Medizinrecht

Kostenerstattung einer Immuntherapie

Aktenzeichen  L 4 KR 49/13

Datum:
9.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 54 Abs. 1 u. 4, § 109
SGB I SGB I § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
SGB V SGB V § 2 Abs. 1a u. Abs. 2 S. 1, § 13 Abs. 1, 2 u. 3, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, § 135 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Im Rahmen des § 2 Abs. 1a SGB V dürfen die Anforderungen an das Merkmal der indiziengestützten nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im Einzelfall nicht überspannt werden. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 18 KR 968/10 2012-10-25 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG zulässig. Zulässige Klageart ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG).
Der Kläger war zur Zeit des Todes der Versicherten der mit dieser in einem gemeinsam Haushalt lebende Ehegatte; er ist somit gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) als Sonderrechtsnachfolger prozessführungsbefugt. Er macht einen Anspruch auf laufende Geldleistungen im Sinne des § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I geltend (vgl. BSG, Urt. v. 3. Juli 2012, B 1 KR 6/11 R – juris). Zum einen handelt es sich nach dieser Entscheidung des BSG bei einem Kostenerstattungsanspruch um einen Anspruch, der auf Geldleistungen gerichtet ist. Zum anderen handelt es sich hierbei auch um eine „laufende“ Geldleistung jedenfalls dann, wenn er – wie vorliegend – über mehrere Zeitabschnitte selbst beschaffte Leistungen betrifft.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten für die Behandlung seiner Ehefrau nicht zu.
Als Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch kommt hier nur § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Hierbei hat der Gesetzgeber wie bei § 13 Abs. 2 SGB V eine Ausnahme von dem in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geltenden Sachleistungsgrundsatz im Sinne der §§ 2 Abs. 2 Satz 1, 13 Abs. 1 SGB V geschaffen. § 13 Abs. 3 SGB V gibt für den Ausnahmefall einen Kostenerstattungsanspruch, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann.
Nach § 13 Abs. 3 SGB V sind dem Versicherten die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (erste Fallgruppe) oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte (zweite Fallgruppe).
Die erste Fallgruppe erfasst nicht nur Notfälle im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V (unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf, der sofort befriedigt werden muss). Unaufschiebbar kann auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn mit der Ausführung so lange gewartet wird, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, damit der mit ihr angestrebte Erfolg noch erreicht werden kann (BSGE 73, 271, 287). Die zweite Fallgruppe setzt eine Kausalität zwischen Ablehnung und Kostenentstehung voraus. Der Kostenerstattungsanspruch setzt insoweit voraus, dass der Versicherte durch die Ablehnung der Krankenkasse veranlasst wird, sich die Behandlung auf eigene Kosten zu beschaffen (BSG, Breith. 2002, 154 ff).
Stets ist es jedoch notwendig, dass die selbst beschaffte Leistung zu den von der GKV als Sachleistung zu gewährenden Leistungen, also zum Leistungskatalog der GKV, gehört (BSG, Urt. v. 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R – juris).
Aus den vorgelegten Rechnungen ergibt sich, dass zunächst neben der Anamnese und Akupunktur vor allem die Tiefenhyperthermie durchgeführt wurde. Dazu wurden Mono Max bzw. Immunomax und Gepon verabreicht. Ferner wurde eine Acidum Ascorbicum-Therapie (30 g/100 ml) durchgeführt. Erstmals am 24.06.2010 kam hinzu eine Eigenblutbehandlung mit Ozon, die entsprechend den Rechnungen bis August 2010 weitergeführt wurde. Daneben ist erstmals am 24.06.2010 eine tumoradaptive onkolytische Virenbehandlung begonnen worden, die insgesamt im Juni dreimal erfolgte sowie im Juli und August fortgeführt wurde. Dendritische Zellen sind erstmals in der Rechnung am 13.08.2010 neben den tumoradaptierten onkolytischen Viren erwähnt. Am 06.08.2010 wurden offenbar mit Spenderlymphozyten die entsprechenden Behandlungsstoffe hergestellt.
Nach dem Gutachten des Prof. Dr. K. wurden folgende Therapien angewandt: – Akupunktur – Tiefenhyperthermie – Eigenblutbehandlung mit Ozon – Tumoradaptierte onkolytische Viren – Dendritische Zellen u.a. Eine nähere Differenzierung – außer nach den vorgelegten Rechnungen – war dem Gutachter im Hinblick auf die „höchst unterschiedlichen therapeutischen Ansätze für die personalisierte Krebsimmuntherapie“ nicht möglich.
Prof. Dr. I. geht von den folgenden, eingesetzten Therapien aus: – Zelluläre Immuntherapie mit dendritischen Zellen, in Kombination mit einer – zellulären Immuntherapie mit natürlichen Killerzellen; – inaktivierte onkolytische Viren – Hyperthermie.
Der Sachverständige Prof. Dr. I. führt zu den onkolytischen Viren aus, dass derzeit über 50 klinische Studien zur Wirksamkeit onkolytischer Viren laufen, darunter auch Phase-III-Studien z.B. eines Herpes-Virus beim Schwarzen Hautkrebs und eines REO-Virus beim Pankreas-Karzinom. Es handelt sich nach seiner Einschätzung um einen hochaktuellen Forschungstrend. Eine Zulassung durch den G-BA liegt nicht vor.
Prof. Dr. I. beschreibt in seinem Gutachten auch die Kombination der Therapien Hyperthermie, onkolytische Viren und dendritische Zellen; in Kombination wirkten diese zusätzlich als sog. danger-Signale für die Immuntherapie; sie seien überadditiv wirksam. Auch für die Kombination fehlt es jedoch an der notwendigen Zulassung durch den G-B Die Behandlung erfolgte ambulant. Ein Anspruch auf Behandlung gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen; zu erbringen sind nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung bedarf es gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V einer positiven Empfehlung des G-BA über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V. Eine Empfehlung des G-BA zu den von Hr. G. angewandten Behandlungsmethoden liegt jeweils nicht vor.
Die genannten Therapien zur Behandlung des rezidivierten Mammakarzinoms können vorliegend somit als ambulante ärztliche Leistung zu Lasten der GKV nur nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs bzw. nach dem seit 01.01.2012 geltenden § 2 Abs. 1 a SGB V erbracht werden. Auch nach Ansicht der Beteiligten kommt vorliegend eine Kostenerstattung nur im Hinblick auf die vom BVerfG am 06.12.2015 (BVerfG, a.a.O.) entwickelten Grundsätze in Betracht.
Das BVerfG hat in dem Beschluss vom 06.12.2005 dargelegt, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Zwar ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der Krankenkassen auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen. Besonderheiten gelten jedoch in der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr.
Unter Zugrundelegung dieser Entscheidung hat das BSG (Urt. v. 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R; Urt. v. 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R – jeweils juris) näher ausgeführt, dass eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, nach dieser Rechtsprechung des BVerfG gegen das Grundgesetz verstößt, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: – Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. – Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. – Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine „auf Indizien gestützte“, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (BVerfG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 Rn. 33: zitiert: BSG, Urt. v. 07.11.2006, a.a.O., juris Rn. 21). Das BVerfG hat es dabei ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG, Beschluss vom 06.02.2007, 1 BvR 3101/06 – juris).
Die Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mit § 2 Abs. 1 a SGB V, eingefügt jedoch erst mit Gesetz vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 2983), umgesetzt.
Der Senat geht vom (unstreitigen) Vorliegen der ersten Voraussetzung aus. Ob die zweite Voraussetzung gegeben ist, kann dahinstehen, da es jedenfalls an der dritten der genannten Voraussetzungen fehlt.
Dabei kommt es – anders als beim off-label-use von Arzneimitteln – nicht darauf an, ob Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das konkrete Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Entscheidend ist vielmehr, ob Indizien für eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht bestehen, dass entweder eine Heilung oder ein verlängertes progressionsfreies Überleben mit Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden kann.
Das BSG hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass bei der Frage, ob Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, zunächst das konkrete Behandlungsziel der streitigen Methode im Sinne von § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V zu klären ist. Es muss festgestellt werden, ob es um die Heilung einer Krankheit, die Verhütung ihrer Verschlimmerung oder die Linderung von Krankheitsbeschwerden geht, ob eine Behandlung kurative oder palliative Ziele verfolgt. Ausgehend hiervon ist die Wirksamkeit der Therapie zu ermitteln und das Vorhandensein alternativer Methoden gerade auf das mit ihr beabsichtige Behandlungsziel abzufragen (BSG, a.a.O., juris Rn. 31).
Dabei teilt der Senat im Grundsatz die Ausführungen des LSG für das Land Baden-Württemberg (Urt. v. 22.02.2017, a.a.O.), wonach die Anforderungen an das Merkmal der indiziengestützten nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im Einzelfall nicht überspannt werden dürfen (a.a.O., Rn. 48 m.w. Ausführungen). Die Indizien sind in ihrer Gesamtheit vom Senat zu würdigen. Dies stellt eine Rechtsfrage und keine dem Sachverständigenbeweis zugängliche Tatsachenfrage dar (so z.B. auch LSG Baden-Württemberg, a.a.O., juris Rn. 51)
Nicht ausreichend für die Bejahung dieser Voraussetzung ist das subjektive Empfinden des Versicherten, ggf. gestützt auf eine entsprechende Einschätzung oder Empfehlung des behandelnden Arztes (BSG, Urt. v. 07.11.2006, a.a.O., juris Rn. 32 f) – hier also wohl die Einschätzung der Versicherten sowie des Klägers, mit der Behandlungsmethode noch eine Wende im Krankheitsverlauf erreichen zu können, nach klägerischen Angaben gestützt auch auf Ausführungen des behandelnden Arztes G … Ausgeschlossen sind auch rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind (BSG, Urt. v. 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R – juris Rn. 21). Maßgeblich für das Vorliegen der Voraussetzungen ist auch hier gemäß § 15 SGB V eine Beurteilung nach den Regeln der ärztlichen Kunst (BSG, Urt. v. 07.05.2013, a.a.O.).
Im Hinblick auf die Krankheitsgeschichte der Versicherten ist und war nach Überzeugung des Senats nicht mehr davon auszugehen, dass durch die von Hr. G. angewandte Behandlungsmethode eine „auf Indizien gestützte“, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestand. Bei der Versicherten war 1997 ein Mammakarzinom links aufgetreten. Bereits im August 1999 kam es zu einem Lokalrezidiv links mit anschließender Operation und Bestrahlung. Ein erneutes Lokalrezidiv links trat im September 2003 auf mit Mammakarzinom rechts. Es erfolgte eine bilaterale Mastektomie und 4 Zyklen FEC-Chemotherapie mit anschließender Therapie mit Tamoxifen und Zoladex bis zum Jahre 2006. Im Jahre 2007 wurde eine generalisierte Metastasierung festgestellt; es wurde eine palliative Hormontherapie eingeleitet. Wegen des weiteren Fortschreitens wurde eine palliative Chemotherapie von April 2008 bis September 2008 durchgeführt. Eine progrediente Metastasierung mit steigenden Tumormarkern ist im März 2010 dokumentiert. Im März 2010 sind eine Lebermetastasierung und gemäß Computertomographie eine Knochenmetastasierung belegt. Nach dem Befund des Hr. G. bestanden bei der Aufnahme seiner Therapie am 26. April 2010 ein „Progress (Knochen-Schmerzen im Beckenbereich)“. Der Tumormarker lag an diesem Tag bereits bei 354. Er ist innerhalb weniger Tage auf 860 (3. Mai 2010) angestiegen und stabilisierte sich gegen Ende Mai zwischen 586 und 684, um dann wieder ab Juli auf den Spitzenwert von 907 (2. August 2010) anzusteigen. Zum Ende der Behandlung bei Hr. G. betrug er 539. Während der Behandlung ist die Metastasierung fortgeschritten bis hin zu Aderhautmetastasen links mit Gesichtsfeldausfall im August 2010.
Der Senat teilt im Hinblick auf diese Krankheitsentwicklung die Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. K. wie auch des Dr. R. sowie des MDK, dass hier eindeutig eine absolut palliative Situation vorlag. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. K. stand zu dem streitigen Zeitraum ab April 2010 ein kuratives Behandlungsziel nicht mehr zur Verfügung. Zu Beginn dieses Zeitraums gab es nur noch eine Reihe anerkannter palliativer Behandlungsmöglichkeiten. Diese sind nach dem Gutachter auch wesentlich durch die Praxis für Hämato-Onkologie C-Stadt umgesetzt worden, wie z.B. Bluttransfusionen, Schmerzmedikation, spezieller Medikamentenplan. Auch weitere palliative Optionen wie Bestrahlungstherapien oder eine niedrig dosierte Chemotherapie kamen zum Einsatz. Auch Prof. Dr. I. kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine fortschreitende Tumorerkrankung mit Leber-, Lymphknoten- und Knochenmetastasen sowie Schmerzen und behandlungsbedürftiger Symptomatik vorlagen. Er bestätigte, dass bereits zu Beginn der Behandlung durch Hr. G. der Verlauf der Erkrankung „unabwendbar tödlich“ (Seite 3 des Gutachtens) war. Für den Senat nicht nachvollziehbar ist demgegenüber seine Einschätzung am Ende des Gutachtens, dass die Intention der von ihm als sinnvoll benannten Behandlungsmethoden durch Hr. G. als „kurativ“ (Seite 8 des Gutachtens) bezeichnet wird. Dieser Widerspruch wird in dem Gutachten nicht überzeugend aufgeklärt. Entgegen dem Sachverständigen Prof. Dr. I. vermag der Senat, gestützt auch auf die Gutachten des Prof. Dr. K. und Dr. R., Indizien für eine „nicht ganz fernliegende Heilungsaussicht“ oder zumindest eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf nicht zu erkennen. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. K. ist die Bewertung des Prof. Dr. I. kritisch zu bewerten: Prof. Dr. K. spricht sich klar dafür aus, dass die neuen Therapien für die Versicherte keine Wende im Krankheitsverlauf bringen konnten. Der Einsatz einer ungewohnt neuen Methode wirke sich bei einer ausweglosen Situation allerdings durchaus psychologisch aufbauend aus. Es entsteht eine Illusion, die aber nur für begrenzte Zeit Auftrieb gibt, Lebenswillen fördert und die Lebensqualität anhebt. Für die Annahme von Indizien für eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG ist dies nicht ausreichend, zumal sowohl diese psychologische Auswirkung nur relativ kurz andauert als auch vorliegend die Behandlung bei Hr. G. wegen der weiteren Verschlechterung bereits nach wenigen Monaten abgebrochen wurde.
