Medizinrecht

Normenkontrolleilverfahren gegen die coronabedingte Schließung von Brautmodengeschäften

Aktenzeichen  20 NE 21.293

Datum:
8.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3804
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
11. BayIfSMV § 12
IfSG § 28, § 28a, 32 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Bestimmung des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV über die Schließung von Ladenlokalen ist voraussichtlich recchtmäßig. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Erwägung, andere Wirtschaftszweige von Schließungen auszunehmen, weil dies gesamtwirtschaftlich mit noch schwereren Folgen verbunden wäre, kann von § 28 Abs. 6 Satz 3 IfSG gedeckt sein. Der Gesetzgeber hat den Infektionsschutzbehörden bei bereichsspezifischen Differenzierungen in einem Gesamtkonzept einen Gestaltungsspielraum eingeräumt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin betreibt ein Brautmodengeschäft in Bayern. Mit ihrem Antrag wendet sie sich gegen § 12 Abs. 2 Satz 1 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020 (11. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 737) in der Fassung vom 28. Januar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 75). Sie hält die angegriffene Norm für unverhältnismäßig, da sie nach einem strengen Hygienekonzept arbeite und jeweils nur eine Kundin in ihrem Geschäft bediene, so dass die Schließung ihres Betriebes nicht gerechtfertigt sei. Außerdem liege gegenüber anderen in § 12 Abs. 1 Satz 2 genannten Ladengeschäften, in welchen nicht nur eine Notversorgung stattfinde und die Kundenanzahl nicht begrenzt sei, ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor. Sie sei durch die Maßnahme schwer wirtschaftlich betroffen. Die in § 12 Abs. 1 Satz 6 11. BayIfSMV geregelten Ausnahmetatbestände seien auf ihr Betriebskonzept nicht anwendbar, da eine Abholung bestellter Waren der Natur der Sache nach ausscheide.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt, diesen abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache gegen § 12 Abs. 2 11. BayIfSMV hat unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei summarischer Prüfung bereits keine durchgreifende Aussicht auf Erfolg (2.).
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.
Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ juris Rn. 12).
Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
2. Nach diesen Maßstäben ist der Eilantrag auf einstweilige Außervollzugsetzung der angegriffenen Bestimmungen abzulehnen, weil ein in der Hauptsache noch zu erhebender Normenkontrollantrag bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
a) Im Hinblick auf die Frage, ob die angegriffene Schließung von Ladengeschäften durch § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV auf einer ausreichenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung beruht, insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt und an das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG genügt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen auf den Beschluss des Senats vom 8. Dezember 2020 (20 NE 20.2461, BeckRS 2020, 34549 dort Rn. 22 ff.), wonach gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 28a IfSG jedenfalls im Rahmen des Eilrechtsschutzes keine durchgreifenden Bedenken bestehen.
b) Die von der Antragstellerin angegriffene Bestimmung des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV steht mit der Ermächtigungsgrundlage der §§ 32 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in Einklang und erweist sich im Rahmen einer summarischen Prüfung weder als offensichtlich unverhältnismäßig noch als gleichheitswidrig.
Sowohl zum Zeitpunkt der Entscheidung, die Geltungsdauer der 11. BayIfSMV bis zum 14. Februar (§ 1 Nr. 4 der Verordnung zur Änderung der 11. BayIfSMV vom 28. Januar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 75)) nochmals zu verlängern, als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats sind die Voraussetzungen des § 28a Abs. 3 Satz 4, 5 und 10 IfSG zu bejahen. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 7. Februar 2021 (vgl. abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neu-artiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-07-de.pdf? blob=publi-cationFile) ist weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Die hohen bundesweiten Fallzahlen werden verursacht durch zumeist diffuse Geschehen mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten, im beruflichen Umfeld sowie in Alten- und Pflegeheimen. Die Inzidenz in Bayern betrug am 7. Februar 2021 76 Fälle von Neuinfektionen innerhalb der letzten sieben Tage und lag damit im Bundesdurchschnitt. Wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen sind nach §§ 28a Abs. 3 Satz 4 und 5, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen.
Mit Inkrafttreten der 11. BayIfSMV am 16. Dezember 2020 wurde das öffentliche Leben in Bayern sehr stark eingeschränkt. Nachdem noch unter Geltung der 10. BayIfSMV vom 8. Dezember 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 711) nur freizeitbezogene Aktivitäten weitgehend untersagt waren, um so nicht zwingend erforderliche physische Kontakte zu verhindern und das Infektionsgeschehen abzuschwächen, sind wegen der stark angestiegenen Infektionszahlen im Zeitraum November/Dezember 2020 Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen und der Einzelhandel ganz überwiegend geschlossen, die Erbringung von Dienstleistungen nur noch eingeschränkt ermöglicht und private Kontakte stark beschränkt worden. Die Schließung von Betrieben des Einzelhandels erfolgt im Rahmen eines Gesamtkonzepts des Verordnungsgebers zur Infektionsbekämpfung, das soziale Kontakte reduzieren und so Infektionsketten verhindern bzw. durchbrechen soll. Immer dann, wenn Menschen aufeinandertreffen, besteht das Risiko einer Ansteckung, weshalb nicht unbedingt notwendige menschliche Begegnungen weitgehend unterbunden werden sollen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die exponentiell verlaufende Verbreitung des besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion und über Aerosole von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus voraussichtlich nur durch eine strikte Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann (BT-Drs. 19/23944 S. 31). Vor diesem Hintergrund begegnet die Entscheidung des Verordnungsgebers, die Öffnung von Ladengeschäften und zugehöriger Abholdienste so weit einzuschränken, dass insgesamt physische Kontakte minimiert werden, keinen durchgreifenden Bedenken. Auf die Frage, ob es in dem Ladengeschäft der Antragstellerin zu nachweislichen Infektionen mit dem Coronavirus kommen kann oder gekommen ist, kommt es deshalb nicht maßgeblich an. Aus demselben Grund ist es für die Frage der Rechtfertigung der Geschäftsschließung (jedenfalls derzeit noch) unbeachtlich, dass die Antragstellerin ein Hygienekonzept in ihren Betriebsräumen etabliert hat.
Gleichzeitig dürfte die Erwägung, andere Wirtschaftszweige von Schließungen auszunehmen, weil dies gesamtwirtschaftlich mit noch schwereren Folgen verbunden wäre, von § 28 Abs. 6 Satz 3 IfSG noch gedeckt sein, da der Gesetzgeber den Infektionsschutzbehörden bei bereichsspezifischen Differenzierungen in einem Gesamtkonzept einen Gestaltungsspielraum eingeräumt hat (vgl. BT-Drs. 19/24334 S. 82). Insbesondere sieht die Ermächtigungsgrundlage des § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG entsprechende Differenzierungen im Bereich der Betriebsschließungen vor. Auf eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann sich die Antragstellerin daher nicht berufen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von der Antragstellerin angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 14. Februar 2021 außer Kraft tritt (§ 29 Abs. 1 11. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht ist.


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