Medizinrecht

Krankenhausabrechnungsstreit – Kodierung – Aufrechnung

Aktenzeichen  S 11 KR 568/16

Datum:
30.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 51, § 54 Abs. 5, § 57, § 124 Abs. 2
BGB BGB § 389 Abs. 1
SGB V SGB V § 39 Abs. 1 S. 2, § 69 Abs. 1 S. 3, § 109 Abs. 4 S. 3
KHEntgG KHEntgG § 7 S. 1 Nr. 1
KHG KHG § 17b

 

Leitsatz

1. Die Regelungen der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) – hier für das Jahr 2012 – sind streng nach ihrem Wortlaut auszulegen; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen. Eine systematische Interpretation der Regelungen kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau ihres inneren Zusammenhangs innerhalb der DKR erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R, juris; BSG, Urteil vom 18.07.2013, B 3 KR 25/12 R, juris). (Rn. 20)
2. Die in der Tabelle 2 zu Ziffer D012i der DKR für das Jahr 2012 aufgeführten Diagnosen sind obligat, d.h. sie müssen bei ihrem Vorliegen grundsätzlich auch dann als Nebendiagnosen kodiert werden, wenn die Voraussetzungen der Ziffer D003i der DKR 2012 nicht vorliegen. Wegen ihrer „Natur“ als „Ausrufezeichenkodes“ gilt dies gem. Ziffer D012i der DKR 2012 jedoch nur dann, wenn ein Primärkode kodiert werden darf, dem sie zugeordnet werden können. Ob der Primärkode als Nebendiagnose kodiert werden darf, richtet sich nach der DKR, insbesondere nach Ziffer D003i. Kann der Primärkode nicht kodiert werden, darf auch der Ausrufezeichenkode aus der Tabelle 2 zu Ziffer D012i der DKR für das Jahr 2012 nicht kodiert werden. (Rn. 22)
3 Der Anspruch eines Krankenhauses auf Zahlung der Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung eines Versicherten durch die Krankenkasse stammt aus einem Parteiengleichordnungsverhältnis, der nicht durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden kann. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Der Streitwert wird auf 4.986,65 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Hierüber konnte die Kammer gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ausdrücklich ihr Einverständnis erteilt haben.
Streitgegenstand ist, ob die unstrittige Forderung der Klägerin i.H.v. 4.986,65 Euro durch Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch der Beklagten in derselben Höhe wegen der stationären Krankenhausbehandlung des V erloschen ist.
I.
Die Klage ist zulässig. Sie wurde zum sachlich (§ 51 SGG) und örtlich (§ 57 SGG) zuständigen Sozialgericht Würzburg form- und fristgerecht erhobenen. Sie ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft, weil der mit der Klage verfolgte Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung eines Versicherten der Beklagten aus einem Parteiengleichordnungsverhältnis stammt, der nicht durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden kann. Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen. Auch die Einhaltung einer Klagefrist war nicht geboten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. insbes. BSG, Urteil vom 10.04.2008, B 3 KR 20/07 R, juris; BSG, Urteil vom 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, Juris).
II.
Die Klage ist unbegründet. Der von der Klägerin geltend gemachte Vergütungsanspruch i.H.v. 4.986,65 Euro ist dem Grunde und der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstrittig. Soweit sich die beklagte Krankenkasse – wie vorliegend – gegenüber einer Klage auf Zahlung auf Vergütung ausschließlich im Rahmen der Primäraufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt, bedarf es bezüglich des (unstreitigen) Bestehens der Hauptforderung keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen (BSG, Urteil vom 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, juris, Rn. 10; Urteil vom 22.07.2004, B 3 KR 21/03 R, juris Rn. 13; BSG, Urteil vom 03.08.2006, B 3 KR 7/06 R, Juris Rn. 10).
1. Die unstrittige Forderung der Klägerin ist durch Aufrechnung gem. § 389 Abs. 1 BGB i.V.m. § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch der Beklagten in derselben Höhe wegen der stationären Krankenhausbehandlung des V erloschen. Alle Voraussetzungen der Aufrechnung waren erfüllt. Der Beklagten stand insbesondere ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch i.H.v. 4.986,65 Euro zu. Dieser Anspruch setzt insbesondere voraus, dass der Berechtigte – hier die Beklagte – im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht hat. Dies ist hier der Fall, denn die Beklagte zahlte für die Behandlung des V 4.986,65 Euro zu viel.
a) Die Klägerin erfüllte die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung, indem sie den V vom 22. Oktober 2012 bis zum 10. November 2012 in ihrem Krankenhaus stationär behandelte. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und i.S.v. § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R, juris). Diese Voraussetzungen waren erfüllt. Dies ist zu Recht nicht zwischen den Beteiligten strittig.
b) Aus dieser Behandlung resultierte ein Anspruch der Klägerin i.H.v. 6.059,23 Euro, also auf 4.986,65 Euro weniger als sie gegenüber der Beklagten abgerechnet hatte. Zu Recht sind die Beteiligten darüber einig, dass der Anspruch auf die um 4.986,65 Euro höhere Vergütung voraussetzt, dass die DRG „L03Z“ abzurechnen war. Die Voraussetzungen dieser DRG lagen jedoch nicht vor.
aa) Die Vergütung nach Fallpauschalen und deren Höhe ergibt sich für die Behandlung des V im Jahr 2012 bei DRG-Krankenhäusern wie jenem der Klägerin nach § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG und § 17b KHG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge konkretisiert. Im vorliegenden Fall sind insbesondere die Fallpauschalenvereinbarung 2012 und die DKR 2012 maßgebend. Die DRG „L03Z“ wird hier nur dann im Groupierungsvorgang (vgl. BSG, Urteil vom 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R, juris) angesteuert, wenn die Nebendiagnose „Staphylococcus aureus mit Resistenz gegen Oxacillin, Glykopeptid-Antibiotika, Chinolone, Streptogramine oder Oxazolidinone“ (U80.0!) zu kodieren ist. Dies war vorliegend nicht der Fall.
bb) Vergütungsregelungen für die routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen sind streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen. Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, haben es die zuständigen Stellen durch Änderung des Fallpauschalenkatalogs, der OPS-Kodes und der DKR in der Hand, für die Zukunft Abhilfe zu schaffen. Eine systematische Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen (BSG, Urteil vom 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R, juris; BSG, Urteil vom 18.07.2013, B 3 KR 25/12 R, juris).
cc) Die Klägerin durfte die Nebendiagnose „U80.0!“ aus mehreren Gründen nicht kodieren.
(1) Der Klägerin ist insoweit zuzustimmen, dass die Nebendiagnose U80.0! obligat ist, also bei ihrem vorliegen grundsätzlich auch dann kodiert werden muss, wenn die Voraussetzungen einer Nebendiagnose nach Ziffer D003i nicht erfüllt sind (vgl. die Ausführungen unter „Ausrufezeichenkodes“ zu Ziffer D012i sowie „Tabelle 2“ zu Ziffer D012i der DKR 2012). Bei der Diagnose U80.0! handelt es sich jedoch um einen sog. Ausrufezeichenkode, der als „Sekundär-Diagnoseschlüssel“ nur im Zusammenhang mit einem Primär-Kode kodiert werden darf. Unter Ziffer D012i der DKR 2012 wird diesbezüglich ausgeführt:
„ICD-Kodes mit einem Stern (Manifestation, “*„) oder mit einem Ausrufezeichen (Sonstiges, “!„) als Kennzeichen werden im Folgenden als Sekundär-Diagnoseschlüssel bezeichnet, da sie nie alleine verwendet werden dürfen, sondern nur in Kombination mit einem Primär-Kode.“
Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung unter Berücksichtigung ihrer systematischen Stellung folgt, dass auch die in der Tabelle 2 unter D012i der DKR 2012 genannten Kodes nur dann (in diesem Fall jedoch verpflichtend) kodiert werden dürfen, wenn sie einem Primärkode zugeordnet werden können, der seinerseits kodiert werden darf.
(2) Hier fehlt es an einem Primärkode. Der einzige in Betracht kommende Primärkode für den Sekundär-Diagnoseschlüssel U80.0! wäre die Diagnose „Z22.3“ (Keimträger anderer näher bezeichneter bakterieller Krankheiten). In den DKR 2012 finden sich unter Ziffer D003i insbesondere folgende Ausführungen zur Kodierung von Nebendiagnosen (Hervorhebungen im Original):
“Nebendiagnosen
Die Nebendiagnose ist definiert als:
„Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt.“
Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
● therapeutische Maßnahmen
● diagnostische Maßnahmen
● erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand Bei Patienten, bei denen einer dieser erbrachten Faktoren auf mehrere Diagnosen ausgerichtet ist, können alle betroffenen Diagnosen kodiert werden […].”
