Medizinrecht

Leistungen, Anordnungsgrund, Anordnungsanspruch, Krankenversicherung, Versorgung, Minderung, Umzug, Anordnung, Psychotherapie, Attest, Widerspruch, Familie, Adipositas, Erlass, einstweiligen Anordnung, Erlass einer einstweiligen Anordnung, einstweilige Anordnung

Aktenzeichen  S 17 KR 594/20 ER

Datum:
15.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10037
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Die Antragstellerin zu 1) und ihre Tochter als Antragstellerin zu 2) begehren im Wege der einstweiligen Anordnung die Bewilligung einer stationären Mutter-Kind-Vorsorgemaßnahme.
Die 1983 geborene Antragstellerin zu 1) ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Sie ist verheiratet und Mutter der am … 2018 geborenen Antragstellerin zu 2), die in ihrem Haushalt lebt. Am 28.10.2020 beantragte die Antragstellerin zu 1) über die Kurberatung eine Mutter-Kind-Maßnahme. Vorgeschlagen wurde der Zeitraum vom 01.06.2021 bis 22.06.2021. Vorsorgerelevante Erkrankungen seien Adipositas per magna (BMI 37,5), Psoriasis und Hashimoto-Thyreoiditis. Als vorsorgerelevante Risikofaktoren wurden eine familiäre Konfliktsituation mit der Stammfamilie (nach Umzug Kontaktabbruch der Stammfamilie) und die Wiederaufnahme der Berufstätigkeit (Doppelbelastung durch Familie und Beruf) genannt. Die Antragstellerin zu 1) leide an einem Gefühl der Überforderung und unter chronischer Erschöpfung. Bislang seien stützende Gespräche erfolgt. Eine ambulante Psychotherapie sei geplant. Als Vorsorgeziele wurden Steigerung der psycho-/physischen Belastbarkeit und das Erlernen von Coping-Strategien genannt. Die Antragstellerin zu 2) leidet an Neurodermitis.
Mit Bescheid vom 03.11.2020 lehnte die Antragsgegnerin die beantragte Leistung ab. Für eine Genehmigung müssten mehrere mütterspezifische Problematiken vorliegen. Die vorliegenden Schilderungen würden jedoch keine umfangreiche Vorsorgekur für Mütter begründen. Alternativ wurden von der Antragsgegnerin ambulante wohnortnahe Behandlungsmöglichkeiten wie Weiterführung der fachärztlichen Behandlung und Teilnahme an ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation wie beispielsweise eine individuelle Ernährungsberatung empfohlen.
Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerinnen am 17.11.2020 Widerspruch ein und übersandte ein Attest von Dr. med. Z vom 23.11.2020. Die beantragte Mutter-Kind-Kur sei aufgrund der bestehenden familiären und beruflichen Belastung kurzfristig erforderlich, um einer weiteren Exacerbation vorzubeugen. Die derzeitige Situation der Familie A. sei von einer krisenhaften Zuspitzung gekennzeichnet.
Der von der Beklagten Anfang Dezember 2020 beauftragte MDK hat bislang leider noch keine Stellungnahme abgeben können. Ein Widerspruchsbescheid ist noch nicht erlassen worden.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerinnen beantragte am 10.12.2020 den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Bei nicht erfolgender kurzfristiger Herausnahme aus dem häuslichen Umfeld drohe eine Zweckverfehlung der Maßnahme und eine deutliche gesundheitliche Verschlechterung. Die gesamte Familienstruktur der Antragsteller sei im Moment nachhaltig erschüttert und krisenhaft zugespitzt. Die Zerrüttung der Familie drohe.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerinnen beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, den Antragstellern die beantragte Mutter-Kind-Maßnahme zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin sei nicht alleinerziehend. Mütterspezifische Problematiken seien nicht bzw. nicht im ausreichenden Maß erkennbar. Selbst die ärztlich angesprochene Mehrfachbelastung durch Familie und Beruf gebe es erst seit der Arbeitsaufnahme am … 2020, so dass nicht davon auszugehen sei, dass dies bei am 18.09.2020 von der Antragstellerin zu 1) unterschriebenem Antrag binnen weniger Tage zu einer entsprechenden Vorsorgebedürftigkeit geführt habe. Zudem sei eine dringende Eilbedürftigkeit bzw. Gefahr für die Rechtsverwirklichung der Antragstellerin für eine erst für Juni 2021 geplante Vorsorgemaßnahme nicht ersichtlich. Der Antragstellerin sei zumutbar, zunächst das Ergebnis der sozialmedizinischen Bewertung und je nach weiterem Verlauf auch des Widerspruchsverfahrens abzuwarten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachund Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Anwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Dazu muss glaubhaft gemacht werden, dass das geltend gemachte Recht des Antragstellers gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und dass der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung wesentliche, in § 86 b Abs. 2 SGG näher gekennzeichnete Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund), § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Tatsache ist dann als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden dabei aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System und stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Die Anforderungen an den Anordnungsanspruch sind mit zunehmender Eilbedürftigkeit beziehungsweise Schwere des drohenden Nachteils zu verringern und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund.
Gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte unter den in § 23 Abs. 1 SGB V genannten Voraussetzungen Anspruch auf aus medizinischen Gründen erforderliche Vorsorgeleistungen in einer Einrichtung des Müttergenesungswerkes oder einer gleichartigen Einrichtung. Die Leistung kann in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme erbracht werden. Gemäß § 24 Abs. 1 S. 4 SGB V gilt § 23 Abs. 4 S. 1 SGB V nicht. Gemäß § 23 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf unter anderem ärztliche Behandlung, wenn diese notwendig ist, 1. eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen, 2. eine Gefährdung der gesunden Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken, 3. Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden. Eine Leistung zur medizinischen Vorsorge kann mithin nur dann beansprucht werden, wenn sie von einer Vorsorgeindikation gedeckt ist. Voraussetzung hierfür ist 1. ein nach § 23 Abs. 1 SGB V relevantes Gesundheitsrisiko und 2., dass diesem Risiko erfolgversprechend nur mit einer Maßnahme nach § 24 SGB V entgegengewirkt werden kann.
Nach dem systematischen Kontext der §§ 23, 24 SGB V ist Zweck der Leistungen nach § 24 SGB V die Reduzierung von gesundheitlichen Belastungen, die wesentlich aus der Eltern-Kind-Beziehung herrühren. Ziel der Leistungen nach § 24 SGB V kann mithin deshalb nur die Minderung solcher gesundheitlicher Belastungen sein, die in wesentlicher Hinsicht durch gesundheitliche Belastungen aus der Stellung der Versicherten als Mutter eines oder mehrerer Kinder verursacht und/oder aufrechterhalten werden. Zweck der Leistungen in diesem Sinne ist mithin, im Rahmen stationärer Vorsorgeleistungen durch ganzheitliche Therapieansätze und ein beziehungspsychologischer, psychosozialer und gesundheitsfördernde Hilfen den spezifischen Gesundheitsrisiken von Müttern und Vätern entgegenzuwirken. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung können nur beansprucht werden, wenn sie notwendig im Sinne des § 12 Absatz ein S. 1 SGB V sind. Daher kann eine Leistung nach § 24 SGB V dann nicht beansprucht werden, denn das Vorsorgeziel mit anderen, auch ambulanten Maßnahmen ebenso erreicht werden kann. Allerdings kann dies bei Vorsorgeleistungen gemäß § 24 SGB V nicht ausschließlich nach den Möglichkeiten der medizinischen Versorgung selbst zu beurteilen sein, sondern danach, ob die Versicherten dem sie gesundheitlich belastenden Einfluss ihrer Kinder beziehungsweise ihre spezifische Rolle als Erziehender weiter ausgesetzt sind oder ob sie jedenfalls für die Dauer einer Vorsorgemaßnahme Entlastung erfahren sollen und deshalb eine ambulante Maßnahme am Wohnort gerade wegen der aus der Eltern-Kind-Beziehung herrührenden gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht geeignet entgegenwirken kann.
Ein relevantes Gesundheitsrisiko im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1, 3 SGB V wurde hier jedoch nicht glaubhaft gemacht. Sowohl die Angaben des behandelnden Arztes Dr. med. Z als auch des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen sind sehr allgemein gehalten. So werden eine chronische Erschöpfung und ein Gefühl der Überforderung beschrieben. Es bestehe ein Konflikt mit der Stammfamilie durch einen Umzug und eine Doppelbelastung durch Familie und die Arbeitsaufnahme. Worin die vom Prozessbevollmächtigten behauptete krisenhafte Zuspitzung und drohende Zerrüttung der Familie bestehen soll, wurde nicht erklärt. Mütterspezifische Problematiken wurden trotz Aufforderung des Gerichts ebenso wenig dargelegt wie ärztliche Atteste für die Gesundheitsstörungen vorgelegt. Auch ist für die Klammer nicht nachvollziehbar, warum die Antragstellerinnen aus dem häuslichen Umfeld herausgenommen werden müssten. Ein Konflikt mit dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) wurde nicht beschrieben. Und der Konflikt mit der Stammfamilie infolge eines Umzugs führte wohl zu einem Kontaktabbruch, so dass dieser Konflikt auch nicht im häuslichen Umfeld der Antragstellerinnen besteht.
Zudem könnte die Antragstellerin an ambulanten Maßnahmen teilnehmen, wie zum Beispiel an einer individuellen Ernährungsberatung, um die Verschlimmerung der Adipositas zu vermeiden, und an einer ambulanten Psychotherapie, um Bewältigungsstrategien für die Konfliktsituationen und die Doppelbelastung zu erlernen. Eine solche Psychotherapie ist nach Angaben des Arztes auch geplant.
Außerdem ist auch ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden. Welche wesentlichen Nachteile vermieden werden sollen, wurde nicht konkret dargelegt. Sehr verallgemeinert ist von einer drohenden Zerrüttung der Familie die Rede, was aber anhand der anderen Angaben zur häuslichen Situation nicht nachvollzogen werden kann. Dass die Maßnahme erst für den Juni 2021 geplant wurde, spricht ebenfalls gegen eine Dringlichkeit. Bis zur geplanten Aufnahme in 4 ½ Monaten kann die Entscheidung im Widerspruchsverfahren abgewartet werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben