vom 29. Oktober 2020, vom 14. Dezember 2020 und vom 2. Februar 2021 sowie eine Bestätigung vom 18. Januar 2021 über Termine bei der Suchtberatung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Behördenakte ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO entsprechend).
II.
1. Das Gericht legt den Hauptantrag wörtlich so aus (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), dass die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 1. März 2021 und sinngemäß hilfsweise Aufhebung der sofortigen Vollziehung begehrt. Der so verstandene Antrag ist nur hinsichtlich der Aufhebung der sofortigen Vollziehung der Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids begründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der vorliegende Antrag überwiegend abzulehnen, da der Widerspruch der Antragstellerin nach summarischer Überprüfung aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids wiegt insoweit schwerer als das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung/Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs.
2. Nach summarischer Prüfung erweist sich die Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die im Schreiben des Klinikums … vom 29. Oktober 2020 diagnostizierte Alkoholabhängigkeit der Antragstellerin rechtfertigt die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 11 Abs. 7 FeV der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) auch ohne vorherige Anordnung eines ärztlichen Gutachtens.
a) Alkoholabhängigkeit führt nach Anlage 4 Nr. 8.3 zur FeV zum Ausschluss der Eignung oder bedingten Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Wer alkoholabhängig ist, hat grundsätzlich nicht die erforderliche Fähigkeit, den Konsum von Alkohol und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu trennen. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Betreffende bereits mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden ist (BVerwG, B.v. 21.10.2015 – 3 B 31.15 – DAR 2016, 216). Bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür der Abklärung durch ein Fahreignungsgutachten bedarf. Die Anordnung gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV, ein ärztliches Gutachten beizubringen, ist nur erforderlich, wenn zwar Tatsachen die Annahme einer Alkoholabhängigkeit begründen und daher Zweifel hinsichtlich der Fahreignung vorliegen, aber nicht mit hinreichender Gewissheit feststeht, ob der Betreffende tatsächlich alkoholabhängig ist.
Im Fall der Antragstellerin ergibt sich das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit mit hinreichender Gewissheit aus dem Schreiben des Klinikums … vom 29. Oktober 2020, in welchem die Diagnose Alkoholabhängigkeit (F10.2) gestellt wurde. Die Antragstellerin hielt sich vom 17. Oktober 2020 bis zum 30. Oktober 2020 dort auf. Es wurde ein Entzugssyndrom (F10.3) diagnostiziert und eine Behandlung mit Diazepam durchgeführt. Der Antragstellerin wurde empfohlen, Angebote der ambulanten Suchthilfe wahrzunehmen. Diese bestätigte Termine der Antragstellerin am 9. November, 14. November, 23. November, 14. Dezember 2020 und 18. Januar 2021 (Schreiben SkF Bamberg e.V. vom 18. Januar 2021). Der Gamma-GT Wert der Antragstellerin lag am 29. Oktober 2020 bei 327 (Referenzbereich < 38), am 14. Dezember 2020 lag der Wert bei 81 (und somit um das Doppelte über dem mit 40 angegebenen Referenzbereich). Auch am 2. Februar 2021 lag der Wert noch bei 67 (Werte gemäß dem vorgelegten Laborbericht …*).