Es war zu berücksichtigen, dass das Ergebnis des Screenings erst nach Entlassung einging. Die von der Klägerin genannte Bestimmung unter Ziffer D002f der DKR 2012 ist für die Kodierung von Nebendiagnosen nicht einschlägig. Sie besagt:
„[…] Für die Abrechnung relevante Befunde, die nach der Entlassung eingehen, sind für die Kodierung heranzuziehen […]“.
Dieser Satz kann nicht losgelöst von seiner systematischen Stellung innerhalb der DKR 2012 – aus dem Zusammenhang gerissen – berücksichtigt werden. Vielmehr ergibt sich aus dem Kontext, dass sich diese Regelung nur auf die Kodierung der Hauptdiagnose bezieht. Konkret befindet sich dieser Satz in einem Abschnitt in dem der Begriff „nach Analyse“ (die der Bestimmung der Hauptdiagnose voranzugehen hat) näher erläutert wird. Auch aus dem weiteren Zusammenhang der Regelungen der DKR 2012 folgt, dass dieser Satz nicht auf Nebendiagnosen anzuwenden ist. Es ist nicht entscheidungserheblich, ob die Berücksichtigung von nach der Entlassung eingehenden Befunden generell bei der Kodierung von Nebendiagnosen ausgeschlossen ist. Die Regelungen der DKR 2012 beantworten die Frage die Frage nach der Kodierbarkeit der hier strittigen Diagnose, unabhängig davon.
Vorliegend kommt die Regelungen nach Ziffer D008b der DKR 2012 über Verdachtsdiagnosen zur Anwendung. Dort wird ausgeführt (Hervorhebungen im Original):
“Verdachtsdiagnosen Verdachtsdiagnosen im Sinne dieser Kodierrichtlinie sind Diagnosen, die am Ende eines stationären Aufenthaltes weder sicher bestätigt noch sicher ausgeschlossen sind.
Verdachtsdiagnosen werden unterschiedlich kodiert, abhängig davon, ob der Patient nach Hause entlassen oder in ein anderes Krankenhaus verlegt wurde.
Entlassung nach Hause Wenn Untersuchungen vorgenommen, aber keine Behandlung in Bezug auf die Verdachtsdiagnose eingeleitet wurde, ist/sind das/die Symptom/e zu kodieren (siehe Beispiel 1 und DKR D002 Hauptdiagnose (Seite 4)). […].”
Aufgrund dessen ist es nicht entscheidend, dass der Verdacht des Vorliegend eines MRSA nach der Entlassung positiv bestätigt wurde. Entscheidend ist, dass der Verdacht im Zeitpunkt der Entlassung „weder sicher bestätigt noch sicher ausgeschlossen“ werden konnte. Daher durften nur die zugrundeliegenden Symptome kodiert werden. Relevante Symptome, die als Primärkode für den Sekundärkode U80.0! dienen könnten, sind jedoch nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen.
(3) Darüber hinaus scheitert die Kodierung des Primärkodes „Z22.3“ und damit der Sekundärdiagnose U80.0! daran, dass es an dem gem. Ziffer D003i erforderlichen Aufwand fehlt. Die Kodierung einer Nebendiagnose setzt, wie bereits beschrieben, voraus, dass ein bestimmter – in der DKR 2012 unter Ziffer D003i näher definierter – Aufwand für das Krankenhaus entstanden ist. Konkret müssen „therapeutische Maßnahmen“, „diagnostische Maßnahmen“ oder ein „erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand“ erforderlich geworden sein. Die Besprechung der Ergebnisse, die telefonische Mitteilung an den Versicherten und die Änderung des Entlassungsbriefes stellen weder therapeutische, noch diagnostische Maßnahmen und auch keinen „erhöhten“ (!) Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand dar. Die Durchführung des Labortestes in Bezug auf den MRSA selbst, ist zwar eine „diagnostische Maßnahme“, die jedoch nicht ausreichend für die Kodierung der Nebendiagnose „Z22.3“ ist. Dies folgt aus dem Abschnitt über „abnorme Befunde“ unter der Ziffer D003i der DKR 2012. Dort wird ausgeführt:
„Abnorme Befunde Abnorme Labor-, Röntgen-, Pathologie- und andere diagnostische Befunde werden nicht kodiert, es sei denn, sie haben eine klinische Bedeutung im Sinne einer therapeutischen Konsequenz oder einer weiterführenden Diagnostik (nicht allein Kontrolle der abnormen Werte).“
Hieraus folgt, dass die Diagnostik in Bezug auf den MRSA nicht selbst der erforderliche Aufwand zur Kodierung der Nebendiagnose im Sinne der Ziffer D003i sein kann. Nur wenn das Laborergebnis eine „klinische Bedeutung im Sinne einer therapeutischen Konsequenz oder einer weiterführenden Diagnostik“ zur Folge gehabt hätte, dann wäre die Kodierung der Nebendiagnose „Z22.3“ möglich gewesen. Dies war jedoch nicht der Fall – da der Versicherte entlassen wurde.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. den §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 und 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 GKG.


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