Soweit Herr G. die schulmedizinisch begründeten Behandlungsvorschläge als „wildes Herumexperimentieren“ bezeichnet, ist dies dem Endstadium des 1997 begonnenen Krankheitsverlaufs geschuldet. Es lag, wie ausgeführt, keine kurative, sondern eine palliative Situation vor.
Zwar kann auch bei einer palliativen Situation noch eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehen. Diese muss sich jedoch auch für den Versicherten positiv auswirken bzw. „spürbar sein“ (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 22.02.2017, a.a.O., juris Rn. 49, unter Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 15.11.2016, Az.: L 11 KR 1180/15 – juris Rn. 33). Die von dem Arzt G. angewandte Methode führte jedoch gerade nicht – abgesehen von der oben dargestellten psychologischen Auswirkung des Einsatzes einer neuen Behandlungsmethode – zu einer positiven Auswirkung für die Versicherte, wie der Tumormarkerverlauf und die aggressive Ausbreitung des Tumors in Form von weiteren Metastasierungen auch während der Behandlung durch Hr. G. zeigen. Eine tatsächliche positive Auswirkung ist somit nach allen Gutachten nicht objektivierbar zu machen.
Palliative Methoden waren, wie Prof. Dr. K. darlegte, im April 2010 im Übrigen noch nicht ausgeschöpft. Der Sachverständige verweist auf die 2010 gültige S-3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms und die damals gültigen Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft gynäkologischer Onkologie (AGO), Gruppe Mamma: Hiernach wären als zutreffende Methoden eine psychoonkologische Intervention und Betreuung anstelle einer Polypragmasie angezeigt gewesen.
Da somit bei der Versicherten bereits zu Behandlungsbeginn bei Hr. G. im April 2010 eine absolut palliative Situation bestand, kommen die vom BVerfG aufgestellten Grundsätze nicht zum Zuge. Ein Eingehen auf die einzelnen Therapien sowie auf das Gesamtkonzept der von Hr. G. angewandten Methoden erübrigt sich daher.
Der medizinische Sachverhalt war vor allem durch die Gutachten des MDK, des Dr. R. sowie des Prof. Dr. K. umfassend aufgeklärt. Dabei handelt es sich entgegen den klägerischen Ausführungen sowohl bei Dr. R. als im internistisch-onkologischen Bereich bzw. im interdisziplinären Tumorzentrum des Klinikums H. tätigen Arzt als auch bei Prof. Dr. K. als gynäkologischem Onkologen im Klinikum der Universität B-Stadt Tätigen um fachlich anerkannte Ärzte. Die Gutachten sind fachlich fundiert und für den Senat überzeugend.
Dem nur schriftsätzlich am 10.08.2017 gestellte Antrag, auch von Prof. Dr. I. eine ergänzende Stellungnahme einzuholen, war nicht zu folgen. Da sich der Antrag auf ein Gutachten nach § 109 SGG bezieht, ist der Antrag auch auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme nach § 109 SGG auszulegen. Es besteht jedoch kein Recht, dass stets zuletzt der nach § 109 SGG beauftragte Gutachter zu hören ist. Die Einholung eines Gutachtens von Amts wegen nach Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG führt nicht ohne Weiteres dazu, dass eine ergänzende Stellungnahme des nach § 109 SGG beauftragten Gutachters einzuholen ist. Ein Anspruch auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme nach § 109 SGG besteht nur, wenn sich durch das neue Gutachten – hier des Prof. Dr. K. – wesentliche Gesichtspunkte ergeben haben, zu denen sich der Gutachter nach § 109 SGG noch nicht hatte äußern können (so z.B. auch: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 109 Rn. 10 b). Dies ist vorliegend im Hinblick auf die vorhandenen Vorgutachten nicht der Fall.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach auf § 193 SGG (siehe hierzu oben unter Bezugnahme auf BSG, Urt. v. 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.


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