An der Diagnose einer Alkoholabhängigkeit bestehen nach Ansicht des Gerichts keine begründeten Zweifel. Das Klinikum … ist eine Klinik mit Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen …, abgerufen am 29. März 2021). Attestiert eine Bezirksklinik oder eine Klinik mit Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen einem Patienten, der sich längere Zeit dort stationär aufgehalten hat (hier knapp 2 Wochen), eine Abhängigkeitssymptomatik, kommt einer solchen Diagnose ein hoher Grad an Verlässlichkeit zu. Denn eine so lange Befassung mit einem Patienten verschafft den behandelnden Ärzten ein mehr als nur oberflächliches Bild von seinen Lebensgewohnheiten und Lebenseinstellungen, seiner psychischen Verfassung und seinen nutritiven Gewohnheiten und damit von Faktoren, die für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit von Bedeutung sind (BayVGH, B.v. 10.7.2017 – 11 CS 17.1057 – juris Rn. 12 zu Bezirkskliniken). Deshalb ist nach den für die Begutachtungsstellen entwickelten Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie [DGVP] und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin [DGVM], 3. Auflage 2013) die Tatsache, dass eine Alkoholabhängigkeit bereits extern diagnostiziert wurde, ein Kriterium für das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit, insbesondere wenn die Diagnose von einer suchttherapeutischen Einrichtung gestellt oder eine Entgiftung durchgeführt wurde (BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris Rn. 11). Dass eine solche Diagnose durch ein öffentlich-rechtliches Krankenhaus nicht leichtfertig gestellt wird, muss umso mehr angenommen werden, als die Feststellung einer Alkoholabhängigkeit gravierende Folgen sowohl für die Lebensführung und die beruflichen Möglichkeiten des Betroffenen als auch für seine Weiterbehandlung durch Dritte besitzt. Diese Umstände sowie die straf- und haftungsrechtlichen Konsequenzen, die sich aus der unzutreffenden Behauptung einer Alkoholabhängigkeit ergeben können, stehen der Annahme entgegen, eine Bezirksklinik würde einen von ihr stationär therapierten Patienten gegenüber dem weiterbehandelnden Arzt auch dann als alkoholabhängig (und zwar nicht nur in Gestalt einer Verdachts-, sondern einer feststehenden Diagnose) bezeichnen, wenn ein derartiger Befund nicht zur Überzeugung der verantwortlichen Klinikärzte feststeht (BayVGH, B.v. 27.7.2012 – 11 CS 12.1511 – juris). Selbiges muss für eine Klinik gelten, deren Schwerpunktgebiet Suchterkrankungen sind, auch wenn es sich nicht um eine Bayerische Bezirksklinik handelt, da den behandelnden Ärzten die straf- und haftungsrechtlichen Konsequenzen ebenso bewusst sind. Auch wenn dem Schreiben der Klinik nicht entnommen werden kann, welche ICD 10-Kritierien erfüllt sind, so ist davon auszugehen, dass eine kompetente Einordnung in den IDC 10-Katalog erfolgt ist. Bei dem unterzeichnenden Oberarzt Dr. med. N. handelt es sich um einen Facharzt für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie mit Schwerpunkt Suchtmedizin …, abgerufen am 29. März 2021). Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der behandelnde Arzt (Oberarzt) mit dem Schwerpunkt Suchtmedizin die Diagnose der Alkoholabhängigkeit leichtfertig gestellt haben sollte, zumal sich aus dem Schreiben auch eindeutig ergibt, dass ein Entzugssyndrom vorlag, welches behandelt wurde, was für das Vorliegen eines ICD-10 Kriteriums spricht. Für die Diagnose spricht zudem, dass die Antragstellerin zwar die Diagnose im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens in Zweifel stellt, sie aber andererseits bereits an 5 Terminen der Suchtberatung teilgenommen hat. Die vorgelegten Gamma-GT Werte bestätigen ebenfalls die Annahme Alkoholabhängigkeit: Nach den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung ist die Normwertgrenze des Gamma-GT an einer gesunden, zum Teil auch in sozialverträglichem Maß Alkohol konsumierenden Bevölkerungsstichprobe definiert. Bei Alkoholabstinenz würden die Werte innerhalb der Normgrenzen eher in der unteren Hälfte liegen (Begutachtung zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Auflage 2018, Seite 287 und BayVGH, B.v. 4.4.2006 – 11 CS 05.2439 – juris Rn. 29). Die Antragstellerin wies noch nach dem Aufenthalt in der Klinik im Dezember einen stark erhöhten Gamma-GT Wert auf (Laborbericht vom 14. Dezember 2020).
Das Schreiben des Klinikums … ist auch verwertbar. Es wurde von der Antragstellerin vorgelegt. Nicht streitentscheidend kommt es daher darauf an, ob die Polizeibeamten die Antragstellerin in der Klinik unterbringen durften und ob die Atemalkoholmessung zu Recht erfolgte (ständige Rechtsprechung, wonach aus Gründen der Verkehrssicherheit selbst Erkenntnisse aus einem rechtswidrig angeordneten medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachten verwertet werden dürfen, wenn das Gutachten der Behörde vorgelegt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2019 – BVerwGE 137, 10-20 = juris Rn. 19).
b) Die Antragstellerin hat die Alkoholabhängigkeit auch noch nicht überwunden. Nach Anlage 4 Nr. 8.4 zur FeV und Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung ist die Fahreignung erst wiedergegeben, wenn die Abhängigkeit nach einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist. Außerdem müssen der Einstellungswandel und die Verhaltensänderung als hinreichend gefestigt und stabil einzuschätzen sein (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 13 FeV Rn. 27). Der Nachweis, dass die Verhaltensänderung stabil gefestigt ist, ist mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu führen (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV). Diese Nachweise hat die Antragstellerin nicht geführt.
3. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nur teilweise rechtmäßig erfolgt. Nach § 80 Abs. 3 VwGO ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes angeordnet hat.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nr. 1 des Bescheides genügt den (formalen) Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht es bei einer Fahrerlaubnisentziehung aus, die für den Fall typische Interessenlage aufzuzeigen; die Darlegung besonderer zusätzlicher Gründe für die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung ist nicht geboten (so z.B. BayVGH, B.v. 10.10.2011 – 11 CS 11.1963; B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139; B.v. 25.05.2010 – 11 CS 10.227; VGH BW, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11 – juris). Die Behörde kann sich bei der Abwägung zwischen den Beteiligteninteressen im Wesentlichen auf die Prüfung beschränken, ob nicht ausnahmsweise in Ansehung der besonderen Umstände des Falles die sofortige Vollziehung weniger dringlich als im Normalfall ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2008 – 11 CS 08.1890; B.v. 13.1.2005 – 11 CS 04.2968; B.v. 18.5.2004 – 11 CS 04.819 – juris). Dem werden die Ausführungen in der Begründung des Bescheides gerecht, wonach das öffentliche Interesse (Gefährdung des Straßenverkehrs) das Interesse der Antragstellerin an der Teilnahme am Straßenverkehr überwiege.
Eine Begründung für die sofortige Vollziehung der Anordnung der Nr. 2 des Bescheids (Abgabe des Führerscheins) findet sich im streitgegenständlichen Bescheid nicht.
Auch wenn an den Inhalt der Begründung im Fahrerlaubnisrecht keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind, insbesondere wenn wie hier mit der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins lediglich ein Vollzugsakt bzw. eine Nebenverfügung inmitten steht, so müssten dennoch zumindest minimale Ausführungen dazu gemacht werden, warum auch ein überwiegendes Interesse an der Beseitigung des durch den Führerschein vermittelten Rechtsscheins besteht. Hierbei bedarf es zwar keiner einzelfallbezogenen Erwägungen, dass in der Person des Antragstellers konkrete Anhaltspunkte für das Vortäuschen des Innehabens einer Fahrerlaubnis bestehen (vgl. VG München, B.v. 8.7.2020 – 6 S 20.2061 – BeckRS 2020, 20547 Rn. 22, 23). Das Landratsamt hat hierzu aber überhaupt keine Ausführungen gemacht.
Eine fehlende oder im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO unzureichende Begründung kann nicht durch eine Nachholung oder Nachbesserung geheilt werden. Vielmehr bleibt der Verwaltungsbehörde lediglich, die Vollziehbarkeitsanordnung erneut, mit gesetzeskonformer Begründung zu erlassen (vgl. Eyermann/Hoppe, 15. Aufl. 2019, VwGO § 80 Rn. 56).
Dagegen bestehen keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Ablieferungspflicht in Nr. 2 als solche, sodass die aufschiebende Wirkung gegen Nr. 2 nicht aus diesem Grund wiederherzustellen war, sondern lediglich die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben war. Nachdem der Antragstellerin die Fahrerlaubnis nach summarischer Prüfung zu Recht entzogen worden ist, ist die Abgabeverpflichtung als begleitende Anordnung nach § 47 Abs. 1 FeV geboten.
4. Der Hilfsantrag ist ebenfalls erfolglos, da der Bescheid auch hinsichtlich der Fahrerlaubnisklasse B nach summarischer Prüfung rechtmäßig ist. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb hier etwas anderes gelten sollte. Es überwiegt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen eigenständigen Interessenabwägung des Gerichts das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs deutlich das Interesse der Antragstellerin, vorerst weiterhin Kraftfahrzeuge (unerheblich ob Kraftfahrzeuge der Klasse B oder der anderen Klassen) im öffentlichen Straßenverkehr führen zu dürfen. Dies gilt vor dem Hintergrund, dass das Fahrerlaubnisrecht als Spezialmaterie des Rechts der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerade dazu dient, Gefahren zu verhindern, die sich aus der Teilnahme ungeeigneter Personen am Straßenverkehr ergeben, grundsätzlich auch bei beruflicher oder privater Betroffenheit (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 16.6.2009 – 11 CS 09.373 – juris).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Antragsgegner unterliegt nur zu einem geringen Teil, da lediglich die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich Nr. 2 und damit allein ein Teil eines Vollzugsaktes zur Hauptverfügung rechtswidrig war.
6. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5, 46.2, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 14).


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